Urteil des LG Frankfurt am Main vom 23.02.2010

LG Frankfurt Main: unechte rückwirkung, erhöhung des grundkapitals, aktionär, wirtschaftliches interesse, vertreter, nennwert, quorum, erwerb, satzung, zukunft

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Gericht:
OLG Frankfurt 5.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 Sch 2/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 246a AktG, § 243 Abs 4 S 1
AktG, § 53a AktG, § 20 Abs 4
AktGEG, § 296a Abs 1 ZPO
Aktienrecht: Freigabeverfahren für die
Handelsregistereintragung angefochtener
Hauptversammlungsbeschlüsse; Verfassungsmäßigkeit
des Bagatellquorums von 1.000 €
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Erhebung der beim Landgericht Frankfurt am Main
unter dem Aktenzeichen 3-05 O 263/09 anhängigen Anfechtungs- und
Nichtigkeitsklage des Antragsgegners zu 1) gegen den Beschluss der
Hauptversammlung der Antragstellerin vom 26. Mai 2009 zu Tagesordnungspunkt
10 (Schaffung eines neuen genehmigten Kapitals mit der Möglichkeit zum
Bezugsrechtsausschluss und entsprechende Änderung der Satzung der
Antragstellerin) sowie die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen der Antragsgegner
zu 1), 2) und 3) gegen den Beschluss zu Tagesordnungspunkt 11 (Schaffung eines
neuen genehmigten Kapitals zur Bar- oder Sachkapitalerhöhung mit der
Möglichkeit zum Bezugsrechtsausschluss und entsprechende Änderung der
Satzung der Antragstellerin) der Eintragung der Beschlüsse in das Handelsregister
der Antragstellerin nicht entgegenstehen und Mängel der
Hauptversammlungsbeschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 die
Wirkung der Eintragung unberührt lassen.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin haben
die Antragstellerin zu 67 %, der Antragsgegner zu 1) zu 17 % sowie die
Antragsgegner zu 2) und 3) jeweils zu 8 % zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners zu 1) haben die Antragstellerin
und der Antragsgegner zu 1) jeweils zur Hälfte zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegner zu 2) und 3) haben die
Antragstellerin jeweils zu 75 % und die Antragsgegner zu 2) und 3) jeweils zu 25 %
zu tragen.
Der Streitwert wird auf 200.000,-- € festgesetzt.
Gründe
I.
In der Hauptversammlung der Antragstellerin am 26.05.2009 wurden zu TOP 10,
11, 12 und 13 Beschlüsse zur Schaffung neuen genehmigten bzw. bedingten
Kapitals gefasst. Für die genaue Formulierung der Beschlüsse wird auf die
Antragsschrift vom 11.09.2009, S. 4 ff (Bl. 4 ff d. A.) Bezug genommen.
In dem Rechtsstreit Landgericht Frankfurt am Main, Az.: 3 - 05 O 263/09, haben die
Antragsgegner die Beschlussfassungen zu verschiedenen Tagesordnungspunkten
mit Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen angegriffen. Von den im vorliegenden
Freigabeverfahren streitgegenständlichen Beschlüssen haben der Antragsgegner
zu 1) die Beschlüsse zu TOP 10 und 11 sowie die Antragsgegner zu 2) und 3) den
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zu 1) die Beschlüsse zu TOP 10 und 11 sowie die Antragsgegner zu 2) und 3) den
Beschluss zu TOP 11 angegriffen.
Die Klageschrift des Antragsgegners zu 1) datiert vom 26.6.2009.
Die Antragstellerin hat Namensaktien zu einem Nennwert von 2,56 Euro je Aktie
ausgegeben. Hiervon halten der Antragsgegner zu 1) 50 Stück, der Antragsgegner
zu 2) 100 Stück sowie die Antragsgegnerin zu 3) 8.900 Stück.
In ihren Klagen rügen die Antragsgegner im Wesentlichen,
- der Einlass zur Hauptversammlung sei wegen organisatorischer Mängel nur stark
verzögert gewesen,
- es habe ein unzuständiger Versammlungsleiter die Hauptversammlung geleitet,
- die Redezeit eines Teils der Aktionäre sei unzulässig beschränkt worden,
- zahlreiche Fragen seien nicht bzw. nicht ausreichend beantwortet worden,
- der Aktionär Dr. A sei fälschlich nicht aufgerufen worden,
- über die Übernahme der B-Bank sei kein hinreichender Bericht erstattet worden.
Für die Einzelheiten des Klagevorbringens wird auf die Klage des Antragsgegners
zu 1) vom 26.06.2009 (Bl. 1 ff d. A. LG Ffm. 3 - 5 O 263/09) sowie auf die in Kopie
zur Akte gereichte Klage der Antragsgegner zu 2) und 3) vom 26.06.2009 (Bl. 497
ff d. A.) Bezug genommen.
Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, die streitgegenständliche
Hauptversammlung am 26.05.2009 sei ordnungsgemäß durchgeführt und alle
relevanten Fragen seien im geschuldeten Umfang beantwortet worden. Der
Aktionär Dr. A habe nicht aufgerufen werden müssen, denn für diesen habe sich
sein Vertreter, Herr Rechtsanwalt RA1, angemeldet. Dieser habe jedoch - was
unstreitig ist - bereits zuvor gesprochen.
Die Antragstellerin vertritt weiter die Auffassung, dass sich die Klageschrift der
Antragsgegner zu 2) und 3) auch gegen die Beschlüsse zu TOP 12 und 13 richte,
da diese der Auffassung sind, sämtliche gefassten Beschlüsse seien nichtig. Es
bestehe deshalb das Rechtsschutzinteresse an einer „Freigabe“ auch dieser
Beschlüsse, was zudem der Prozessökonomie diene.
Die Antragstellerin beantragt,
gemäß § 246 a Abs. 1 AktG festzustellen, dass die Erhebung der beim Landgericht
Frankfurt am Main unter dem führenden Aktenzeichen 3-05 O 263/09 anhängigen
Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen der Antragsgegner gegen die Beschlüsse der
Hauptversammlung der Antragstellerin vom 26. Mai 2009
- zu TOP 10 Schaffung eines neuen genehmigten Kapitals (mit der Möglichkeit zum
Bezugsrechtsausschluss unter anderem gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG),
- zu TOP 11 Schaffung eines neuen genehmigten Kapitals zur Bar- oder
Sachkapitalerhöhung (mit der Möglichkeit zum Bezugsrechtsausschluss),
- zu TOP 12 Schaffung eines neuen genehmigten Kapitals (mit der Möglichkeit des
Bezugsrechtsschlusses für Spitzenbeträge sowie zugunsten von Options- und
Wandlungsberechtigten),
- zu TOP 13 Ermächtigung zur Ausgabe von Options- bzw. Wandelgenusscheinen,
Optionsschuldverschreibungen und Wandelschuldverschreibungen (mit der
Möglichkeit des Bezugsrechtsausschlusses), Schaffung eines bedingten Kapitals
sowie die entsprechenden Änderungen der Satzung der Antragstellerin der
Eintragung der Beschlüsse in das Handelsregister der Antragsstellerin nicht
entgegensteht und Mängel der Hauptversammlungsbeschlüsse zu TOP 10, 11, 12
und 13 die Wirkung der Eintragung unberührt lassen.
Die Antragsgegner beantragen,
den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
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Der Antragsgegner zu 1) vertritt die Auffassung, der angerufene Senat sei bereits
sachlich unzuständig, da gemäß § 16 FMStFG eine ausschließliche Zuständigkeit
des Bundesgerichtshofs bestehe. Hinsichtlich der Beschlüsse zu TOP 12 und 13 sei
der Antrag unzulässig. Der Weiteren meint er, dass die Regelung des § 246 a Abs.
2 Nr. 2 AktG nF nicht anwendbar sei, da die streitgegenständliche
Hauptversammlung vor dem 01.09.2009 abgehalten wurde, jedenfalls sei das dort
festgeschriebene Mindestquorum u. a. wegen einer verbotenen Rückwirkung
verfassungswidrig. Zumindest müsse der Aktienbesitz der Antragsgegner
zusammen gerechnet werden.
Die Antragsgegner zu 2) und 3) halten den gestellten Freigabeantrag insgesamt
für unzulässig, da die Beschlussfassungen zu TOP 10 nicht von ihnen und die
Beschlüsse zu TOP 12 und 13 überhaupt nicht angefochten worden seien. Zudem
hätte der Antrag auch gegen die Nebenintervenienten des Hauptsacheverfahrens
LG Ffm. 3 - 05 O 263/09 gerichtet werden müssen.
Des Weiteren wiederholen die Antragsgegner zu 2) und 3) ihre Rügen aus der
Klageschrift im Verfahren LG Ffm. 3 - 05 O 263/09 hinsichtlich eines verzögerten
Einlasses der Aktionäre, einer rechtswidrigen Beschränkung der Redezeit, eines
fehlenden Berichts zur Sachkapitalerhöhung im Zusammenhang mit dem Erwerb
der B-Bank sowie des unterlassenen Aufrufs des Aktionärs Dr. A.
Für die weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze der
Antragstellerin vom 11.09.2009 (Bl. 1 ff d. A.) und 11.01.2010 (Bl . 679 ff. d.A.),
des Antragsgegners zu 1) vom 11.10.2009 (Bl. 235 ff d. A.), 20.11.2009 (Bl. 613 ff
d. A.) und 5.2.2010 (Bl. 1114 ff. d.A.) sowie der Antragsgegner zu 2) und 3) vom
20.10.2009 (Bl. 442 ff d. A.) 30.11.2009 (Bl. 641 ff d. A.), 18.1.2010 (Bl. 860 ff. d.A.)
und 4.2.2010 (Bl. 1066 ff. d.A.) nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Akte LG Ffm., Az.: 3 - 05 O 263/09 war beigezogen.
II.
1. a) Der angerufene Senat ist gem. § 246 a Abs. 1 S. 3 AktG nF für die
Entscheidung über den gestellten Freigabeantrag zuständig. § 16 S. 3 des
Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes (FMStFG) findet keine Anwendung, da es
sich vorliegend nicht um eine Streitigkeit nach dem FMStFG handelt. Die
angefochtenen Beschlüsse der Antragstellerin stehen in keinem Zusammenhang
mit dem Finanzmarktstabilisierungsfonds. Leistungen aus diesem hat die
Antragstellerin überhaupt nicht in Anspruch genommen.
b) Der gestellte Antrag ist jedoch unzulässig, soweit eine Freigabe der zu TOP 12
und 13 der Hauptversammlung vom 26.05.2009 gefassten Beschlüsse begehrt
wird. Denn gemäß § 246 a Abs. 1 S. 1 AktG (neuer wie alter Fassung) ist
Voraussetzung eines Freigabeverfahrens, dass „
“ wird. Dies ist hinsichtlich der
Beschlüsse zu TOP 12 und 13 nicht geschehen. Dass die Antragsgegner zu 2) und
3) in ihrer Klageschrift die Auffassung vertreten, sämtliche Beschlussfassungen der
streitgegenständlichen Hauptversammlung seien nichtig, ändert hieran nichts.
Denn sie haben keine Feststellung einer Nichtigkeit der Beschlüsse zu TOP 12 und
13 beantragt.
Der Streitgegenstand einer Klage wird jedoch durch Antrag und Begründung, nicht
allein durch letztere bestimmt (vgl. z.B. Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., Einl. Rn.
63 ff.).
Aus der Formulierung von § 246 a Abs. 1 S. 1 AktG („
“) folgt, dass es sich bei der
Notwendigkeit einer Klage gegen den Hauptversammlungsbeschluss um eine
Zulässigkeitsvoraussetzung für das Freigabeverfahren handelt. Denn diese ist
Voraussetzung dafür, dass das Gericht überhaupt tätig werden kann. Die
sachlichen Voraussetzungen einer Freigabe (Begründetheit) sind demgegenüber
in § 246 a Abs. 2 AktG geregelt. Da es somit bereits an einer ausdrücklichen
gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzung für das Freigabeverfahren fehlt, kommt
es auf die von der Antragstellerin problematisierte Frage eines
Rechtsschutzesbedürfnisses oder auf Fragen der Prozessökonomie nicht an.
c) Ebenfalls unzulässig ist der Antrag, soweit er auf eine Freigabe der
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c) Ebenfalls unzulässig ist der Antrag, soweit er auf eine Freigabe der
Beschlussfassung zu TOP 10 gegen die Antragsgegner zu 2) und 3) gerichtet ist.
Denn diese haben gegen den Beschluss keine Klage erhoben. Es gilt insoweit das
zu 2) Ausgeführte entsprechend.
d) Im Übrigen ist der gestellte Antrag zulässig. Denn der Antragsgegner zu 1) hat
gegen die Beschlüsse zu TOP 10 und 11, die Antragsgegner zu 2) und 3) gegen
den Beschluss zu TOP 11 Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage erhoben. Die
Zulässigkeit scheitert nicht daran, dass mit dem Antrag darüber hinaus auch
unzulässige Feststellungen begehrt werden. Dass das unterschiedliche Begehren
der Antragstellerin formal als ein Antrag mit mehreren Unterpunkten gestellt wird,
ist insoweit unschädlich.
Ebenso wenig scheitert die Zulässigkeit des Antrages daran, dass dieser sich nur
gegen die Antragsgegner als Kläger im Hauptsacheverfahren richtet. Denn zwar
sind an diesem auch Nebenintervenienten beteiligt.
Hinsichtlich der streitgegenständlichen Beschlussfassungen zu TOP 10 bis 13 sind
sie dem Rechtsstreit jedoch gar nicht beigetreten (vgl. LG Ffm. 3 - 5 O 263/09, Bl.
272, 448).
2. Soweit der Antrag zulässig ist, ist er auch begründet.
a) Soweit die Antragstellerin bezüglich der Klage des Antragsgegners zu 1)
hinsichtlich der Beschlussfassungen zu TOP 10 und 11 die Freigabe beantragt, ist
der Antrag gemäß § 246 Abs. 2 Nr. 2 AktG nF begründet.
aa) Unstreitig erfüllt der Antragsgegner zu 1), der lediglich über 50 Aktien à 2,56
Euro, mithin über einen Aktienbesitz im Nennwert von 128,00 Euro verfügt, nicht
das notwendige Quorum gemäß § 246 Abs. 2 Nr. 2 AktG nF (anteiliger
Aktienbetrag im Nennwert von mindestens 1.000,00 Euro).
bb)
Auf das vorliegende Verfahren ist auch die Neufassung von § 246 a AktG zugrunde
zu legen. Denn gemäß Art. 16 ARUG (BGBl. 2009, S. 2479) ist diese am 1.9.2009
in Kraft getreten. Gemäß § 20 des Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz (§ 20
Abs. 4 EGAktG) in der seit 01.09.2009 geltenden Fassung ist § 246 a Abs. 2 Nr. 2
AktG nF besteht eine Ausnahme von der Anwendung lediglich für
Freigabeverfahren, die bereits vor dem 01.09.2009 anhängig waren. Diese
Regelung ist eindeutig und weder auslegungsfähig noch bedürftig. Da das
vorliegende Freigabeverfahren erst am 11.9.2009, also nach dem Stichtag
anhängig wurde, findet die Neufassung des Gesetzes Anwendung.
cc) Entgegen der Meinung des Antragsgegners zu 1) bestehen gegen die
Regelung auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn § 246 a AktG
behandelt nur das Freigabeverfahren. Dieses wurde erst nach Inkrafttreten der
Neuregelung anhängig. Es liegt deshalb jedenfalls keine (verfassungsrechtlich
verbotene) echte Rückwirkung vor, die nachträglich in einen bereits
abgeschlossenen Sachverhalt eingreift.
Ob wegen eines Zusammenhangs mit dem bereits vor Verabschiedung des ARUG
eingeleiteten Klageverfahrens eine sog. unechte Rückwirkung gegeben ist, kann für
das Ergebnis dahin stehen. Als „unechte Rückwirkung“ bezeichnet die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Einwirkungen von Gesetzen auf
gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen
für die Zukunft (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 10.6.2009, 1 BvR 571/07, NVwZ-
RR 2009, 705-709, zit. nach juris Rn. 23 m.w.N.). Eine solche ist grundsätzlich
zulässig, selbst wenn damit die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet
wird (BVerfG a.a.O.). Begrenzt wird die Zulässigkeit der unechten Rückwirkung nur
durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes und das
Verhältnismäßigkeitsprinzip. Deren Grenzen sind allerdings erst überschritten,
wenn die unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet
oder nicht erforderlich ist, oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die
Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (BVerfG a.a.O.). Dies ist
vorliegend nicht der Fall.
Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 16/11642 zu Nr. 38 u. 39, lit. b)
soll das eingeführte Bagatellquorum eine „Atomisierung“ der Klagebefugnis
verhindern. Es soll vermieden werden, dass Kleinaktionäre
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verhindern. Es soll vermieden werden, dass Kleinaktionäre
unternehmensstrukturelle Maßnahmen von größter Bedeutung aufhalten können.
Zur Erreichung dieses Ziels ist die Anordnung des Quorums geeignet. Denn durch
das Quorum in § 246a Abs. 2 Nr. 2 nF AktG können Aktionäre, die nicht
mindestens über Aktien im Nennwert von 1.000,-- € verfügen, z.B. die Schaffung
genehmigten Kapitals nicht verhindern. Das Quorum ist auch erforderlich, denn ein
milderes Mittel, das gesetzgeberische Ziel (keine Verhinderung
unternehmensstruktureller Maßnahmen von Aktionären mit Aktienbesitz unter
1.000,-- € Nennwert) zu erreichen, ist nicht ersichtlich. Denkbar – und auch im
Rahmen der Reform diskutiert – wäre lediglich, das Klagerecht für diesen
Aktionärskreis gänzlich auszuschließen. Dies jedoch stellte einen noch
gravierenderen Eingriff in das Eigentumsrecht dar.
Der Eingriff in das Eigentumsrecht der Kleinaktionäre – und damit des
Antragsgegners zu 1) - ist auch verhältnismäßig. Zwar hat der Erfolg der weiterhin
zulässigen Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage auf die Durchführung des infolge
der Freigabe eingetragenen Beschlusses gemäß § 246 a Abs. 4 S. 2 AktG keinen
Einfluss. Jedoch besteht gemäß § 246 a Abs. 4 S. 1 AktG ein
Schadensersatzanspruch des Aktionärs. Zumindest aufgrund letzterem bestehen
gegen die „Verschärfung“ der Voraussetzungen des § 246 a Abs. 2 AktG auch
hinsichtlich von Hauptversammlungen, die vor dem 01.09.2009 stattgefunden
haben, keine verfassungsrechtlichen Bedenken (im Ergebnis ebenso bereits
Beschluss des Senats vom 12.10.2009, 5 Sch 1/09, sowie OLG Stuttgart,
Beschluss vom 19.10.2009, 20 AR (Freig.) 1/09, Beck RS 2009 28693).
Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Antragsgegner zu 1) einen Teil
der Verfahrenskosten tragen muss. Denn ein schutzwürdiges Vertrauen
dahingehend, in einem möglichen Freigabeverfahren gem. § 246a AktG obsiegen
zu können, bestand zum Zeitpunkt der Fertigung seiner Klage am 26.6.2009 bzw.
deren Einreichung nicht.
Zwar sah der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum UMAG zunächst nur ein
Quorum von 100,-- € Aktien-Nennwert vor (vgl. BR-Drucks. 847/08, S. 14), welches
der Antragsgegner zu 1) gerade erreichte. Bereits am 20.5.2009 (und damit noch
vor der streitgegenständlichen Hauptversammlung) empfahl der Rechtsausschuss
des Bundestages jedoch dessen Erhöhung auf 1.000,-- € (BT-Drucks. 16/13098),
was der Bundestag in dritter Lesung am 12.6.2009 auch beschloss. Auch wenn der
so geänderte Gesetzentwurf noch im zweiten Durchgang den Bundesrat passieren
musste, musste der Antragsgegner zu 1) daher bei Anfertigung seiner Klage am
26.6.2009 damit rechnen, in einem durch diese motivierten Freigabeverfahren
mangels Erreichens des Quorums gem. § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG n.F.
kostenpflichtig zu unterliegen.
Hinzu kommt, dass der Antragsgegner zu 1) ohnehin nicht darauf vertrauen
durfte, in einem möglichen Freigabeverfahren zu obsiegen und keine Kosten
tragen zu müssen. Angesichts der Möglichkeit der erfolgreichen Geltendmachung
eines vorrangigen Vollzugsinteresses durch die Antragstellerin gem. § 246a Abs. 2
Nr. 2 AktG nF wie auch § 246a Abs. 2 AktG aF gilt und galt dies auch weitgehend
unabhängig von den geltend gemachten Anfechtungs- und auch
Nichtigkeitsgründen.
Die hierbei für den Antragsgegner zu 1) zum Zeitpunkt seiner Klageerhebung
somit im Ergebnis ohnehin nicht vorhersehbare Abwägung hat der Gesetzgeber
des ARUG lediglich typisiert: Die Interessen eines Kleinaktionärs, der nicht
mindestens Aktien im Nennwert von 1.000,-- € hält, sind gegenüber den
Interessen der Gesellschaft (und ihrer übrigen Aktionäre, die dem Beschluss
zugestimmt haben!) immer nachrangig.
dd) Schließlich ist auch kein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Antragstellerin
zu erkennen. Dass diese allein im Hinblick auf das mit Wirkung zum 01.09.2009
neu eingeführte Quorum gemäß § 246 a Abs. 2 Nr. 2 AktG nF die Einleitung des
Freigabeverfahrens bewusst bis nach diesem Termin verzögert hätte, ist weder
vorgetragen noch ersichtlich.
ee) Entgegen der Auffassung des Antragsgegners zu 1) hat auch keine
Zurechnung des Aktienbesitzes der übrigen Antragsgegner zu erfolgen. Zwar ist
der Wortlaut des § 246 a Abs. 1 S. 1 AktG insoweit unergiebig. Denn er geht von „
“ aus.
Eine Addition des Aktienbesitzes aller Antragsgegner widerspräche jedoch dem
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Eine Addition des Aktienbesitzes aller Antragsgegner widerspräche jedoch dem
Grundsatz, dass im Rahmen von § 246a AktG Zulässigkeit und Begründetheit
sowie der Vorrang des Vollzugsinteresses für jede Klage gesondert zu prüfen ist
(vgl. z. B. die Gesetzesbegründung zu dem Gesetz zur Unternehmensintegrität
und Modernisierung des Anfechtungsrechts – UMAG, BT-Drucks 15/5092, S. 28).
Dass für das Bagatellquorum gemäß § 246 a Abs. 2 Nr. 2 nF etwas anderes gelten
sollte, ist nicht ersichtlich (so auch Leuering, NJW – Spezial, 2009, S. 543).
Hinzukommt der Zweck der Neuregelung zu verhindern, dass sich Kleinstaktionäre
als „Trittbrettfahrer“ anderen Anfechtungsklägern anschließen (vgl. die
Gesetzesbegründung zum ARUG, BT-Drucks 16/11642, S. 42). Dieser vom
Gesetzgeber ausdrücklich verfolgte Zweck spricht eindeutig gegen eine Addition
des Aktienbesitzes (vgl. Leuering, a.a.O.; im Ergebnis ebenso Herrler/Reymann,
DNotZ 2009, S. 815, 824, Koch/Wackerbeck, ZIP 2009, S. 1603, 1606).
b) Ebenfalls begründet ist der Antrag hinsichtlich der Anfechtung der
Beschlussfassung zu TOP 11 durch den Antragsgegner zu 2). Denn auch dieser
erfüllt unstreitig nicht das notwendige Quorum gem. § 246 a Abs. 2 Nr. 2 AktG n.F.
(100 Aktien zum Wert von 2,56 Euro = 256 Euro). Im Übrigen gilt das zu a)
Ausgeführte entsprechend.
c) Der Antrag ist schließlich ebenfalls begründet, soweit er sich auf die Klage der
Antragsgegnerin zu 3) hinsichtlich der Beschlussfassung zu TOP 11 bezieht.
aa) Hierbei kann im Ergebnis dahinstehen, ob die Freigabe bereits gemäß § 246 a
Abs. 2 Nr. 2 AktG n. F. zu erteilen ist. Denn die Antragsgegnerin zu 3) hat
gegenüber dem Gericht nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Antrags
ihren Aktienbesitz nachgewiesen. Allerdings ist dieser zwischen den Parteien –
auch bereits in dem Klageverfahren LG Ffm. 3–5 O 263/09 – unstreitig. Zudem hat
die Antragstellerin Namensaktien ausgegeben, sodass ihr aus dem Aktienregister
der Aktienbesitz der Antragsgegnerin zu 3) bekannt war bzw. sie sich die
entsprechende Kenntnis verschaffen konnte. Einer Klärung der Frage, ob –
jedenfalls in diesem Fall – die Wochenfrist gemäß § 246 a Abs. 2 Nr. 2 AktG n. F.
nicht gilt, bedarf es vorliegend jedoch nicht. Denn der Antrag ist gem. § 246 a Abs.
2 Nr. 3 AktG begründet, da das alsbaldige Wirksamwerden des
Hauptversammlungsbeschlusses vorrangig erscheint.
bb) Nach dieser Vorschrift hat eine Abwägung zwischen dem Interesse der
Antragsgegnerin zu 3) einerseits und den wirtschaftlichen Interessen der
Gesellschaft und ihrer übrigen Aktionäre andererseits stattzufinden (vgl. die
Gesetzesbegründung zu § 246 a AktG n.F., BT-Drucks 16/11642, zu Nr. 38 u. 39,
lit. b). Ausgeschlossen ist die Abwägung nur, wenn eine besondere Schwere des
Rechtsverstoßes vorliegt.
Die Gesetzesbegründung (a.a.O.) nennt hier etwa einen gezielten Verstoß, der den
Kläger im Vergleich zu der Mehrheit ungleich trifft, schwerwiegende wirtschaftliche
Nachteile, die sich nicht auf andere Weise, etwa durch Schadensersatzansprüche
ausgleichen lassen oder einen Verstoß, der so krass rechtswidrig ist, dass eine
Eintragung und damit Durchführung „unerträglich“ wäre.
Eine derartige besondere Schwere der von der Antragsgegnerin zu 3)
vorgetragenen Rechtsverstöße ist nicht gegeben.
cc) Dies gilt zunächst hinsichtlich der vorgetragenen Behinderungen am Eingang
zur …-Halle. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin zu 3) (Antragserwiderung
vom 20.10.2009, S. 14 ff – Bl. 455 d. A.) bildeten sich ab 09.30 Uhr lange
Schlangen vor dem Haupteingang, weswegen zahlreiche Aktionäre bzw.
Aktionärsvertreter – u. a. der Vertreter und jetzige Prozessbevollmächtigte der
Antragsgegnerin zu 3) – nicht bis zum Beginn der Hauptversammlung um 10.01
Uhr im Versammlungssaal anwesend sein konnten. Nach seinem Vortrag
benötigte der Vertreter der Antragsgegnerin zu 3) rund 45 Min., um die
Sicherheitsschleuse zu passieren. Die Antragstellerin hat demgegenüber
vorgetragen, dass Tausende von Aktionären pünktlich zu Beginn der
Hauptversammlung im Sitzungssaal anwesend gewesen seien und sie sich im
erforderlichen Maße um eine hinreichende Kapazität zur Gewährleistung eines
zeitnahen Zugangs der Aktionäre bemüht habe.
Wie der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin zu 3) selbst vorträgt
(Antragserwiderung, S. 15, Bl. 456 d. A.), hatte er auch in den vorangegangenen
Jahren an der Hauptversammlung der Antragstellerin teilgenommen und dort „nie
mehr als eine halbe Stunde Zeit benötigt, um die Sicherheitsschleuse zu
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mehr als eine halbe Stunde Zeit benötigt, um die Sicherheitsschleuse zu
passieren“.
Bereits die Erhöhung dieser Zeit nur um 15 Min. stellt keine erhebliche zusätzliche
Erschwernis dar. Da der Vertreter der Antragstellerin zu 3) – wie er selbst angibt –
bereits in früheren Jahren an Hauptversammlungen der Antragstellerin teilnahm,
musste er wissen, dass an dieser Tausende von Aktionären teilnehmen würden.
Ebenfalls musste er wissen, dass eine Sicherheitskontrolle stattfinden würde. Er
musste sich daher darauf einstellen, ggf. einige Zeit warten zu müssen, bis er in
den Versammlungssaal gelangen konnte. Insbesondere wenn erst kurz vor der
Hauptversammlung (hier eine halbe Stunde) hunderte oder tausende von
Aktionären gleichzeitig in den Sitzungssaal strömen, ist es selbstverständlich, dass
Warteschlangen entstehen. Es muss den Aktionären bzw. ihren Vertretern daher
zugemutet werden, entsprechend rechtzeitig am Versammlungsort zu erscheinen.
Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin zu 3) nicht vorgetragen hat, dass ihrem
Vertreter in Folge seines zu späten Erscheinens etwa das Stellen von Fragen oder
die Teilnahme der Diskussion nicht mehr möglich gewesen wäre.
dd) Kein Nichtigkeits- oder Anfechtungsgrund folgt des Weiteren daraus, dass die
Hauptversammlung von dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Antragstellerin,
Herrn Dr. X, geleitet wurde. Denn gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 Alt.1 der Satzung der
Antragstellerin hat die Versammlungsleitung durch den Vorsitzenden des
Aufsichtsrats zu erfolgen. Ein von dem Aktionär Dr. Y gestellter Antrag auf Abwahl
des Versammlungsleiters wurde von der Hauptversammlung abgelehnt.
Der Umstand, dass gegen die Wahl von Herrn Dr. X zum Vorsitzenden des
Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung im Jahre 2008 Anfechtungs- bzw.
Nichtigkeitsklagen anhängig sind, ist insoweit unschädlich. Zwar hat das
Landgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 27.08.2009 den Klagen
stattgegeben. Über die hiergegen von der Antragstellerin eingelegte Berufung ist
jedoch noch nicht entschieden. Bis zur Rechtskraft eines kassatorischen Urteils ist
die Versammlungsleitung durch den gewählten Aufsichtsratsvorsitzenden jedoch
rechtmäßig (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 8.6.2009, 23 W 3/09, AG 2009,
S. 549, zit. nach juris Rn. 18). Hinzu kommt, dass die Anfechtbarkeit eines
Beschlusses, welcher unter der Leitung eines unzuständigen Versammlungsleiters
zustande gekommen ist, nur möglich ist, wenn konkrete Maßnahmen des an sich
unzuständigen Versammlungsleiters sich im Sinne der Relevanz auf den
angefochtenen Beschluss inhaltlich ausgewirkt haben (vgl. Beschluss des Senats
vom 18.3.2008, 5 U 171/06, ZIP 2008, 738, zit. nach juris Rn. 28 – nicht
rechtskräftig; Hüffer, AktG, 8. Aufl., § 243, Rdnr. 16).
Auf den Umstand als solchen, dass die Wahl von Herrn Dr. X angefochten wurde,
kann eine Anfechtung des Beschlusses zu TOP 11 daher nicht gestützt werden.
ee) Redezeitbeschränkung
Jedenfalls kein besonders schwerer Rechtsverstoß liegt weiter darin, dass der
Versammlungsleiter im Verlauf der Versammlung die Redezeit zunächst
anfänglich auf 10 Min., später dann auf 5 Min. und schließlich auf 3 Min. beschränkt
hat. Seine grundsätzliche Befugnis, angesichts von bereits 51 Wortmeldungen vor
Eröffnung der Versammlung, die Redezeit zu beschränken, wird auch von der
Antragsgegnerin zu 3) nicht in Zweifel gezogen. Vielmehr ist sie der Auffassung,
dass bereits von vorneherein klar gewesen sei, dass eine Beschränkung auf 10
Min. angesichts von 51 Wortmeldungen nicht ausreichen würde. Es hätte daher
von Anfang an die Rede- und Fragezeit für alle Beteiligte auf 5 Min. beschränkt
werden müssen.
Die Antragstellerin trägt demgegenüber vor, dass sich der Zeitbedarf für die
bereits zu Beginn vorliegenden 51 Wortmeldungen nicht von vorneherein habe
abschätzen lassen. Denn erfahrungsgemäß würden keineswegs alle Redner die
ihnen zur Verfügung gestellte Zeit auch ausnutzen. Zudem komme es
erfahrungsgemäß im Verlaufe der Debatte zu einer inhaltlichen Ausdünnung der
Redebeiträge und zu einer Wiederholung von Fragen. Fragen zur Geschäftspolitik
könnten ggf. durch einen Verweis auf ausliegende Unterlagen kurz beantwortet
werden.
Die grundsätzliche Richtigkeit dieser Argumente zieht auch die Antragsgegnerin zu
3) nicht in Zweifel (vgl. Antragserwiderung v. 20.10.2009, S. 17, Bl. 458 d. A.). Da
der Versammlungsleiter auch eine übermäßige, unangemessene Begrenzung der
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der Versammlungsleiter auch eine übermäßige, unangemessene Begrenzung der
Redezeit der zunächst aufgerufenen Redner vermeiden muss, ist ihm bei der
Entscheidung darüber, ob er zunächst eine großzügigere Redezeit vergeben wollte,
die dann ggf. im Laufe der Versammlung zu kürzen sein würde, oder ob er sogleich
eine kürzere Zeit (5 Min.) vorgeben wollte, ein Ermessen einzuräumen (i.E. ebenso
OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 8.6.2009, 23 W 3/09, AG 2009, S. 549, zit. nach
juris Rn. 19; MünchKomm-Kubis, AktG, 2. Aufl., § 119, Rn. 154 hält den
Versammlungsleiter sogar für verpflichtet, die Redezeit zunächst großzügiger zu
bemessen und dann bei sichtbar werdender Zeitknappheit zu verkürzen.).
Soweit die Antragsgegnerin erstmals in ihrem Schriftsatz vom 4.2.2010 den
Verlauf der Hauptversammlungen der Jahre 2006-2009 darstellt, handelt es sich
um neuen Tatsachenvortrag nach Schluss der mündlichen Verhandlung, der nach
§ 296a Satz 1 ZPO präkludiert ist. Denn der der Antragsgegnerin zu 3) gewährte
Schriftsatznachlass diente nur der Erwiderung auf den Schriftsatz der
Antragstellerin vom 11.1.2020, welcher insoweit keinen neuen Vortrag enthält.
Hinzu kommt, dass, selbst wenn auf den vorangegangenen Hauptversammlungen
die Situation jeweils ähnlich war und eine „stufenweise“ Verkürzung der Redezeit
vorgenommen werden musste, dies nichts daran ändert, dass dem
Versammlungsleiter auch 2009 wiederum ein Ermessen zustand. Selbst wenn
dieses nicht ganz korrekt ausgeübt worden sein sollte, liegt hierin jedenfalls kein
besonders schwerer Rechtsverstoß i.S.v. § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG nF.
Das Ermessen wäre lediglich überschritten, wenn das gewählte Vorgehen
(zunächst 10 Min. Redezeit, dann Verkürzung) gezielt dazu missbraucht worden
wäre, zunächst der Unternehmensführung „genehme“ Aktionäre aufzurufen und
befürchtete „Querulanten“ in ihrer Redezeit durch einen späteren Aufruf gezielt zu
benachteiligen. Ein derartiges Vorgehen, welches die Antragsgegnerin zu 3) in
ihrer Klageschrift vom 26.06.2009, S. 17 ff (Bl. 513 ff d. A.) behauptet, hat sie
jedoch nicht glaubhaft gemacht. Zwar erfolgte die Erteilung des Wortes unstreitig
nicht in der Reihenfolge der Meldungen. Dass dies auf unsachlichen,
diskriminierenden Erwägungen beruhte, ist jedoch nicht dargetan.
ff) Soweit die Antragsgegnerin zu 3) in ihrer Klageschrift eine
Informationsrechtsverletzung durch die Nichtbeantwortung zahlreicher gestellter
Fragen rügt, so liegt auch hierin jedenfalls kein besonders schwerer Rechtsverstoß.
Gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG kann eine Informationsrechtsverletzung nur dann
zu einer Anfechtbarkeit eines gefassten Beschlusses führen, wenn ein „objektiv
urteilender Aktionär die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung
für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme– und Mitgliedschaftsrechte
angesehen hätte“. Eine solche Relevanz hinsichtlich des Beschlusses zu TOP 11
(Schaffung genehmigten Kapitals) behauptet die Antragsgegnerin zu 3) lediglich
bezüglich der Fragen des Aktionärs C (Klageschrift S. 56/57, Bl. 552 d. A.).
Darüber hinaus käme eine Relevanz der Fragen der Aktionäre D (Bl. 553/554 d.
A.), Dr. E (Bl. 554/555 d. A.) und F (Bl. 555 – 557 d. A.) in Betracht, welche sich
ebenfalls auf den Erwerb der B-Bank durch die Antragstellerin beziehen. Denn für
einen objektiv urteilenden Aktionär könnte die Behandlung des in der
Vergangenheit unter möglichem Ausschluss des Bezugsrechts genehmigten
Kapitals, welches dann zum Erwerb der B-Bank genutzt wurde, für die
Entscheidung relevant sein, dem Vorstand wiederum eine Ermächtigung zur
Erhöhung des Grundkapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre zu
erteilen (vgl. OLG München, Urteil vom 24.9.2008, 7 U 4230/07, WM 2009, 265, zit
nach juris Rn. 41).
Wie die Antragstellerin jedoch dargelegt, hat sie auf die gestellten Fragen durchaus
geantwortet (vgl. Bl. 76, 85 ff, 89 ff, 91 ff, 732 ff d. A.), wenn auch z.T. gemeinsam
mit den Fragen anderer Fragesteller. Soweit die Antworten ggf. nicht erschöpfend
genug waren, liegt hierin kein besonders schwerer Rechtsverstoß i.S.v. § 246a Abs.
2 Nr. 3 AktG. Dies gilt jedenfalls deshalb, weil der Vollzug des B-Bankerwerbs - wie
dargestellt - nur „mittelbar“ für die Genehmigung neuen Kapitals für die Zukunft
relevant ist.
gg) Entsprechendes gilt auch hinsichtlich des Berichts der Antragstellerin zum
Erwerb der B-Bank. Insoweit war diese nach der Rechtsprechung des BGH
verpflichtet, zu der vorgenommenen Sachkapitalerhöhung unter
Bezugsrechtsausschluss einen Bericht zu erteilen (BGH, Urteil vom 10.10.2005, II
ZR 148/03; BGHZ 164, S. 241, zit. nach juris Rn. 8). Dies hat sie jedoch auch
getan. So hat sie nach ihrem unbestrittenen Vortrag bereits im Vorfeld der
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getan. So hat sie nach ihrem unbestrittenen Vortrag bereits im Vorfeld der
Hauptversammlung über die Transaktion berichtet. Auch in dem Finanzbericht der
Antragstellerin finden sich Details zu der Transaktionsstruktur und zum
Bezugsrechtsausschluss. Schließlich hat der Vorstand der Antragstellerin G am
Schluss der Hauptversammlung nochmals mündlich ausführlich berichtet (vgl. Bl.
576 ff d. A.).
Ob der Bericht in jeder Hinsicht erschöpfend gewesen ist, bedarf im vorliegenden
Freigabeverfahren keiner abschließenden Entscheidung. Denn jedenfalls hat die
Antragsgegnerin zu 3) keinen besonders schweren Verstoß gegen ihre Rechte
nach den oben dargestellten Grundsätzen vorgetragen.
hh) Auch ein mögliches Übergehen der Wortmeldung des Aktionärs Dr. A stellt
jedenfalls keinen besonders schweren Rechtsverstoß dar. Hierbei kann zugunsten
der Antragsgegnerin zu 3) die Richtigkeit ihres - von der Klageschrift, S. 68 (Bl. 564
d.A.) abweichenden - Vortrags in der Antragserwiderung, S. 23/24 (Bl. 490/491 d.
A.) als zutreffend unterstellt werden. Hiernach hat der Vertreter, Rechtsanwalt
RA1, an dem Wortmeldetisch darauf bestanden, den ausdrücklichen Hinweis
aufzunehmen, dass er die Wortmeldung für den anwesenden Aktionär abgeben
wolle und dieser selbst sprechen wolle. Dennoch wurde auf dem entsprechenden
Wortmeldezettel lediglich vermerkt: „RA1, Vertretung für A,“ (vgl. Anlage AST 10,
Sonderband). Wieso Rechtsanwalt RA1, der unmittelbar vor dem Mitarbeiter der
Antragstellerin stand, nicht kontrollierte, was aufgeschrieben wurde, ist nicht
vorgetragen. Jedenfalls ist nicht erkennbar und auch nicht behauptet, dass seitens
der Antragstellerin gezielt der Aktionär Dr. A benachteiligt werden sollte. Hierbei ist
zu berücksichtigen, dass es selten vorkommen dürfte, dass ein Aktionär, welcher
tatsächlich auf der Hauptversammlung anwesend ist, sich bei der Aufnahme der
Wortmeldung vertreten lässt, dann aber selber sprechen will. Der Regelfall dürfte
sein, dass dann, wenn ein Vertreter eine Wortmeldung abgibt, dieser auch reden
will. Es ist daher naheliegend, dass - selbst wenn die Sachbehandlung durch die
Antragstellerin fehlerhaft war - lediglich eine Nachlässigkeit, nicht jedoch ein
gezielter Verstoß vorlag.
Zwar wird in der Literatur vertreten, dass eine gleichheitswidrige, gegen § 53a AktG
verstoßende Nichtgewährung des Rederechts (zumindest) zur Anfechtbarkeit
eines nachfolgend gefassten Beschlusses führt, ohne dass es insoweit auf eine
Kausalität des Verstoßes ankommt (vgl. Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, § 243, Rn.
110/111 m.N.). Im vorliegenden Zusammenhang der Schwere des Verstoßes ist
jedoch auch zu berücksichtigen, dass nach dem Vortrag der Antragsgegnerin zu 3)
(Klageschrift, S. 69 ff - Bl. 565 ff. d. A.) der Aktionär Dr. A hinsichtlich des
streitgegenständlichen Tagesordnungspunktes 11 eine Frage zur B-Bank-
Transaktion im Jahr 2008/2009 stellen wollte. Wie ausgeführt kann dies lediglich
eine mittelbare Relevanz für die Beschlussfassung zu Top 11 (Schaffung
genehmigten Kapitals für die Zukunft) haben. Auch dies führt dazu, dass ein
möglicher Verstoß jedenfalls nicht schwerwiegend war.
ii) Nach alledem ist die Abwägung der wirtschaftlichen Interessen der
Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu 3) gemäß § 246 Abs. 2 Nr. 3 AktG nF
eröffnet. Sie führt zu einem wesentlichen Überwiegen der Nachteile für die
Gesellschaft gegenüber denjenigen der Antragsgegnerin zu 3).
Denn wie die Antragstellerin von der Antragsgegnerin zu 3) unwidersprochen und
nachvollziehbar ausführt, benötigt sie das in dem angegriffenen Beschluss zu TOP
11 genehmigte Kapital zur Verbreiterung ihrer Eigenkapitalbasis als Ersatz für im
Rahmen der B-Bank-Transaktion vollständig ausgenutztes genehmigtes Kapital
mit nahezu identischer Ausgestaltung. Angesichts dessen, dass die Antragstellerin
eine weltweit agierende Großbank ist, ist es ohne Weiteres nachvollziehbar, dass
sie die vorgesehene Möglichkeit des Bezugsrechtsausschlusses bei
Sachkapitalerhöhungen benötigt, um auf nationalen oder internationalen Märkten
rasch und erfolgreich auf vorteilhafte Angebote oder sich sonst bietende
Gelegenheiten zum Erwerb von Unternehmen pp. reagieren zu können. Dass
konkrete Maßnahmen nicht vorgesehen bzw. nicht vorgetragen sind, schwächt das
Interesse der Antragstellerin nur unwesentlich ab, wie der Senat bereits mehrfach
entschieden hat (Beschlüsse vom 29.02.2007, 5 W 3/07, AG 2007, S. 867 und
12.10.2009, 5 Sch 1/09).
Ein relevantes wirtschaftliches Interesse an einer Versagung der Eintragung des
Beschlusses zu TOP 11 hat die Antragsgegnerin zu 3) nicht geltend gemacht. Ein
solches ist auch nicht ersichtlich. Sollte die Antragsgegnerin zu 3) mit ihrer Klage
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solches ist auch nicht ersichtlich. Sollte die Antragsgegnerin zu 3) mit ihrer Klage
im Hauptverfahren obsiegen, stünde ihr für den Fall einer „Verwässerung“ ihres
Aktienbesitzes gemäß § 246 a Abs. 4 S. 1 ein Anspruch auf vollständigen
Schadensersatz zu.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 100 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung folgt der ständigen Rechtsprechung des Senats, wonach
bei einer „großen“ Aktiengesellschaft je angefochtenem Beschlusspunkt ein
Streitwert von 50.000,-- € zu Grunde zu legen ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.