Urteil des LG Frankfurt am Main vom 04.03.2008

LG Frankfurt: recht am eigenen bild, weiterverbreitung, öffentliches interesse, überwiegendes interesse, versendung, persönlichkeitsrecht, einwilligung, veröffentlichung, anschluss, veranstaltung

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Gericht:
LG Frankfurt 17.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2-17 O 128/07,
2/17 O 128/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1004 Abs 1 S 2 BGB, Art 1
Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, §
22 KunstUrhG, § 23 Abs 1 Nr 1
KunstUrhG
Allgemeines Persönlichkeitsrecht: Zulässigkeit der
Versendung einer fotografischen Abbildung als E-Mail-
Anhang; öffentlich auftretende Gleichstellungsbeauftragte
als "relative Person" der Zeitgeschichte
Leitsatz
In unmittelbarem zeitlichen Anschluss an eine öffentliche Veranstaltung von
landesweiter Bedeutung sind die dort öffentlich in Erscheinung getretenen
Organisatoren relative Personen der Zeitgeschichte.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H.
des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin macht Unterlassungsansprüche gegen die Beklagten wegen der
Verbreitung einer fotografischen Abbildung der Klägerin als E-Mail Anhang sowie
die Kosten geltend, die durch eine Abmahnung und die diesbezügliche
Korrespondenz entstanden sind.
Die Klägerin ist in der Stadtverwaltung von E. Gleichstellungsbeauftragte. Im
Rahmen ihrer Verwaltungstätigkeit hat sie an der Vorbereitung und Durchführung
des vierten H. Familientags, der im Jahr 2007 in E. stattfand, mitgewirkt. An der
Veranstaltung am 30. Juni 2007 nahm die Klägerin in dieser beruflichen
Eigenschaft teil, trug einen Anhänger, der sie als Funktionsträgerin kennzeichnete,
stand zusammen mit anwesenden Prominenten auf der Bühne und war auch
ordnend tätig. Unter anderem versuchte sie, Mitglieder einer Elterninitiative, zu
welcher die Beklagten gehören, zu bewegen ihren Standort auf dem Festplatz zu
verlegen, weil diese mit ihren Plakaten vor der Kamera von R-M TV standen. Die
Klägerin ließ sich bei der Veranstaltung mehrfach – jeweils als Teil einer Gruppe –
zwecks Veröffentlichung ablichten.
Im Anschluss an den Familientag versendeten die Beklagten an 43 Mitglieder der
Elterninitiative eine E-mail mit der Bemerkung, im Anhang seien einige
Impressionen vom Familientag. Der Anhang enthielt neben anderen Aufnahmen
auch das hier streitgegenständliche Foto der Klägerin. Es war auf dem Familientag
- von ihr unbemerkt -aufgenommen worden, als sie sich im Gespräch mit einer
dritten Person befand. Die Klägerin ist darauf im Profil abgebildet, ihr
Gesprächspartner und die Umgebung erscheinen nur bruchstückhaft am Rande.
Am 10.07.07 ließ die Klägerin die Beklagten abmahnen und zugleich auffordern,
eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben sowie Abmahnkosten in
Höhe von 775,64 Euro zu begleichen.
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Die Beklagten erklärten vor Ablauf der ihnen gesetzten Frist mit Schreiben ihrer
Vertreter vom 18.07.2007, dass das Bild in keiner Weise mehr verwendet werden
würde, gaben aber keine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab.
Die Klägerin verfolgt ihre Begehren mit der Klage weiter.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagten zu verurteilen,
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes
in Höhe von bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft zu
unterlassen, das in Fotokopie als Anlage K1 der Klageschrift beigefügte Foto ohne
Einwilligung der Klägerin zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen, an die
Klägerin jeweils 775,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 25.07.2007 zu bezahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie machen geltend, das Interesse der Klägerin sei in diesem Fall nicht
schützenswert, weil zahlreiche andere Fotografien der Klägerin – auch unbemerkt
aufgenommene – von ihr unbeanstandet in zahlreichen Veröffentlichungen
erschienen seien.
Sie behaupten, die Bilddatei und etwaige Ausdrucke seien vernichtet worden, die
E-mail-Empfänger seien gebeten worden entsprechend zu verfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze Bezug genommen
Entscheidungsgründe
Ein Anspruch auf ein strafbewehrtes Unterlassungsgebot aus § 1004 Abs. 1 Satz 2
BGB analog in Verbindung mit §§ 22, 23 KUG, Art. 1, 2 GG, § 890 II ZPO besteht
unter Berücksichtigung des öffentlichen Auftritts der Klägerin auf dem Familientag
nicht.
Die Klägerin erstrebt die Unterlassung erneuter Verbreitung des Fotos. An der für
die Zubilligung eines solchen Anspruchs gegenüber den Beklagten notwendigen
Voraussetzung einer Wiederholungsgefahr fehlt es. Die Beklagten haben bereits
vorgerichtlich versichert keine Weiterverbreitung zu beabsichtigen. Ob sie die
Bilddatei und eventuelle Ausdrucke tatsächlich vernichtet haben, braucht in
diesem Zusammenhang nicht überprüft zu werden, denn hierauf richtet sich das
Begehren der Klägerin nicht. Selbst wenn die Datei noch vorhanden wäre,
bestünde eine – widerlegliche – Vermutung einer Wiederholungsgefahr nur, wenn
überhaupt eine Persönlichkeitsrechtsverletzung stattgefunden hätte. Dies war
jedoch nicht der Fall. Denn die Aufnahme und Weiterverbreitung des Fotos der
Klägerin verletzte im damaligen Zusammenhang nicht deren Persönlichkeitsrecht,
so dass aus diesen in der Vergangenheit liegenden rechtmäßigen Handlungen
nicht die Gefahr einer künftigen unrechtmäßigen Veröffentlichung abgeleitet
werden kann.
Zwar dürfen Bildnisse einer Person nach § 22 KUG grundsätzlich nur mit deren
Einwilligung aufgenommen und verbreitet werden. Das Recht am eigenen Bild ist
eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Daraus ergibt
sich, dass grundsätzlich allein der abgebildeten Person die Befugnis zusteht,
darüber zu befinden, ob und in welcher Weise sie der Öffentlichkeit im Bild
vorgestellt wird (ständige Rspr., vgl.BVerfG NJW 1973, 1226; BGH NJW 1996, 1128).
Der Schutz vor Versendung von Bilddateien als E-mail Anhang an einen
begrenzten Empfängerkreis darf dabei wegen der Gefahr der Weiterverbreitung
und des „ewigen“ Vorhandenseins im Internet nicht geringer sein als der vor einer
Veröffentlichung in der Presse. Ohne Einwilligung des Betroffenen dürfen nur
Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte verbreitet oder zur Schau gestellt
werden (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG), sofern dadurch im Sinne von § 23 Abs. 2 KUG kein
berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird.
Mit diesem abgestuften Schutzkonzept trägt die Regelung sowohl dem auf Art. 2
Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Schutzbedürfnis des Einzelnen als auch
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Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Schutzbedürfnis des Einzelnen als auch
den im Hinblick auf Art. 5 GG berechtigten Ansprüchen freier Meinungsäußerung in
Wort, Schrift und Bild Rechnung (vgl. BVerfG NJW 2000, 1021, 1023).
Von diesen Grundsätzen ausgehend kann der Klägerin kein auf die Abgabe einer
strafbewehrten Unterlassungserklärung gerichtetes Schutzbedürfnis zugebilligt
werden.
Eine konkludente Einwilligung der Klägerin in die Weiterverbreitung des Fotos lag
allerdings nicht vor. Auch wenn die Klägerin mit zahlreichen weiteren Aufnahmen
von sich und deren Veröffentlichung einverstanden gewesen ist, kann daraus kein
allgemeines Einverständnis mit der Weiterverbreitung jeglicher Aufnahmen von ihr
abgeleitet werden.
Zulässig ist die Weiterleitung einer Bilddatei jedoch, wenn sie lediglich der
Bebilderung einer Berichterstattung über ein Ereignis der Zeitgeschichte dient und
damit selbst ein „Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte“ darstellt (BGH NJW
2007, 1997).
Die Abbildung der Klägerin gehörte in einem zeitlich und örtlich begrenzten
Rahmen zum Bereich der Zeitgeschichte; das Informationsinteresse der
angesprochenen Öffentlichkeit überwog in diesem Zusammenhang das
allgemeine Persönlichkeitsrecht; bei ihrer Verbreitung wurde kein berechtigtes
Interesse der Klägerin verletzt und es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagten eine
erneute aus dem Zusammenhang gerissene Weiterverbreitung beabsichtigen.
Mit dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG erfasst
sind Vorgänge, die zwischen Tagesaktualität und Geschichte angesiedelt sein
können. Hierzu gehören beispielsweise öffentliche Sportveranstaltungen,
spektakuläre Strafverfahren. Der H. Familientag ist in diesem Sinne
Zeitgeschichte, er war h-weit von allgemeinem Interesse. Dem personalen Bereich
der Zeitgeschichte werden neben denjenigen, welche unabhängig von einzelnen
Ereignissen auf Grund ihres Status und ihrer Bedeutung allgemeine öffentliche
Aufmerksamkeit finden (sog. „absolute“ Personen der Zeitgeschichte, hierzu
gehören die von Klägerseite genannten … und …), auch Personen zugerechnet,
die das öffentliche Interesse punktuell durch ein bestimmtes zeitgeschichtliches
Ereignis auf sich gezogen haben oder im Zusammenhang mit diesem
vorübergehend aus der Anonymität herausgezogen worden sind (sog. „relative“
Personen der Zeitgeschichte) wie beispielsweise Zeugen von parlamentarischen
Untersuchungsausschüssen, Hauptgewinner im Lotto oder Mitglieder eines
Wahlausschusses. Die Klägerin ist in ihrer Eigenschaft als
Gleichstellungsbeauftragte der Stadt E. eine lediglich in einem begrenzten
räumlichen Bereich und dort lediglich einer interessierten Öffentlichkeit bekannte
Person. Im Zusammenhang mit dem H. Familientag war die Klägerin allerdings als
„relative“ Person der Zeitgeschichte anzusehen, weil sie durch Bühnenpräsenz,
Kennzeichnung und Tätigkeit bei diesem Ereignis gegenüber der anonymen
Besuchermasse hervortrat.
Die Verbreitung ihrer Aufnahme in Verbindung mit diesem Ereignis entsprach
einem öffentlichen Interesse an der Darstellung von Mitwirkenden des
Familientages, wenn sie in dieser Funktion abgebildet wurde. Hier ergab sich
bereits aus dem Schild, welches die Klägerin an einem Band um den Hals trägt,
dass sie sich in offizieller Funktion dort befand. Deshalb durfte sie auch ohne ihre
Einwilligung im Zusammenhang mit diesem Ereignis und zu dem Zweck abgebildet
werden, über den Familientag zu informieren. Bei der Versendung der Bilddatei
wurde der Zusammenhang mit dem H. Familientag durch den Text der E-mail
hergestellt. Auch wenn es sich bei der Gesprächssituation, bei welcher die Klägerin
abgelichtet wurde, gerade um ein privates Gespräch gehandelt haben mag, betrifft
die Abbildung nicht die Privat- sondern lediglich die Sozialsphäre der Klägerin. Eine
Gesprächsführung ist keine offensichtlich private Handlung, deren Ablichtung als
indiskret erscheinen könnte. Im Rahmen der Abwägung nach § 23 KUG zwischen
Persönlichkeitsrecht der Klägerin und Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) der Beklagten
ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin für den Empfängerkreis der E-mail
keine anonyme Person gewesen ist, die erst durch die Verbreitung des Bildes aus
dieser Anonymität herausgerissen worden ist. Die Öffentlichkeit, an welche sich die
Beklagten wendeten, war dabei eine begrenzte, nämlich lediglich die Mitglieder der
Elterninitiative. Deren Interesse an der Person der Klägerin in Wort und Bild wurde
nicht erst durch die Versendung per E-Mail in besonderer Weise begründet,
sondern spätestens im Zusammenhang mit deren Auftreten in Ordnerfunktion
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sondern spätestens im Zusammenhang mit deren Auftreten in Ordnerfunktion
gegenüber dem Stand der Elterninitiative. Dem Interesse des Empfängerkreises
entsprach es, über die Anwesenheit der Klägerin auf dem Familientag zu
informieren. Hingegen blieb die Klägerin trotz der Versendung über das Internet für
die breitere Öffentlichkeit anonym, weil eine Verknüpfung der konkreten
versendeten Fotodatei mit dem Namen der Klägerin nicht ersichtlich ist.
Eine nach Abwägung ihres Persönlichkeitsrechts gegen die Meinungsfreiheit
verbleibende Verletzung berechtigter Interessen der Klägerin ist nicht dargetan.
Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, dass die Klägerin sich im Rahmen
ihres Berufs öffentlichkeitsorientiert für Gleichstellungsfragen engagiert, also
durchaus in der Öffentlichkeit steht, so dass es für sie von Bedeutung ist, in
welchem Zusammenhang ihr Bild verwendet wird. Hier ist nicht ersichtlich, dass
eine der ihren entgegengesetzte Meinung durch die Bildverwendung ausgedrückt
werden sollte. Auch ist die Art der Darstellung der Klägerin nach festgehaltener
Pose, Mimik oder Gestik nicht geeignet, die Klägerin herabzusetzen; die Klägerin
trägt dies selbst nicht vor.
Die Annahme eines überwiegenden Interesses der Beklagten an der
Weiterverbreitung des Bildes der Klägerin gilt allerdings nicht schrankenlos. Den
Beklagten sind insoweit zeitliche und inhaltliche Grenzen gesetzt. Zeitlich war die
Verbreitung nur im unmittelbaren Anschluss an den Familientag als rechtmäßig zu
bewerten, als an ihr als organisatorisch Mitwirkende ein begrenztes öffentliches
Interesse bestand. Klarstellend sei hervorgehoben, dass inzwischen niemand –
weder die Beklagten noch Empfänger dieser und ähnlicher Bilddateien – mehr ein
überwiegendes Interesse an der Verbreitung hat. Darauf, ob die Bilddatei bei den
Empfängern der E-mail noch vorhanden ist, kommt es bei der hiesigen
Entscheidung nicht an. Denn insofern droht vorrangig nicht eine Weiterverbreitung
durch die Beklagten, sondern eine rechtswidrige Weiterverbreitung durch Dritte,
gegen die gesondert vorgegangen werden könnte und müsste.
Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagten die oben genannte zeitliche Grenze
missachten liegen nicht vor. Ein entsprechender Schluss kann nicht daraus
gezogen werden, dass die Beklagten sich geweigert haben, vorgerichtlich eine
strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, denn auf diese hatte die
Klägerin ja gerade, wie oben ausgeführt, keinen Anspruch.
Weil die Klägerin gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Abgabe einer
strafbewehrten Unterlassungserklärung hat und hatte, besteht auch kein Anspruch
auf Ersatz ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709. ZPO.
Der Streitwert wird festgesetzt auf 10.000 Euro (§§ 48 Abs. 2 Satz 1 , 39 GKG, 3
ZPO), davon je 5.000 Euro für die einzelne verlangte Unterlassungserklärung der
Beklagten 1 und des Beklagten 2. Die Umstände rechtfertigen nicht den Ansatz
eines darüber hinausgehenden Gegenstandswertes. Als Orientierungswert dient
der in § 52 Abs. 2 GKG bestimmte Regelstreitwert von 5.000 Euro für die
Verwaltungs- Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit. Die Bedeutung der Sache für die
Klägerin rechtfertigt kein Überschreiten dieses Wertes, vor allem wegen des
Fehlens einer wirtschaftlichen Bedeutung.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.