Urteil des LG Frankfurt am Main vom 08.02.2002

LG Frankfurt Main: einstweilige verfügung, hauptsache, verjährungsfrist, auflage, internet, billigkeit, rückwirkung, zustellung, pastor, einfluss

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Gericht:
OLG Frankfurt 6.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 W 9/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 222 BGB, § 91a ZPO, § 926
ZPO, § 21 UWG
(Kostenentscheidung in Wettbewerbssachen: Erledigung
der Hauptsache durch Erhebung der Verjährungseinrede
bei schon vor Klageerhebung verjährtem Anspruch)
Leitsatz
Eine Erledigung der Hauptsache tritt auch dann ein, wenn die Verjährungsfrist für den
Klageanspruch bereits bei Erhebung der Klage abgelaufen war, der Beklagte sich aber
erst im Prozess auf die Verjährung beruft.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert. Die Beklagte hat die Kosten des
Rechtsstreits einschließlich derjenigen des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Beschwerdewert entspricht dem Kosteninteresse der Klägerin.
Gründe
I.
Die Klägerin hat im vorausgegangenen Eilverfahren (2/3 O 612/00, Landgericht
Frankfurt am Main) gegen die Beklagte am 20.12.2000 eine auf §§ 1, 14 UWG
gestützte einstweilige Verfügung erwirkt, mit der der Beklagten die Aufstellung
bestimmter Behauptungen im Internet untersagt worden ist. Nach Zustellung der
Beschlussverfügung hat die Beklagte am 06.01.2001 die beanstandeten Aussagen
im Internet entfernt. Auf Antrag der Beklagten vom 07.07.2001 ist der Klägerin mit
Beschluss des Landgerichts vom 11.07.2001 aufgegeben worden, binnen zwei
Wochen nach Zustellung des Beschlusses beim Gericht der Hauptsache Klage zu
erheben. Die Klägerin hat daraufhin innerhalb der gesetzten Frist im vorliegenden
Verfahren Klage zur Hauptsache erhoben. In der Klageerwiderung hat die Beklagte
die Einrede der Verjährung (§ 21 UWG) erhoben.
Die Parteien haben daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache
übereinstimmend für erledigt erklärt und wechselseitig Kostenbelastung beantragt.
Das Landgericht hat der Klägerin mit Beschluss vom 15.11.2001 gemäß § 91a
ZPO die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Hiergegen wendet sich die Klägerin
mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, da es unter
Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes bis zur übereinstimmenden
Erledigungserklärung der Billigkeit (§ 91a ZPO) entspricht, die Beklagte mit den
Kosten des Rechtsstreits zu belasten. Der Rechtsstreit hat dadurch seine
Erledigung in der Hauptsache gefunden, dass die Beklagte in der Klageerwiderung
mit Erfolg die Einrede der Verjährung erhoben hat. Eine Erledigung der Hauptsache
ist nach allgemeinen Grundsätzen dann gegeben, wenn eine bei Klageerhebung
zulässige und begründete Klage durch ein im Verlauf des Verfahrens eintretendes
Ereignis unzulässig oder unbegründet wird. Dabei ist es für die Frage, ob eine
Erledigung der Hauptsache vorliegt, grundsätzlich ohne Bedeutung, auf welchen
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Erledigung der Hauptsache vorliegt, grundsätzlich ohne Bedeutung, auf welchen
Umständen die nachträgliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit der Klage
beruht. Insbesondere tritt eine Erledigung im prozessualen Sinn auch dann ein,
wenn die Klage aus Gründen unzulässig oder unbegründet wird, die allein im
Verantwortungsbereich des Klägers liegen (vgl. BGH WRP 93, 755, 758 - Radio
Stuttgart - für den vergleichbaren Fall, dass der Kläger durch eigene
Benutzungsaufgabe ein ursprünglich bestehendes Titelschutzrecht verloren hat).
Denn ob bei einer solchen Situation Billigkeitsgründe dafür sprechen, den
Beklagten vor Kostennachteilen zu bewahren, kann - wenn der Beklagte sich der
Erledigungserklärung anschließt - im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 91a
ZPO ausreichend berücksichtigt werden; dagegen haben derartige
Billigkeitserwägungen auf die Frage, ob eine Erledigung eingetreten ist, keinen
Einfluss (vgl. BGH a.a.O. sowie bereits die Entscheidung des erkennenden Senats
WRP 82, 422). Daher kann auch die Verjährung des Klageanspruchs zur Erledigung
des Rechtsstreits führen, obwohl es der Kläger selbst in der Hand gehabt hätte,
den Eintritt der Verjährung zu vermeiden (vgl. Senat a.a.O., OLG Frankfurt - 16.
Zivilsenat - MDR 97, 1072).
Eine Erledigung der Hauptsache tritt nach Auffassung des erkennenden Senats
auch dann ein, wenn die Verjährungsfrist für den Klageanspruch bereits bei
Erhebung der Klage abgelaufen war, sich der Beklagte jedoch erstmals im Prozess
auf die Verjährung beruft (ebenso OLG Frankfurt - 16. Zivilsenat - a.a.O.,
Pastor/Ahrens/Ulrich, Der Wettbewerbsprozess, 4. Auflage, Rdz. 11 zu Kapitel 58;
Peters, NJW 2001, 2289 ff.; a.A.: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7.
Auflage, Rdz. 31 zu Kapitel 55; Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, 3.
Auflage, Rdz. 242a; El-Gayar, MDR 98, 698, 699). Denn solange der Schuldner die
Einrede der Verjährung (§ 222 BGB) nicht - auch nicht außerhalb des Prozesses -
erhoben hat, beseitigt der Ablauf der Verjährungsfrist die Durchsetzbarkeit des
Klageanspruchs im Prozess nicht. Vielmehr wird die bis zu diesem Zeitpunkt
zulässige und begründete Klage erst mit Erhebung dieser Einrede nachträglich
unbegründet.
Dieser Beurteilung steht entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht
entgegen, dass der Erhebung der Verjährungseinrede zugleich eine gewisse
materiellrechtliche Rückwirkung insoweit zukommt, als beispielsweise dem
Gläubiger für die Zeit zwischen Ablauf der Verjährungsfrist und der Erhebung der
Einrede keine Verzugszinsen auf eine verjährte Forderung zustehen (vgl. hierzu El-
Gayar a.a.O. mit weiteren Nachweisen; Melullis a.a.O.). Denn diese
materiellrechtliche Rückwirkung ändert nichts daran, dass zum Zeitpunkt der
Klageerhebung die Klage zulässig und begründet war und erst in Folge der
Verjährungseinrede nachträglich abweisungsreif geworden ist (vgl. Senat a.a.O.;
Pastor/Ahrens/Ulrich a.a.O.; Peters a.a.O.). Auch in diesem Zusammenhang
besteht kein Anlass, aus Billigkeitsgründen die Erhebung der Verjährungseinrede
gegenüber einem bei Klageerhebung bereits verjährten Klageanspruch allein
deshalb nicht als erledigendes Ereignis im prozessualen Sinne zu behandeln, weil
in solchen Fällen der Beklagte stets vor Kostennachteilen bewahrt werden müsse
(so aber Melullis a.a.O.). Denn jedenfalls dann, wenn der Beklagte vor Beginn des
Prozesses von der Verjährungseinrede keinen Gebrauch gemacht hat, obwohl
hierzu Gelegenheit bestand, kann dem Kläger kein - die Kostentragungspflicht in
jedem Fall begründender - Vorwurf daraus gemacht werden, die gerichtliche
Durchsetzung des Anspruchs zumindest versucht zu haben. Zum einen ist
denkbar, dass dem Schuldner die Verjährung nicht bekannt ist; in diesem Fall ist
es dem Gläubiger grundsätzlich nicht verwehrt, diese Unkenntnis auszunutzen.
Zum anderen kann gerade bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen
das vorprozessuale Absehen von der Verjährungseinrede auch darauf beruhen,
dass der Beklagte ungeachtet des Ablaufs der durch die erste
Verletzungshandlung in Lauf gesetzten Verjährungsfrist das beanstandete
Wettbewerbsverhalten künftig wiederholen will und daher an einer gerichtlichen
Auseinandersetzung darüber interessiert ist, wie das beanstandete Verhalten in
der Sache zu bewerten ist. Unter dieser Voraussetzung wird sich der Beklagte
auch im Rechtsstreit nicht auf die Verjährung berufen. Aus diesen Gründen
erscheint es sachgerecht, auch die Erhebung der Verjährungseinrede gegenüber
einem bei Klageerhebung bereits verjährten Anspruch als erledigendes Ereignis im
prozessualen Sinn anzusehen und die Frage, ob der Geltendmachung des
verjährten Anspruchs billigenswerte Erwägungen des Klägers zugrunde lagen oder
nicht, im Rahmen der nach § 91a ZPO zu treffenden Kostenentscheidung unter
Berücksichtigung der gesamten Umstände zu beantworten (insoweit a.A.: Peters
a.a.O., Seite 2291).
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Bei Anwendung der dargelegten Grundsätze auf den vorliegenden Fall sind der
Beklagten die Kosten nach § 91a ZPO aufzuerlegen, da der Rechtsstreit sich durch
die Erhebung der Verjährungseinrede in der Hauptsache erledigt hat und auch kein
Anlass besteht, aus Billigkeitsgründen die Klägerin mit den Kosten zu belasten.
Dass der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ursprünglich
zustand, hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt. Gründe, die Kosten des
Rechtsstreits trotz Eintritts eines erledigenden Ereignisses der Klägerin aus
Billigkeitserwägungen heraus aufzuerlegen, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Solche
Gründe können im vorliegenden Zusammenhang etwa dann gegeben sein, wenn
der Kläger einen bereits verjährten Anspruch rechtshängig gemacht hat, ohne
dass der Beklagte überhaupt Gelegenheit hatte, die Verjährung zu prüfen und
bereits vorprozessual geltend zu machen. Unter diesen Umständen läge der
Klageerhebung allenfalls die durch keinerlei tatsächlicher Anhaltspunkte
untermauerte Hoffnung zugrunde, der Beklagte werde - aus welchen Gründen
auch immer - von der Erhebung der Verjährungseinrede absehen. Erhebt in einem
solchen Fall der Beklagte sodann - wie vorherzusehen - diese Einrede, entspricht
es der Billigkeit, dem Kläger die Kosten aufzuerlegen; denn andernfalls hätte der
Gläubiger eines verjährten Anspruchs einschränkungslos die Möglichkeit, diesen
Anspruch ohne Kostenrisiko einzuklagen, obwohl er voraussichtlich nicht
durchsetzbar sein wird.
Im vorliegenden Fall liegen die Umstände dagegen anders. Die Beklagte, gegen
die die Klägerin eine dem Klageanspruch entsprechende einstweilige Verfügung
erwirkt hatte, hat zu einem Zeitpunkt, als die Verjährungsfrist bereits abgelaufen
war, gemäß § 926 ZPO beantragt, der Klägerin eine Frist zur Erhebung der Klage
zur Hauptsache zu setzen. Die darin liegende Aufforderung zur Klageerhebung
konnte die Klägerin dahin verstehen, dass die Beklagte eine sachliche Überprüfung
der Rechtmäßigkeit der einstweiligen Verfügung im Hauptsacheverfahren
wünschte. Jedenfalls musste die Klägerin nicht damit rechnen, dass die Beklagte
sie allein deshalb zur Klageerhebung veranlassen wollte, um im Klageverfahren
sogleich die Einrede der Verjährung zu erheben. Denn das Ziel, den
Verfügungstitel im Hinblick auf die inzwischen eingetretene Verjährung zu
beseitigen, hätte die Beklagte redlicherweise zunächst dadurch verfolgen können,
dass sie die Klägerin unter gleichzeitiger Erhebung der Verjährungseinrede zum
Verzicht auf die Rechte aus der einstweiligen Verfügung aufforderte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen für eine
Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 ZPO n.F.) liegen nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.