Urteil des LG Essen vom 05.11.2009

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Landgericht Essen, 6 O 236/09
Datum:
05.11.2009
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
6. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 O 236/09
Normen:
§§ 985, 986 BGB
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Leitsätze:
vertragliche Aufklärungspflicht, Anspruch auf Räumung von
Geschäftsräumen, wenn der Besitzer die Modemarke "Thor Steinar"
vertreibt, die von rechtsextremen Kreisen bevorzugt wird
Rechtskraft:
-noch nicht-
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Klägern auferlegt.
Dieses Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Kläger begehren Räumung und Herausgabe eines von der Beklagten angemieteten
Ladenlokals in ......
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Mit Vertrag vom 31.01.09 vermieteten die Kläger an die Beklagte eine Gewerbeeinheit
im Erdgeschoss des Objekts ....... in ........ Das Mietverhältnis war durch das
Maklerunternehmen U aus Essen vermittelt worden, welches die Kläger beauftragt
hatten. Die Beklagte wandte sich mit einem Bewerbungsschreiben vom 30.01.09 an die
U Immobilien, in dem sie darlegte, dass der Schwerpunkt ihres Warenspektrums im
Verkauf von "........."- Mode im Segment Freizeitbekleidung liege.
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Laut Mietvertrag sollte das Mietverhältnis am 01.04.09 beginnen und war für die Dauer
von fünf Jahren geschlossen. Die monatliche Grundmiete betrug 2.499,00 €, der
Gesamtmietzins 2.796,50 €. In dem Mietvertrag findet sich in § 1 hinter der mit
Schreibmaschine gedruckten Angabe des Mietzwecks "zum Betrieb eines
Einzelhandelsgeschäftes für Freizeitbekleidung" der handschriftliche Zusatz ".....
...Moden". Unter § 20 findet sich hinter der mit Schreibmaschine gedruckten Angabe:
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"Der Anhang zu diesem Mietvertrag ist Bestandteil dieses Mietvertrages" der
handschriftliche Zusatz "ebenso Anlage 1". Diese Zusätze erfolgten kurz vor
Vertragsschluss auf Veranlassung der Beklagten. In der von beiden Seiten
unterzeichneten Anlage 1 war vereinbart, dass das Mietobjekt bereits am 01.03.09
übergeben werden sollte, dass die Bewerbung der Beklagten vom 30.01.09 Bestandteil
des Mietvertrages sei und dass der Verkauf von "......"- Moden ausführlich erläutert
worden sei.
Nach Eröffnung des Geschäfts unter dem Namen "P" Anfang April 2009 kam es zu
Demonstrationen durch Anhänger der linken Szene vor dem Ladenlokal. Bei weiteren
Angriffen in der Folgezeit wurden unter anderem die Frontscheibe vollständig mit
schwarzer Sprayfarbe verschmiert, Fensterscheiben eingeschlagen und das gesamte
Geschäftslokal mit Farbbeuteln beworfen.
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Mit Schreiben vom 11.05.09 erklärten die Kläger gegenüber der Beklagten die
Anfechtung des Mietvertrages wegen arglistiger Täuschung und setzten ihr eine Frist
zur Räumung des Ladenlokals bis zum 25.05.09. Die Beklagten wiesen die Anfechtung
mit Schreiben vom 25.05.09 zurück.
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Die Kläger behaupten, die Modemarke "........." werde fast ausschließlich von
Rechtsextremisten getragen und gelte unter diesen als szenetypisches Erkennungs-
und Abgrenzungsmerkmal. Dieses sei ihnen vor Vertragsschluss nicht bekannt
gewesen. Die Beklagte habe ihnen gesagt, es handele sich um Freizeitbekleidung für
junge Leute, die in etwa der Produktpalette von Jack Wolfskin zu niedrigeren Preisen
entspreche.
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Die Zusätze zum Mietvertrag sowie die Anlage 1 sei ihnen durch die Beklagte erst
wenige Minuten vor Unterzeichnung des Vertrages untergeschoben worden.
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Weiterhin behaupten sie, es sei bei sämtlichen Geschäftseröffnungen der Beklagten zu
Demonstrationen und Beschädigungen der Räumlichkeiten gekommen. Zudem
erhielten sie täglich Beschwerden von Mietern des Hauses ....... über die Situation um
das Ladenlokal. So habe bereits eine Mietpartei angekündigt, wegen der Störungen die
Miete um 20 % zu kürzen. Das Ladenlokal befinde sich auch derzeit noch in
beschädigtem Zustand.
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Die Kläger sind der Ansicht, die Beklagte habe sie darauf hinweisen müssen, dass es
sich um Mode handele, die bevorzugt von Anhängern der rechtsextremen Szene
getragen werde und, dass es bereits zuvor bei anderen Geschäften der Beklagten zu
Demonstrationen und Ausschreitungen gekommen sei.
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Die Kläger beantragen,
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1. die Beklagte zu verurteilen, die im Erdgeschoss des Hauses ....., ........, links
gelegenen Gewerberäumlichkeiten, bestehend aus einem Ladenlokal im
Erdgeschoss sowie zwei WC-Anlagen und einem Lager im Untergeschoss, zu
räumen und an die Kläger herauszugeben
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Mahnkosten in Höhe von €
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1.005,40 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet,
bevorzugt in rechtsextremen Kreisen getragen. Die Anlage 1 zum Mietvertrag sei in
Absprache mit den Klägern am Tag der Vertragsunterzeichnung in einem Internetcafé
gefertigt worden und diene vor allem der schriftlichen Fixierung des Zeitpunkts der
Übergabe schon vor Mietbeginn. Sie behauptet weiter, es sei über die Zusätze zum
Mietvertrag gesprochen worden, da sich die Klägerseite besonders dafür interessiert
habe, welche Modemarke in dem Geschäft verkauft werden sollte. Den Klägern sei die
".........."- Mode anhand der Kleidung, die der Geschäftsführer der Beklagten trug, gezeigt
worden und ihnen sei angeboten worden, sich ein Ladenlokal der Beklagten in Berlin
anzusehen.
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Mit Nichtwissen bestreitet sie, dass der Klägerseite die Textilien der Marke "..........."
unbekannt gewesen seien.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Den Klägern steht kein Anspruch auf Herausgabe und Räumung des Ladenlokals gem.
§ 985 BGB zu. Die Beklagte hat nämlich ein Recht zum Besitz gem. § 986 BGB, das
sich aus dem am 31.01.09 geschlossenen Mietvertrag ergibt. Dieser ist nicht aufgrund
der mit Schreiben vom 11.05.09 erklärten Anfechtung gem. § 142 BGB nichtig.
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Es besteht kein Anfechtungsgrund. Die Beklagte hat die Kläger nicht gem. § 123 BGB
arglistig getäuscht.
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Die in Betracht kommende Täuschung durch Verschweigen von Tatsachen scheidet
mangels einer dafür vorausgesetzten Aufklärungspflicht der Beklagten aus. Weder
musste sie die Kläger darüber aufzuklären, von welchen Kreisen die von ihr angebotene
Kleidung vorzugsweise gekauft und getragen wird, noch bestand eine Aufklärungspflicht
in Bezug auf Vorkommnisse im Zusammenhang mit anderen von ihr angemieteten
Geschäftsräumen.
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Grundsätzlich ist es Sache jeder Partei, die einen Vertrag schließt, sich Informationen,
die für die eigene Willenserklärung von Bedeutung sind, selbst zu beschaffen. Nach
diesem Grundsatz hätten sich die Kläger, bevor sie den Mietvertrag schlossen, selbst
über die Hintergründe von "......."- Mode informieren müssen.
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Eine Aufklärungspflicht wird aber ausnahmsweise angenommen, wenn der
Vertragspartner nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der
Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung erwarten darf. Besonders wichtige
Umstände, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von
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ausschlaggebender Bedeutung sind, müssen ungefragt offenbart werden (vgl. Palandt,
§ 123 Rn 5a ff.). Die Klägerin hat in dem Besichtigungstermin bei Vertragsschluss für die
Beklagte erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass für sie die Art der Kleidung, die in
ihrem Ladenlokal verkauft wird, von besonderem Interesse war. Noch vor
Vertragsschluss wurde ihr von der Beklagten mitgeteilt, dass es sich um die Modemarke
"........" handelte. Damit ist die Beklagte ihrer Aufklärungspflicht ausreichend
nachgekommen.
Darauf, dass die Modemarke – wie die Kläger behaupten - bevorzugt in rechtsextremen
Kreisen getragen wird, musste die Beklagte schon deshalb nicht hinweisen, weil sie
selbst nicht dieser Auffassung ist und meint, die von ihr verkaufte Mode werde von
jedermann getragen. Etwas anderes könnte sich dann ergeben, wenn das Tragen oder
der Verkauf der Kleidung gegen das Gesetz verstieße. Textilien der Marke "....." sind
aber weder insgesamt verboten, noch verwendet die die Modefirma "......" derzeit ein
verbotenes Logo.
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Auch der Umstand, dass die Beklagte im Gegensatz zu den Klägern wusste, dass es
bereits bei anderen von ihr angemieteten Ladenlokalen zu Protestaktionen und
Beschädigungen kam, führt nicht zu einer diesbezüglichen Aufklärungspflicht. Daraus
kann nämlich nicht ohne Weiteres der Schluss gezogen werden, dass es zwangsläufig
auch bei dem betroffenen Mietobjekt zu ähnlichen Vorfällen kommen wird. Darüber
hinaus handelt es sich bei möglichen Protestaktionen um ungewisse zukünftige
Handlungen Dritter, auf welche die Beklagte keinen direkten Einfluss hat, sodass sie
darüber auch gar nicht aufklären kann.
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Der entscheidende Unterschied zu der vorgelegten Entscheidung des OLG Naumburg
vom 28.10.08, 9 U 39/08, liegt darin, dass die Beklagte den Klägern ausdrücklich den
Namen der Modemarke mitgeteilt hat. Im Weiteren wäre es Sache der Kläger gewesen,
sich durch eigene Recherchen, insbesondere im Internet, zu informieren. Auch das OLG
Naumburg hat in der o.a. Entscheidung dargelegt, dass der Mieter seiner
Aufklärungspflicht genügt hätte, wenn er dem Vermieter mitgeteilt hätte, dass er
beabsichtige, Waren der Modemarke "......" anzubieten, da dem Vermieter dadurch die
Gelegenheit eingeräumt worden wäre, nach eigenem Ermessen Recherchen über "......"
anzustellen.
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Vorliegend hatten die Kläger auch eine besondere Veranlassung, eigene
Nachforschungen anzustellen, da es um den Abschluss eines Mietvertrages über fünf
Jahre ging und die Beklagten auf die ausdrückliche Aufnahme des Markennamens in
den Mietvertrag besonders hingewirkt hat.
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Die Kläger hatten auch ausreichende Möglichkeiten, sich zu informieren.
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Zum Einen hatten die Kläger bereits einen Tag vor der Vertragsunterzeichnung über
ihren Makler U, der das Bewerbungsschreiben der Beklagten erhalten hatte, Kenntnis
davon, dass der Verkauf von "....."- Mode beabsichtig war. Die Kenntnis des Maklers
wird den Klägern nämlich analog § 166 Abs. 1 BGB zugerechnet, da der von ihnen
beauftragte Immobilienmakler Wissensvertreter der Kläger ist. Wissensvertreter ist jeder,
der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr
als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen
und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen und weiterzugeben,
Palandt, § 166 Rn 6. Das Maklerunternehmen U hat vorliegend Aufgaben der Klägerin
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in eigener Verantwortung durchgeführt, indem es an der Vorbereitung des
Mietvertragsschlusses maßgeblich mitgewirkt hat. Im Rahmen dessen war es zur
Information der Kläger, seiner Auftraggeber, verpflichtet.
Aber auch ohne eine solche Wissenszurechnung hätten sich die Kläger noch vor
Unterzeichnung des Vertrages, nachdem die Beklagte die Zusätze in den Mietvertrag
aufgenommen hatte, Zeit für eine Recherche nehmen können. Diese hätte nur wenige
Minuten in Anspruch genommen, da man schon bei einer Eingabe des Begriffs "......" in
die online-Enzyklopädie "Wikipedia" oder die Suchmaschine "google" diverse
Informationen über die Hintergründe zu und Diskussionen um "......."- Moden erhält.
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Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 812 Abs. 1 BGB, da der Mietvertrag den
Rechtsgrund für die Leistung darstellt.
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Mangels Begründetheit der Hauptsacheforderung besteht auch kein Anspruch auf
Zahlung
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1, 2 ZPO.
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Der Streitwert wird auf 29.988,00 € festgesetzt, § 41 GKG.
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