Urteil des LG Essen vom 09.11.2010

LG Essen (zpo, schuldner, nachweis, antrag, beschwerde, interesse, kreditinstitut, person, essen, erhöhung)

Landgericht Essen, 7 T 568/10
Datum:
09.11.2010
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
7. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 T 568/10
Normen:
§ 850 k ZPO
Sachgebiet:
Sonstiges Zivilrecht / Zwangsvollstreckungsrecht
Leitsätze:
Pfändungsschutzkonto, weitere Pfändungsfreibeträge, Nachweis durch
Schuldner
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Eine Entscheidung
über außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens ist nicht
veranlasst.
Gründe
1
Die nach § 793 ZPO statthafte sofortige Beschwerde, über welche die Kammer nach
Übertragung der Sache durch den Einzelrichter gem. § 568 Satz 2 Nr. 1 ZPO zu
entscheiden hatte, ist zulässig, insbesondere innerhalb der in § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO
bestimmten Frist eingelegt worden.
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Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
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Zu Recht hat das Amtsgericht den Antrag der Schuldnerin gem. § 850k V 4 ZPO, der auf
die Festsetzung der nach § 850 k II ZPO zu berücksichtigenden Beträge durch das
Vollstreckungsgericht gerichtet war, zurückgewiesen.
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Zwar ist der durch die Schuldnerin gestellte Antrag entgegen der Wertung des
Amtsgerichtes nicht bereits unzulässig. Insbesondere folgt eine Unzulässigkeit des
Antrages nicht daraus, dass für den Antrag kein Rechtsschutzbedürfnis bestehen würde.
Vom Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses ist dann auszugehen, wenn eine Partei
ein berechtigtes Interesse daran hat, zur Erreichung des begehrten Rechtsschutzes
gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen (BGH NJW-RR 1989, 263). Ein solches
berechtigtes Interesse kann der Schuldnerin im vorliegenden Fall nicht abgesprochen
werden. Die Schuldnerin begehrt eine Erhöhung des Pfändungsfreibetrages um Beträge
nach § 850c I 2 ZPO sowie eine Berücksichtigung von bei der Schuldnerin eingehenden
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Kindergeldbeträgen. Da das Konto der Schuldnerin als Pfändungsschutzkonto geführt
wird, ist die Berücksichtigung der benannten Beträge bei der Bemessung des
pfändungsfreien Betrages primär Aufgabe der Drittschuldnerin. Diese hat der
Schuldnerin trotz ausdrücklichem Antrag und trotz Vorlage von Nachweisen eine
Berücksichtigung verweigert. Das Interesse der Schuldnerin, die Festsetzung des
pfändungsfreien Betrages mit Hilfe des Vollstreckungsgerichtes zu erreichen, erscheint
vor diesem Hintergrund ohne weiteres nachvollziehbar und berechtigt.
Der von der Schuldnerin gestellte Antrag ist jedoch nicht begründet. Denn die formellen
Voraussetzungen für eine Entscheidung des Vollstreckungsgerichtes liegen im
vorliegenden Fall nicht vor. Gem. § 850k V 4 ZPO kann eine Bestimmung der
Erhöhungsbeträge nach § 850k II ZPO durch das Vollstreckungsgericht erfolgen, wenn
der Schuldner den entsprechenden Nachweis nach § 850k V 2 ZPO gegenüber dem
Kreditinstitut nicht führen kann. So liegt der Fall hier indes nicht.
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Für die Frage, ob ein Schuldner den Nachweis iSv § 850k V 2 ZPO gegenüber dem
Kreditinstitut führen kann, ist allein maßgeblich, ob er über ausreichende
Bescheinigungen nach § 850k V 2 ZPO verfügt. Ist dies der Fall, so kann er den
Nachweis führen. Ob das Kreditinstitut die Nachweise tatsächlich anerkennt, ist für die
Frage der Nachweismöglichkeit nicht maßgeblich.
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Die Kammer stützt ihre Rechtsauffassung hinsichtlich der Auslegung der formellen
Entscheidungsvoraussetzungen des Vollstreckungsgerichtes dabei auf den Sinn und
Zweck der Normen über die Ausgestaltung des mit Wirkung zum 01.07.2010
eingeführten Pfändungskontos. Bereits aus den Dokumenten zum
Gesetzgebungsverfahren geht hervor, dass die Einführung des Pfändungsschutzkontos
zum einen zum Ziel hatte, dem Schuldner eine möglichst unkomplizierte und effektive
Möglichkeit zu bieten, seine Pfändungsschutzrechte durchzusetzen (BT-Drs. 16/7615,
S. 1). Zum anderen sollte die Verlagerung der primären Prüfungskompetenz auf die
Kreditinstitute zu einer Entlastung der Vollstreckungsgerichte führen (BT-Drs. 16 /7615,
S. 18). Dieser Zweckrichtung würde es zuwider laufen, wenn es letztlich zur Disposition
der Kreditinstitute stehen würden, ihre neu übertragenen Aufgaben und
Verantwortungsbereiche auszufüllen, oder durch Verweigerung einer Entscheidung trotz
ausreichendem Nachweis die Entscheidungskompetenz - wie nach altem Recht -
zurück auf die Vollstreckungsgerichte zu übertragen. Dies gilt umso mehr, als diese
Praxis für den Schuldner entgegen dem Gesetzeszweck zu einer ganz erheblichen
zeitlichen Verzögerung bei der Durchsetzung seiner Pfändungsschutzrechte führen
würde.
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Unter Zugrundelegung des dargestellten Maßstabes ist im vorliegenden Fall davon
auszugehen, dass die Schuldnerin den für eine Berücksichtigung von weiteren
Pfändungsfreibeträgen nach § 850k II 1 Nr. 1 iVm § 850c I 2 ZPO bzw. nach § 850k II 1
Nr. 3 ZPO erforderlichen Nachweis hat führen können. Welche Anforderungen an den
zu führenden Nachweis zu stellen sind, hat der Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt.
Vielmehr ist in § 850 V 2 ZPO lediglich bestimmt, dass der Nachweis durch eine
Bescheinigung des Arbeitgebers, der Familienkasse, des Sozialleistungsträgers oder
einer geeigneten Person oder Stelle im Sinne von § 305 I Nr. 1 der Insolvenzordnung zu
führen ist. An die Überprüfungspflicht des Kreditinstitutes dürfen dabei keine
übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Vielmehr müssen die vom Schuldner
behaupteten Umstände aus den eingereichten Belegen offensichtlich hervorgehen (vgl.
Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 31. Auflage 2010, § 850k Rn 31; Zöller/Stöber,
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Zivilprozessordnung, 28. Auflage 2010, § 850k Rn 14). So liegt der Fall hier.
Soweit die Schuldnerin geltend macht, dass bei der Bemessung des pfändungsfreien
Betrages eine weitere Personen, nämlich ihr Sohn E zu berücksichtigen sei, ergibt sich
der hierfür festzustellende Sachverhalt ohne weiteres aus dem seitens der Schuldnerin
vorgelegten Bescheid der W vom 31.08.2010. Zwar ergibt sich aus dem Bescheid nicht
zwingend, dass die Schuldnerin eine Unterhaltsverpflichtung trifft. Denn der Bescheid
erschöpft sich in der Feststellung, dass zwischen der Schuldnerin und dem Kind E. L.
eine Bedarfsgemeinschaft besteht. Eine solche Bedarfsgemeinschaft iSv § 7 III SGB II
setzt - entgegen der Wertung des Amtsgerichts - eine gesetzliche
Unterhaltsverpflichtung nicht zwingend voraus (vgl. etwa § 7 III Nr. 3 c SGB II).
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Gleichwohl ist der aus dem Bescheid ersichtliche Sachverhalt ausreichend, um die von
der Schuldnerin begehrte Erhöhung des Pfändungsfreibetrages nach § 850k II 1 Nr. 1
ZPO zu rechtfertigen. Denn nach § 850k II 1 Nr. 1 b) ZPO ist dem Fall des
Vorhandenseins einer unterhaltsberechtigten Person der Fall gleichgestellt, dass der
Schuldner für eine weitere Person, mit der er eine Bedarfsgemeinschaft iSv § 7 III SGB II
bildet, Geldleistungen nach dem II. oder XII. Sozialgesetzbuch entgegennimmt und eine
gesetzliche Unterhaltspflicht gerade nicht besteht. Nach dieser gesetzlichen Systematik
ist somit im Falle des Bezuges von Sozialleistungen für Mitglieder einer
Bedarfsgemeinschaft durch den Schuldner stets eine Erhöhung des
Pfändungsfreibetrages gem. der Regelung des § 850c I 2 ZPO veranlasst. Besteht eine
gesetzliche Unterhaltsverpflichtung, folgt dies unmittelbar aus § 850k II 1 Nr. 1 a) ZPO.
Besteht keine Unterhaltsverpflichtung, greift subsidiär § 850k II 1 Nr. 1 b) ZPO ein.
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Soweit die Schuldnerin nach § 850k II 1 Nr. 3 ZPO die Berücksichtigung von Kindergeld
begehrt, ergibt sich der Bezug von Kindergeld ebenfalls aus dem seitens der
Schuldnerin vorgelegten Bescheid. Dass das Kindergeld auch tatsächlich auf ihrem
Konto eingeht, muss die Schuldnerin gegenüber der Drittschuldnerin schon deswegen
nicht beweisen, weil die Schulderin dies anhand der monatlichen Kontobewegungen
ohne weiteres feststellen kann.
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Angesichts der seitens der Schuldnerin vorgelegten ausreichenden Belege muss somit
eine Berücksichtigung der entsprechenden Erhöhungsbeträge durch die
Drittschuldnerin selbst erfolgen. Eine Berechtigung der Drittschuldnerin, die
Nachweismöglichkeit auf die Vorlage von eigenen Formularen zu begrenzen, besteht
nicht. Die Verpflichtung der Drittschuldnerin gegenüber der Schuldnerin folgt insofern
aus dem der Einrichtung des Kontos zugrundeliegendem Vertragsverhältnis. Für die
Wahrung ihrer Rechte steht der Schuldnerin der Zivilrechtsweg offen. Einen
entsprechenden Rechtsstreit zu vermeiden, ist nicht Aufgabe des
Vollstreckungsgerichtes.
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Die Entscheidung über die Gerichtskosten folgt aus Nr. 2121 des Kostenverzeichnisses
zum GKG, wobei die Kammer berücksichtigt hat, dass der Antrag der Schuldnerin
entgegen der Entscheidung des Amtsgerichts nicht schon unzulässig war, so dass die
Beschwerde insofern teilweise Erfolg hatte. Eine Entscheidung über die
außergerichtlichen Kosten ist nicht veranlasst, weil in Bezug auf die vorliegende
Problematik eine verfahrensrechtliche Gegnerschaft im Sinne von §§ 91 ff. ZPO nicht
besteht.
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