Urteil des LG Essen vom 07.12.2010

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Landgericht Essen, 7 T 647/10
Datum:
07.12.2010
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
7. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 T 647/10
Normen:
§ 765 a ZPO
Sachgebiet:
Sonstiges Zivilrecht
Leitsätze:
Girokonto, Sozialleistungen, Vollstreckungsschutz nach § 765 a ZPO
Tenor:
Der Beschluss des Amtsgerichts F vom 02.11.2010 wird aufgehoben,
soweit die Pfändung aufgrund des Pfändungs- und
Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts F vom 17.06.2009 in das
bei der Drittschuldnerin geführte Konto mit der Nummer ....... in Höhe von
1.087,35 € einmalig aufgehoben und der unpfändbare Freibetrag für den
Monat November 2010 einmalig um 1.087,35 € erhöht wurde. Der Antrag
der Schuldnerin vom 17.09.2010 wird zurückgewiesen.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten werden auf die Hälfte reduziert. Die
außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden
gegeneinander aufgehoben.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
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Die nach § 793 ZPO statthafte sofortige Beschwerde, über welche die Kammer nach
Übertragung der Sache durch den Einzelrichter gem. § 568 Satz 2 Nr. 1 ZPO zu
entscheiden hatte, ist zulässig, insbesondere innerhalb der in § 569 I 1 ZPO bestimmten
Frist eingelegt worden.
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In der Sache hat die Beschwerde nur teilweise Erfolg.
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Zu Recht hat das Amtsgericht der Schuldnerin auf ihren Antrag vom 04.10.2010
Vollstreckungsschutz wegen der am 30.09.2010 auf Ihrem Konto eingegangenen
Sozialleistung in Höhe von 289,58 € gewährt. Denn die Voraussetzungen des § 765a
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ZPO für die Gewährung von Vollstreckungsschutz liegen im vorliegenden Fall vor. Dass
die Schuldnerin nach Ausschöpfung des Pfändungsfreibetrages für den Monat
September allein wegen der vorlaufenden Gewährung von Sozialleistungen am Ende
des Vormonates für den Monat Oktober keine genügenden Geldmittel zur Verfügung hat,
um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, stellt eine mit den guten Sitten nicht zu
vereinbarende Härte dar. Demgegenüber stellt sich die Beeinträchtigung
schutzwürdiger Interessen der Gläubigerin als unwesentlich dar, zumal nach der im
gesamten Zwangsvollstreckungsrecht erkennbaren gesetzgeberischen Grundwertung
Sozialleistungen, die ein Schuldner zum Bestreiten seines Lebensunterhaltes für den
laufenden Monat benötigt, dem Gläubigerzugriff im Regelfall entzogen sein sollen.
Dabei liegt eine grobe Härte für die Schuldnerin nicht schon deswegen nicht vor, weil
diese trotz der im September 2010 erfolgten Pfändung und Überweisung im Monat
Oktober 2010 im Rahmen des Pfändungsfreibetrages wieder über das auf Eingängen
des Vormonats basierende Guthaben frei verfügen könnte. Dass dies der Fall wäre, folgt
insbesondere nicht aus der Regelung des § 850k I 1 ZPO n.F.. Hiernach kann ein
Schuldner bis zum Ende eines Kalendermonats in Höhe des monatlichen Freibetrages
über sein Kontoguthaben frei verfügen. Insoweit wird das Kontoguthaben von der
Pfändung nicht erfasst. Dass einmal gepfändete und durch gerichtlichen Beschluss
bereits zur Einziehung überwiesene Forderungen nach Beginn eines neuen
Kalendermonats wieder an den Schuldner zurückfallen, so dass dieser in die Lage
versetzt wird, seinen monatlichen Freibetrag aus diesem ursprünglich vorhandenen
Guthabenanteil zu befriedigen, ergibt sich aus der Formulierung des Gesetzes nicht.
Auch die Gesetzesmaterialien lassen insofern keine eindeutigen Rückschlüsse zu.
Zwar findet sich etwa auf Seite 13 der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur
Reform des Kontopfändungsschutzes (BT-Drs 16/7615) der Hinweis, dass das durch
einen Zahlungseingang entstandene Guthaben den Grundstock für den Freibetrag des
Folgemonats bilden kann. Dieser Hinweis steht jedoch im Zusammenhang mit
Ausführungen zu einer fehlenden Ausschöpfung des Freibetrages, so dass naheliegt,
dass der Gesetzgeber insofern lediglich die Berücksichtigungsfähigkeit solcher
Eingänge herausstellen wollte, die im Vormonat gerade nicht bereits der Pfändung
unterfallen sind.
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Berücksichtigt man weiter, dass ein Forderungsrückfall an den Schuldner nach Beginn
eines neuen Kalendermonats nicht nur dogmatisch äußerst bedenklich, sondern aus
Vertrauensschutzgesichtspunkten kaum zu rechtfertigen wäre, kann jedenfalls der
derzeitigen gesetzlichen Regelung nicht die Wertung entnommen werden, dass
Eingänge des Vormonates, die infolge einer vorherigen Ausschöpfung des
Pfändungsfreibetrages von der Wirkung eines Pfändungs- und
Überweisungsbeschlusses erfasst wurden, dem Schuldner im Folgemonat wieder zur
Verfügung stehen (wohl a.A.: Stöber, Forderungspfändung, 15. Auflage 2010, Rn
1300c).
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Dass die kontoführenden Kreditinstitute im Rahmen der Führung eines
Pfändungsschutzkontos nach § 850k ZPO verpflichtet wären, bestimmte
Zahlungseingänge danach zu überprüfen, ob deren Zweckbestimmung auf den
Folgemonat gerichtet ist, um diese dann ggf. erst für den Folgemonat zu
berücksichtigen, vermag die Kammer ebenfalls nicht festzustellen. Zum einen würde
eine solche Regelung zu ganz erheblichen Umsetzungsproblemen und Haftungsrisiken
für die kontoführenden Kreditinstitute führen, zum anderen ergibt sich für eine derart
weitreichende Prüfungskompetenz und –verpflichtung der Kreditinstitute keinerlei
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Anhaltspunkte aus dem Gesetz.
Soweit das Amtsgericht auf den Antrag der Schuldnerin vom 17.09.2010 hin die erfolgte
Kontopfändung wegen der im August 2010 auf dem Konto der Schuldnerin
eingegangenen Nachzahlungsbeträge des Job Centers F - abzgl. des Guthabens, über
welches bereits eine Verfügung stattgefunden hatte - aufgehoben hat, war der
Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben. Denn der Schuldnerin steht ein Anspruch auf
Aufhebung der Kontopfändung wegen der benannten Beträge nicht zu.
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Zunächst folgt ein Anspruch der Schuldnerin auf Freigabe des benannten
Guthabenbetrages durch das Vollstreckungsgericht nicht, wie das Amtsgericht
angenommen hat, aus § 850k V ZPO. Denn § 850k V 4 ZPO beschränkt die
Entscheidungsbefugnis des Vollstreckungsgerichts auf diejenigen Fälle, in denen ein
Schuldner den Nachweis gegenüber dem kontoführenden Kreditinstitut nach § 850k II, V
2 ZPO nicht führen konnte. Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend jedoch
nicht. Weder macht die Schuldnerin die Berücksichtigung pfändungsfreier Beträge nach
§ 850c I 2 ZPO geltend (§ 850k II Nr.1 ZPO), noch begehrt sie die Freigabe von
einmaligen Geldzahlungen nach § 54 II SGB I (§ 850k II 1 Nr. 2 ZPO) oder die Freigabe
von Kindergeld oder vergleichbaren Geldleistungen (§ 850k II 1 Nr. 3).
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Darüber hinaus folgt ein Anspruch der Schuldnerin auf eine Aufhebung der Pfändung
hinsichtlich der Nachzahlungsbeträge des Job Centers auch nicht aus § 850k IV ZPO.
Durch diese Norm wird sichergestellt, dass das Vollstreckungsgericht in den bislang
vom Gesetz für den allgemeinen Pfändungsschutz von Arbeitseinkommen und
gleichgestellten Einkünften vorgesehenen Fällen auch bei der Kontopfändung einen
anderen pfandfreien Betrag – sei es zugunsten des Schuldners durch Erhöhung, sei es
zugunsten des Gläubigers durch Herabsenkung – festlegen kann (Vgl. die Begründung
zum Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes, BT-Drs. 16/7615, S. 20). Dabei
werden die Maßstäbe für die Entscheidung des Vollstreckungsgericht dadurch
bestimmt, dass in § 850k IV 2 ZPO die Regelungen der §§ 850a, 850b, 850c, 850d I, II,
850e, 850f, 850g, 850i, 851c und 851d ZPO sowie die Regelungen des § 54 II, III Nr. 1,
2 und 3, IV, V SGB I, des § 17 I 2 SGB XII und des § 76 EStG für entsprechend
anwendbar erklärt werden. Auch nach diesen Normen ergibt sich die seitens der
Schuldnerin begehrte Rechtsfolge einer Pfandfreistellung der Nachzahlungsbeträge des
Job Centers indes nicht.
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Insbesondere handelt es sich bei der Nachzahlung des Job Centers aufgrund der
nachträglichen Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nicht
um zweckgebundene Einkommensteile nach § 850a ZPO, da keiner der hier
aufgeführten Fallgruppen einschlägig ist. Auch handelt es sich bei den Nachzahlungen
nicht um sonstige Einkünfte im Sinne von § 850i ZPO. Nachzahlungen für laufendes
Arbeitseinkommen oder gleichgestellte Bezüge sind vielmehr – wie das Amtsgericht
zutreffend angenommen hat – ebenso wie die zunächst gewährte Leistungen als
laufende Geldleistung zu behandeln, die dem Anwendungsbereich des § 850c ZPO
unterfällt (ArbG Wetzlar BB 1988, 2320; Musielak, Zivilprozessordnung, 7. Auflage 2009,
§ 850c Rn 2). Bezieht sich die Nachzahlung auf mehrere vorangegangene
Leistungszeiträume, ist den Bezügen der entsprechenden einzelnen
Leistungszeiträume jeweils der auf diesen Zeitraum entfallende Teil der Nachzahlung
hinzuzurechnen (ArbG Wetzlar, a.a.O.). Dass unter Zugrundelegung dieser Berechnung
der der Schuldnerin zustehende pfändungsfreie Betrag zu erhöhen gewesen wäre, ist –
unabhängig der rechtlichen Problematik einer rückwirkenden Geltendmachung – bereits
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nicht ersichtlich. Die Schuldnerin wurde seitens des Gerichts aufgefordert, die
Berechnung des Nachzahlungsbetrages zu erläutern. Aus der hieraufhin eingereichten
Erklärung des Job Centers ergibt sich die Zusammensetzung der Nachzahlungsbeträge
jedoch nicht. Insbesondere ist schon nicht ersichtlich, für welche Monate die
Nachzahlung überhaupt erfolgte.
Dass eine Freigabe der Nachzahlungsbeträge nicht auf § 850l ZPO gestützt werden
kann, folgt schon daraus, dass das Konto der Schuldnerin als Pfändungsschutzkonto
geführt wird. Auf ein solches Konto findet § 850l ZPO nach dem insoweit eindeutigen
Gesetzeswortlaut keine Anwendung.
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Darüber hinaus folgt ein Freigabeanspruch hinsichtlich der Nachzahlungsbeträge des
Job Centers auch nicht aus § 765a ZPO. Wie dargelegt, steht der Schuldnerin für den
Monat Oktober 2010 sowohl ihr eigener Lohnanspruch als auch die ergänzende
Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu. Dies erscheint zur Vermeidung einer
groben Härte ausreichend.
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Die Entscheidung über die Gerichtskosten folgt aus Nr. 2121 des Kostenverzeichnisses
zum GKG, die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten basiert auf § 92 I 1
ZPO.
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Die Rechtsbeschwerde war nicht gemäß § 574 I Nr. 2 ZPO zuzulassen. Denn die Sache
hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch ist es weder zur Fortbildung des Rechts noch
zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, eine Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts herbeizuführen.
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