Urteil des LG Ellwangen vom 06.11.2015

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LG Ellwangen Urteil vom 6.11.2015, 2 O 24/15
Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht in einem Shopping-Center: Reinhaltung
des Bodens
Leitsätze
Der Betreiber eines Shopping-Centers erfüllt seine Verkehrssicherungspflicht, wenn in
einem Bereich von Textilgeschäften ohne besondere Gefahrenquellen eine tägliche
Reinigung erfolgt und im Turnus von zwei Stunden Reinigungskräfte den Bereich
überwachen und bei Bedarf nachreinigen.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 16.500 EUR.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über Schmerzensgeld und die Feststellungen zur
Verpflichtung zum Ersatz weiterer Schäden wegen eines Sturzes der Klägerin im
Shopping-Center der Beklagten.
2 Die Klägerin besuchte am 20.02.2014 das im Eigentum der Beklagten stehende
Shopping-Center S. in H.. Gegen 15:00 Uhr stürzte die von ihrem Ehemann, dem
Zeugen P., begleitete Klägerin vor dem Bekleidungsgeschäft E. und gegenüber
dem Bekleidungsgeschäft B. auf der anderen Seite des Ganges. Durch den Sturz
erlitt die Klägerin einen Bruch des Oberarmkopfes in Gestalt eines sogenannten
Humeruskopf-Threepart-Fraktur und einen Bruch des Sprunggelenks vom Typ
Weber-A rechts. Daneben wurde bei der Klägerin ein Kaliummangel festgestellt.
Aufgrund dieser Verletzungen wurde die Klägerin vom 21.02. bis zum 26.02.2014
im Klinikum H. behandelt. Am 01.07.2014 wurde eine in die Schulter eingebrachte
Platte entfernt. Bei dieser Operation wurde eine größere Sehne entfernt und ein
Knochen abgefräst.
3 Die Klägerin hat die Beklagte und ihre Haftpflichtversicherung vorgerichtlich zur
Zahlung aufgefordert; die Haftpflichtversicherung hat eine Regulierung abgelehnt.
4 Die Klägerin behauptet,
5 auf einer etwa tellergroßen, schmierigen Stelle vor dem E.-Laden ausgerutscht zu
sein, die für sie nicht erkennbar war. Dies sei der Grund des Sturzes gewesen. Sie
ist der Ansicht, die Beklagte hätte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Der
Bereich, in dem die Klägerin stürzte, sei durch die Beklagte nicht ordnungsgemäß
gereinigt und überwacht worden.
6 Die Klägerin trägt weiter vor, sie leide nach wie vor unter den Folgen des Sturzes.
Bei bestimmten Bewegungen habe sie Schmerzen und könne einzelne
Bewegungen nicht mehr ausführen. Sie sei in der Haushaltsführung eingeschränkt
sowie beim Auto- und Fahrradfahren. Tägliche Verrichtungen, wie das Waschen
ihrer Haare oder allgemein Überkopfarbeiten, seien ihr nicht mehr möglich; sie
könne nichts Schweres heben. Sie habe auch Schwierigkeiten beim Einschlafen.
Weitere Verletzungsfolgen seien nicht absehbar. Bis zum 30.06.2014 sei sie
grundsätzlich berufstätig gewesen, seit dem Unfall allerdings arbeitsunfähig.
7 Die Klägerin beantragt,
8 1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von
11.500,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
9 2. festzustellen, dass die Beklagte den zukünftigen materiellen und immateriellen
Schaden der Klägerin aus dem Unfall vom 20.02.2014 zu erstatten hat, soweit
dieser nicht auf Sozialversicherungsträger übergeht oder übergegangen ist,
10 3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Kosten in Höhe von
958,19 EUR zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.
11 Die Beklagte beantragt,
12 die Klage abzuweisen.
13 Sie trägt vor,
14 die Klägerin sei nicht aufgrund einer Verunreinigung des Bodens gestürzt, sondern
aus anderen Gründen. Bei der Klägerin bestehe aufgrund des im Krankenhaus
festgestellten Kaliummangels sowie einer möglichen Einnahme von
Medikamenten, die den Kreislauf beeinflussen, die Möglichkeit, dass die Klägerin
aufgrund ihrer eigenen körperlichen Verfassung gestürzt sei. Sie ist jedenfalls der
Ansicht, ihrer Verkehrssicherungspflicht nachgekommen zu sein. Die Gänge
innerhalb der S. würden täglich grundgereinigt. Daneben würde der Zustand der
Gänge durch das Reinigungspersonal laufend kontrolliert und bei Bedarf
nachgereinigt.
15 Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 02.06.2015 dem Einzelrichter
zur Entscheidung übertragen. In der mündlichen Verhandlung vom 17.06.2015
wurde die Klägerin zur Sache angehört; in der mündlichen Verhandlung vom
23.10.2015 wurden die Zeugin K. und der Zeuge P. vernommen. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Protokolle sowie die gewechselten Schriftsätze
einschließlich deren Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
16 Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
17 Der Klägerin stehen dem Grunde nach keine Ansprüche gegen die Beklagte
wegen ihres Sturzes am 20.02.2014 zu.
18 I. Anspruch dem Grunde nach
19 Die Klägerin hat nicht nachweisen können, dass die Beklagte ihre
Verkehrssicherungspflichten verletzt hätte. Dies wäre aber Voraussetzung einer
Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 1 BGB.
20 1. Verkehrssicherungspflicht: Beweislast und Beweiswürdigung
21 Selbst wenn man davon ausginge, dass der Klägerin der Nachweis eines objektiv
verkehrswidrigen Zustands des für den Verkehr eröffneten Bereichs gelungen ist,
wodurch ein Anscheinsbeweis für die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht
bestünde (BGH, Urteil vom 11.03.1986 - VI ZR 22/85 -, NJW 1986, 2757), steht ihr
kein Anspruch gegen die Beklagte zu. Der Beklagten würde dann im Wege einer
Beweislastumkehr der Nachweis, ihre Verkehrssicherungspflichten erfüllt zu
haben, obliegen. Dieser Nachweis ist der Beklagten gelungen. Damit erübrigt sich
eine Beweiswürdigung der anspruchsbegründenden Tatsachenbehauptungen
durch die Klägerin.
22 Das Gericht geht nach freier Überzeugung (§ 286 ZPO) davon aus, dass
entsprechend dem von der Klägerin als Einschubseite E1 vorgelegten Putzplan
vom Februar 2014 am 20.02.2014 in den S.H. morgens eine Grundreinigung der
Böden stattfand und während des Tages ständig eine Putzfrau das Gebäude
ablief, um etwaige Verunreinigungen zu entfernen. Die Überzeugung des Gerichts
stützt sich maßgeblich auf die Aussage der Zeugin K., die glaubhaft und inhaltlich
überzeugend war. Die Zeugin hat nicht nur eine inhaltlich kohärente Aussage
gemacht, sie hat auch über Wissenslücken Auskunft gegeben und auf
Unsicherheiten in ihrer Aussage etwa hinsichtlich der pro Schicht absolvierten
Durchgänge durch das Einkaufszentrum hingewiesen. Das Gericht glaubt daher
der Aussage der Zeugin.
23 Die Zeugin K. hat ausgesagt, dass sie wie auch ihre Kolleginnen während ihres
Dienstes ständig durch die Gänge der S. laufen und bei Bedarf den Boden
reinigen. Die Zeugin hat bekundet, dass sie während einer Schicht - jeweils
abhängig vom konkreten Arbeitsanfall - vielleicht drei oder vier Runden durch das
Shoppingcenter mache. Die Schichten der Zeugin waren nach dem Putzplan
zwischen drei und fünf Stunden lang, so dass sich nach der Aussage der Zeugin
rechnerisch ein Kontroll- und Reinigungsintervall von höchstens 1 Stunde und 40
Minuten ergibt.
24 2. Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht im Shopping-Center
25 Dieses Reinigungsintervall ist jedenfalls für den Bereich, in dem die Klägerin
stürzte, ausreichend. In einer viel frequentierten Ladenpassage eines Shopping-
Centers ist die Verkehrssicherungspflicht im Bereich reiner Textilhändler dadurch
erfüllt, dass die Böden täglich grundgereinigt und in etwa zweistündlichem Turnus
kontrolliert und ggfs. nachgereinigt werden. Mangels Verletzung einer
Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte haftet sie daher der Klägerin nicht für
die Schäden, die der Klägerin aus ihrem Sturz entstanden sind. Damit kommen
weder die Zahlung eines Schmerzensgelds (Klageantrag Ziff. 1) noch eine
Feststellung zur Verpflichtung zukünftiger Schäden (Klageantrag Ziff. 2) oder der
Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (Klageantrag Ziff. 3) in Betracht.
26 An die Anforderungen an die Sauberhaltung von Böden ist grundsätzlich ein
strenger Maßstab anzulegen. Derjenige, der eine Gefahrenquelle eröffnet, ist
gehalten, im Rahmen vernünftiger Grenzen die zumutbaren Anstrengungen zu
unternehmen, um andere vor Schaden zu bewahren (BGH, Urteil vom 03.06.2008
- VI ZR 223/07 -, NJW 2008, 3775, 3776). Die Anforderungen an die
Verkehrssicherung sind abhängig von der Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von
Rechtsgütern anderer (BGH, a.a.O.).
27 In Hinblick auf die Sauberhaltung von Fußböden bedeutet das, dass sich die
Anforderungen nach dem konkreten Gefährdungspotential bemessen. So kann
beispielsweise in der Obst- und Gemüseabteilung eines Supermarkts mit
Selbstbedienung damit gerechnet werden, dass der Boden durch
heruntergefallenes Obst und Gemüse immer wieder verschmutzt wird. Hier können
Kontroll- und ggfs. Reinigungsintervalle von 15-20 Minuten erforderlich sein (OLG
Karlsruhe, Urteil vom 14.07.2004 - 7 U 18/03 -, juris; Mergner/Matz, NJW 2014,
186, 187 mit weiteren Nachweisen). Je weniger wahrscheinlich eine
Verschmutzung ist, umso länger können die Kontroll- und Reinigungsintervalle
ausfallen. In einem Drogeriemarkt können beispielsweise Kontrollen im
halbstündlichen Turnus ausreichen, weil Verschmutzungen des Bodens hier
weniger wahrscheinlich sind als in der Obst- und Gemüseabteilung (OLG Hamm,
Urteil vom 16.10.2000 - 6 U 253/99 -, NJW-RR 2002, 171). Bei Gehwegen ist die
Gefahr von Verschmutzungen niedriger als innerhalb von Ladengeschäften, da
dort in der Regel kein Umgang mit Ware, die herabfallen könnte, stattfindet.
28 Im konkreten Fall ereignete sich der Sturz der Klägerin in einem Gang zwischen
zwei Bekleidungsgeschäften, E. auf der einen und B. auf der anderen Seite. Die
Klägerin hat nichts zu besonderen Verschmutzungsgefahren vorgetragen, die eine
möglicherweise erhöhte Aufmerksamkeit des Verkehrssicherungspflichtigen
erfordert hätten. Die Gefährlichkeit des Wegs begründet sich damit vornehmlich
aus der Tatsache, dass es sich um eine viel frequentierte Ladenpassage innerhalb
eines Shopping-Centers handelt.
29 Eine besondere, mit einer Obst- und Gemüseabteilung im SB-Markt vergleichbare
Gefährdungslage liegt nicht vor. Im Gegenteil handelte es sich bei dem
Wegabschnitt, in dem die Klägerin stürzte, um eine Strecke ohne erkennbare
besondere Gefahrenquellen. Dennoch ist im Vergleich zu Außenwegen zu
berücksichtigen, dass die Besucher eines Shopping-Centers aufgrund des
überdachten, eingefriedeten Charakters der Wege zwischen den Geschäften dort
ein höheres Maß an Sauberkeit erwarten als auf einem nicht überdachten Weg im
Freien, und sich im Vertrauen auf eine Reinigung der Flächen hier möglicherweise
weniger vorsichtig bewegen könnten als draußen (OLG Koblenz, Urteil vom
17.06.2014 - 3 U 1447/13 -, juris). Entsprechend ist von dem Eigentümer eines
Shopping-Centers eine regelmäßige Überprüfung und Reinigung der Wege
innerhalb des Shopping-Centers zu verlangen, und das in einem Ausmaß, das
über das Maß bei einem Weg vor einem Geschäft in einer nicht überdachten
Ladenzeile hinausgeht. Sofern keine weiteren Gefahrenquellen bestehen - was
beispielsweise im Bereich des Food-Courts (Restaurantbereich), an
Essensständen im Gang, oder bei hereingetragener Feuchtigkeit der Fall sein
könnte (OLG Koblenz, a.a.O.) -, ist das Gefahrenpotential einer Ladenpassage mit
Textilgeschäften gering. Eine Überprüfung des Bodens im Turnus von etwa zwei
Stunden ist nach Ansicht des Gerichts daher ausreichend, um den vorhersehbaren
Gefahren für die Besucher zu begegnen und ein wirtschaftlich angemessenes
Niveau an Sicherheit zu gewährleisten. Eine Schaffung gefahrloser Räume ist
weder möglich noch im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht geschuldet.
30 II. Nebenentscheidungen, Streitwert
31 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
32 Bei der Streitwertbemessung hat das Gericht den Klageantrag Ziff. 1 mit seinem
Nennbetrag berücksichtigt. Den Streitwert des Klageantrags Ziff. 2 würdigt das
Gericht (§ 3 ZPO) abweichend von den Angaben in der Klageschrift mit 5.000
EUR. Die Klägerin hat vorgetragen, dass sie weitere Ansprüche geltend machen
werde, weil sie wegen des Unfalls nicht mehr habe arbeiten können, daneben sei
nicht abzusehen, ob ihre Heilung erfolgreich verlaufen werde. Nach diesem
Vortrag könnte eine hohe Wahrscheinlichkeit für weitere Ansprüche der Klägerin
bestehen, und das in nicht unerheblicher Höhe. Der Klageantrag Ziff. 3 ist als
Nebenforderung nicht im Streitwert zu berücksichtigen, § 4 Abs. 1 ZPO.