Urteil des LG Ellwangen vom 26.10.2004

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LG Ellwangen Urteil vom 26.10.2004, 5 O 423/04
Tenor
Die mit Beschluss vom 15.09.2004 erlassene einstweilige Verfügung wird aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung
abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist für die Beklagte wegen ihrer Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig
vollstreckbar.
Streitwert: 50.000,00 EUR
Tatbestand
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Die Verfügungsklägerin (Klägerin) verlangt von der Verfügungsbeklagten (Beklagten) die Unterlassung des Vertriebs bestimmter Wildformen von
Saatgut.
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Die Klägerin ist ein rechtsfähiger Verein, dessen Mitglieder Pflanzenzucht betreiben und mit Saat- und Pflanzgut handeln. Die Beklagte erzeugt
und vertreibt Samen von Gräsern und anderen Pflanzen. In ihrer Preisliste 2004/2005 bietet sie u. a. Saatgut für die Grasarten Weißes
Straußgras, Rotes Straußgras, Wiesenfuchsschwanz, Glatthafer, Knaulgras, Rohrschwingel, Schafschwingel, Wiesenschwingel, Deutsches
Weidelgras, Hainrispe und Wiesenrispe als sogenannte Wildformen an. Dieses Saatgut ist nicht nach den Bestimmungen des
Saatgutverkehrsgesetzes (SaatG) zugelassen und anerkannt. Nach erfolgloser Abmahnung mit Schreiben vom 26.08.2004 beantragte die
Klägerin mit Schriftsatz vom 14.09.2004 den Erlass einer einstweiligen Verfügung, welche am 15.09.2004 antragsgemäß mit folgendem Inhalt
erlassen wurde:
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Im Wege der einstweiligen Verfügung - der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung - wird der Antragsgegnerin bei
Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht
beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR
250.000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),
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verboten,
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Saatgut der Grasarten „Weißes Straußgras“, „Rotes Straußgras“, „Wiesenfuchsschwanz“, „Glatthafer“, „Knaulgras“, „Rohrschwingel“,
„Schafschwingel“, „Wiesenschwingel“, „Deutsches Weidelgras“, „Hainrispe“ und „Wiesenrispe“ anzubieten, zur Abgabe vorrätig zu halten,
feilzuhalten sowie im Rahmen eines Gewerbes oder sonst zu Erwerbszwecken an andere abzugeben, soweit das Saatgut nicht den
Anforderungen des § 3 Abs. 1 SaatG entspricht, insbesondere keine Sortenzulassung nach § 30 SaatG hat und/oder nicht nach § 4 Abs. 1 SaatG
anerkannt ist.
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Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
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Die Beklagte erhob mit Schriftsatz vom 23.09.2004 Widerspruch.
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Die Klägerin ist der Auffassung,
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sie könne von der Beklagten nach §§ 3, 4 Nr.11, 8 UWG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 SaatG die Unterlassung des Vertriebs dieser Wildformen
verlangen, denn die Beklagte verschaffe sich durch ihr Zuwiderhandeln gegen die Bestimmungen des SaatG einen Wettbewerbsvorteil
gegenüber den gesetzestreuen Mitgliedern der Klägerin.
10 Die Klägerin beantragt,
11 die einstweilige Verfügung vom 15.09.2004 aufrechtzuerhalten.
12 Die Beklagte beantragt,
13 die einstweilige Verfügung vom 15.09.2004 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
14 Die Beklagte trägt vor,
15 der Sachverhalt sei der Klägerin und ihren Mitgliedern seit langer Zeit bekannt, ohne dass sie bisher dagegen vorgegangen sei. Auch die mit der
Einhaltung des SaatG befassten öffentlichen Stellen hätten nicht interveniert. Die Beklagte ist im Übrigen der Ansicht, dass die Klägerin nicht
prozessführungsbefugt sei, da ihre Mitglieder mit der Züchtung von Kulturpflanzen befasst seien und sich die Rechtsverfolgung deshalb nicht im
Rahmen der satzungsgemäßen Zwecke halte. Insbesondere aber falle das in Rede stehende Saatgut unter Berücksichtigung der
Naturschutzgesetze nicht unter das SaatG. Jenes diene der Sicherung der Ernährung der Bevölkerung durch bestmögliche Ernteerträge. Die von
der Beklagten vertriebenen heimischen Wildformen kämen hingegen bei der Begrünung insbesondere von Ausgleichsflächen zum Einsatz und
dienten dem Naturschutz.
16 Die Klägerin erwidert,
17 sie habe von den Gesetzesverstößen der Beklagten erst am 14.07.2004 erfahren. Die in Rede stehenden Grasarten fielen unter das SaatG, ohne
dass es auf ihre konkrete Verwendung ankomme.
18 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen und auf das Protokoll der
mündlichen Verhandlung vom 01.10.2004 (Bl. 90/91 d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
19 I. Die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der einstweiligen Verfügung liegen nicht vor. Sie war daher aufzuheben und der Antrag auf
ihren Erlass abzuweisen.
20 Der Erlass einer einstweiligen Verfügung nach den §§ 935, 940 ZPO i.V.m. § 12 Abs. 2 UWG als einer vorläufigen Maßnahme erfordert zum
einen die Notwendigkeit einer sofortigen Regelung, den sogenannten Verfügungsgrund, zum anderen einen sogenannten Verfügungsanspruch.
21 1. Ob ein Verfügungsgrund vorliegt, kann offen bleiben. Bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen besteht nach § 12 Abs. 2 UWG
(früher § 25 UWG) eine tatsächliche Vermutung für die Dringlichkeit, die allerdings widerlegt werden kann. Gegen die Dringlichkeit könnte es
sprechen, wenn die Klägerin schon seit einiger Zeit vom beanstandeten Verhalten der Beklagten gewusst hätte, bevor sie dagegen Maßnahmen
ergriff (sogenannte Selbstwiderlegung der Dringlichkeit). Die Beklagte beruft sich insoweit auf das Schreiben der Klägerin vom 15.07.2004
(Anlage 5), in dem diese den Saatgutverkehrskontrollstellen in Deutschland u.a. mitteilte, dass sie von ihren Mitgliedsunternehmen immer wieder
auf eklatante Verstöße gegen das Saatgutverkehrsgesetz aufmerksam gemacht würde. In der mündlichen Verhandlung vom 01.10.2004 hat die
Klägerin allerdings vortragen lassen, sie sei in der Vergangenheit mit dem hier in Rede stehenden Problem nicht eingehend befasst gewesen.
Die Beklagte sei die erste Firma, die bei der Klägerin als Vertreiber von derartigen Wildformen bekannt geworden sei. Danach ist zweifelhaft, ob
die Klägerin die einstweilige Verfügung verzögert beantragt und dadurch zu erkennen gegeben hat, dass es ihr selbst nicht eilig ist. Diese Frage
braucht jedoch nicht entschieden zu werden, da die einstweilige Verfügung schon aus den nachfolgend dargestellten Gründen nicht
aufrechterhalten werden kann.
22 2. Als Verfügungsanspruch kommt ein Anspruch auf Unterlassung nach den §§ 8, 3, 4 Nr.11 UWG i.V.m. §§ 3 Abs. 1, 4, 30 SaatG in Betracht.
23 a) Nach Auffassung des Gerichts ist die Klägerin berechtigt, einen solchen Unterlassungsanspruch geltend zu machen (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG).
24 b) Fraglich ist jedoch, ob die Beklagte durch das von der Klägerin beanstandete Verhalten dem § 3 UWG zuwiderhandelt, was Voraussetzung für
einen Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 S. 1 UWG wäre.
25 aa) Der Vertrieb von Wildformen der in Rede stehenden Gräser ist zwar nach dem Wortlaut des SaatG unzulässig. Unstreitig sind die Gräser ihrer
Art nach in der Verordnung über das Artenverzeichnis zum Saatgutverkehrsgesetz unter 1.2.1 (Futterpflanzen/Gräser) und 1.2.2
(Futterpflanzen/Leguminosen) aufgeführt. Sie dürfen daher gemäß § 3 Abs. 1 SaatG nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie im Sinne der
Vorschriften des SaatG anerkannt und zugelassen sind. Eine solche Anerkennung und Zulassung liegt unstreitig nicht vor. Der darin liegende
Gesetzesverstoß würde eine unlautere Wettbewerbshandlung der Beklagten i.S.v. § 3 UWG begründen, denn die Vorschriften des SaatG dienen
zumindest auch dem Schutz des Verbrauchers und sind daher i.S.v. § 4 Nr. 11 UWG auch dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das
Marktverhalten zu regeln.
26 bb) Das Gericht hat jedoch erhebliche Zweifel, ob die Vorschriften des SaatG wörtlich auf das beanstandete Verhalten der Beklagten anwendbar
sind. Das SaatG dient in erster Linie der Sicherung der Versorgung der Landwirtschaft und des Gartenbaus mit qualitativ hochwertigem Saatgut
und damit dem Schutz der Saatgutverbraucher. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass die streitgegenständlichen Grasarten im
Artenverzeichnis zum SaatG unter der Überschrift „Futterpflanzen“ aufgeführt sind. Dieser Zweck wird dadurch, dass die Beklagte Wildformen
dieser Arten zur Begrünung vertreibt, nicht gefährdet. Um eine Verwendung in der Landwirtschaft oder im Gartenbau geht es hier nicht. Würde
man den Vertrieb derartiger Wildformen von einer Anerkennung und Zulassung nach dem SaatG abhängig machen, würde dies bedeuten, dass
der Vertrieb unmöglich gemacht würde, denn unstreitig ist eine Anerkennung nach dem SaatG bei solchen Wildformen überhaupt nicht möglich,
weil sie die Voraussetzungen für eine Sortenzulassung nach § 30 Abs. 1 SaatG (insbesondere Homogenität und Beständigkeit) nicht erfüllen
können. Diese Konsequenz würde das Grundrecht der Beklagten auf Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und das verfassungsrechtlich verankerte
Umweltschutzgebot (Art. 20 a GG) berühren. Es spricht daher viel dafür, die Vorschriften des SaatG verfassungskonform in der Weise
auszulegen, dass der Vertrieb der von der Beklagten angebotenen und hier streitgegenständlichen Wildformen nicht von einer Anerkennung und
Zulassung des Saatguts nach dem SaatG abhängig ist.
27 cc) Eine abschließende Entscheidung dieser Frage ist im vorläufigen Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht geboten.
Zwar hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach herrschender Meinung eine volle und nicht nur eine eingeschränkte Rechtsprüfung
stattzufinden (vgl. etwa Zöller/Vollkommer, ZPO 24.A. § 935 Rn.7; MüKo-ZPO/Heinze, 2.A. § 935 Rn.16; Stein-Jonas/Grunsky, ZPO 21.A. § 935
Rn.6 ff; a.A. Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, 83 ff und ZZP 90,266). Dies gilt grundsätzlich auch bei schwierigen
Rechtsfragen. Andererseits hängt die Frage des Erlasses einer einstweiligen Verfügung auch von einer Interessenabwägung ab (vgl. etwa
BVerfG NJW 2003,1236; KG ZIP 1992,955). Würde der Erlass einer einstweiligen Verfügung den Beklagten ungleich härter treffen als ihre
Ablehnung den Kläger und hängt die Entscheidung von der Beurteilung einer schwierigen Rechtsfrage ab, dann kann die Entscheidung dieser
Rechtsfrage dem Hauptsacheverfahren vorbehalten werden. So liegt der Fall hier: Die Beklagte hat substantiiert vorgetragen, dass ein Verbot
des Vertriebs der streitgegenständlichen Wildformen gerade jetzt während der Hauptsaison ihren mittelständischen Betrieb schwer treffen würde.
Die Gefahr, dass Arbeitsplätze verloren gehen, ist auch angesichts der Schadensersatzpflicht der Klägerin nach § 945 ZPO ein gewichtiger
Umstand. Bei der Klägerin handelt es sich dagegen um einen Verband einer Vielzahl von Pflanzenzuchtbetrieben, welche sich mit der Zucht und
dem Vertrieb von Kultursaatgut beschäftigen. Es ist nicht substantiiert vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich, dass diese Mitgliedsbetriebe
erhebliche Nachteile erleiden, wenn die Beklagte ihre Tätigkeit bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens fortsetzt, zumal da die Beklagte
diese Tätigkeit bereits seit 1999 ausübt, offenbar ohne dass es zu schweren Nachteilen für die Mitgliedsbetriebe der Klägerin gekommen ist. In
dieser Situation ist es der Klägerin zumutbar, die Klärung der Grundsatzfrage, ob das Saatgutverkehrsgesetz auf den Vertrieb der hier in Rede
stehenden Wildformen anwendbar ist, in einem Hauptsacheverfahren abzuwarten.
28 II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.