Urteil des LG Duisburg vom 28.07.2008

LG Duisburg: einstellung des verfahrens, duldung, ausländer, ausreise, ordnungswidrigkeit, beschränkung, niederlande, verwaltungsbehörde, einreise, straftat

Landgericht Duisburg, 69 Qs 13/08
Datum:
28.07.2008
Gericht:
Landgericht Duisburg
Spruchkörper:
2. Kammer für Bußgeldsachen des Landgerichts Duisburg
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
69 Qs 13/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Wesel, 9 OWi 523/04
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluß des
Amtsgerichts Wesel vom 29. Februar 2008 insoweit aufgehoben, als das
Amtsgericht davon abgesehen hat, die dem Betroffenen entstandenen
notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen.
Der Beschluß des Amtsgerichts Wesel vom 29. Februar 2008 wird um
folgenden Ausspruch zu den notwendigen Auslagen des Betroffenen
ergänzt:
Die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die
Staatskasse.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Betroffenen im
Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die
Staatskasse.
G r ü n d e :
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I.
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Der Betroffene reiste spätestens Anfang 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragte
seine Anerkennung als Asylberechtigter. Das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 17.4.2003,
bestandskräftig seit dem 10.5.2003, ab.
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Die zuständige Ausländerbehörde, die Landrätin, konnte den Betroffenen nach der
bestandskräftigen Ablehnung des Asylantrages nicht aus Deutschland abschieben, da
die Staatsangehörigkeit des Betroffenen nicht geklärt werden konnte. Die
Ausländerbehörde setzte die Abschiebung daraufhin mit Bescheid vom 17.3.2004 bis
zum 17.4.2004 aus und erteilte dem Betroffenen eine räumlich auf das Land Nordrhein-
Westfalen beschränkte Duldung.
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Am 4.4.2004 begab sich der Betroffene aus ungeklärtem Grund in die Niederlande.
Niederländische Polizeikräfte griffen den Betroffenen dort auf und schoben ihn noch am
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gleichen Tag in die Bundesrepublik Deutschland zurück, indem sie ihn Beamten der
Bundesgrenzschutzinspektion E übergaben.
Die Landrätin ( im folgenden: Verwaltungsbehörde ) leitete aufgrund dieses Vorfalles ein
Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Betroffenen ein. Mit Bußgeldbescheid vom
9.6.2004 setzte die Verwaltungsbehörde gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 40
€ fest. Zur Begründung führte die Verwaltungsbehörde in dem Bußgeldbescheid aus,
der Betroffene habe am 4.4.2004 eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 56 Abs. 3 "Satz 2",
93 Abs. 3 Nr. 1 des Ausländergesetzes ( AuslG ) begangen, da er sich in den
Niederlanden aufgehalten habe, obwohl sein Aufenthalt räumlich auf das Land
Nordrhein-Westfalen beschränkt gewesen sei.
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Gegen diesen Bußgeldbescheid legte der Betroffene form- und fristgerecht Einspruch
ein. Die Verwaltungsbehörde gab das Verfahren daraufhin über die Staatsanwaltschaft
an das Amtsgericht Wesel ab. Am 28.9.2005 reiste der Betroffene aus Deutschland nach
Libyen aus. Sein Aufenthaltsort ist seither unbekannt. Das Amtsgericht stellte das
Verfahren mit Beschluß vom 17.10.2005 zunächst vorläufig ein.
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Mit Beschluß vom 29.2.2008 stellte das Amtsgericht das Verfahren auf Kosten der
Staatskasse endgültig ein, sah indes davon ab, die dem Betroffenen entstandenen
notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Zur Begründung führte das
Amtsgericht aus, es sei zwischenzeitlich das Verfahrenshindernis der
Verfolgungsverjährung eingetreten. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruhe auf
§ 46 Abs. 1 OWiG iVm § 467 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO. Da sich der
Betroffene, ohne seinen Wohnsitz in X aufgeben zu wollen, in die Niederlande begeben
habe, wäre er ohne den Eintritt der Verfolgungsverjährung jedenfalls wegen eines
fahrlässigen Verstoßes gegen die räumliche Beschränkung der Duldung auf das Land
Nordrhein-Westfalen zu verurteilen gewesen.
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Mit der von seinem Verteidiger form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde
wendet sich der Betroffene dagegen, daß das Amtsgericht in dem Beschluß vom
29.2.2008 davon abgesehen hat, die ihm, dem Betroffenen, entstandenen notwendigen
Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Der Betroffene ist der Auffassung, er wäre in
einer Hauptverhandlung freizusprechen gewesen. Die Staatsanwaltschaft hat sich in
ihrer Stellungnahme zu der sofortigen Beschwerde des Betroffenen der von dem
Betroffenen geäußerten Rechtsauffassung im Ergebnis angeschlossen.
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II.
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1. Die – zulässige – sofortige Beschwerde des Betroffenen ist begründet.
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a) Nach § 46 Abs. 1 OWiG iVm § 467 Abs. 1 StPO trägt die Staatskasse im Falle einer
Einstellung des Verfahrens neben den Kosten des Verfahrens grundsätzlich auch die
dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen.
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b) Nur in gesetzlich besonders geregelten Ausnahmefällen kann davon abgesehen
werden, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Ein
solcher Ausnahmefall liegt indes hier nicht vor. Insbesondere liegen die
Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 OWiG iVm § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nicht vor.
Nach dieser Regelung kann davon abgesehen werden, der Staatskasse die
notwendigen Auslagen des Betroffenen aufzuerlegen, wenn der Betroffene nur deshalb
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nicht wegen einer Ordnungswidrigkeit oder einer Straftat verurteilt wird, weil ein
Verfahrenshindernis besteht. Dies ist hier indes nicht der Fall. Nach Aktenlage liegt kein
Sachverhalt vor, der die Verurteilung des Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit
oder einer Straftat rechtfertigen könnte.
aa) Die Verwaltungsbehörde hat dem Betroffenen zur Last gelegt, er habe gegen die
räumliche Beschränkung der ihm erteilten Duldung auf das Land Nordrhein-Westfalen
verstoßen und damit eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 56 Abs. 3 Satz 1 ( die räumliche
Beschränkung der Duldung auf das Gebiet eines Bundeslandes war in § 56 Abs. 3 Satz
1 und nicht – wie im Bußgeldbescheid irrtümlicherweise angegeben – in § 56 Abs. 3
"Satz 2" AuslG geregelt ), 93 Abs. 3 Nr. 1 des Ausländergesetzes in der bis zum
31.12.2004 geltenden Fassung begangen.
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Eine solche Ordnungswidrigkeit hat der Betroffene, indem er sich am 4.4.2004 in die
Niederlande begab, indes nicht begangen.
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§§ 56 Abs. 3 Satz 1, 93 Abs. 3 Nr. 1 AuslG betrafen nur Fälle, in denen sich ein
geduldeter Ausländer innerhalb des Bundesgebietes bewegte und hierbei der
räumlichen Beschränkung seiner Duldung auf ein Bundesland zuwiderhandelte. Nicht
erfaßt wurde hingegen der Fall, daß ein geduldeter Ausländer aus dem Bundesgebiet
ausreiste und hierdurch – denknotwendig – auch das Gebiet desjenigen Bundeslandes
verließ, auf das seine Duldung räumlich beschränkt war. Dies ergibt sich aus der
systematischen und teleologischen Auslegung der Regelungen in § 56 AuslG. Zum
einen bestimmte § 56 Abs. 4 AuslG, daß die Duldung des Ausländers mit seiner
Ausreise erlischt, so daß die Ausreise selbst kaum als Verstoß gegen die
Bestimmungen der Duldung gewertet werden kann. Zum anderen – und dies ist das
weitaus gewichtigere Argument – blieb gemäß § 56 Abs. 1 AuslG die Ausreisepflicht
eines geduldeten Ausländers unberührt. D.h. auch ein geduldeter Ausländer war
weiterhin ausreisepflichtig. Sofern er ausreiste, kam er seiner gesetzlichen Verpflichtung
aus § 56 Abs. 1 AuslG nach. Der Staat kann die Ausreise nicht auf der einen Seite zum
gesetzlich erwünschten Verhalten des geduldeten Ausländers erklären und sie auf der
anderen Seite als Verstoß gegen die räumliche Beschränkung der Duldung auf ein
Bundesland als Ordnungswidrigkeit sanktionieren.
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Der Betroffene ist, als er sich am 4.4.2004 in die Niederlande begab, im Sinne des § 56
Abs. 1 und Abs. 4 AuslG "ausgereist". Dabei ist es unerheblich, auf welchem Wege, zu
welchem Zweck und für welche Dauer der Betroffene das Staatsgebiet der Niederlande
betreten hat. "Ausreise" im Sinne des Ausländer- und Aufenthaltsrechtes ist das
Verlassen der Bundesrepublik Deutschland durch Überschreiten der Grenze zum
Nachbarstaat, unabhängig vom Motiv der Ausreise und der Dauer der Abwesenheit (
BayObLG, NStZ-RR 2005, 20 ). Ebenso ohne Belang ist es, ob der Betroffene nach
seinem Aufenthalt in den Niederlanden wieder nach Deutschland zurückkehren wollte,
etwa weil er seinen Wohnsitz in X nicht aufgeben wollte. Derartige "Rückkehrpläne" des
Ausländers sind schon allein deswegen ohne Belang, weil der Ausländer nach der
einmal erfolgten Ausreise aus der Bundesrepublik gar nicht wieder in das Bundesgebiet
einreisen darf. Reist ein – ehemals geduldeter – Ausländer, dessen Duldung mit der
Ausreise erloschen ist, später wieder in das Bundesgebiet ein, macht er sich nämlich in
der Regel wegen unerlaubter Einreise nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ( früher: § 92
Abs. 1 Nr. 6 AuslG ) strafbar ( BayObLG, aaO. ).
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bb) Im vorliegenden Falle hat sich der Betroffene durch seine "Rückkehr" nach
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Deutschland am 4.4.2004 indes – ausnahmsweise – auch nicht wegen unerlaubter
Einreise nach § 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG strafbar gemacht. Eine "Einreise" im Sinne der
Strafvorschrift liegt dann nicht vor, wenn der Ausländer das Bundesgebiet nicht aufgrund
eines eigenen Willensentschlusses betritt, sondern zwangsweise in das Bundesgebiet
verbracht wird ( BayObLG, aaO. ); letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn der
Ausländer – wie der Betroffene im vorliegenden Falle – von den Behörden eines
Nachbarstaates an die Bundesrepublik Deutschland zur Rückübernahme überstellt oder
zurückgeschoben wird ( BayObLG, aaO. ).
2. Die Kosten- und Auslagenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 46
Abs. 1 OWiG iVm § 467 Abs. 1 StPO analog.
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