Urteil des LG Duisburg vom 07.02.1980

LG Duisburg (kläger, schuss, schmerzensgeld, rente, minderung, verletzung, schaden, höhe, augenverletzung, erwerbsfähigkeit)

Landgericht Duisburg, 9 O 426/79
Datum:
07.02.1980
Gericht:
Landgericht Duisburg
Spruchkörper:
9. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 O 426/79
Tenor:
für R e c h t erkannt:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe
von 15.000 DM zu zahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt drei Fünftel, der Beklagte zwei Fünftel der Kosten.
Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung von 17.000 DM,
für den Beklagten gegen Sicherheitsleistung von 2.100 DM vorläufig
vollstreckbar. Die Sicherheiten können auch durch selbstschuldnerische
Bürgschaft einer bundesdeutschen Großbank oder Sparkasse erbracht
werden.
T a t b e s t a n d :
1
Am 28. August 1977 suchte der damals 14-jährige Beklagte den gleichaltrigen Kläger
bei dessen Eltern auf. Er brachte ein Luftgewehr und mehrere Übungspatronen der
Bundeswehr mit. Gemeinsam mit der Schwester des Klägers, der Zeugin, begaben sich
die Parteien in die ländliche Umgebung des Stadtteils Rumeln-Kaldenhausen. Auch der
Kläger führte ein Luftgewehr mit sich.
2
Auf freiem Gelände unternahmen die Parteien Schießübungen auf die Übungspatronen.
Diese hatten sie auf der einen Seite eines Grabens in den Boden gesteckt. Von der
gegenüberliegenden Seite schossen sie aus kurzer Entfernung (etwa 3 m) auf die
Patronen. Während dieser Zeit standen die Parteien nebeneinander.
3
Nach einem Schuß explodierte eine der Übungspatronen. Fast gleichzeitig drang ein
Splitter in das linke Auge des Klägers.
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Als die Parteien anschließend einen Arzt aufsuchen wollten, bat der Beklagte den
Kläger, dort anzugeben, dass ihm beim Holzhacken ein Splitter ins Auge geflogen sei,
um auf diese Weise zu vermeiden, dass der Vater des Beklagten von dem Vorfall
Kenntnis erhielt und ihn, den Beklagten, bestrafte.
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Bei einer medizinischen Begutachtung ergab sich, dass beim Kläger nach diesem
Ereignis praktisch eine Einäugigkeit vorliegt und für das linke Auge eine
Gebrauchsunfähigkeit von 100 % eingetreten ist. Bei späteren Beschwerden muss evtl.
eine Enucleation (Ausschälung) vorgenommen werden. Wegen weiterer Einzelheiten
wird auf das Gutachten des Prof. Dr. med. vom 17. Oktober 1978 (Bl. 5 ff. d.A.) Bezug
genommen.
6
Der Kläger begehrt Schmerzensgeld. Er behauptet, die Augenverletzung sei durch
einen Schuss des Beklagten verursacht worden. Die Parteien hätten abwechselnd
geschossen; während der Beklagte den Schuss, der zur Explosion der Übungspatrone
führte, abgab, habe er mit ungeladenem Gewehr neben dem Beklagten gestanden.
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Der Kläger hält für den Verlust eines Auges ein Schmerzensgeld von 40.000,00 DM für
angemessen. Daneben, so meint der Kläger, stehe ihm eine Schmerzensgeldrente zu.
Hierzu behauptet der Kläger, es sei eine allgemeine Minderung der Erwerbsfähigkeit
von 30 % eingetreten, für die nach seiner Auffassung eine monatliche Rente von 300
DM angemessen sei. Wegen eigenen Mitverschuldens mindert er die Rente jedoch auf
einen monatlichen Betrag von 200 DM; aus demselben Grund hält er auch eine Kürzung
des – zunächst ohne Rücksicht auf ein Mitverschulden berechneten –
Schmerzensgeldbetrages für gerechtfertigt.
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Der Kläger beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, ein in das Ermessen des Gerichtes zu stellendes
Schmerzensgeld zu zahlen;
2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger eine monatliche Rente von 200 DM
ab Klagezustellung zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er bestreitet seine Urheberschaft für die Augenverletzung und behauptet, die Parteien
hätten "mehr oder weniger gleichzeitig" geschossen. Hierzu hat er die
Parteivernehmung des Klägers beantragt. Mit Nichtwissen bestreitet er, dass eine
Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 % zu erwarten sei. Im Übrigen vertritt er
die Ansicht, dass für eine Verletzung der vorliegenden Art ein Schmerzensgeld
zwischen 20.000 und 30.000 DM, jedoch keine zusätzliche Schmerzensgeldrente
angemessen sei.
14
Das Gericht hat auf Grund des Beschlusses vom 22. November 1979 (Bl. 26 d.A.)
Beweis durch Zeugenvernehmung mit dem aus den Akten ersichtlichen Ergebnis (Bl. 34
f d.A.) erhoben.
15
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen
Schriftsätze Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
17
Die Klage ist nur teilweise begründet.
18
I.
19
Soweit der Kläger Zahlung eines Schmerzensgeldes fordert, ist seine Klage zu Recht
erhoben, da ihm ein Anspruch gemäß §§ 847, 823, 276 BGB zusteht.
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Zur Überzeugung des Gerichtes steht fest, dass der Beklagte durch einen von ihm
abgegebenen Schuss die Explosion der Übungspatrone und als Folge davon die
Augenverletzung des Klägers herbeigeführt hat. Die Kammer sieht als erwiesen an,
dass die Parteien am 28. August 1977 nicht gleichzeitig, sondern abwechselnd und
nacheinander geschossen haben, und dass die Patrone nach einem Schuss des
Beklagten explodierte. Diese Überzeugung stützt sich auf die Aussage der Zeugin.
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Die Zeugin hat nämlich ausdrücklich bekundet, dass die Parteien "nicht gleichzeitig",
"immer nacheinander" und "nie zur gleichen Zeit" geschossen haben; der Kläger sei
nach einem Schuss des Beklagten in den Graben gerutscht und habe sich, als er wieder
herausstieg, das linke Auge zugehalten. Vor diesem Schuss habe der Kläger mit
ungeladenem Gewehr neben dem Beklagten gestanden. Die Zeugin hat während der
Schießübungen nach eigenem Bekunden ständig in der Nähe der Parteien gestanden
und deshalb die Möglichkeit besessen, die Vorgänge genau zu beobachten.
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Die Kammer sieht keinen Anlass, an der Wahrheit dieser Aussage zu zweifeln. Die
Zeugin ist zwar die Schwester des Klägers und könnte deshalb ein Interesse an dem
Ausgang des Rechtsstreits besitzen. Es ist aber nicht erkennbar, dass sich diese
abstrakte Möglichkeit im vorliegenden Fall auch verwirklicht hat. Die Aussage ist in sich
folgerichtig und steht nicht im Widerspruch zu weiteren – unstreitigen – Tatsachen. Die
Parteien haben nämlich Gewehre benutzt, die nach jedem Schuss durch Öffnen neu
geladen werden mussten. Unter diesen Umständen ist es wahrscheinlicher, dass die
Schüsse nacheinander und deutlich voneinander unterscheidbar abgegeben wurden.
Vor allem aber wird die Aussage durch das eigene Verhalten des Beklagten nach der
Verletzung des Klägers bestätigt. Unstreitig hat der Beklagte nämlich versucht, den
Kläger zu einer falschen Darstellung des Unfallhergangs zu bewegen. Diese
Verhaltensweise wäre unverständlich, wenn sich der Beklagte nicht für den Schaden
verantwortlich gefühlt hätte. – Schließlich war die Zeugin nach dem Eindruck, den sie in
der Verhandlung hinterlassen hat, auch fähig, im Alter von damals neun Jahren den
Sachverhalt zu erfassen und im Gedächtnis zu behalten.
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Dem Antrag des Beklagten auf Parteivernehmung des Klägers konnte bei dieser
Sachlage nicht stattgegeben werden (§ 445 Abs. 2 ZPO).
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Das danach feststehende Verhalten des Beklagten verletzte die im Verkehr erforderliche
Sorgfalt (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB) und war folglich fahrlässig. Damit sind die
Voraussetzungen der §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i. V. m. 230 StGB erfüllt. Gründe, die
die Verantwortlichkeit des Beklagten ausschließen könnten (§ 828 Abs. 2 BGB) sind
nicht vorgetragen.
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Die Kammer hält ein Schmerzensgeld (zunächst ohne Berücksichtigung eines
Mitverschuldensanteils) von 25.000 DM für angemessen. Dafür sind folgende Umstände
von Bedeutung: Der Kläger war zur Zeit des Unfalls 14 Jahre alt. Die Verletzung hat zu
einer völligen Ablösung der Netzhaut am linken Auge und einem vollständigen Verlust
der Gebrauchsfähigkeit dieses Organs geführt. Mittlerweile hat eine Schrumpfung des
Augapfels eingesetzt. Für den Fall weiterer Beschwerden droht dem Kläger die
Enucleation des Auges. Außerdem ist eine – wenn auch der Höhe nach zwischen den
Parteien umstrittene – Minderung der Erwerbsfähigkeit zu erwarten. Schließlich kann
die Tatsache berücksichtigt werden, dass der Beklagte versichert ist (BGHZ 18, 167 ff.).
– Die Kammer hat sich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auch an der
einschlägigen Rechtsprechung orientiert. Allerdings lässt sich nicht verkennen, dass
insoweit auch zwischen neueren Urteilen beträchtliche Differenzen auftreten, so dass
der Betrag von 25.000 DM erheblich über- oder unterschritten wird. Zudem werden die
Urteilsgründe in den Fachzeitschriften nur verkürzt wiedergegeben und lassen die
maßgeblichen Erwägungen des Gerichts nur unvollständig erkennen. Insgesamt lässt
sich jedoch eine Tendenz zu Beträgen zwischen 20.000 DM und 30.000 DM feststellen
(vgl. hierzu die von Hacks herausgegebene Übersicht über Schmerzensgeldbeträge, 9.
Auflage 1978, sowie die vom Beklagten angeführten Urteile). – Die Kammer hat
außerdem wirtschaftlichen Überlegungen Raum gegeben, indem sie einerseits
berücksichtigt hat, dass auch der Beklagte zum Unfallzeitpunkt erst 14 Jahre alt war,
andererseits aber nicht darüber hinweg sehen konnte, dass für den Schaden eine
Versicherung eintritt; den von der Versicherung gezahlten Betrag muss letztlich die
Gemeinschaft aller Versicherten aufbringen (vgl. BGH DB 76, 1520 ff.).
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Allerdings konnte nicht auf den vollen Schmerzensgeldbetrag erkannt werden, da den
Kläger ein erhebliches Mitverschulden trifft. Der Kläger selbst ist der Ansicht, dass ein
Abzug von einem Drittel berechtigt ist, wie sich aus seiner Berechnung des Streitwertes
und der Schmerzensgeldrente schließen lässt. Die Kammer ist indessen der Meinung,
dass darüber hinaus eine Kürzung des Ausgangsbetrages von 25.000 DM um 40 %
gerechtfertigt ist. Denn der Kläger hat sich in gleicher Weise wie der Beklagte an der
Schießübung beteiligt; vor allem hat er sich, während der Beklagte auf die explosiven
Übungspatronen geschossen hat, neben dem Beklagten in geringer Entfernung,
nämlich nur etwa 3 m, von den Patronen aufgehalten und dadurch die Gefahr einer
Schädigung in hohem Maße mitverursacht und -verschuldet. Die Kammer hat nur
deswegen von einer Minderung um 50 % abgesehen, weil der Beklagte durch
Mitbringen der Übungspatronen den Anstoß für das Unfallgeschehen gegeben und
letztlich den schädigenden Schuss abgegeben hat.
27
II.
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Neben der Schmerzensgeldforderung steht dem Kläger ein Anspruch auf eine Rente
nicht zu.
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Der Kläger fordert die Rente wegen der allgemeinen Erwerbsminderung. Insoweit ist
durch Schmerzensgeld nur der immaterielle Schaden auszugleichen, der darin besteht,
dass ein nicht so gehobener und nicht so angesehener Beruf, wie ihn der Kläger ohne
den Unfall hätte ergreifen können, eine geringere Befriedigung vermittelt (vgl. BGH DB
76, 1520 ff., 1521). Dieser Nachteil tritt im Allgemeinen nachhaltig erst mit einer
gewissen Erfahrung im Berufsleben in Erscheinung (BGH a. a. O.). Der Kläger ist
hingegen Schüler und es ist noch nicht abzusehen, ob er tatsächlich eine Einbuße in
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seiner beruflichen Entfaltung erleiden wird. Jedenfalls hat der Kläger keine konkreten
Angaben gemacht, die auf Nachteile schließen lassen könnten.
III.
31
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, Abs. 1, 709, 108 ZPO. Die Berechnung
des Streitwertes bezüglich der Schmerzensgeldrente richtet sich nach §§ 12 Abs. 1, 17
Abs. 2 GKG.
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Streitwert: 25.000 DM + 12.000 DM.
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