Urteil des LG Düsseldorf vom 29.09.2010

LG Düsseldorf (kläger, obg, allgemeines verwaltungsrecht, stand, erlass, kommission, zucht, land, weisung, amtspflicht)

Landgericht Düsseldorf, 2b O 34/10
Datum:
29.09.2010
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2b Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2b O 34/10
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger ist die Abwendung der
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des
aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages gestattet, wenn nicht der
Beklagte zuvor in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden
Betrages Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d
1
Der Kläger begehrt Ersatz von Schäden, die ihm durch Maßnahmen zur Bekämpfung
der in O aufgetretenen Schweinepest im Zeitraum vom 30.03.2006 bis 30.06.2006
entstanden sind.
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Der Kläger betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb in F im Landkreis X
(Regierungsbezirk N). Schwerpunkte des Betriebs sind der Ackerbau, die
Jungsauenaufzucht und die Schweinemast. Der Betrieb des Klägers hat eine Kapazität
von 1000 Plätzen für die Jungsauenaufzucht und weiteren 500 Plätzen für die
Schweinemast.
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Am 05.01.2005 schloss der Kläger einen Aufzuchtvertrag mit der heutigen I GmbH aus T
(vormals: H GmbH), dem sog. Vermarkter. Nach diesem Vertrag sollte der Kläger von
dem Vermarkter mit weiblichen Mastferkeln zur Aufzucht beliefert werden, wobei die I
GmbH bzw. der H GmbH die Wiederabnahme aller zuchttauglichen Tiere im Alter von
ca. 30 Wochen garantierte.
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Erstmals wurde der Kläger im November 2005 mit Ferkeln beliefert. Nach erfolgter
Aufzucht wurden regelmäßig circa 80 Prozent der Jungsauen als zuchttauglich
ausgesucht und nach den Vorgaben des Vermarkters ausgeliefert. Die verbleibenden
20 Prozent wurden als zuchtuntauglich eingeordnet und sodann vom Kläger als
Schlachtschweine verkauft.
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Ende März 2006 wurden in den nordrhein-westfälischen Landkreisen C und S
Ausbrüche der klassischen Schweinepest festgestellt. Daraufhin wurden umfangreiche
Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen eingeleitet, von denen letztlich auch der Kläger
betroffen war. Die Kreisordnungsbehörden C und S richteten Sperrzonen und
Beobachtungsgebiete ein.
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Auf europäischer Ebene erließ die Kommission gestützt auf die
Veterinärkontrollrichtlinie 90/425/EWG vom 26.06.1990 in schneller Folge mehrere
Entscheidungen, welche vorübergehende Maßnahmen zum Schutz gegen die
klassische Schweinepest in Deutschland anordneten. Die erste Entscheidung vom
06.04.2006 (Nr. 2006/274/EG) sah in ihrem Art. 2 Abs. 1 lit. a) i.V.m. Anhang I
insbesondere vor, dass keine Schweinetransporte von und zu
Schweinehaltungsbetrieben in ganz O mehr stattfinden sollten. Ausnahmen von diesem
Verbot statuierte diese Entscheidung nur für Transporte zu Schlachthöfen.
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Die nachfolgenden Entscheidungen (Nr. 2006/297/EG vom 20.04.2006, Nr.
2006/306/EG vom 26.04.2006 und Nr. 2006/328/EG vom 04.05.2006) nahmen
Änderungen der ersten Entscheidung vor, die u.a. die Möglichkeit der ausnahmsweisen
Zulassung von Schweinetransporten betrafen. Während die erste Änderung lediglich die
Verbringung von Tieren in einen zuvor unbelegten Betrieb betraf, ermöglichte die zweite
Änderung unter engen Voraussetzungen auch den Transport von Schlachtschweinen zu
einem Schlachthof außerhalb Deutschlands sowie von Zucht- und Nutzschweinen zu
Betrieben außerhalb Deutschlands. Für Transporte innerhalb Os sah die zweite
Änderung durch die Entscheidung Nr. 2006/306/EG in ihrem Anhang I eine weitere
Differenzierung der Gebiete nach den Regierungsbezirken vor. Für den
Regierungsbezirk N ermöglichte Art. 2 Abs. 2 lit. b) nunmehr insbesondere einen
Transport zu einem anderen Haltungsbetrieb innerhalb des Gebietes unten engen
Voraussetzungen. Auch die dritte Änderung betraf Details der Ausnahmen vom
grundsätzlichen Transportverbot.
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Die so auf europäischer Ebene vorgezeichneten Maßnahmen wurden vor allem durch
das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz mit dem
zeitgleich zur ersten Kommissionsentscheidung erfolgenden Erlass der auf das TierSG
gestützten Schweinepest-Schutzverordnung am 06.04.2006 umgesetzt. Diese wurde
ebenfalls – jeweils in Umsetzung der zwischenzeitlich ergangenen
Änderungsentscheidungen der Kommission – mehrfach geändert. Hinsichtlich der
Möglichkeit, Schweine als Zucht- oder Nutztiere in O zu transportieren, bestimmte § 2
der Schweinepest-Schutzverordnung in der Fassung der Vierten Änderungsverordnung
vom 11.05.2006 u.a.:
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"(1) Das Verbringen von Schweinen
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1. aus Schweine haltenden Betrieben oder
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2. in Schweine haltende Betriebe,
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die in dem in der Anlage bezeichneten Gebiet 1 gelegen sind, ist verboten.
13
[…]
14
(3) Die zuständige Behörde kann Ausnahmen von Absatz 1 Nr. 1 genehmigen für das
Verbringen von
15
[…]
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2. Zucht- und Nutzschweinen in einen in der Anlage bezeichneten Gebiet 1 gelegenen
anderen Betrieb, soweit die Schweine unmittelbar vor der Versendung mindestens 45
Tage oder, soweit die Schweine jünger als 45 Tage alt sind, seit ihrer Geburt im
Versandbetrieb gehalten worden sind und sichergestellt ist, dass
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a) der Betrieb, aus dem die Schweine versendet werden, nicht in einem Sperrbezirk
oder in einem Beobachtungsgebiet gelegen ist und 45 Tage vor der Versendung keine
Schweine zugekauft hat und
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b) die Schweine vor der Versendung […] mit negativem Ergebnis auf Schweinepest
untersucht worden sind.
19
[…]".
20
Auf europäischer Ebene liefen zu diesem Zeitpunkt die Vorbereitungen für den Erlass
einer neuen, die ursprüngliche und dann mehrfach geänderte Entscheidung Nr.
2006/274/EG aufhebende Kommissionsentscheidung.
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In einem Schreiben vom 05.05.2006 an die fünf Bezirksregierungen Os ordnete das
XXX an: "Zur unmittelbaren Anwendung der bislang als Entwurf vorliegenden neuen
EU-Entscheidung bitte ich folgendes zu beachten: […] Sofortiges Stand-Still für alle
Nutz- und Zuchtschweine im Kerngebiet und Weisung an die zuständigen Behörden, bis
auf weiteres keine Verbringungsgenehmigungen zu erteilen bzw. erteilte
Genehmigungen zu widerrufen."
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Das XXX bestätigte diesen sog. Stand-Still mit einem weiteren Schreiben an die
Bezirksregierungen vom 15.05.2006. Dessen Text lautete auszugsweise: "Im Hinblick
auf die derzeit laufenden Gespräche bei der Europäischen Kommission über
Schutzmaßnahmen gegen eine mögliche Weiterverbreitung der Klassischen
Schweinepest im Münsterland, mache ich darauf aufmerksam, dass das vorab verfügte
‚Stand-still’ für Zucht- und Nutzschweine im Kerngebiet solange gilt, bis die
entsprechende EG-Entscheidung förmlich notifiziert worden ist. Ich rechne mit einem
Zeithorizont von nur wenigen Tagen."
23
Der Kläger erhielt mit Schreiben vom 11.05.2006 den Auftrag des Vermarkters,
insgesamt 65 Jungsauen an verschiedene Betriebe in O auszuliefern. Hieraufhin
beantragte er mit Schreiben vom 12.05.2006 bei dem Veterinär- und
Lebensmittelüberwachungsamt des Landkreises X eine Ausnahmegenehmigung zur
Auslieferung der Tiere.
24
Dieser Antrag wurde durch Bescheid des Landrates X am 16.05.2006 abgelehnt. Zur
Begründung wurde auf die Anweisung des XXX verwiesen, wonach "bis zur
Notifizierung einer EU-Entscheidung keine Ausnahmegenehmigungen zum Verbringen
von Zucht- und Nutztieren zu erteilen seien". Die Begründung wies ferner darauf hin,
dass diese Maßnahme dazu diene, die Weiterverbreitung der Schweinepest zu
verhindern und weiteren Restriktionen in Form von Handelsbeschränkungen
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vorzubeugen. Außerdem enthielt der Bescheid folgende Formulierung: "Ich gehe jedoch
davon aus, dass in wenigen Tagen Handelserleichterungen beschlossen werden, so
dass dann über ihren Antrag – soweit er aufrecht erhalten bleibt – neu entschieden
werden kann."
Der Kläger legte gegen den ablehnenden Bescheid unter dem 18.05.2006 Widerspruch
ein. Seinen Widerspruch begründete er u.a. damit, dass die Schweinepest-
Schutzverordnung rechtswidrig sei, weil sie die den Restriktionen unterliegenden
Gebiete willkürlich und nicht sachgerecht festlege. Der Widerspruch wurde am
05.01.2007 vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz O wegen
zwischenzeitlich eingetretener Erledigung als unzulässig zurückgewiesen.
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Die neue Entscheidung der Kommission, die abgewartet werden sollte, erging am
15.05.2006 (Nr. 2006/346/EG) und wurde am 16.05.2006 im Amtsblatt veröffentlicht. Sie
sah ein grundsätzliches Verbringungsverbot für Schweine im Regierungsbezirk N vor.
Nach Art. 2 Abs. 2 lit. b) der Entscheidung konnten Ausnahmen für die Verbringung von
Schweinen von einem Betrieb in den betroffenen Gebieten frühestens zum 16.05.2006
genehmigt werden.
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Der Kläger behauptet, er habe aufgrund des Verbringungsverbotes den Auftrag vom
11.05.2006 nicht ausführen können. Nach Aufhebung des Verbotes habe er die 65 Tiere
nicht mehr als Zuchttiere, sondern nur noch als Schlachttiere mit einem erheblichen
Preisabschlag verkaufen können. Die Differenz zwischen dem Verkaufspreis einer
Zuchtsau und eines Schlachttieres habe im Mai 2006 zwischen 90,- und 100,- Euro pro
Tier betragen. Insgesamt sei ihm damit mindestens ein Schaden in Höhe der
Klageforderung entstanden. Er ist der Auffassung, dass ihm dieser Schaden durch das
beklagte Land zu erstatten sei, da die Weisungen des XXX, keine
Ausnahmegenehmigungen zur Verbringung der Tiere mehr zu erteilen, rechtswidrig
gewesen seien und damit eine Amtspflichtverletzung begründen würden.
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Der Kläger beantragt,
29
das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 5.500,- Euro zu zahlen.
30
Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
32
Das beklagte Land beruft sich gegenüber den von dem Kläger geltend gemachten
Ansprüchen auf die Einrede der Verjährung .
33
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der
zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst den zur Gerichtsakte gereichten
Anlagen ergänzend Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
35
Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein Schadensersatz- oder
Entschädigungsanspruch aufgrund rechtswidrigen hoheitlichen Handelns zu. Auch auf
einen Entschädigungsanspruch für rechtmäßige Maßnahmen lässt sich sein Begehren
nicht stützen.
36
I.
37
Dem Kläger stehen keine Ansprüche wegen rechtswidrigem Hoheitshandeln zu. Es sind
weder die rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines Amtshaftungsanspruchs
gemäß § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG noch diejenigen für einen
Entschädigungsanspruch gemäß § 39 Abs. 1 lit. b) OBG NRW erfüllt.
38
1.
besteht nicht.
39
a) Es kann bereits nicht festgestellt werden, dass das beklagte Land durch den Erlass
der "Stand-Still"-Weisung nicht nur eine gegenüber der Allgemeinheit, sondern gerade
auch eine den Interessen des Klägers dienende Amtspflicht wahrgenommen hat.
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Ob der Geschädigte i. S. des § 839 Abs. 1 BGB "Dritter” ist, richtet sich danach, ob die
Amtspflicht - wenn auch nicht notwendig allein, so doch auch - den Zweck hat, gerade
sein Interesse wahrzunehmen. Nur wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden
und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des
Amtsgeschäfts ergibt, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis zählt, dessen
Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts
geschützt und gefördert werden sollen, besteht ihm gegenüber bei schuldhafter
Pflichtverletzung eine Schadensersatzpflicht. Hingegen ist anderen Personen
gegenüber, selbst wenn die Amtspflichtverletzung sich für sie mehr oder weniger
nachteilig ausgewirkt hat, eine Ersatzpflicht nicht begründet. Es muss mithin eine
besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten
"Dritten” bestehen (BGH NJW 1977, 1875; NJW 1976, 186; NJW 1974, 1764). Dabei
muss eine Person, der gegenüber eine Amtspflicht zu erfüllen ist, nicht in allen ihren
Belangen immer als "Dritter” anzusehen sein. Vielmehr ist jeweils zu prüfen, ob gerade
das im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung
des Amtsgeschäfts geschützt werden soll (BGH NJW 1974, 1764).
41
Vorliegend kann eine derart geforderte besondere Beziehung zwischen der verletzten
Amtspflicht und dem Kläger nicht angenommen werden.
42
Bei der Weisung des XXX handelte es sich um eine ermessenslenkende
Verwaltungsvorschrift. Verwaltungsvorschriften kommt aufgrund der durch sie
eintretenden Selbstbindung der Verwaltung eine gesetzesähnliche Wirkung zu. Die bei
ihrem Erlass bestehenden Amtspflichten sind hinsichtlich ihrer Drittbezogenheit deshalb
nicht anders zu beurteilen als bei formellen Gesetzen und Rechtsverordnungen (BGH,
NJW 1984, 2216, 2218). Gesetze und Verordnungen enthalten aber durchweg generelle
und abstrakte Regeln. Dementsprechend nimmt der Gesetzgeber in der Regel nur
Aufgaben wahr, die ihm gegenüber der Allgemeinheit obliegen und denen die Richtung
auf bestimmte Personen und Personenkreise mangelt. Nur ausnahmsweise - etwa bei
sogenannten Maßnahmegesetzen oder Einzelfallgesetzen - kann etwas anderes in
Betracht kommen und können Belange bestimmter Einzelner berührt werden, so dass
sie als "Dritte” i. S. des § 839 BGB angesehen werden könnten (vgl. NJW 1971, 1172).
43
Ein solcher Fall besonderer individueller Betroffenheit liegt hier nicht vor. Das
anweisende Ministerium hat durch seine Weisung eine die Anwendung des § 2 Abs. 3
Schweinepest-Schutzverordnung betreffende generell-abstrakte Anordnung gegenüber
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den ausführenden Behörden getroffen. Die Anordnung diente erkennbar dem Zweck, im
Hinblick auf die erwartete EU-Entscheidung sowie zur Vermeidung einer weiteren
Verbreitung der Schweinepest eine einheitliche Handhabe hinsichtlich der
Tiertransporte im Kerngebiet durch die Behörden herbeizuführen. Damit stellte die
Weisung aber lediglich eine innerdienstliche Bestimmung dar, die sich nicht an oder
gegen Einzelne richtete, sondern nur die Interessen der Gesamtheit berührte.
b) Unabhängig davon scheidet ein Anspruch gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG aber
auch deshalb aus, da die Weisungen des XXX vom 05.05. und 15.05.2006 rechtmäßig
waren.
45
Grundsätzlich müssen ermessensleitende Verwaltungsvorschriften den Rahmen der
gesetzlichen Ermächtigung einhalten und dem Zweck der Ermächtigung entsprechen.
Für die generelle Ermessensausübung durch abstrakt-generelle Verwaltungsanweisung
gelten dabei dieselben Maßstäbe wie für Ermessensentscheidungen im Einzelfall
(Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2009, § 24 Rn. 31). Für die nordrhein-
westfälischen Ordnungsbehörden besteht insoweit zusätzlich eine besondere
Normierung in § 9 OBG NRW. Für eine Verwaltungsvorschrift, welche eine
gleichmäßige Ermessensausübung gewährleisten soll, ist – solange wie hier keine
Zweifel daran bestehen, dass nach wie vor mehrere Entscheidungen der Behörde im
Rahmen der Ermessensausübung rechtmäßig sind, d.h. nicht bereits eine
Ermessensreduzierung auf Null vorliegt - § 9 Abs. 2 OBG NRW maßgeblich. Hiernach
kann die Aufsichtsbehörde zur zweckmäßigen Erfüllung der ordnungsbehördlichen
Aufgaben insbesondere allgemeine Weisungen erteilen, um die gleichmäßige
Durchführung einer Aufgabe zu sichern (lit.a.). Diesen Anforderungen ist das XXX
gerecht geworden. Insbesondere waren die fraglichen Weisungen nicht
unverhältnismäßig.
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Bei der Beurteilung nicht unberücksichtigt bleiben dürfen die aufgrund des
europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes zulässige Orientierung an der im
Beratungsprozess befindliche neue Entscheidung der Kommission einerseits und die im
Rahmen der Seuchenbekämpfung bestehenden erheblichen Prognoseunsicherheiten
andererseits. Letztere rechtfertigen auch eine an Verdachtsmomenten orientierte
Gefahrenvorsorge und eine gröbere, weil praxistaugliche Pauschalierung, wie sie
beispielsweise mit der Orientierung an den Gebietsgrenzen der Regierungsbezirke
durch die Kommissionsentscheidungen und deren Umsetzung in der Schweinepest-
Schutzverordnung erfolgt war.
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Für die Rechtmäßigkeit der Weisungen des Landesministeriums entscheidend ist
jedoch, dass sich diese am Normzweck des § 2 Abs. 3 Schweinepest-
Schutzverordnung orientierten und eine verhältnismäßige generelle
Ermessensausübung hinsichtlich der Gewährung von Ausnahmegenehmigungen für
Schweinetransporte im Gebiet des Regierungsbezirks N vorsahen.
48
Normzweck der Ausnahmegenehmigungsmöglichkeiten des § 2 Abs. 3 Schweinepest-
Schutzverordnung ist die Zulassung wirtschaftlich sinnvoller Tierverbringungen in
Fällen, in denen keinerlei Gefahr einer weiteren Seuchenverbreitung durch den
Transport droht. Die engen gesetzlichen Voraussetzungen insbesondere für die
Verbringung von Zucht- und Nutztieren und das Erfordernis einer behördlichen
Einzelfallentscheidung zeigen, dass die Effektivität der Gefahrenabwehr im Vordergrund
der Gesamtregelung des § 2 Schweinepest-Schutzverordnung stand. Das Interesse der
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betroffenen Landwirte an wirtschaftlich erforderlichen Transporten von Tieren wurde von
dem anweisenden XXX nicht verkannt: Vielmehr wollte dieses mit dem Aussetzen
sämtlicher Transporte bis zum Erlass der neuen Kommissionsentscheidung gerade
auch drohende, für die Landwirte noch einschneidendere Maßnahmen verhindern.
Auch eine Unverhältnismäßigkeit der Weisungen liegt nicht vor. Der Erlass der
abzuwartenden Kommissionsentscheidung stand unmittelbar bevor – letztlich erging
diese sogar am selben Tag wie die zweite Weisung des Ministeriums. Damit stand von
vornherein fest, dass der vollständige "Stand-still" nur wenige Tage andauern würde.
Das Ziel, die effektive Bekämpfung der Schweinepest auch für die Zukunft zu
gewährleisten und eventuelle durch die Kommission neu angeordnete Beprobungen
nicht übermäßig dadurch zu verkomplizieren, dass Schweine noch zwischen den
Zuchtbetrieben ausgetauscht werden, konnte somit – jedenfalls für einen
überschaubaren kurzen Zeitraum – als vorrangig angesehen werden gegenüber den nur
kurzfristig orientierten wirtschaftlichen Interessen der Landwirte am Transport der
Schweine.
50
2.
OBG NRW zu. Die Weisungen des XXX vom 05.05.2006 und vom 15.05.2006, welche
die nachgeordneten Behörden anwiesen haben, bis zum Erlass der in Vorbereitung
befindlichen Entscheidung der Kommission keine Ausnahmegenehmigungen nach § 2
Abs. 3 Schweinepest-Schutzverordnung zu erteilen, waren – wie bereits unter Ziffer.
I.1.b) ausgeführt – rechtmäßig.
51
3.
ihm als Kreisordnungsbehörde übertragenen Aufgaben im Bereich der Gefahrenabwehr
vorgelegen hat, bedurfte vorliegend keiner Prüfung, da das beklagte Land insoweit nicht
passivlegitimiert ist.
52
II.
53
Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht auf § 39 Abs. 1 lit. a) OBG NRW oder das
Institut des enteignenden Eingriffs zum Ausgleich unvorhersehbarer und unzumutbarer
Nebenfolgen eines rechtmäßigen hoheitlichen Handelns stützen.
54
1.
55
Der Anspruch gemäß § 39 Abs. 1 lit. a) OBG NRW ist subsidiär gegenüber
spezialgesetzlichen Regelungen, vgl. § 39 Abs. 3 OBG NRW, und wird deshalb von den
insoweit abschließenden Sonderregelungen der §§ 66 ff. TierSG zur Entschädigung für
Tierverluste verdrängt. Danach ist aus dem Umstand, dass dem von einer staatlichen
Maßnahme auf Grund des Tierseuchengesetzes Betroffenen nur im Falle der Tötung
des Tierbestandes ein Entschädigungsanspruch zuerkannt wird, abzuleiten, dass für die
anderen Fälle, in denen es nicht zu einer Tötung kommt bzw. eine Tötung nicht
angeordnet wird, grundsätzlich kein Anspruch auf Entschädigung bestehen soll (vgl.
OLG Rostock, NVwZ 2000, 474 ff.). Unabhängig davon würde ein
Entschädigungsanspruch des Klägers gemäß § 39 Abs. 1 lit. a) aber auch voraussetzen,
dass der Kläger als Nichtstörer in Anspruch genommen worden wäre. Dies war jedoch
vorliegend gerade nicht der Fall, da der Kläger als Eigentümer des Ferkelzuchtbetriebes
Zustandsstörer im Sinne des § 18 OBG NRW war.
56
2.
57
Ein Anspruch nach den Grundsätzen über den enteignenden Eingriff besteht für den
Kläger ebenfalls nicht. Dieser allgemeine Aufopferungsanspruch gewährt eine
Entschädigung lediglich für Fälle einer rechtmäßigen Beeinträchtigung des Eigentums
i.S.d. Art. 14 GG, die zu einem Sonderopfer als unvorhersehbare und unzumutbare
Zufallsfolge des Eingriffs führen. Ein Verbringungsverbot für Schweine, das der
Gefahrenvorsorge dient, liegt jedoch im Bereich der Konkretisierung der Sozialbindung
des Eigentums (OLG Rostock, NVwZ 2000, 474 ff.). Insbesondere ist beim Kläger auch
kein die Zumutbarkeitsschwelle überschreitendes Sonderopfer eingetreten.
58
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
59
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1
und 2 ZPO.
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Der Streitwert wird auf 5.500,00 Euro festgesetzt.
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