Urteil des LG Düsseldorf vom 05.11.2010

LG Düsseldorf (kläger, zeuge, beratung, computer, anlage, höhe, bank, kunde, beweisaufnahme, anleger)

Landgericht Düsseldorf, 1 O 473/09
Datum:
05.11.2010
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 O 473/09
Rechtskraft:
- nein -
Tenor:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.223,31 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem
29.11.2009 zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche aus
10 XZertifikaten mit der X .
2.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 743,63 € nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem
29.11.2009 zu zahlen.
3.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
4.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus
diesem Urteil zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger macht aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau, der Zeugin X , Ansprüche
auf Schadenersatz wegen Schlechterfüllung eines Beratungsvertrags in
Zusammenhang mit dem Erwerb von Topzins Zertifikaten der X gegen die Beklagte
geltend. Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
2
Der Kläger und seine Ehefrau, die Zeugin X , sind langjährige Kunden der Beklagten.
Vor dem Erwerb der hier streitgegenständlichen X am 27.03.2007 setzte sich das bei
der Beklagten angelegte Vermögen der Eheleute X ausweislich des Finanzstatus vom
28.02.2007 vornehmlich aus Festgeld (30.000,00 €), einem Betrag von rund 6.300,00 €
auf dem Girokonto sowie in Höhe von insgesamt 13.934,72 € aus verschiedenen
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Wertpapieranlagen zusammen. Auf den Finanzstatus, Anlage K 2 zur Klageschrift, wird
Bezug genommen.
Am 27.03.2007 kam es in den Geschäftsräumen der Beklagten in der Filiale in X zu
einem Beratungsgespräch, an dem der Kläger, die Zeugin X und der Zeuge X
teilnahmen. Im Anschluss an dieses Beratungsgespräch verkauften der Kläger und die
Zeugin X ihre bis dahin gehaltenen Anteile an dem Rentenfonds X und kauften mit dem
Erlös 10 Stück XZertifikate (X ) zu einem Kurs von 1.020,00 € je Stück, die
streitgegenständlichen Papiere.
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Der Kläger behauptet, er und seine Ehefrau hätten ihr Vermögen insgesamt konservativ
und sicherheitsorientiert angelegt, auch bei anderen Kreditinstituten hätten sie keine
riskanten Anlagen gehabt. Von dieser konservativen und sicherheitsorientierten
Strategie hätten sie auch nie abrücken wollen. Bei dem Beratungsgespräch hätten sie
dem Zeuge X auf die von ihm ausgesprochene Empfehlung hin erklärt, sie wüssten
nicht, was ein Zertifikat sei und sie wollten nur sichere Anlagen tätigen. Der Zeuge X
habe ihnen daraufhin bestätigt, dass das Zertifikat sicher sei, es sei an den Dow Jones
Euro Stoxx 50 gekoppelt. Zwar könnten während der Laufzeit Kursschwankungen
eintreten, am Ende der Laufzeit werde aber der angelegte Betrag zurückgezahlt, das
einzige Risiko bestünde darin, dass keine Zinsen gezahlt würden, wenn der Dow Jones
Euro Stoxx 50 um 50% fallen würde. Letzterer Fall sei aber absolut unwahrscheinlich,
anderer Risiken bestünden nicht. Als sie, der Kläger und die Zeugin X , kein Interesse
an dem Kauf des Zertifikats gezeigt hätten, habe der Zeuge X sinngemäß erklärt, mit
ihnen könne man wohl nicht ins Geschäft kommen, man könne für sie nichts Gutes tun,
weil sie kein Vertrauen hätten.
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Dies habe er, der Kläger, nicht auf sich sitzen lassen wollen und daraufhin seien sie
dann der Empfehlung des Zeugen X gefolgt, hätten die Anteile am Rentenfonds verkauft
und den Erlös zum Kauf der 10 Stück Zertifikate gekauft. Weder sei ihnen der
Emissionsprospekt noch eine Produktbeschreibung ausgehändigt worden von dem
Zeugen X , dieser habe vielmehr auf ihre Nachfrage hin erklärt, diese seien wegen der
hohen Nachfrage vergriffen.
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Circa vier Wochen später hätten sie dann die Produktbeschreibung wie Anlage K 4 zur
Klageschrift erhalten. Weil er, der Kläger, dieser zu entnehmen meinte, dass die
Zertifikate doch ein anderes Kursrisiko hätten als das, was der Zeuge X im Termin
beschrieben hatte, habe er, der Kläger, sofort mit dem Zeugen X einen neuen
Besprechungstermin vereinbart. Bei diesem Termin hätten sie beide, er und die Zeugin
X , dem Zeugen X vorgehalten, dass in der Produktinfo etwas ganz anderes drinstehe,
als er erklärt habe, und hätten die Zertifikate sofort wieder verkaufen wollen. Daraufhin
habe der Zeuge X aber geäußert, dass ein Rückgang des Dow Jones Euro Stoxx 50 um
50% ganz sicher nicht eintreten werde, am Ende der Laufzeit würden sie den
angelegten Betrag sicher zurück erhalten, sie könnten jetzt aber die Zertifikate nur mit
einem Kursverlust von 500,00 € verkaufen, er empfehle daher, sie zu halten. Daraufhin
hätten sie sich entschlossen, die Zertifikate nicht zu verkaufen.
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Der Kläger ist der Ansicht, die Aufklärung über Funktionsweise und Risiken des
verkauften Zertifikats durch den Zeugen X sei in vielerlei Hinsicht falsch gewesen. Die
Empfehlung, die X zu kaufen, habe auch nicht zu der bisherigen, der Beklagten
bekannten Anlagestrategie der Eheleute X gepasst. Hierzu macht er weitere
umfangreiche Ausführungen.
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Die Angaben in dem Risikoprofil seien teilweise nicht mit den Aussagen
übereinstimmend, welche die Zeugin X und er tatsächlich gegenüber dem Zeugen X
gemacht hätten. So hätten sie niemals einer Aussage des Inhalts zugestimmt, "Ich
möchte gerne höhere Renditen erzielen und bin dafür bereit, Risiken zu akzeptieren."
Eine solche Angabe stehe in Widerspruch zu ihrem ganzen bisherigen Anlageverhalten.
Auch sei ihnen die Eingabemaske, auf welche sich die Beklagte beziehe, völlig
unbekannt. Entsprechende Angaben über Risikoklassen oder Erfahrungen mit
Wertpapieren, wie sie die Beklagte behaupte, hätten sie nicht gemacht, auch gar nicht
machen können, da ihnen die meisten in dem Risikoprofil genannten Anlageformen
überhaupt nichts sagen würden. Die letztlich gewählte Risikoklasse 4 sei vom
Computerprogramm automatisch generiert worden, eine konkrete Frage, ob sie lieber
eine niedrigere oder höhere wählen wollten, sei nie gestellt worden. Auch die zukünftige
Anlagestrategie sei vom Computer generiert worden, eine Entscheidung dahingehend,
dass man "ertragsorientiert" einen Risikoanteil von 70% bewusst wähle, sei von ihnen
nicht getroffen worden. Derartige Wahlmöglichkeiten seien ihnen von Herrn X überhaupt
nicht eingeräumt worden, hierüber sei auch nicht gesprochen worden. Auch über die
fehlende Einlagensicherung sei nicht aufgeklärt worden, ebenso wenig darüber, dass es
sich um ein Produkt einer ausländischen Bank handle. Hierzu macht er weitere
Ausführungen.
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Eine Produktinformation sei definitiv nicht zum Beratungstermin übergeben worden,
sondern erst später übersandt.
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Der Anlass für das Beratungsgespräch sei auch nicht von ihnen, den Kunden,
ausgegangen, sondern, wie immer, von der Bank. Vermutlich sei Anlass konkret
gewesen, dass das Festgeld in Höhe von 30.000,00 € am 12.03.2007 fällig geworden
sei.
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Als Schaden macht der Kläger den Kaufpreis für die Zertifikate in Höhe von 10.200,00 €
abzüglich eines tatsächlich gezahlten Bonus, insgesamt 9.650,00 € sowie die auf die
verkauften Anteile des Rentenfonds X entfallenden Ausschüttungen in Höhe von 573,31
€ geltend. Hätte sie der Zeuge X , so der Kläger, nicht falsch zum Verkauf der X -Anteile
sowie zum Kauf der X Papiere beraten, hätten sie die X -Anteile nicht verkauft und
folglich die entsprechenden Ausschüttungen auch realisiert.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.223,31 € zuzügliche Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Eheleute X hätten bereits vor dem hier streitgegenständlichen Kauf in Wertpapieren
investiert, so unter anderem in den X Fund, der in die Risikoklasse 3 einzustufen sei, in
den Threadneedle American Investment Fund, der in die Risikoklasse 4 eingestuft sei,
in den X Fund, der in die Risikoklasse 2 eingestuft ist und den X Aktienfonds, der in die
Risikoklasse 3 eingestuft werde. Insgesamt wiederlege diese Anlageerfahrung die
Behauptung des Klägers, er und seine Frau seien konservative und
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sicherheitsorientierte Anleger gewesen. Vielmehr habe es sich, insbesondere auch bei
der Zeugin X , um erfahrene und ertragsorientierte Anleger gehandelt, welcher über
Erfahrungen und Kenntnisse auch der höheren Risikoklassen verfügt hätten. Aufgrund
der bereits vorher getätigten Geschäfte seien ihnen auch die mit Wertpapiergeschäften
verbundenen Risiken durchaus bekannt gewesen.
Unter Beachtung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten
Grundsätze sei hier eine anleger- und anlagegerechte Beratung der Eheleute X durch
den Zeugen X erfolgt. Dafür sei gemeinsam mit den Eheleuten X ein Anlegerprofil im
CFP-System der Beklagten am Computer erstellt worden, was die Kunden bei der
Erfassung ihrer Daten am Computer mit verfolgt hätten. Die Wertpapiere seien
vorliegend von der Zedentin erworben worden, so dass es sich bei dem Profil vom
27.03.2007, das anlässlich des Beratungsgesprächs erstellt worden sei, um ihres
handle. Auf das Profil, Anlage zur Klageschrift und Anlage B 4 zur Klageerwiderung,
wird Bezug genommen.
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Die in das Profil eingegebenen Daten seien konkret von der Kundin erfragt und mit
dieser zusammen Schritt für Schritt in den Computer eingegeben worden. Dies gelte
insbesondere für die Angaben zur Risikobereitschaft. Nach ihren Angaben habe die
Kundin eine geringe bis mittlere Risikoneigung angegeben. Sie sei dann konkret zu
jeder Risikoklasse um Auskunft gebeten worden, über welche Kenntnisse und
Erfahrungen sie insoweit verfüge. Hier habe sie dann angegeben, in allen
Risikoklassen über Kenntnisse und Erfahrungen zu verfügen, daher sei für zukünftige
Wertpapiergeschäfte die Risikoklasse 4 als maximale Risikoklasse angegeben worden.
Dies habe sie mit ihrer Unterschrift auch bestätigt. Diesen Kundenangaben folge auch
die ausgesprochene und vom Kunden angenommene Empfehlung, die X X Papiere zu
kaufen. Im Gegenteil habe sich die Kundin ausdrücklich dahingehend geäußert,
abweichend vom Vorschlag der Beklagten (aufgrund Profilangaben Risikoanteil bis
55%, Strategie "ausgewogen") die risikoreichere Variante "Ertrag" mit einem maximalen
Risikoanteil von 70% zu wählen. Im Gegensatz zu 2005, als das Risikoprofil ebenfalls
die Strategie "ausgewogen" seitens der Beklagten nahegelegt habe und sich die
Kundin dieser Empfehlung der Beklagten auch angeschlossen habe, habe sie sich
2007 entgegen dieser Empfehlung der Beklagten für eine risikoreichere Strategie
entschieden und dies mit ihrer Unterschrift ausdrücklich bestätigt.
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Im Weiteren habe Herr X die Zedentin vollständig und richtig über die gewählte Anlage
beraten. Er habe dies auf Grundlage einer detaillierten Produktinformation in Form eines
Produktflyers gemacht, der Stück für Stück mit den Kunden besprochen worden sei.
Auch sei es abwegig, dass der Zeuge X angegeben haben solle, der Flyer sei vergriffen,
da er diesen jederzeit aus dem PC hätte ausdrucken können. Dementsprechend hätten
auch der Kläger und die Zeugin X einen ausgehändigt erhalten. Sie habe dies selbst
auch mit ihrer Unterschrift unter die Wertpapiersammelorder vom 27.03.2007 so
bestätigt. Der Wunsch nach einer sicheren Kapitalanlage sei von der Zeugin X nicht
geäußert worden, vielmehr hätte diese den Wunsch nach einer höheren Rendite
geäußert. Auch habe nicht der Zeuge X zum Verkauf der Anteile an dem Rentenfonds
geraten. Der gesamte Ablauf des Beratungsgesprächs wird bestritten. Der Zeuge X
habe entsprechend den Erläuterungen in der Produktinformation darauf hingewiesen,
dass der Anleger am Laufzeitende den Nominalwert seins eingesetzten Vermögens nur
zurückerhält, wenn der Basiswert am abschließenden Bewertungstag (in diesem Fall
der 30.03.2012) nicht auf oder unter 50% seines Werts am anfänglichen Bewertungstag
(30.03.2007) liege. Herr X habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für den Fall des
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Unterschreitens dieser 50%-Schwelle (Risikopuffer) sich die Auszahlung am
Laufzeitende im Verhältnis 1:1 zur Entwicklung des Basiswertes im Vergleich zum
Ausgangswert richten würde. Hierzu macht die Beklagte weitere umfangreiche
Ausführungen.
Die Behauptung, dass die Beklagte über den Ausgabenaufschlag von 2%, auf welchen
die Kunden hingewiesen worden seien, eine "Provision" von 3,5% erhalte, wird
bestritten.
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Das Gericht hat den Kläger nach § 141 ZPO persönlich angehört und Beweis erhoben
gemäß Beschluss vom 09.09.2010 durch Vernehmung der Zeugen X und X . Wegen
des Ergebnisses der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf die
Sitzungsniederschrift vom 09.09.2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
22
Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1,
398 BGB wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten aus einem Beratungsvertrag.
23
1.
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Zwischen den Parteien ist stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen.
Vom Abschluss eines derartigen konkludent abgeschlossenen Beratungsvertrags ist
immer dann auszugehen, wenn der Rat für den Empfänger erkennbar von erheblicher
Bedeutung ist, er ihn zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse machen will und der
Auskunftsgeber über eine spezielle Sachkunde verfügt oder ein eigenes wirtschaftliches
Interesse verfolgt (vgl. BGHZ 123, S. 126 f. sowie Landgericht Hamburg, Az.: 31 O 4/09,
Urteil vom 23.06.2009 mit weiteren Literaturhinweisen).
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Der Kläger und die Zeugin X sind vorliegend unstreitig bei der Anlage der insgesamt
10.200,00 € von dem Mitarbeiter X der Beklagten beraten worden, so dass diese
Voraussetzungen vorliegen. Für die Beklagte bzw. deren Mitarbeiter X , für welchen die
Beklagte gemäß § 278 BGB haftet, war dabei erkennbar, dass die weitere
Anlageentscheidung angesichts der Höhe des anzulegenden Geldes von erheblicher
wirtschaftlicher Bedeutung für den Kläger und seine Ehefrau war.
26
2.
27
Der Kläger hat bewiesen, dass die Beklagte, diese vertreten durch den Mitarbeiter X ,
ihm beziehungsweise der Zeugin X gegenüber ihre Beratungspflichten verletzt hat.
Dabei ist nach der Rechtsprechung davon auszugehen, dass die Beratung anleger- und
anlagegerecht zu erfolgen hat. Hier fehlt es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
sowohl an einer anleger- wie an einer anlagegerechten
der Beklagten, den Zeugen X .
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Die anlegergerechte Beratung bezieht sich auf die Person und insbesondere die
wirtschaftlichen Verhältnisse dessen, der die Beratung in Anspruch nimmt.
Entscheidend für die Pflichten der Bank sind insoweit die Wünsche und Vorstellungen
des Kunden und Beratungsempfängers, ferner sein Informationsstand und
Erfahrungshorizont sowie seine objektiven wirtschaftlichen Interessen und seine
finanzielle Situation. Wichtig hierfür ist die Einordnung des Kunden als in solchen
Geschäften entweder unerfahrenen, "unprofessionellen" Privatkunden oder als
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ausreichend erfahrenen, versierten und informierten professionellen Anleger. Eine
anlegergerechte Beratung setzt demnach voraus, dass die Bank den Wissensstand des
Kunden über Anlagegeschäfte der vorgesehenen Art, seine Risikobereitschaft und sein
Anlageziel tatsächlich berücksichtigt.
Die anlagegerechte Beratung (objektgerechten Beratung) bezieht sich auf die konkret
gewünschte oder als möglich ins Auge gefasste Anlageform. Hier richten sich die
Pflichten der Bank in erster Linie danach, welche Anlageobjekte gewollt und mit
welchen Vermögensrisiken sie verbunden sind. Eine objektgerechte Beratung erfordert
demnach eine Aufklärung des Kunden über die allgemeinen Risiken sowie die
speziellen Risiken, die sich aus den besonderen Umständen des Anlageobjekts
ergeben (vgl. BGH in NJW 2006, S. 2041). Während eine Aufklärung über diese
Umstände richtig und vollständig zu sein hat, muss die Bewertung und Empfehlung
eines Anlageobjekts unter Berücksichtigung der genannten Gegebenheiten ex ante
betrachtet lediglich vertretbar sein. Der Kunde trägt damit das Risiko, dass sich seine
Anlageentscheidung im Nachhinein als falsch erweist.
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Bei Beachten dieser Erfordernisse ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme
erwiesen, dass die Beklagte konkret mit ihrer Beratung hinsichtlich des Erwerbs des
Topzins Zertifikats den Eheleuten X zu etwas geraten hat, das im
konkreten
zu den geäußerten Wünschen und Vorstellungen der Anleger passte und worüber diese
vor ihrer Anlageentscheidung auch nicht zutreffend aufgeklärt wurden.
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Nach dem unstreitigen Sachverhalt handelte es sich bei den Eheleuten X im März 2007
zum Zeitpunkt des Kaufs der hier streitgegenständlichen Zertifikate um Anleger, die den
Großteil ihres Vermögens, 30.000,00 €, in Festgeld angelegt hatten, einen weiteren
Betrag von rund 6.200,00 € auf dem Girokonto hatten sowie kleinere Beträge, von nicht
mehr als 2.500,00 €, in Namensaktien von X und in den X angelegt sowie einen
größeren Betrag, rund 9.700,00 € in Anteile eines X Funds, bei dem es sich um
festverzinsliche Wertpapiere, Anleihen, handelte. Hintergrund des Beratungsgesprächs
am 27.03.2007 war zunächst das Freiwerden des Festgeldes, also des
"konservativsten" Teils der von den Eheleuten X getätigten Anlagen.
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Der Kläger hat, angehört nach § 141 ZPO, nachvollziehbar dargelegt, dass Anlass des
Beratungsgesprächs die Wiederanlage dieses frei gewordenen Festgeldes gewesen
sei, welches sie aber, wegen des kurz zuvor erlittenen Diebstahls ihres Autos in X , nicht
hätten angreifen wollen, weil sie das Geld eventuell hierfür benötigt hätten. Sie hätten
daher an sich im März 2007 auch andere Sachen im Kopf gehabt, als ausgerechnet
Geld anzulegen. Im Ergebnis sei deshalb auch das Festgeld nicht genommen worden.
Zutreffend ist, dass tatsächlich 10.000,00 € von dem Festgeld wiederum fest angelegt
wurden, der Rest wurde im Ergebnis für den Kauf eines neuen Autos verwendet.
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Der Herr X habe ihnen bei dieser Gelegenheit aber auch gesagt, das Geld aus dem
Rentenfonds X dümpele einfach nur so rum und würde nichts wirklich bringen, er wisse
da etwas besseres für die Kunden. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers war bei
ihm eine sehr stark verkürzte Erklärung des "Risikopuffers" hängen geblieben (vgl. Seite
4 des Protokolls vom 09.09.2010), er habe die X Papiere vor diesem Hintergrund für
eine recht seriöse Anlage gehalten. So habe er bei sich im Kopf immer gehabt "10%,
20%, man hört immer, das kann ja nicht gut gehen", aber diese 5%, die der Herr X als
Zinsen in Aussicht gestellt habe, die habe er für realistisch, für nicht überzogen
gehalten. Der Kläger hat auch angegeben, noch nachgefragt zu haben, ob der Zeuge X
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ihnen nicht was mitgeben könne, aber der habe etwas in der Richtung erklärt, wie, das
Produkt sei so gefragt, da habe man jetzt nichts mehr auf Lage, er werde das noch
schicken. Die Zeugin X sei aber nicht so dafür gewesen – im Gegensatz zu ihm, dem
Kläger, der es eigentlich für ganz realistisch gehalten habe.
Der Kläger schildert das Beratungsgespräch relativ detailreich. Er räumt auch durchaus
Dinge ein, die er – wollte er nur seinen eigenen Klagevortrag pauschal bestätigen –
auch hätte weglassen können, so zum Beispiel, dass er auf Nachfrage hin von dem
Zeugen X ausdrücklich über den Ausgabenaufschlag aufklärt worden sei und das, so
der Kläger, auch für normal empfunden habe, dass es den gebe. Er hat auch
eingeräumt, dass eigentlich er für die Sache gewesen sei, seine Frau aber mehr
dagegen. Dies sind Anzeichen, die für eine Erlebnisbasiertheit der Schilderung
sprechen.
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Auch die Schilderung der eigentümlichen Aussage "Wenn Sie sich nicht etwas Gutes
tun lassen wollen, dann ist Ihnen nicht mehr zu helfen", die individuell und
ungewöhnlich ist, spricht für die Erlebnisbasiertheit der Angaben des Klägers.
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Er hat auch aus eigenem Antrieb nach Diktat den Termin vier Wochen nach diesem
Beratungstermin vom 27.03.2007 beschrieben, konnte also in der Erinnerung zwischen
den verschiedenen Zeitebenen hin- und herwechseln und das Geschehene nicht nur
linear berichten, was ebenfalls für die Erlebnisbasiertheit der Schilderung des Klägers
spricht.
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Auch die weitere geschilderte Komplikation – erneuter Termin, in dem der Zeuge X
konfrontiert wird –, die für die bloße "Bestätigung" des Klägervortrags – kein Flyer
erhalten – überflüssig wäre, wonach man also doch noch einen Flyer bekommen hatte,
den sich auch durchlas und feststellte "Da steht ja jetzt was ganz anderes drin, als ich
verstanden hatte", spricht ebenfalls für die Erlebnisbasiertheit auch dieses Teils der
klägerischen Schilderung.
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Der Kläger hat auch eingeräumt, dass Teile des Risikoprofils abgefragt worden sind von
dem Zeugen X , aber andere Antworten gegeben worden seien, dass immer die
absolute Sicherheit im Vordergrund gestanden habe. Er hat zum Beispiel auch
eingeräumt, dass er sich nicht ganz sicher sei, ob nicht der Herr X selbst den
Produktflyer gehabt habe, aber er, der Kläger, und die Zeugin X hätten ihn jedenfalls
vorher nicht bekommen.
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Der Kläger hat freimütig geschildert, was er von den Erläuterungen des Zeugen X
verstanden hatte. Seine Angabe, dass immer nur das Positive in den Vordergrund
gestellt worden sei und nie einmal mit klaren Worten gesagt worden sei, wenn das und
das passiert, dann gibt es auch Verluste, ist in sich stimmig. Sie passt zu der
Gesprächssituation, wie der Kläger sie schildert, auch zu den eigenen Gefühlen, die er
berichtet, z.B., dass er sich blöd vorgekommen sei, immer wieder nachzufragen, weil er
bestimmte Sachen nicht verstanden hätte.
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Für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers, was das Thema
"Sicherheitsorientierung" angeht, spricht weiter, dass die Eheleute X , nachdem die X -
Pleite da war, bei einem weiteren Gespräch im Hause der Beklagten ausdrücklich
geäußert hatten – nachdem ihnen erneut ein Wertpapier, diesmal von X angeboten
werden sollte – sie würden solche Sachen auf keinen Fall mehr anfassen, man sollte
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ihnen endlich ein ordentliches Festgeldangebot machen. Dies erfolgt auch und die
Eheleute X legten dann Festgeld mit 4,8% Rendite bei der Beklagten, wobei – wie der
Kläger angab – man sich gewünscht habe, dass ihnen so etwas schon vorher
angeboten worden wäre.
Aus den Angaben des Klägers geht glaubhaft und nachvollziehbar hervor, dass die
Beratung durch den Zeugen X einseitig fokussiert auf die Vorteile der Anlage erfolgte
und in einer Weise, die es dem durchschnittlichen Kunden schwermachte, sich von den
tatsächlichen Vor- und Nachteilen der Anlage ein zutreffendes Bild zu machen.
Symptomatisch hierfür ist die, sehr glaubhafte und eigene Gedankeninhalte und Gefühle
wiedergebende Äußerung des Klägers, wonach er bestimmte Begriffe, die ihm
eigentlich nichts gesagt hätten, so habe durchgehen lassen, weil man auch nicht so
blöd dastehen wolle, wenn man jetzt dauernd nachfrage, weil man etwas nicht
verstanden habe.
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Dies ist emotional stimmig und beschreibt nach Erfahrung des Gerichts nach einigen
duzend Zeugen- und Parteianhörungen in Verfahren wegen "fehlerhafter Bankberatung"
die Situation vieler Anleger geradezu typisch. Während dem Kunden immer wieder in
signalhafter Weise bestimmte Vorteile vor Augen geführt werden und an seine,
durchaus bei allen Menschen vorhandene, Gier appelliert, sich doch derartiges nicht
entgehen zu lassen, werden die Risiken der Anlage systematisch marginalisiert.
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Dies wurde in dem vorliegenden Beratungsgespräch noch dadurch pointiert, dass der
Zeuge X , wie der Kläger geschildert hat, direkt an sein Vorteilsdenken und sein
"Ehrgefühl" appellierte mit den Worten "wenn Sie sich nichts Gutes tun lassen wollen,
ist Ihnen nicht zu helfen." Der Kläger schildert hier konkrete Gesprächsinhalte, die auch
eigentümlich in der Wortwahl sind, was ebenfalls für die Erlebnisbasiertheit spricht.
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Der Kläger hat auch glaubhaft dargelegt, dass der Produktflyer für das
Beratungsgespräch von dem Zeugen X nicht eingesetzt wurde, jedenfalls nicht in einer
Weise, dass dieser in Ruhe, Stück für Stück und so, dass ein nicht mit der
Funktionsweise eines Zertifikats vertrauter Kunde dies auch nachvollziehen könnte,
durchgegangen worden wäre. Ob der Flyer physisch beim Zeugen X vorhanden
gewesen ist, kann insoweit dahinstehen, konnte vom Kläger nicht mehr sicher gesagt
werden.
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Dieser Eindruck von dem Beratungsgespräch, welches der Kläger geschildert hat,
bestätigt und verstärkt sich aufgrund der Angaben der Zeugin X . Die Komplikation,
welche die Zeugin ausführlich schildert, die schon alleine darin bestand, dass der
Zeuge X bereits in "Zivilkleidung" gewesen sei (ebenfalls ein eigentümlicher Ausdruck
für die wohl gemeinte "Freizeitkleidung"), wäre unnötig, wenn es ihr allein darum ginge,
zu belegen, dass das Gespräch kurz gewesen sei. Der Kläger hat bereitwillig
eingeräumt, dass es gut und gerne auch eine Stunde gedauert haben könne, wobei
auch privates – insbesondere die Sache mit dem gestohlenen Auto – zur Sprache
gekommen sei. Ähnliches hat die Zeugin X bekundet, die von rund 40 Minuten ausging.
Die Komplikation mit dem Termin in X und dem lässigen Outfit des Zeugen X , von dem
die Zeugin X nicht begeistert war, ist also nicht "zweckgerichtet" nötig, um
beispielsweise einen bloß viertelstündigen Beratungstermin plausibel zu machen, ein
solcher wird gar nicht behauptet. Sie zeigt aber, dass die Zeugin X auch wegen dieses
(Kleidung) von ihr für bemerkenswert gehaltenen Umstandes noch eine recht gute
Erinnerung an den Termin hat.
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Nach den Angaben der Zeugin ist plausibel, dass zunächst Anlass für das Gespräch
war, das freigewordene Festgeld wieder neu anzulegen, bei dem sie aber klipp und klar
gesagt hätten, das bräuchten sie eventuell für das neue Auto, da würde nichts mit
gemacht. Dann habe der Zeuge X den X Fonds angesprochen, der damals auch nicht
doll gestanden habe und gesagt, das könne man doch eigentlich besser anlegen.
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Vor diesem Hintergrund ist es weiterhin glaubhaft, dass der Kläger und die Zeugin
angegeben haben, sie hätten nach Unterlagen zu den X Papieren gefragt, sie hätten es
eigentlich auch nicht eilig gehabt, man hätte sich auch etwas in Ruhe angucken können.
Nachvollziehbar hatten der Kläger oder die Zeugin X im März 2007 kein dringendes
Bedürfnis, Gelder neu anzulegen, der X Fonds stand nicht doll wie eh und je, das
Festgeld stand nicht zur Debatte, weil unklar war, ob das Auto aus X nochmal wieder
auftaucht – es bestand kein dringendes Bedürfnis für die Kunden, hier schnell Geld
wieder anzulegen.
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Die Initiative, Geld anzulegen und vor allem aus den bisherigen Anlagen heraus und in
das Zertifikat hinein zu gehen, ging, davon ist nach der Durchführung der
Beweisaufnahme das Gericht überzeugt, von der Bank, konkret dem Zeugen X , und
nicht von den Kunden aus.
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Auch die Komplikation, welche die Zeugin X berichtet, wonach der Zeuge X bemerkte,
dass die Bereitschaft der Kunden nicht so groß war, sich mit diesen X Papieren
anzufreunden und daraufhin anfing, lautstark seine Unterlagen zu ordnen, ist
eigentümlich und spricht für die Erlebnisbasiertheit dieser Angaben der Zeugin X .
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Dieses Verhalten steht in Einklang mit der geschilderten Aussage des Zeugen X , man
wolle sich nichts Gutes tun lassen, dann sei einem nicht zu helfen und der durch ihn
inszenierten Ungehaltenheit über das "mangelnde Vertrauen" der Kunden, durch
welche diese verunsichert werden sollten.
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Es gab keinen Grund, warum die Eheleute X am 27.03.2007 nicht in aller Ruhe hätten
sich einen Produktflyer des Zertifikats mit nach Hause nehmen und diesen studieren
können, um dann – bei Interesse – wieder auf die Beklagte zuzukommen. Dies war aber
ganz allgemein nicht das Interesse des Zeugen X .
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Die vom Kläger und der Zeugen X nachvollziehbar geschilderte Beratungssituation trägt
vielmehr Züge einer durch den Zeugen X künstlich geschaffenen sozialen
Drucksituation, in der sich der Kläger und die Zeugin als "Verlierer" fühlen sollten,
würden sie das Top-Angebot zum Ankauf der Zertifikate nicht annehmen.
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Die Zeugin X hat auch geschildert, dass sie in dem Gespräch mal geäußert habe, ob der
Zeuge X denn nicht etwas wie ein Festgeld oder so anbieten könne, da seien sie
eigentlich mehr dran interessiert. Dass die Eheleute X dies tatsächlich im "Visier" hatten
und dies ihren wahren Bedürfnissen entsprach, zeigt sich daran, dass sie die
Festgeldanlage später von der Mitarbeiterin der Beklagten, Frau X , auch eingefordert
und tatsächlich auch erhalten haben .
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Die Zeugin X hat offen eingeräumt, dass sie sich die ihr überreichten Unterlagen vor
dem Unterschreiben nicht noch einmal durchgelesen hatte, das sei "dumm" von ihr
gewesen, eine "Selbstbeschuldigung", die ebenfalls für die subjektive Wahrhaftigkeit
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der Aussage spricht.
Sie sei allerdings sehr enttäuscht gewesen, dass das, was in dem ausgefüllten
Risikoprofil drinstehe nicht mit dem übereinstimme, was sie angegeben hätten. Auch hat
sie glaubhaft geschildert, dass das eigentliche Verlustrisiko, welches die Anlage barg –
wenn nämlich die "Sicherheitsschwelle" durchbrochen werden würde – in dem
Beratungsgespräch so gar nicht thematisiert worden sei, dies habe sie sich dann erst
anhand des später übersendeten Flyers erschlossen, jedenfalls mehr oder weniger.
Tatsache ist, dass weder der Kläger noch die Zeugin X bis heute eine wirklich
zutreffende Vorstellung von der Funktionsweise und den Eigentümlichkeiten des
Zertifikats haben.
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Es mag sein, dass der Flyer nie "ausgehen" konnte, weil er im Computer als pdf-Datei
vorlag und jederzeit ausgedruckt hätte werden können. Das bedeutet nicht, dass der
Zeuge X ihn auch konkret eingesetzt hat und die Aussage, welche vom Kläger und von
der Zeugin X berichtet wurde, wonach das Produkt so gut gehe, man habe keinen mehr
auf Lager, nicht gefallen sein kann. Diese Aussage steht nämlich im Einklang mit dem
schon beschriebenen Gesamtszenario, wonach sich die Eheleute X als "Trottel" fühlen
sollten, wenn sie so ein tolles Produkt wie das Zertifikat nicht haben wollten – das so gut
ging, dass selbst keine Flyer mehr zu bekommen waren.
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Das Gericht verkennt nicht, dass es in der Aussage der Zeugin X Belastungs- und auch
Ausweichtendenzen gibt. So, wenn sie auf Nachfrage eigene Gesprächsbeiträge als
unwesentlich schildert – hauptsächlich habe ihr Mann geredet – (der Kläger hatte es
eher umgekehrt dargestellt) und auch Reaktionen des Zeugen X auf ihre Vorhalte nur
vage und wenig konkret wiedergeben kann ("Na, es gibt nichts Negatives zu
berichten…"). Es ist unverkennbar, dass diese Aussageteile wesentlich weniger
detailreich und individuell geschildert werden als andere.
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Auch hatte die Zeugin sich auf zwei Zetteln, die als Anlage zum Protokoll genommen
worden sind, Notizen gemacht, die keineswegs nur Daten zur Gedächtnisunterstützung
enthalten, wie sie auf Nachfrage angegeben hat (nachdem überhaupt erst mal
aufgefallen war, dass sie diese Zettel zur Hand hatte), sondern sehr konkrete
Aussageinhalte (vgl. Bl. 267f d.A.). Die Zeugin hatte sich also gezielt für ihre Aussage
"präpariert".
59
Jedoch spricht dies nicht zwingend für die fehlende Erlebnisbasiertheit der Aussage im
Übrigen. Die Angaben des Klägers und der Zeugin X stehen nämlich in wesentlichen
Teilen in Übereinstimmung mit der Aussage des Zeugen X .
60
Der Zeuge X konnte sich – verständlicherweise – an das konkrete Beratungsgespräch
nicht mehr erinnern. Als Routinehandlung konnte ihm das konkrete Gespräch nicht mehr
in Erinnerung sein, jede andere Angabe hätte vielmehr als Warnzeichen gelten müssen.
Es ist daher zunächst davon auszugehen, dass der Zeuge X auch seine Angaben
subjektiv wahrhaftig gemacht hat.
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Er hat dann den allgemeinen Ablauf eines Beratungsgesprächs bei der Beklagten, bei
der er nicht mehr beschäftigt ist, aus seiner Erinnerung geschildert. Dabei hat er auch
darauf hingewiesen, dass bei einem Produkt, welches nur eine gewisse Zeit verfügbar
gewesen sei – so wie hier das Zertifikat mit einer bestimmten Zeichnungsfrist – er dies
dem Kunden auch direkt angeboten habe. Dies deckt sich mit der Schilderung des
62
Klägers und der Zeugin X insoweit, als hieraus deutlich wird, dass die Idee, überhaupt
so ein Zertifikat für die Eheleute X "ins Rennen zu bringen", von Beklagtenseite
ausging. Es stellt die gesamte Beratungssituation mehr in einen Kontext, in dem ein
Produkt an den Mann (oder in diesem Fall die Frau) gebracht werden sollte und weniger
ein Kunde bedürfnisgerecht und ergebnisoffen beraten werden sollte. Es gab, aus Sicht
des Mitarbeiters der Beklagten gesehen, mit anderen Worten ein Verkaufsgespräch,
weniger ein Beratungsgespräch.
Konkrete Erinnerung daran, warum gerade X s die richtigen für dieses Zertifikat
gewesen sein könnten, hatte der Zeuge X nicht mehr, konnte sich auch an das Zertifikat
selbst nicht mehr erinnern.
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Konkret befragt, wie die Kreuzchen in den Computer kamen (insoweit sei insbesondere
auf Seite 43 und 44 des Protokolls vom 09.09.2010 verwiesen), konnte er sich erinnern,
dass er es
wahrscheinlich
den Computer umgedreht, üblicherweise aber wohl die Fragen vorgelesen. Auf
Nachfrage, ob er das ausnahmslos so gemacht habe, dass der Kunde sagen oder
zeigen konnte, hier kommt das Kreuzchen hin, hat er demgegenüber dies bejaht.
Tatsächlich spricht seine Aussage dafür, dass er dies keinesfalls immer so gehandhabt
hat, insbesondere dann, wenn der Kunde zu erkennen gegeben hatte, dass er die
Angaben auf dem Computer nicht entziffern konnte. Die Angaben des Zeugen waren im
Übrigen pauschal: "Nur wenn der Kunde versteht, was er da kaufen soll, dann kann er
sich auch entsprechend entscheiden." Dies ist zwar das Credo jeder guten Beratung,
besagt aber nichts darüber, wie die Beratung durch den Zeugen X konkret tatsächlich
ausgesehen hatte. Einzelheiten konnte der Zeuge nicht angeben, bejahte aber dann
jedes Mal auf Nachfrage die ihm durch die Frage tatsächlich erst suggerierte
Vorgehensweise, dies wird insbesondere auf Seiten 45f des Protokolls vom 09.09.2010
deutlich.
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Dass das Beratungsgespräch tatsächlich die Risiken und Entscheidungsalternativen
nicht in angemessenem, transparentem Maß thematisiert hat, zeigt sich insbesondere
an dem, was der Zeuge zum Thema "Überschreiten des vom Computer vorgegebenen
Risikoanteils" ausgesagt hat: Für ihn bedeutete dies vor allem, dass dann von der Bank
eine entsprechende Empfehlung nicht ausgesprochen werden durfte (S. 48 des
Protokolls), sondern dass dies dann als Entscheidung des Kunden sein musste, der von
einer Empfehlung der Bank abrückt (S. 49 des Protokolls).
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Diese Entscheidung ist also – insbesondere vor dem Hintergrund, dass der funktionale
Zweck des Risikoprofils nicht den Interessen des Kunden, sondern allein der
Absicherung der Beklagten in gerade solchen Prozessen wie dem vorliegenden dient –
von einiger Bedeutung. Trotzdem konnte sich der Zeuge X nicht erinnern, wie dieser
wichtige Schritt mit dem Kunden eigentlich thematisiert wird: "Da habe ich jetzt keine
Vorstellung mehr von. Aber in der Regel liest sich der Kunde das Ganze ja auch noch
mal durch, bevor er es unterschreibt." (S. 49).
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Auch dieser Unterschriftsvorgang wird dem Kunden jedoch als "Formalie" zum
Abschluss des Kundengesprächs dargestellt – hiervon ist das Gericht nach der
Beweisaufnahme überzeugt –, also als einen Akt, nachdem die wesentlichen Dinge aus
Sicht des Kunden längst gelaufen sind und bei dem er aus seiner Sicht keinen Anlass
hat, sich nochmals zu vergewissern, ob denn alles das, was da drin steht, auch wirklich
dem entspricht, was er gesagt hat, und sei es in Nuancen.
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Insbesondere wird dem Kunden verschleiert, dass es genau dieses Risikoprofil ist, auf
welches er sich später wird einmal von der Beklagten "festnageln" lassen müssen, also
die entscheidende Gesprächsdokumentation, die, wie gesagt, auch nicht in seinem
Interesse erstellt wird, sondern im Interesse der Bank, zu deren Absicherung.
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Dass der Erstellung des Risikoprofils und der Aufnahme der Angaben hierein keine
große Bedeutung
in
anders, als die Beklagte es mit ihrem Vortrag nahelegen will, zeigt sich auch in der
weiteren Aussage des Zeugen X : Die wesentlichen Angaben im Profil sind bereits
durch den Computer vorgegeben aus früheren Eingaben beziehungsweise werden –
ohne individuell mit dem Kunden zu tun zu haben – aus vorgegebenen Kategorien,
"Spannen", nach Nachfrage beim Kunden angekreuzt, z.B. Einkommen,
Immobilienbesitz etc., Angabe, welche Renditeerwartung der Kunde habe und
dergleichen (vgl. Seite 51, 52 des Protokolls).
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Es macht aber einen ganz anderen Eindruck, wenn man den Kunden fragt, "Also, hier
gibt es drei Kategorien, womit können Sie am besten leben?" (so der Zeuge X , vgl. S 52
des Protokolls), als wenn man ihn fragt: "Sie müssen sich jetzt entscheiden. Je
nachdem, was Sie ankreuzen, wird der Computer für Sie eine ganz andere Art von
Risikoprofil aussuchen, und davon hängt ab, was ich Ihnen nachher für ein Papier
anbieten darf. Falls Sie sich für "1-2%" entscheiden, darf ich Ihnen nach den Vorgaben
des Programms die Zertifikate nämlich nicht anbieten. Das sollten Sie bedenken, falls
Sie sie am Ende doch kaufen."
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Der Kunde wird eine ganz andere Aufmerksamkeit an den Tag legen und der soziale
Sinn der Situation wird für ihn ein völlig anderer sein, je nachdem, wie man diese Frage
formuliert. Sie wurde aber in dem konkreten Beratungsgespräch vom Zeugen X so
formuliert, s.o., dass dem Kunden entgeht, dass jetzt einer der wichtigsten und
tatsächlich folgenreichsten Weichenstellungen des ganzen Beratungsgesprächs folgt.
71
Insgesamt ergibt sich daher das Bild einer Beratung, die überhaupt nicht darauf
angelegt war, den Eheleuten X verschiedene Handlungsalternativen aufzuzeigen, was
sie mit dem Geld aus dem X Fonds machen könnten, unter denen sie dann –
ausreichend und auf ihr Wissensniveau zugeschnitten informiert – eine eigene
Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Anlage treffen konnten. Sondern es ergibt
sich das Bild einer Situation, die von dem Zeugen X daraufhin zugespitzt wurde,
entweder als "Trottel", denen man nichts Gutes tun konnte, die Bank zu verlassen, oder
aber die X Zertifikate zu kaufen.
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Dass Alternativen angeboten worden wären, hat auch der Zeuge X nicht behauptet. Es
erscheint auch vor dem Hintergrund seiner eigenen Angaben – zeitlich begrenzt
verfügbares Papier sollte dem Kunden angeboten werden – als unwahrscheinlich. Aus
Sicht des Zeugen X sollte ein Produkt verkauft werden, nicht die Eheleute X beraten.
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Das Risikoprofil wurde hierbei auf eine Art durchgegangen, welche die Eheleuten X
über die Bedeutung dessen, was da gerade tatsächlich passierte (eigentliche
Anlageentscheidung wird vom Computer "freigegeben"), völlig im Unklaren ließ. Die
Angaben des Zeugen X auf Seite 52 und 53 oben unterstreichen das. Wenn er die
Zeugin X tatsächlich gefragt hätte. "Ja, haben Sie denn Erfahrungen mit Nicht-Euro-
Rentenfonds inklusive X ?" dann hätte diese das wahrheitsgemäß verneint. Dann hätte
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diese ganze Risikoklasse 4, was sich dahinter verbirgt, welche Folgen es auch im
Rahmen des CFP hat, wenn man hier Kenntnisse bejaht, mit der Kundin thematisiert
werden müssen. Dies war, hiervon ist das Gericht nach Durchführung der
Beweisaufnahme überzeugt, nicht Sinn und Absicht des Zeugen X in dem konkreten
Beratungsgespräch. Das Gespräch sollte die Sicherheitserwartungen des Kunden
befriedigen, nicht seine Aufmerksamkeit und Zweifel wecken.
Daher reichte es für das Ankreuzen der Risikoklasse 4, wenn man schon mal etwas
entsprechend Risikoreiches gekauft hatte, um in dieser Kategorie zu "landen". Mit
anderen Worten, es kam für die Entscheidung für die Risikoklasse 4 überhaupt nicht auf
die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden an, sondern nur darauf, ob er,
gegebenenfalls gleichermaßen uninformiert, aus welchen Gründen auch immer sich
früher schon einmal dazu hatte bewegen lassen, ein ebenso risikoreiches Papier zu
kaufen.
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Vor dem Hintergrund dieses Beweisergebnisses ist es für die Falschberatung durch die
Beklagte im konkreten Fall daher ohne Belang, ob
allgemein
für die Eheleute X , die ja auch bereits zuvor Aktien und andere Wertpapiere in ihrem
Portfolio hielten, geeignet war.
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Nach dem Gesamtbild der Beratung, wie es sich aufgrund der Beweisaufnahme ergibt,
war diese
grundsätzlich
weil sie überhaupt nicht darauf zielte, ihm eine ergebnisoffene Entscheidungsgrundlage
zu liefern. Der Sinn des Durchlaufens des CFP, wie er sich nach der durchgeführten
Beweisaufnahme darstellt, liegt nicht darin, ein zutreffendes und differenziertes Bild von
den Kundenwünschen zu erhalten, sondern dieses Programm abzuarbeiten, an den
richtigen Stellen die richtigen Kreuze zu machen, damit der Computer das Ergebnis
"absegnet".
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Demgegenüber spielte die tatsächliche Abfrage der Kundenangaben für das Profil und
die Anlageentscheidung, die tatsächliche Ermittlung von Kundenwünschen sowie die
Erarbeitung von echten Handlungsalternativen, zwischen denen der Kunde sich
entscheiden konnte, zur Überzeugung des Gerichts in dem Beratungsgespräch eine
völlig untergeordnete Rolle, falls überhaupt eine. In diesem Fall verfehlt das
Beratungsgespräch seinen Zweck aber in grundsätzlicher Weise.
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Während die Angaben des Kunden im Risikoprofil in den zivilgerichtlichen Verfahren
jedes Mal – wie das Gericht aus eigener Anschauung einer Vielzahl parallel gelagerter
Prozesse weiß – eine zentrale Rolle spielen, ist das Gericht aufgrund der
Beweisaufnahme davon überzeugt, dass sie im sozialen Sinngehalt der hier erlebten
Beratungssituation für die Kunden eine marginale Rolle spielten, ein Eindruck, der von
dem Berater bewusst gefördert und aufrecht erhalten wurde.
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Die Angaben des Zeugen X stehen insoweit auch im Einklang mit den Angaben der
Zeugin X , die zum Beispiel auch ausgesagt hat, sie sei nicht konkret darauf
hingewiesen worden, dass das Computerprogramm hier für sie einen Risikoanteil von
maximal 55% ausgerechnet habe und sie sich dann bewusst dafür entschieden habe,
70% zu wählen. Dies deckt sich mit den Angaben des Zeugen X , es von ihm
geschilderten "Beratungs"-Situation völlig unglaubhaft, dass der Zeuge X mit der Zeugin
X derartig in die Details eingestiegen wäre. Dies wiederum spricht für die
Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin X und des Klägers auch insoweit.
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Damit steht fest, dass auch diese Entscheidung – Überschreiten des vom CFP
empfohlenen Risikoanteils – nicht von einer informierten Entscheidung der Zeugin X
gedeckt war, weil diese Frage von dem Zeugen X überhaupt nicht in einer Weise
thematisiert wurde, die der Zeugin X die Bedeutung ihrer Antwort – welchen Inhalts
auch immer – hätte vor Augen führen können.
81
3.
82
Der Kläger kann auch den Schaden in der geltend gemachten Höhe von der Beklagten
ersetzt verlangen. Der angelegte Betrag stellt in diesem Fall seinen Mindestschaden im
Sinne von § 249 BGB dar (vgl. BGH). Aber auch die Ausschüttungen, welche der Kläger
nachvollziehbar für den X Fund dargelegt hat, kann er nach § 252 BGB ersetzt
verlangen. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des
Gerichts fest, dass die Eheleute X ihren zwar nicht doll laufenden, aber wenigstens
keine Verluste machenden Rentenfonds behalten und die dort gemachten
Ausschüttungen auch tatsächlich realisiert hätten, wären sie nicht durch die Beratung
durch den Zeugen X zur Veräußerung ihrer Anteile an dem Rentenfonds verleitet
worden.
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Als notwendige Rechtsverfolgungskosten sind auch die vom Kläger bzw. der Zeugin X
beglichenen vorgerichtlichen Anwaltskosten in der geltend gemachten Höhe vom
Schadenersatz im Sinne von § 249 BGB umfasst.
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4.
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Der Zinsausspruch beruht auf §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Die Klage wurde am 28.11.2009
zugestellt, so dass Rechtshängigkeitszinsen ab dem 29.11.2009 verlangt werden
können.
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5
87
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 704, 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
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Streitwert: 10.223,31 €
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