Urteil des LG Düsseldorf vom 03.05.2007

LG Düsseldorf: stand der technik, klage auf nichtigerklärung, geflügel, nichtigkeitsklage, aussetzung, vorbenutzung, patentanspruch, rechnungslegung, wahrscheinlichkeit, erfindungshöhe

Landgericht Düsseldorf, 4a O 132/06
Datum:
03.05.2007
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4a. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4a O 132/06
Tenor:
I.
Die Beklagten werden verurteilt,
1.
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise
Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle
wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu
vollstrecken an ihrem jeweils gesetzlichen Vertreter,
zu unterlassen,
eine Geflügelstallausstattung mit:
mindestens zwei Etagengestelleinheiten, von denen jede mindestens
ein Etagengestell aufweist, das im Gebrauch mit Abstand über einem
Boden angeordnet ist und mindestens eine Sitzeinrichtung,
beispielsweise ein Gitter oder eine Stange, und
Versorgungseinrichtungen zumindest zum Fressen oder Trinken
aufweist, wobei unter dem wenigstens einen Etagengestell Platz für die
Tiere ist und wenigstens eines der Etagengestelle Legenester aufweist,
und
einem Etagengestell, das einen Zwischenraum zwischen den
Etagengestelleinheiten überspannt und wenigstens Sitzeinrichtungen
und Fütter- und/oder Tränksysteme aufweist, die für das Geflügel von
den Sitzeinrichtungen aus erreichbar sind, wobei das überspannende
Etagengestell in einem derartigen Abstand von oberen Etagengestellen
der Etagengestelleinheiten beabstandet ist, dass sich das Geflügel von
den oberen Etagengestellen zum überspannenden Etagengestell und
umgekehrt bewegen kann,
anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den
genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
bei denen das Etagengestell, welches den Zwischenraum zwischen den
Etagengestelleinheiten überspannt, ferner Legenester aufweist.
2.
der Klägerin Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer
I. 1 bezeichneten Handlungen seit dem 20.12.2002 begangen hat, und
zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses
sowie unter Angabe
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der
Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer
Vorbesitzer,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -
zeiten und –preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen, sowie
der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -
zeiten und –preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie
der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren
Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und
Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten
Gestehungskosten (einschließlich Bezugspreisen) und des erzielten
Gewinns, der nicht durch den Abzug von Fixkosten und variablen
Gemeinkosten gemindert ist (es sei denn, diese könnten den unter Ziffer
I. 1. bezeichneten Gegenständen unmittelbar zugeordnet werden),
3.
die im Besitz oder Eigentum der Beklagten befindlichen, unter Ziffer I. 1.
beschriebenen Hühnerstallausstattungen zu vernichten.
II.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen
Schaden zu ersetzen, der ihr oder den Patentinhabern durch die unter
Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 20.12.2002 entstanden ist und künftig
noch entstehen wird.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
IV.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 500.000,00 €
vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch eine
unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische
Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin
anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.
Tatbestand:
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des
europäischen Patents x xxx xxx auf Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung und
Schadensersatz in Anspruch. Die Klägerin ist Inhaberin einer ausschließlichen Lizenz
an dem Klagepatent, das unter Inanspruchnahme einer niederländischen Priorität vom
26.09.1997 am 28.09.1998 angemeldet und dessen Erteilung am 20.11.2002
veröffentlicht wurde. Die deutsche Übersetzung, die im Folgenden als Klagepatent
bezeichnet wird, wird beim DPMA unter dem Aktenzeichen xx xxx xx xxx geführt und
wurde am 25.09.2003 veröffentlicht. Das Patent steht in Kraft. Die Patentinhaber A und
B haben mit Vereinbarung vom 23.03.2006 sämtliche Ansprüche auf Auskunft,
Rechnungslegung, Schadensersatz und Vernichtung an die Klägerin abgetreten. Das
Klagepatent bezieht sich auf eine Hühnerstallausstattung und eine Methode zur
Hühnerhaltung.
2
Der von der Klägerin geltend gemachte Patentanspruch 1 des Klagepatents, dessen
Verfahrenssprache Englisch ist, lautet in der deutschen Übersetzung wie folgt:
3
Patentanspruch 1
4
Geflügelstallausstattung mit:
5
mindestens zwei Etagengestelleinheiten (214, 215, 216), von denen jede
mindestens ein Etagengestell (2-5; 220) aufweist, das im Gebrauch mit Abstand
über einem Boden (20; 202) angeordnet ist und mindestens eine Sitzeinrichtung,
beispielsweise ein Gitter (21) oder eine Stange (224), und
Versorgungseinrichtungen zumindest zum Fressen oder Trinken (22, 23, 222, 223)
aufweist, wobei unter dem wenigstens einen Etagengestell (2-5; 220) Platz für die
Tiere ist und wenigstens eines der Etagengestelle Legenester (126; 265, 275)
aufweist, und
6
einem Etagengestell (153; 240), das einen Zwischenraum (230, 231) zwischen den
Etagengestelleinheiten (214, 215, 216) überspannt und wenigstens
Sitzeinrichtungen (21; 224) und Fütter- und/oder Tränksysteme (22, 23; 222, 223)
aufweist, die für das Geflügel von den Sitzeinrichtungen (21; 224) aus erreichbar
sind, wobei das überspannende Etagengestell (153; 240) in einem derartigen
Abstand von oberen Etagengestellen (4; 220) der Etagengestelleinheiten (214, 215,
216) beabstandet ist, dass sich das Geflügel von den oberen Etagengestellen (4;
220) zum überspannenden Etagengestell (153; 240) und umgekehrt bewegen kann,
7
dadurch gekennzeichnet, dass
8
das Etagengestell (153; 240), welches den Zwischenraum (230, 231) zwischen den
Etagengestelleinheiten (214, 215, 216) überspannt, ferner Legenester (126; 275)
9
aufweist.
10
Wegen des Wortlauts der "insbesondere" geltend gemachten Ansprüche 2 und 4 des
Klagepatents wird auf die Klageschrift verwiesen.
11
Nachfolgend abgebildet ist zunächst ein Beispiel für eine Etagengestelleinheit und
sodann eine zeichnerische Darstellung einer bevorzugten Ausführungsform der
Erfindung. Beide Figuren stammen aus der Klagepatentschrift. Figur 1 zeigt eine
Etagengestelleinheit bestehend aus einem Rahmen 1 und Etagengestellen 2-5, die vom
Rahmen 1 abstehen. Figur 10 zeigt eine Vorderansicht einer erfindungsgemäßen
Geflügelstallausführung mit Etagengestelleinheiten, die durch ein überbrückendes
Etagengestell verbunden sind.
12
Die Beklagte hat am 08.05.2006 Klage auf Nichtigerklärung des Klagepatents beim
Bundespatentgericht eingereicht, über die noch nicht entschieden ist.
13
Die Beklagte vertreibt in Deutschland Hühnerstallausstattungen unter der Bezeichnung
"xx". Insbesondere bietet sie das Modell "xx xx" an, das im Querschnitt folgende Gestalt
hat (Anlage L 24 und L 33):
14
Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform verletze das
Klagepatent. Eine Aussetzung des Rechtsstreits bis zur Entscheidung über die
Nichtigkeitsklage sei nicht angezeigt, da an der Schutzfähigkeit des Klagepatent keine
Zweifel bestünden. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, sie habe im Jahr 1995 bereits
eine klagepatentgemäße Anlage nach G ausgeliefert, bestreitet die Klägerin dies mit
Nichtwissen.
15
Die Klägerin beantragt,
16
- wie erkannt - .
17
Die Beklagte beantragt,
18
die Klage abzuweisen.
19
Hilfsweise beantragt die Beklagte,
20
den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Erledigung der gegen das Klagepatent
xx xx xxx erhobenen Nichtigkeitsklage vom 08.05.2006 auszusetzen.
21
Die Beklagte meint, der Rechtsstreit sei bis zur Entscheidung über die Nichtigkeitsklage
auszusetzen. Der klagepatentgemäßen Erfindung komme im Vergleich zu der xx-x xxx
xxx sowie dem in der Zeitschrift "Pluimvee Houderij" vom Februar 1990 erschienen
Artikel "Op zolder leveren de koppen wat op" keine Erfindungshöhe zu. Im Übrigen habe
sie, die Beklagte, bereits in den Jahren 1993 bis 1995 eine Geflügelstallausstattung des
der angegriffenen Ausführungsform entsprechenden Modells "xx xx" geplant und im
Jahr 1995 an den Landwirt xxx in xxxxx ausgeliefert.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten
23
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
24
Die Klage ist zulässig und begründet.
25
Die Klägerin kann von der Beklagten Unterlassung, Vernichtung, Schadensersatz,
Auskunft und Rechnungslegung aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ; §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a
Abs. 1, 140b Abs. 1 PatG; §§ 242, 259 BGB verlangen. Die angegriffene
Ausführungsform macht von dem Anspruch 1 des Klagepatents wortsinngemäß
Gebrauch, ohne dass die Beklagte dazu berechtigt ist (§ 9 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1
PatG).
26
I.
27
Das Klagepatent schützt im Patentanspruch 1 eine Geflügelstallausstattung.
28
Im Stand der Technik waren entsprechende Geflügelstallausstattungen bekannt. Das
Klagepatent nennt hierzu die xx-x xxx xxx (Anlage L 8), die einen Stall für die Haltung
von Geflügel beschreibt. Als weiteren Stand der Technik nennt das Klagepatent die
internationale Patentanmeldung xx xx/xxxx (Anlage L 9), die eine Einrichtung für die
Etagenhaltung von Geflügel zum Gegenstand hat. Gemäß dieser Vorrichtung befindet
sich der Ruhe-, Fress- und Tränkebereich für die Legetiere auf einer
Etagengestelleinheit. Unterhalb der einzelnen zum Aufenthalt der Legetiere bestimmten
Etagen 4 sind Zwischenböden 8 angebracht, auf denen der Mist gesammelt und
entsorgt wird. Auf einer separaten Etagengestelleinheit sind Legenester 16 angeordnet,
die von den Legetieren durch Springen von der erstgenannten Etagengestelleinheit
erreicht werden können. Nachfolgend abgebildet ist Figur 3 der xx xx/xxxxx.
29
Das Klagepatent hebt hervor, dass die xx xx/xxxxx eine Raumersparnis ermögliche, weil
die Tiere einen beträchtlichen Teil der Ruhezeit auf übereinander liegenden
Etagengestellen verbrächten. Auch werde eine verbesserte Hygiene erreicht, weil ein
Mistbehälter nicht vorgesehen sei (vgl. Anlage L 1a, Seite 1, Zeilen 12 bis 19).
30
Das Klagepatent setzt sich vor diesem Hintergrund zum Ziel, eine Etagengestelleinheit
zu schaffen, die eine verbesserte Produktivität ermöglicht (vgl. Anlage L 1a, Seite 2,
Zeilen 1 bis 2).
31
Dies soll durch den Patentanspruch 1 erreicht werden, der folgende Merkmale aufweist:
32
1. Geflügelstallausstattung mit mindestens zwei Etagengestelleinheiten (214, 215,
216),
2. Jede Etagengestelleinheit weist mindestens ein Etagengestell (2-5; 220) auf,
3. das Etagengestell (2-5; 200) ist im Gebrauch mit Abstand über einem Boden (20;
202) angeordnet,
4. das Etagengestell (2-5; 200) weist mindestens eine Sitzeinrichtung,
beispielsweise ein Gitter (21) oder eine Stange (224), und
Versorgungseinrichtungen zumindest zum Fressen oder Trinken (22, 23, 222, 223)
33
auf,
5. unter dem wenigstens einen Etagengestell (2-5; 220) ist Platz für die Tiere,
6. wenigstens eines der Etagengestelle weist Legenester (126; 265, 275) auf,
7. die Geflügelstallausstattung hat ein Etagengestell (153; 240), das einen
Zwischenraum (230, 231) zwischen den Etagengestelleinheiten (214, 215, 216)
überspannt,
8. das überspannende Etagengestell (153; 240) weist wenigstens Sitzeinrichtungen
(21; 224) und Fütter- und/oder Tränksysteme (22, 23; 222, 223) auf,
9. die Fütter- und Tränksysteme (22, 23; 222, 223) sind für das Geflügel von den
Sitzeinrichtungen (21; 224) aus erreichbar,
10. das überspannende Etagengestell (153; 240) ist in einem derartigen Abstand von
oberen Etagengestellen (4; 220) der Etagengestelleinheiten (214, 215, 216)
beabstandet, dass sich das Geflügel von den oberen Etagengestellen (4; 220) zum
überspannenden Etagengestell (153; 240) und umgekehrt bewegen kann,
11. das überspannende Etagengestell (153; 240) weist ferner Legenester (126; 275)
auf.
34
II.
35
1.
36
Die Klägerin ist aktiv legitimiert. Als ausschließliche Lizenznehmerin kann sie die
Ansprüche aus § 139 PatG gegen den Verletzer des Patents und damit ihres
ausschließlichen Benutzungsrechts selbst geltend machen (Benkard/Rogge/Grabinski,
PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rn. 17). Die weiterhin geltend gemachten Ansprüche auf
Rechnungslegung, Schadensersatz und Vernichtung haben die Patentinhaber, Herr Pol
und Herr Bruins, gemäß der Prozessstandschafts- und Abtretungserklärung vom
23.03.2006 (Anlage 7a) wirksam an die Klägerin abgetreten.
37
2.
38
Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass die von ihr vertriebene Stalleinrichtung für
Legehennen "xx xx" sämtliche Merkmale der klagepatentgemäßen Erfindung aufweist.
Tatsächlich ist aus der von der Beklagten in ihrem Prospekt abgebildeten
schematischen Ansicht der Stalleinrichtung (Anlage L 24) ersichtlich, dass die
Stalleinrichtung sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 verwirklicht: die
Stalleinrichtung weist zwei Etagengestelleinheiten mit jeweils mehr als einem
Etagengestell auf, wobei die Etagengestelle mit einem derartigen Abstand vom Boden
angeordnet sind, dass – wie im Prospekt (Anlage L 22) auf Seite 2 betont wird – dieser
zu 100% als Scharrraum genutzt werden kann. Die Etagengestelle verfügen auch – wie
im Prospekt (Anlage L 22) auf Seite 5 beschrieben – über eine Sitzeinrichtung in Form
einer integrierten Sitzstange. Die nähere Ausgestaltung der angegriffenen
Ausführungsform lässt sich der Ansicht gemäß Anlage L 24 sowie der von der
Beklagten nicht bestrittenen Wiedergabe des von der Beklagten an die Familie Prins
gelieferten Modells xx xx gemäß Anlage L 33 entnehmen. Danach sind Fress- und
Tränkeinrichtungen ebenfalls an den Etagengestellen angebracht. Bei der
angegriffenen Ausführungsform weisen zudem mehrere Etagengestelle Legenester auf.
Schließlich überspannt ein weiteres Etagengestell, das ebenfalls mit einer
39
Sitzeinrichtung in Form eines Kunststoffrostes mit integrierter Sitzstange und einer
Futter- und zwei Tränkeinrichtungen ausgestattet ist, den Zwischenraum zwischen den
Etagengestelleinheiten. Von den unteren Sitzeinrichtungen des die seitlichen
Etagengestelle überspannenden Etagengestells aus sind die Tränkeinrichtungen für
das Geflügel zugänglich. Das überspannende Etagengestell ist für das Geflügel auch
von den oberen seitlichen Etagengestellen erreichbar. Auf dem überspannenden
Etagengestell befinden sich schließlich auch Legenester.
3.
40
Zu einer nach § 148 ZPO möglichen Aussetzung der Verhandlung im Hinblick auf die
von der Beklagten als Anlage KE 1 vorgelegte Nichtigkeitsklage der Beklagten besteht
kein hinreichender Anlass.
41
a)
42
Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (Mitt. 1988, 91 - Nickel-Chrom-Legierung;
BlPMZ 1995, 121 - Hepatitis-C-Virus), die auch vom Oberlandesgericht Düsseldorf
(GRUR 1979, xxx - Flachdachabläufe) und vom Bundesgerichtshof (GRUR 1987, xxx -
Transportfahrzeug) gebilligt wird, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die
Erhebung einer Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den
Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, da dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem
Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen,
die dem Gesetz fremd ist (§ 58 Abs. 1 PatG). Die Interessen der Parteien sind vielmehr
gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem Interesse des Patentinhabers an
der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang gebührt. Die Aussetzung kommt
deshalb nur in Betracht, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Widerruf oder
eine Vernichtung des Klagepatents zu erwarten ist. Dies wiederum kann regelmäßig
dann nicht angenommen werden, wenn der dem Klagepatent am nächsten kommende
Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn
neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das Klagepatent nicht auf einer
erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch für eine Bejahung der Erfindungshöhe,
die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt,
zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.
43
b)
44
Aus dem Vorbringen der Beklagten in der von ihr erhobenen Nichtigkeitsklage ergibt
sich nicht mit der für eine Aussetzung erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit, dass der
Gegenstand der Patentanspruchs 1 wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit für nichtig
erklärt werden wird.
45
Die Beklagte meint, es sei keine erfinderische Tätigkeit erforderlich, um ausgehend von
der in der xx-x xxxxxx (im Folgenden: E 1) offenbarten Lehre die klagepatentgemäße
Erfindung zu entwickeln.
46
Die E 1 offenbart einen Geflügelstallausstattung, die eine mit einem Rostboden (7)
belegte Aufenthaltsfläche (6) für die Tiere aufweist. Der Rostboden ist mit einem
Abstand über dem Boden (2) angeordnet und erstreckt sich über einen darunter
angeordneten Kotraum (10). Oberhalb des Rostbodens ist eine zweite Aufenthaltsfläche
(16) an einem Etagengestell angebracht, die ebenfalls mit einer darunter liegenden
47
Kotgrube ausgerüstet ist. Weiter lehrt die Druckschrift den Fachmann, dass zwischen
dem Rostboden und der zweiten Aufenthaltsfläche mindestens eine längs verlaufende
Reihe Legenester anzubringen sind (vgl. E 1, Seite 2, Zeilen 7 bis 10; Seite 3, linke
Spalte, Zeilen 39 bis 42). Sowohl die in den Legenestern als auch die in den
Aufenthaltsflächen gelegten Eier rollen – da der Boden entsprechend geneigt
ausgebildet ist – selbsttätig zum Bedienungsgang hin, der sich zwischen den
Etagengestellen befindet (E 1, Seite 3, linke Spalte, Zeilen 47ff.). Schließlich offenbart
die E 1, dass eine dritte Aufenthaltsfläche vorgesehen werden kann, die – wie sich aus
der Patentzeichnung ergibt - die Etagengestelle überspannt. Die in der Druckschrift
abgebildete Figur wird nachfolgend – leicht verkleinert - wiedergegeben:
Im Unterschied zur klagepatentgemäßen Erfindung offenbart die E 1 daher nicht das
Merkmal 11, nach dem auch das überspannende Etagengestell Legenester aufweist.
48
Die Beklagte meint, der Fachmann erkenne anhand der Patentzeichnung, dass
Legehennen sich auf der dritten Aufenthaltsfläche aufhalten und dort fressen und trinken
können. Daraus schließe er, dass die Legehennen dort auch Eier legen werden. Um die
dort gelegten Eier aufzunehmen und zu verhindern, dass diese auf dem schräg
angeordneten Dach seitlich herunterfallen, werde er ohne weiteres auf die Idee
kommen, auf der dritten Aufenthaltsfläche Legenester anzuordnen. Dem kann sich die
Kammer nicht anschließen.
49
Eine erfinderische Tätigkeit ist dann zu verneinen, wenn ein über durchschnittliche
Kenntnisse und Fähigkeiten verfügender Fachmann, wie er auf dem technischen Gebiet
der Erfindung in einschlägig tätigen Unternehmen am Prioritätstag typischerweise mit
Entwicklungsaufgaben betraut wurde und dem unterstellt wird, dass ihm der gesamte
am Prioritätstag öffentlich zugängliche Stand der Technik bei seiner Entwicklungsarbeit
zur Verfügung stand, in der Lage gewesen wäre, den Gegenstand der Erfindung
aufzufinden, ohne eine das durchschnittliche Wissen und Können einschließlich
etwaiger Routineversuche übersteigende Leistung erbringen zu müssen
(Benkard/Asendorf/Schmidt, PatG, 10. Aufl. 2006, § 4 Rn. 10). Vorliegend findet der
Fachmann in der E1 keine Anregung dahingehend, auf der dritten Aufenthaltsfläche
Legenester anzuordnen. Denn die E1 beruht auf dem Konzept, dass sich die Legenester
im unteren Bereich des Stalles befinden. Die Legenester sind ausschließlich von der mit
einem Rostboden 7 belegten Aufenthaltsfläche 6 aus zugänglich. Bereits auf dem
Niveau zweiten Aufenthaltsfläche, die über den Legenestern angeordnet ist, befinden
sich keine Legenester mehr. Die dem Klagepatent zu Grunde liegende Erkenntnis, dass
bei freier Legehaltung niederrangige Tiere von anderen Tieren attackiert werden können
und dass daher niederrangige Tiere auf eine gute Erreichbarkeit der Legenester,
insbesondere vom für sie sichersten, höchsten Etagengestell aus, angewiesen sind
(Anlage L 1a, Seite 2, Zeilen 11-23), ist daher von der E 1 nicht umgesetzt worden. Die
Beklagte hat nicht dargetan, inwieweit das Erkennen dieses Zusammenhangs und das
Erarbeiten einer entsprechenden Lösung für den Fachmann lediglich eine
Routinetätigkeit darstellen soll. Hinzu kommt, dass nach der E 1 die erste
Aufenthaltsfläche, also der Boden des Stalles, der vorrangige Aufenthaltsort der
Legehennen sein soll. Denn nur dort sind – wie aus der Patentzeichnung ersichtlich –
sowohl Trink-, als auch Futtereinrichtungen vorhanden. Dagegen sind auf der zweiten
Aufenthaltsfläche lediglich Tränkeinrichtungen und auf der obersten Aufenthaltsfläche
nur Futtereinrichtungen eingezeichnet. Bereits auf der zweiten Aufenthaltsfläche stellt
die Druckschrift demnach nicht mehr sämtliche Vorrichtungen bereit, die erforderlich
sind, um einer Legehenne ein dauerhaftes Verweilen zu ermöglichen (Futter, Tränke,
50
Legenest). Auch die Beschreibung des Einsammelns der Eier ist darauf ausgerichtet,
dass die Eier ausschließlich aus den unteren Bereichen der des Etagengestells und
nicht auf der dritten Aufenthaltsfläche abgelegt werden. Denn nach der E 1 sollen die
Eier, "die aus den Legenestern auf die Seite des Bedienungsganges rollen, praktisch
aufrechtstehend eingesammelt werden können" (vgl. E1, Seite 2, rechte Spalte, Zeilen
43 – 45). Die Möglichkeit, die Eier dezentral, also über sämtliche Ebenen verteilt,
ablegen zu lassen, ist in der E 1 nicht angesprochen. Um diese Möglichkeit zu
verwirklichen, muss sich der Fachmann zunächst von der grundlegenden Vorstellung
lösen, nach der Legenester nur von der unteren Aufenthaltsfläche aus zugänglich sind.
Des weiteren muss er die dritte Aufenthaltsfläche so ausgestalten, dass sie die
Legehennen dazu ermutigt, dort Eier zu legen, indem sämtliche
Versorgungseinrichtungen auf dieser Ebene vorgehalten werden. Weiter muss er
Legenester auf der dritten Aufenthaltsfläche anbringen. Schließlich muss er sich von der
in der E 1 in der Patentzeichnung vorgegebenen Ausgestaltung der dritten
Aufenthaltsfläche lösen. Dort ist die Aufenthaltsfläche so eingezeichnet, dass sie von
der Mitte zu den Seiten hin abschüssig ausgestaltet ist. Würden daher auf dieser dritten
Aufenthaltsfläche Eier gelegt, so würden diese zu den Seiten hin abrollen und könnten
nicht – wie es die E 1 vorsieht – vom Bedienungsgang aus ohne Anstrengung
entnommen werden. Es sprechen vernünftige Argumente dafür, dieses Vorgehen als auf
einem erfinderischen Schritt beruhend anzusehen. Denn es führt im Vergleich zu der E
1 zu einer erheblichen Raumersparnis, wenn – wie es das Klagepatent vorsieht -
Legehennen auf sämtlichen Etagen des Etagengestells Eier legen, fressen und trinken
können.
Für die Annahme der Erfindungshöhe spricht auch der Umstand, dass die E 1 vom
fachkundigen Prüfer im Erteilungsverfahren berücksichtigt und für nicht geeignet
befunden wurde, die Schutzfähigkeit des Klagepatents in Frage zu stellen.
51
c)
52
Die Beklagte meint ferner, der Artikel "Ob zolder leveren de kippen wat op" aus der
Zeitschrift "xx" vom 09.02.1990 (im Folgenden: E 2) offenbare, dass auf einer den Raum
überspannenden Etage Legenester angeordnet seien.
53
In dem Artikel wird eine Hühnerhaltung auf dem Dachboden geschildert. Es wird
beschrieben, dass Hühner auf dem 8,8 m x 38 m großen Dachboden eines
Hühnerstalles gehalten werden. Diesen Dachboden hat der Betreiber auf zwei
bestehende Hühnerställe aufgesetzt. In der Mitte des Dachbodens befinden sich
Legenester. Die Seiten des Dachbodens sind mit Maschendraht versehen, so dass die
Tiere den Dachboden nicht verlassen können (E 2, Seite 1, letzter Satz). Demnach
offenbart die E 2 keines der Merkmale des Klagepatents. Denn bei der in der E 2
beschriebenen Hühnerhaltung sind schon keine Etagengestelle, die im Abstand vom
Boden angebracht sind, vorhanden. Vielmehr wird lediglich eine Bodenhaltung der
Legehennen auf zwei Etagen betrieben. Diese Etagen sind jedoch nicht miteinander
verbunden. Der Dachboden kann daher auch nicht als ein überspannendes
Etagengestell im Sinne des Merkmals 8 angesehen werden, auf das sich im Sinne des
Merkmals 10 das Geflügel von den oberen Etagengestellen aus bewegen kann.
54
Der Fachmann wird die E 2 bei dem sich stellenden Problem, wie das bestehende
Etagensystem der Hühnerhaltung optimiert werden kann, nicht heranziehen. Ideen für
die Ausgestaltung einer die Etagengestelle überspannenden Etage ergeben sich aus
55
der D 2 nicht. Vielmehr ergibt sich aus der E 2 sogar, dass selbst der Betreiber der
Hühnerställe das Etagensystem ablehnt (E 2, Seite 2, vorletzter Absatz). Der Fachmann
wird daher nicht in Erwägung ziehen, aus der E 2 Anleitungen zur Verbesserung eben
dieses Systems herleiten zu können.
d)
56
Schließlich beruft sich die Beklagte darauf, das sie bereits im Jahr 1995 ein Stallsystem
des Modells "xx xx" an den Landwirt xx xx in xx ausgeliefert habe und daher eine
offenkundige Vorbenutzung gegeben sei. Das xx xx-Modell ist – den Vortrag der
Beklagte unterstellt – eine Geflügelstallausstattung, bei der zwar ein überspannendes
Etagengestell vorhanden ist, dieses aber keine Vorrichtungen zum Sitzen, Futtern und
Trinken enthält. Es fehlt demnach an einer Offenbarung der Merkmale 8 und 9. Darüber
hinaus ist bei dem Modell xx xx auch das Merkmal 6 nicht gegeben, da die unteren
Etagengestelle keine Legenester aufweisen. Das von der Klagepatentschrift genannte
Ziel, jederzeit eine einfache Zugänglichkeit von Legenestern zu gewährleisten, wird
daher durch dieses Modell nicht erreicht. Das Modell xx xx ist vielmehr darauf
ausgerichtet, dass eine Trennung zwischen dem Fress- und Tränkbereich (auf den
unteren Etagengestellen) und dem Legebereich (auf dem überspannenden
Etagengestell) vollzogen wird. Wenn bei der klagepatentgemäßen Erfindung dagegen
in allen Bereichen sämtliche für die Legehennen zur Stillung ihrer Bedürfnisse
erforderlichen Tätigkeiten (Fressen, Trinken, Ruhen, Eierlegen) möglich sind, dann
beruht dies auf einem anderen Konzept, für deren Realisierung das Modell xx xx dem
Fachmann keine Anregungen gibt.
57
Darüber hinaus kommt eine Aussetzung wegen der geltend gemachten Vorbenutzung
schon deshalb nicht in Betracht, weil die Tatsachen, die die behauptete offenkundige
Vorbenutzung stützen sollen, nicht lückenlos durch liquide Beweismittel belegt ist. Fehlt
es an solchen liquiden Beweismitteln, so bleibt der Aussetzungsantrag ohne Erfolg
(Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 2. Aufl. 2005, Rn.
427). Vorliegend ist zwischen den Parteien streitig, ob eine Ausführungsform xx xx in
den Jahren 1993 bis 1995 geplant und im Jahr 1995 nach G ausgeliefert wurde. Die
Klägerin bestreitet dies in zulässiger Weise mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO.
Die Beklagte kann den Beweis für die Planung dieses Modells nicht durch die
vorgelegten Planungszeichnungen (KE 1, K 7) führen. Denn zum einen lässt sich nicht
erkennen, dass diese Planungszeichnungen tatsächlich das Modell xx xx betreffen. Die
Ausstattung der seitlichen Etagengestelle ergibt sich aus der Planungszeichnung nicht.
Zudem scheint auf der Zeichnung – im Gegensatz zu dem Querschnitt aus dem
Prospekt der Beklagten – der Mittelgang in den Boden eingelassen zu sein. Es ergibt
sich aus der Zeichnung auch nicht, an welchen Stellen Legenester, Sitzeinrichtungen,
Tränk- und Fressstellen vorgesehen sind. Zum anderen findet sich lediglich auf einer
der Seiten, die nicht fest mit den anderen Seiten verbunden ist, ein Stempel mit dem
Datum 27.09.1993. Dass dieser Stempel tatsächlich im Jahre 1993 aufgebracht wurde
und das gesamte Dokument betrifft, ist dadurch nicht nachgewiesen.
58
Auch durch die als Anlage KE 2 zur Akte gereichten Lichtbilder der in Benutzung
befindlichen Geflügelstallausstattung bei dem Lieferungsempfänger xx vermag die
Beklagte den Beweis für die Vorbenutzung nicht zu erbringen. Die eidesstattliche
Versicherung ist kein zulässiges Mittel des Strengbeweisverfahrens der
Zivilprozessordnung und vermag an der unsicheren Prognose hinsichtlich des Inhalts
und der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen nichts zu ändern (Kühnen/Geschke, Die
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Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 2. Aufl. 2005, Rn. 427).
Die Beklagte hat Beweis für die zeitliche und inhaltliche Richtigkeit der Behauptung zu
der Vorbenutzung durch Vernehmung des Landwirts xx angeboten. Eine
Beweisaufnahme durch das Verletzungsgericht zur weiteren Klärung des
voraussichtlichen Erfolgs der Nichtigkeitsklage als Grundlage für die
Aussetzungsentscheidung nach § 148 ZPO kommt jedoch nicht in Betracht (OLG
Düsseldorf, GRUR 1979, 636, 637 - Ventilanbohrvorrichtung). Eine Aussetzung des
Verfahrens im Hinblick auf einen im Nichtigkeitsverfahren angetretenen Zeugenbeweis
scheidet ebenfalls aus. Denn der Inhalt und die Glaubhaftigkeit der Aussagen der im
Nichtigkeitsverfahren zu vernehmenden Zeugen sind derart unvorhersehbar, dass von
einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Vernichtung des Patents nicht
ausgegangen werden kann.
60
III.
61
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 108 Abs. 1 ZPO.
62
Streitwert: 500.000,00 EUR.
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