Urteil des LG Dortmund vom 13.01.2011

LG Dortmund (vvg, versicherte person, krankenversicherung, unterlagen, frist, kündigung, versicherer, zugang, zpo, höhe)

Landgericht Dortmund, 2 O 139/10
Datum:
13.01.2011
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 139/10
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin, mit Ausnahme der durch
die Nebenintervention entstandenen Kosten; diese trägt die
Nebenintervenientin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägern kann die Vollstreckung durch die Beklagte gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in
gleicher Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung auf Versicherungsprämie für eine
Krankenversicherung für den Zeitraum 01.04.2008 bis 30.11.2009 in Anspruch.
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Die Beklagte, seinerzeit Pächterin und Betreiberin einer Tankstelle, war freiwillig
gesetzlich krankenversichert. Im Dezember 2007 stellte sie über einen Makler, die
Nebenintervenientin, bei der Klägerin einen Antrag auf Abschluss einer privaten
Krankenversicherung. Am 27.12.2007 erhielt sie von der Verpächterin der Tankstelle,
einer Mineralölgesellschaft, die Kündigung des Pachtvertrages mit der Aufforderung, die
Tankstelle zum 31.12.2008 zu übergeben. Die Beklagte einigte sich mit der
Verpächterin auf eine Übergabe der Tankstelle am 03.04.2008. Wegen dieser
bevorstehenden Beendigung der selbständigen Tätigkeit bat die Beklagte die
Nebenintervenientin – nach ihrer Behauptung am 07.01.2008 -, dem Vertragsabschluss
bei der Klägerin zu widersprechen, was die Nebenintervenientin mit Fax vom
30.01.2008 auch tat. Die Klägerin wies den Widerspruch als verspätet zurück. Zugleich
bat sie um Nachweis der nach Mitteilung des Maklers über den 01.04.2008 hinaus
bestehenden Pflichtversicherung, um die Beendigung der Krankenversicherung bei ihr
prüfen zu können.
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Die Klägerin behauptet, mit Schreiben vom 11.03.2008 den Nachweis der C
Ersatzkasse und mit Schreiben vom 06.04.2008 ihre Gewerbeanmeldung übersandt zu
haben. Die Klägerin bestreitet den Zugang dieser Schreiben.
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Im Laufe des Rechtsstreits hat die Beklagte eine Bescheinigung ihrer gesetzlichen
Krankenversicherung beigebracht, wonach für sie vom 04.04.2008 bis 14.05.2008 eine
Familienversicherung gemäß § 10 SGB V bestand und sie seit dem 15.05.2008 als
versicherungspflichtige Beschäftigte gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V angemeldet ist.
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Die Beklagte hat der vermittelnden Maklerin den Streit verkündet. Diese ist dem
Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beigetreten. Sie behauptet, dass
Versicherungsschein und Verbraucherinformationen der Beklagten unmittelbar von der
Klägerin übersandt worden seien, die diese Unterlagen an sie – der
Nebenintervenientin – weitergeleitet habe. Den Auftrag, die Krankenversicherung bei
der Klägern zu widerrufen, habe die Beklagte erst am 30.01.2008 erteilt.
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Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Widerruf des Krankenversicherungsvertrages
verspätet sei, da die Beklagte in der Streitverkündungsschrift vom 15.09.2010 selbst
vorgetragen habe, dass ihr Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen und
Widerrufsbelehrung am 12.01.2008 zugegangen sein. Die spätere Berichtigung dieser
Angaben sei unglaubwürdig. Sie will zum Zugangsnachweis § 270 Satz 2 ZPO
heranziehen und vertritt hinsichtlich des Zugangs der von der Beklagten angeblich an
sie übersandten Schreiben die Auffassung, dass insoweit ein Anscheinsbeweis nicht
zulässig sei.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 8.549,54 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-
Punkten über dem Basiszinssatz auf einen Teilbetrag von 1.185,94 € ab dem
15.12.2009, auf einen Teilbetrag von 3.313,62 € ab dem 15.12.2009, zuzüglich
Säumniszuschlag in Höhe von 1 % pro angefangenem Monat auf einen Teilbetrag
von 363,18 € ab dem 02.01.2009, auf einen Teilbetrag von 368,15 € ab dem
02.02.2009, auf einen Teilbetrag von 368,18 € ab dem 02.03.2009, auf einen
Teilbetrag von 348,18 € ab dem 02.04.2009, auf einen Teilbetrag von 368,18 € ab
dem 02.05.2009, auf einen Teilbetrag von 368,18 € ab dem 02.06.2009, auf einen
Teilbetrag von 368,18 € ab dem 02.07.2009, auf einen Teilbetrag von 368,18 € ab
dem 02.08.2009, auf einen Teilbetrag von 368,18 € ab dem 02.09.2009, auf einen
Teilbetrag von 368,18 € ab dem 02.10.2009, auf einen Teilbetrag von 368,18 € ab
dem 02.11.2009, darüber hinaus vorgerichtliche Mahnkosten in Höhe von 12,50 €
und Rechtsanwaltskosten in Höhe von 780,40 € zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Nebenintervenientin hat keinen Antrag gestellt.
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Die Beklagte ist der Auffassung, dass dem Krankenversicherungsvertrag mit der
Klägerin rechtszeitig widersprochen worden sei. Ihre in der Streitverkündung gemachte
Angabe einer Zustellung des Versicherungsscheins am 07.01.2008 hat sie bei ihrer
Anhörung am 23.09.2010 dahingehend korrigiert, dass ihr der Versicherungsschein
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überhaupt nicht zugegangen sei. Diese Unterlagen seien von der Klägerin direkt an die
Nebenintervenientin übersandt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den
vorgetragenen Inhalt, der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin kann von der Beklagten keine Prämien für die abgeschlossene
Krankenversicherung verlangen, weil die Beklagte ihre Vertragserklärung rechtzeitig
widerrufen hat, § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG, jedenfalls aber eine rückwirkende Kündigung der
Krankenversicherung nach § 205 Abs. 2 VVG durch die Beklagte erfolgt ist.
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I.
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Auf das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien findet das VVG 2008 Anwendung, da
der Krankenversicherungsvertrag nach dem 31.12.2007 geschlossen worden ist, Artikel
12 des VVG-Reformgesetzes.
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II.
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Die Beklagte hat ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen wirksam
widerrufen, § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG. Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 begann die Widerrufsfrist
zu dem Zeitpunkt, zu dem Versicherungsschein und Vertragsbestimmungen mit einer
deutlich gestalteten Belehrung über das Widerrufsrecht der Beklagten zugegangen sind.
Danach wäre der am 30.01.2008 durch die Nebenintervenientin erklärte Widerruf nur
dann verspätet, wenn der Beklagten die genannten Vertragsunterlagen mehr als 14
Tage vorher zugegangen wären. Davon kann das Gericht indes nicht ausgehen.
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1. Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 VVG obliegt dem Versicherer der Nachweis über den
Zugang der Unterlagen nach Satz 1. Damit ist dem Versicherer nicht nur die Beweislast
dafür auferlegt worden, dass dem Antragsteller die erforderlichen Unterlagen überhaupt
zugegangen sind. Der Versicherer muss auch beweisen, dass die Unterlagen dem
Antragsteller so rechtzeitig zugegangen sind, dass der Widerruf der Vertragserklärung
außerhalb der 2-Wochen-Frist des § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG liegt. Dieser Auffassung
entspricht der schon unter Geltung des alten VVG vorherrschenden Meinung, dass dem
Versicherer ohne Zubilligung von Beweiserleichterungen oder Erfahrungssätzen der
volle Beweis dafür obliegt, wann ein eine bestimmte Frist in Lauf setzendes Schreiben
dem Antragsteller bzw. Versicherungsnehmer zugegangen ist (OLG Hamm, VersR
2007, 1397). Die Absendung des Schriftstückes beweist weder dessen Zugang noch
den Zugangszeitpunkt. Insoweit bestehen auch keine Erfahrungssätze, dass und
innerhalb welcher Zeit Postsendungen den Empfänger erreichen. Der Versicherer ist
insoweit auch nicht schutzwürdig. Er kann z. B. durch Einschreiben mit Rückschein
ohne Probleme den Zugang beweisen. Wenn er aus Kostengründen auf eine
Versendung mit Nachweismöglichkeit des Zugangs verzichtet, kann dies nicht zu
Lasten der anderen Vertragspartei gehen. Der Auffassung des OLG Frankfurt, VersR
2009, 1394, wonach bei einem unstreitigen Zugang eines Schreibens des Versicherers
der Zeitpunkt des Zugangs nach § 270 Satz 2 ZPO vermutet werden kann, vermag sich
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der Zeitpunkt des Zugangs nach § 270 Satz 2 ZPO vermutet werden kann, vermag sich
das Gericht deshalb nicht anzuschließen.
Der Klägerin ist zuzugeben, dass sie den Beweis des Zugangs eines Schriftstückes
auch mit Indizien führen kann. Dazu weist die Klägerin darauf hin, dass der Vortrag der
Beklagten durchaus widersprüchlich gewesen ist. So hat die Klägerin mit der
Streitverkündungsschrift vortragen lassen, dass ihr die Vertragsunterlagen am
12.01.2008 zugegangen seien. Diesen Vortrag hat die Beklagte jedoch bei ihrer
Anhörung im Termin vom 23.09.2010 dahingehend korrigiert, dass sie nunmehr
behauptet, die Vertragsunterlagen seien ihr überhaupt nicht, sondern wohl nur der
Nebenintervenientin zugegangen. Aus diesem Widerspruch im Vortrag der Beklagten
folgt indes zur Überzeugung des Gerichts nicht, dass die für die Klägerin günstige
Sachverhaltsdarstellung mit einem Zugangszeitpunkt 12.01.2008 richtig wäre, da nicht
auszuschließen ist, dass ein Informationsversehen beim Prozessbevollmächtigten der
Beklagten vorliegt.
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2. Mit dem Vorbringen der Streitverkündungsschrift hat die Beklagte den
Zugangszeitpunkt auch nicht mit Geständniswirkung zugestanden, § 288 ZPO. Ein
gerichtliches Geständnis kann sich nur auf Behauptungen beziehen, welche die
Gegenpartei vorgetragen hat (BGH NJW 1978, 884). Die Beklagte war daher nicht
schon an den eigenen Vortrag in der Streitverkündungsschrift gebunden, wonach ihr die
Vertragsunterlagen am 12.01.2008 zugegangen sind, da die Klägerin solches zuvor
nicht vorgetragen hatte. Geständniswirkung hätte das Vorbringen der Beklagten erst
dann entfalten können, wenn es sich die Klägerin zu eigen gemacht hätte und wenn
alsdann darüber vorbehaltlos verhandelt worden wäre. Eine solche Übernahme des
Beklagtenvortrags durch die Klägerin wäre erforderlich gewesen, um zu Lasten der
Beklagten eine Bindungswirkung als (vorweggenommenes) Geständnis zu erzeugen
(BGH NJW 2004, 513). Bloßes Nichtbestreiten begründet regelmäßig noch keine
Bindungswirkung in diesem Sinne. Die Klägerin hat sich indes die in der
Streitverkündungsschrift aufgestellte Behauptung der Beklagten vor deren Widerruf nicht
zu eigen gemacht. Sie hat sich vielmehr auf die Zustellungsfiktion des § 270 Abs. 2 ZPO
zurückgezogen, die in ihrer Anwendung keine Zustellung zum 12.01.2008 ergeben
würde, da die Klägerin Versendung an die Beklagten am 09.01.2008 vorgetragen hat,
so dass nach der Zustellungsfiktion von einem Zugang am 10. bzw. 11.01.2008
auszugehen wäre.
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Da die Klägerin somit einen Zugangszeitpunkt der Vertragsunterlagen bei der Beklagten
bzw. der sie vertretenden Nebenintervenientin nicht beweisen kann, jedenfalls keinen
solchen, der mehr als 14 Tage vor dem Widerruf der Vertragserklärung der Beklagten
liegt, hat das Gericht davon auszugehen, dass die Beklagte ihre Vertragserklärung
durch die Nebenintervenientin rechtzeitig innerhalb der Frist des § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG
widerrufen hat, so dass ein Krankenversicherungsvertrag zwischen den Parteien
letztlich nicht zustande gekommen ist, weshalb der Klägerin aus einem solchen Vertrag
auch keine Prämienansprüche zustehen können.
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III.
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Im Übrigen ist auch von einer rückwirkenden Kündigung der Krankenversicherung nach
§ 205 Abs. 2 VVG auszugehen. § 205 Abs. 2 Satz 1 VVG bestimmt, dass eine
versicherte Person, die kraft Gesetzes krankenversicherungspflichtig wird, binnen drei
Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht eine Krankheitskostenversicherung
rückwirkend zum Eintritt der Versicherungspflicht kündigen kann. Eine solche
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Kündigung ist durch die Nebenintervenientin erfolgt. Denn die Nebenintervenientin hat
mit Schreiben vom 30.01.2008 der Klägerin mitgeteilt, dass der
Krankenversicherungsvertrag mit der Beklagten nicht zustande kommen wird, weil die
Beklagte weiterhin gesetzlich pflichtversichert bleibt. Allerdings wird gemäß § 205 Abs.
2 Satz 2 VVG die auf Satz 1 gestützte Kündigung unwirksam, wenn der
Versicherungsnehmer dem Versicherer den Eintritt der Versicherungspflicht nicht
innerhalb von zwei Monaten nachweist, nachdem der Versicherer ihn hierzu in Textform
aufgefordert hat, es sei denn, der Versicherungsnehmer hat die Versäumung dieser Frist
nicht zu vertreten. Dazu hat die Beklagte behauptet, dass sie den erforderlichen
Nachweis innerhalb der 2-Monats-Frist an die Klägerin gesandt hat, nachdem diese
eine Aufforderung dazu in Textform abgegeben hatte. Allerdings kann die Beklagte den
Zugang nicht beweisen, da dieser von der Klägerin bestritten wird. Auch der Beklagten
kommen keine Beweiserleichterungen zu, dass ein zur Post gegebenes Schriftstück den
Empfänger auch erreicht haben muss. Die Beklagte hat dem Gericht bei ihrer Anhörung
versichert, dass sie die zwei Schreiben selbst zur Post aufgegeben hat. Das Gericht hat
keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Diese Angaben
zugrundelegend ist davon auszugehen, dass die Beklagte es nicht zu vertreten hat,
dass die Unterlagen nicht innerhalb der zweimonatigen Frist bei der Klägerin
eingegangen sind. Nach der eindeutigen Regelung des § 205 Abs. 2 Satz 2 VVG ist
damit die Überschreitung der 2-Monats-Frist unschädlich. Da der Klägerin die
erforderlichen Unterlagen jedenfalls im Laufe des Rechtsstreites zugegangen sind, ist
die Kündigung des Vertrages wirksam geblieben und hat ihre Wirkung nicht nach § 205
Abs. 2 Satz 2 VVG verloren. Dem Gesetz lässt sich nicht entnehmen, dass bei
Versäumung der Nachweisfrist ein unverzügliches Nachholen geboten ist, um die
Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung zu erhalten, so dass der im Laufe des
Rechtsstreites erbrachte Nachweis ausreicht, um die Folgen einer unentschuldigten
Fristversäumung zu verhindern.
IV.
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Die Klage musste mit der Kostenfolge aus §§ 91, 101 ZPO abgewiesen werden.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und deren Abwendung beruht
auf §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
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