Urteil des LG Dortmund vom 10.09.2010

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Landgericht Dortmund, 3 O 140/10
Datum:
10.09.2010
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 O 140/10
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, die Zweige der Lärchen, die auf dem
Grundstück C- Straße # an der Grenze des Grundstücks I- Straße ###
stehen, zu beseitigen, soweit die Zweige dieser Lärchen auf das
Grundstück I- Straße ### herüber ragen.
Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 182,23 € (anteilige
vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten) zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 2/3 und der
Beklagte 1/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 €. Der Kläger darf die
Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120
% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor
der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks I- Straße ### in E und der Beklagte
Eigentümer des südlich angrenzenden Grundstücks C- Straße #. Auf dem Grundstück
des Beklagten stehen in der Nähe der Grundstücksgrenze 10 teilweise 15 m hohe
Lärchen, deren Äste teilweise auf das Grundstück des Klägers herüber ragen. Die
Lärchen wurden vor dem Jahr 2002 angepflanzt. Nadeln der Lärchen fallen auf das
Grundstück des Klägers. Das Ausmaß und die dadurch verursachten
Beeinträchtigungen sind streitig.
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Der Kläger verweist insoweit auf die Fotos Blatt 8 bis 21 d. A. und behauptet, die
herabfallenden Nadeln führen zu Verstopfungen in den Dachrinnen und Abflüssen des
Hauses und der Garage, die regelmäßig von Fachunternehmen beseitigt werden
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müssten. Aufgrund einer Rohrverstopfung durch Lärchennadeln sei es bereits zu einem
Wasserschaden gekommen. Angepflanzte Büsche und Blumen könnten nicht wachsen.
Der Hof und die Zuwege setzten nach kurzer Zeit Grünspan und Moos an, was an
regnerischen Tagen zu einer erheblichen Rutschgefahr führe. Der Filter der
Teichpumpe sei immer verstopft. Die Benutzung von Balkon und Terrasse sei an
windigen Tagen aufgrund des Nadelfluges erheblich beeinträchtigt.
Der Kläger beantragt,
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dem Beklagten zu verurteilen,
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1. die sich auf dem Grundstück des Beklagten, C-
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Straße # in E befindlichen, an der Grundstücksgrenze stehenden Lärchen
einer Baumpflege bzw. einem Baumschnitt in der Weise zu unterziehen, dass
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a) die über die Grundstücksgrenze ragenden Äste zu-
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rückgeschnitten werden,
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b) die Lärchen insofern beschnitten und gekürzt werden,
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so dass deren Standfestigkeit durch die Beseitigung der über die
Grundstücksgrenze ragenden Äste nicht gefährdet wird, durch Kürzung
der Lärchen sowie Beschneidung der Äste, welche sich auf der
Gegenseite befinden, und
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c) die Lärche insgesamt so weit beschnitten werden,
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dass die Beeinträchtigungen des Klägers durch den Nadelbefall auf ein
zumutbares Maß reduziert werden, mindestens jedoch durch einen
Beschnitt von 50 % der nadelnden Äste,
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2. an den Kläger 546,69 € zur Erstattung der durch die außer-
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gerichtliche Geltendmachung entstandenen Kosten zu zahlen.
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hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger eine Rente von jährlich
1.000,00 € zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er behauptet, der Nadelfall auf das Grundstück des Klägers übersteige nicht das
ortsübliche Maß. Die Fotos gäben den tatsächlichen Zustand verzerrt wieder.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
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Der Kläger hat einen Anspruch auf Beseitigung der Zweige der Lärchen, soweit die
Zweige der Lärchen auf das Grundstück I- Straße ### herüber ragen, gemäß §§ 1004,
910 BGB.
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Der Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB wird nicht durch das Selbsthilferecht des
Klägers nach §§ 910 BGB ausgeschlossen (BGH NJW 2004, Seite 603, Schäfer,
Nachbarrechtsgesetz für NRW, vor §§ 40 ff. Rn. 26).
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Derjenige, der es zulässt, dass Baumzweige über die Grundstücksgrenze
hinüberwachsen und zu Beeinträchtigungen führen ist Störer im Sinne des § 1004
Abs. 1 BGB und hat danach diese Beeinträchtigungen des Nachbargrundstückes zu
beseitigen (BGH NZM 2005, 3018, OLG Düsseldorf 9 U 10/2005). Nach § 910 BGB hat
der Eigentümer eines Grundstücks dafür zu sorgen, dass überhängende Zweige von
Bäumen den Nachbarn nicht beeinträchtigen.
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Der Beklagte ist unstreitig Eigentümer des Grundstücks C- Straße #. Auf diesem
Grundstück stehen in der Nähe der Grundstücksgrenze zum Grundstück des Klägers I-
Straße ###, zahlreiche Lärchen, deren Äste unstreitig mehr oder weniger auf das
Grundstück des Klägers überragen.
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Die Störereigenschaft des Beklagten entfällt nicht durch die Regelungen der
Baumschutzsatzung der Stadt E, denn Nadelbäume fallen nach § 3 der Satzung nicht
unter die Satzung.
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Bei Lärchen handelt es sich um eine Pflanzengattung der Familie der Kieferngewächse
mithin um Nadelbäume (www.wikipedia.de, Stichwort Lärche, www.naturlexikon.com,
Stichwort Europäische Lärche sowie die von dem Beklagten im Schriftsatz vom
05.08.2010 zitierten Fundstellen www.gartendatenbank.de/wiki/larix-decidua,
wikipedia.org/wiki/europäischeLärche, www.stadtfuehrung-herford.de). In den von den
Beklagten zitierten Fundstellen heißt es u. a. wie folgt:
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"Europäische Lärche
28
Familie: Pinaceae (Kieferngewächse) …
29
Besonderheiten: Laubabwerfender Nadelbaum mit prächtiger goldgelber
Herbstfärbung, …"
30
(www.gartenbank.de)
31
"Die Europäische Lärche ist der einzige in Europa heimische laubabwerfende
Nadelbaum. …
32
Die im Herbst abfallenden Nadeln führen schon nach kurzer Zeit zu einer
Verbesserung des Bodens. …
33
Lärchenholz stellt unter den europäischen Nadelnutzhölzern das schwerste und
härteste Holz da und …
34
Ökologie
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Die Lärche ist ein winterkahler Nadelbaum …
36
Die Borke ist goldbraun und die Nadeln sind gewöhnlich einjährig, …"
37
(Wikipedia.org)
38
"Die Europäische Lärche ist der einzige in Europa heimische laubabwerfende
Nadelbaum."
39
(www.stadtfuehrung-herford.de)"
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Es ist damit gerichtsbekannt, dass es sich bei der Lärche um einen Nadelbaum handelt,
der nach § 3 nicht unter die Baumschutzsatzung der Stadt E fällt.
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Der Beseitigung des Klägers ist auch nicht nach § 910 Abs. 2 BGB ausgeschlossen.
Danach entfällt der Beseitigungsanspruch, wenn die herüberhängenden Zweige die
Benutzung des Grundstücks des Klägers nicht beeinträchtigen. Die Vorschrift gilt auch
für den Anspruch aus § 1004 BGB (BGH NJW 2004, 1037, Schäfer, vor § 40 ff. Rn. 26).
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Die Voraussetzungen des § 910 Abs. 2 BGB sind dann gegeben, wenn die
Grundstücksbenutzung im Vergleich zum Zustand ohne Überwuchs nach objektiven
Maßstäben nicht oder nur ganz unerheblich beeinträchtigt wird, und unter Umständen
bei geringem Lauf nach Nadel- oder Blütenbefall (Palandt, § 910 Rn. 3).
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Die Darlegungs- und Beweislast dafür obliegt dem Beklagten (BGH NJW 2004, 1037,
Schäfer vor § 40 ff. Rn. 26). Tatsachen hat der Beklagte nicht vorgetragen und nicht
unter Beweis gestellt. Der Kläger behauptet demgegenüber erhebliche
Beeinträchtigungen in großem Umfang für die die von dem Kläger zu den Akten
gereichten Fotos sprechen.
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Der Beseitigungsanspruch des Klägers ist schließlich auch nicht durch § 47
Nachbargesetz NRW ausgeschlossen. Die Rechte des Nachbarn aus §§ 910 und 1004
BGB bleiben bestehen, wenn Äste, Zweige und Wurzeln über die Grenze wachsen.
Diese Ansprüche werden durch § 47 Nachbarrechtsgesetz NRW nicht ausgeschlossen,
da § 47 nur die Beeinträchtigungen durch das Unterschreiten des im Gesetz
vorgeschriebenen Grenzabstandes als solches betrifft (BGH NJW 2004, 1035, Schäfer,
§ 40 Rn. 28).
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Festzuhalten bleibt damit, dass der Beklagte nach §§ 1004, 910 BGB verpflichtet ist, die
Zweige der Lärchen, die auf seinem Grundstück C- Straße # in E an der Grenze des
Grundstücks I- Straße ### stehen zu beseitigen, soweit die Zweige dieser Lärchen auf
das Grundstück I- Straße ### herüber ragen.
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Im Übrigen ist die Klage nicht begründet.
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Der Kläger hat aus keinem Rechtsgrund einen Anspruch, dass der Beklagte die Äste
der Lärchen, die nicht auf das Grundstück I- Straße ### herüber ragen zur Erhaltung der
Standfestigkeit der Lärchen ganz oder teilweise zu beseitigen.
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Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 1004 BGB, denn es ist weder ersichtlich noch
dargelegt, woraus sich eine Eigentumsbeeinträchtigung des Grundstücks des Klägers
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ergeben soll. Wenn die Standsicherheit der Lärchen beeinträchtigt sein sollte, dann
fallen die Bäume auf das Grundstück des Beklagten. Dahinstehen kann, ob die
Grenzabstände gemäß § 41 Nachbargesetz NRW eingehalten sind, denn der sich
daraus nach § 1004 BGB ergebende Beseitigungsanspruch ist nach § 47
Nachbargesetz NRW ausgeschlossen, weil die Frist von 6 Jahren abgelaufen ist. Die
Bäume wurden vor dem Jahr 2002 errichtet.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Unterlassung der Beeinträchtigung durch den
Nadelbefall "auf ein zumutbares Maß" durch einen Beschnitt von 50 % der nadelnden
Äste. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus §§ 1004, 906 BGB.
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Dahinstehen kann in diesem Zusammenhang die Eigentumsbeeinträchtigung des
Grundstücks des Klägers durch Nadelbefall durch die nicht grenzüberschreitenden Äste
der Bäume (die grenzüberschreitenden Äste unterfallen dem Klageantrag zu 1. a) und
der Beseitigungspflicht des Beklagten gemäß §§ 1004, 710 BGB, denn diesen
Nadelbefall muss der Kläger nach § 906 BGB dulden (OLG Hamm, NJW-RR 2009, 739,
OLG Düsseldorf 9 U 10/95). Es handelt sich bei dem Laub-, Blüten- oder Nadelbefall
entweder um eine unwesentliche Beeinträchtigung gemäß § 906 Abs. 1 BGB und/oder
um eine wesentliche aber ortsübliche Beeinträchtigung gemäß § 906 Abs. 2 BGB
(ebenso Schäfer, vor § 40 Rn. 5 und 8).
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Der Hilfsantrag, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger eine jährliche Rente in
Höhe von 1.000,00 € zu zahlen, ist nicht begründet. Die Anspruchsvoraussetzungen des
§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB liegen nicht vor. Voraussetzung des Ausgleichsanspruches in
Geld nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist die unzumutbare Beeinträchtigung der
ortsüblichen Benutzung. Dies bemisst sich entscheidend danach, was in einem
nachbarschaftlichen Verhältnis als sozial adäquat hingenommen werden muss. Laub-
und Nadelbefall gehört dazu (OLG Hamm, NJW-RR 2009, 739, OLG Düsseldorf, 9
U 10/95, Palandt, § 906 Rn. 26).
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Festzuhalten bleibt damit, dass die Klageanträge zu 1. b) und 1. c) sowie der Hilfsantrag
nicht begründet sind und daher abzuweisen waren.
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Der Anspruch des Klägers auf anteiligen Ersatz der vorgerichtlichen
Rechtsanwaltskosten folgt aus § 280 BGB und die Kostenentscheidung aus § 92 Abs. 1
ZPO. Dabei hat das Gericht das anteilige Obsiegen und Unterliegen der Parteien
berücksichtigt.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, 709 und
711 ZPO.
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