Urteil des LG Dortmund vom 18.11.2010

LG Dortmund (kläger, private krankenversicherung, ausführung, hilfsmittel, tarif, höhe, vvg, versicherte person, verhältnis zu, versicherungsnehmer)

Landgericht Dortmund, 2 S 39/10
Datum:
18.11.2010
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 S 39/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Dortmund, 431 C 3536/09
Leitsätze:
Eine Regelung in den Versicherungsbedingungen eines
Krankenversicherers, die das in den MB/KK gegebene
Leistungsversprechen bei Hilfsmitteln auf solche " in einfacher
Ausführung" beschränkt, ist wegen Intransparenz unwirksam, weil sie so
konturenlos ist, dass der Versicherte nicht verlässlich bestimmen kann,
welcher Anspruch ihm zustehem soll.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 18.06.2010 verkündete Urteil
des Amtsgerichts Dortmund abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 712,67 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
01.03.2010 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von 712,67 €
die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Der Kläger ist Beamter im Ruhestand und beihilfeberechtigt mit einem Bemessungssatz
von 70 %. Er unterhält bei der Beklagten bereits seit Jahrzehnten eine private
Krankenversicherung für Beihilfeberechtigte mit der Tarifbezeichnung BTI/30. Zudem
hat er bei der Beklagten auch noch eine sogenannte Beihilfeergänzungsversicherung
mit der Tarifbezeichnung EBT70 abgeschlossen. Die Beihilfeergänzungsversicherung
dient dazu, Krankheitskosten, die nicht oder nicht mit dem vollen Prozentsatz von 70 %
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beihilfefähige sind, bis zur Höhe von 70 % zu erstatten. Dem
Krankenversicherungsvertrag liegen die MB/KK zugrunde sowie die Allgemeinen
Versicherungsbedingungen für die Versicherung ambulanter und stationärer
Heilbehandlungskosten von beihilfeberechtigten Personen nach den Tarifen BTI und
BTII sowie die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die die
Beihilfeergänzungsversicherung nach dem Tarif EBT. Die beiden zuletzt genannten
Versicherungsbedingungen regeln die Erstattung von Hilfsmitteln. Danach waren
erstattet die Kosten für Hilfsmittel "in einfache Ausführung". (Nur) Die Allgemeinen
Versicherungsbedingungen für die Beihilfeergänzungsversicherung enthalten zu dieser
Regelung einen Sternchenzusatz mit der Erläuterung: "Bei Brillenfassungen gilt z. Zt.
ein Wert von bis zu 52,00 € als einfache Ausführung".
Der Kläger ist seit Jahrzehnten schwerhörig. Mittlerweile besteht eine fortgeschrittene,
an Taubheit grenzende Schallempfindungsschwerhörigkeit mit beidseitigem Tinnitus.
Ihm wurde ein Grad der Behinderung von 100 zuerkannt, die Schwerhörigkeit wurde
dabei mit einem Einzelgrad der Behinderung von 60 berücksichtigt und führte zur
Zuerkennung des Merkmals "Rf". Seit 1975 bedarf der Kläger an beiden Ohren eines
Hörgerätes.
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Im Juni 2008 benötigte der Kläger neue Hörgeräte, da seine alten Geräte verbraucht
waren. Nach Erhalt einer entsprechenden ohrenärztlichen Verordnung probierte er bei
einem Hörakustiker verschiedene Geräte aus. Das beste Hörergebnis erzielte er mit
Hörgeräten der Marke Q. Mit diesen Geräten erreichte er einen Hörgewinn von 80 %.
Deshalb erwarb er diese Hörgeräte zu einem Preis von 2.070,00 € pro Stück zuzüglich
einer Fernbedienung.
Auf den Erstattungsantrag des Klägers zahlte die Beklagte 600,00 € aus dem Tarif
BTI/30. Zur Erläuterung führte sie aus, dass die Kosten für Hörgeräte in einfacher
Ausführung (sowohl für
deutlich unter 1.000,00 € liegen und deshalb die Tarifleistung ausgehend von 1.000,00
€ erstattet werde. Auf die Nachfrage des Klägers u.a. nach einer Erstattung aus dem
Beihilfeergänzungstarif teilte die Beklagte mit, dass sie ihrer Berechnung Kosten für die
Hörgeräteversäumung in Höhe von 1.000,00 € je Ohr zugrunde gelegt habe, so dass
aus diesem Tarif kein Leistungsanspruch bestehe, da die Beihilfe Kosten in Höhe von
1.025,00 € je Ohr als beihilfefähig anerkannt habe.
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Da der Kläger auch seinen Dienstherrn auf Gewährung einer höheren Beihilfe
gerichtlich in Anspruch nimmt – das Verfahren befindet sich zur Zeit in der
Berufungsinstanz –, stützt er seine Klage ausdrücklich nur auf den Tarif BTI. Er hält die
Taribedingung für unklar und begehrt Zahlung weiterer 712,67 €.
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Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage, ob
Mitte 2008 andere preiswerte Hörgeräte als das vom Kläger erworbene "Q" auf dem
Markt waren, mit welchem der Kläger ein vergleichbares Hörergebnis hätte erzielen
können der Klage in Höhe von 130,67 € stattgegeben und die Berufung für beide
Parteien zugelassen. Zur Begründung der Sachentscheidung hat es ausgeführt, dass
der Kläger aufgrund der vereinbarten Versicherungsbedingungen einen Anspruch auf
medizinisch notwendige Heilbehandlung seiner extremen Schwerhörigkeit durch
Versorgung mit einem Hörgerät in "einfacher Ausführung" habe. Solche Geräte seien
nach dem eingeholten Sachverständigengutachten für 1.000,00 bis 1.200,00 € pro Ohr
zu kaufen gewesen. Auf einen Anspruch ausgehend von einem Kaufpreis i.H.v. 1100 €
sei der Kläger aufgrund der Versicherungsbedingungen beschränkt, wonach er einen
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Anspruch lediglich auf Hilfsmittel "in einfacher Ausführung" habe. Wenn ein
Versicherungsnehmer in der Situation des Klägers diese unter den Parteien umstrittene
Einschränkung lese, dann werde er die Einschränkung nicht dahingehend verstehen, er
müsse sich mit Hilfsmittel begnügen, die einen geringeren Wirkungsgrad aufweisen als
die Hilfsmittel, die das medizinisch Notwendige leisten. Nicht das medizinisch
erreichbare Ziel solle eingeschränkt werden, sondern unter Umständen der Weg dort
hin, welcher einfacher und mühsamer gestaltet sein kann, wenn man ihn an den
vereinbarten Leistungen der Beklagten orientiere. Für den klassischen Fall des
Hilfsmittels Brille habe die Beklagte dies in ihren Bedingungen dadurch verdeutlicht,
dass sie die Beschränkung am Brillengestellt festgemacht und erläutert habe, also nicht
etwa als Beispiel den medizinischen Wirkungsgrad der Gläser erläutert und die Leistung
auf dieser Ebene eingeschränkt. Hätte die Beklagte eine Einschränkung auf der Ebene
der Wirksamkeit vornehmen wollen, dann hätte sie ihr Beispiel nicht mit dem
Brillengestell, welches für die Sehhilfe ohne Bedeutung ist, sondern anhand der
Brillengläser erläutern müssen. Bei Brillengläsern hätte man das Ganze z.B. am
Gewicht der Gläser festmachen können, also die schwerere und dadurch nicht zu
bequeme, aber preiswertere Glaslösung den teureren, aber bequemeren Kunststoffglas
gegenüber gestellt, weil auch mit dem preiswerteren einfachen Glas das medizinisch
Notwendige, aber zu günstigeren Preisen erzielt werden könne. Ausgehend von einem
Preis von 1.100,00 € für ein Hörgerät pro Ohr und Kosten für das gemäß
Sachverständigengutachten ebenfalls medizinisch notwendige Fernbedienteil steht dem
Kläger ein weiterer Erstattungsanspruch in Höhe von 130,67 € zu.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er eine falsche Auslegung der
Regelung in den Versicherungsbedingungen über die Erstattungspflicht für Hilfsmittel
"in einfacher Ausführung" rügt. Er verfolgt mit der Berufung seinen erstinstanzlichen
Klageantrag weiter. Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter
Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Vortrages. Sie sieht in der Tarifregelung eine
Leistungsbegrenzung (sekundäre Risikobeschreibung), deren Erforderlichkeit sich
daraus ergebe, dass Hersteller von Hilfsmittel keinerlei amtlichen Abrechnungsgrenzen
unterlägen, wie z.B. Ärzte durch die GOÄ oder Zahnärzte durch die GOZ. Die exorbitant
voranschreitende technische Entwicklung auf dem Hilfsmittelsektor mache daher ein
Korrektiv erforderlich, um einen Versicherungsschutz noch bezahlbar zu machen. Das
vom Kläger angeschaffte Hörgerät sei kein solches von "einfacher Ausführung",
vielmehr ein Gerät der digitalen Spitzenklasse, welches vom Gerätehersteller selbst in
die Oberklasse der angebotenen Geräte eingestuft werde. Die Regelung sei auch nicht
intransparent, weil sie beispielhaft anhand eines Brillengestelles bzw. der Kosten dafür
präzisiert worden sei. Der mündige Versicherungsnehmer sei in der Lage, die
Leistungseinschränkung zu deuten. In Zweifelsfällen hätte der Kläger bei der Beklagten
nachfragen können.
8
II.
9
Die zulässige – weil zugelassene – rechtzeitige Berufung des Klägers hat Erfolg. Der
Kläger kann von der Beklagten aufgrund der zwischen ihnen bestehenden
Krankheitskostenversicherung Erstattung von 30 % der Kosten verlangen, die er für die
Anschaffung zweier Hörgeräte nebst Fernbedienteil hat aufwenden müssen. Dieser
Kostenanteil macht – wie unter den Parteien der Höhe nach unstreitig ist – den ihm
zuerkannten Betrag von 712,67 € aus.
10
1.
11
Die medizinische Notwendigkeit der Versorgung des extrem schwerhörigen Klägers mit
Hörgeräten auf jedem Ohr hat das Amtsgericht im angefochtenen Urteil festgestellt. Die
Beklagte hat trotz Zulassung der Berufung auch zu ihren Gunsten gegen das Urteil
keine Rechtsmittel eingelegt, so dass das Berufungsgericht die aufgrund eines
eingeholten schriftlichen Sachverständigengutachtens festgestellte medizinische
Notwendigkeit der Hörgeräteversorgung nebst Fernbedienteil zugrunde zu legen hat.
12
2.
13
Entgegen der im angefochtenen Urteil geäußerten Auffassung kann sich die Beklagte
nicht auf B I Ziffer 5 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen nach dem Tarif BTI
berufen, wonach Kosten nur für Hilfsmittel "in einfacher Ausführung" erstattet werden.
Diese Regelung in den Versicherungsbedingungen ist unwirksam, weil sie den Kläger
unangemessen benachteiligt. Die unangemessene Benachteiligung ergibt sich daraus,
dass diese Regelung in den Versicherungsbedingungen nicht klar und verständlich ist,
§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
14
a)
15
Die Regelung in B I Ziffer 5 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für den Tarif
BTI unterliegt der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Nach der Rechtsprechung sind
Risikobegrenzungen einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nur insoweit entzogen, als
sie den Kernbereich der Versicherungsleistung beschreiben, ohne dessen Vorliegen
mangels Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht
mehr angenommen werden kann. Nicht kontrollfrei sind dagegen Klauseln, die nach
ihrem Wortlaut und erkennbarem Zweck das vom Versicherer gegebene
Hauptleistungsversprechen lediglich einschränken, verändern, ausgestalten oder sonst
modifizieren (BGH VersR 2007, 1690). Um eine solche das Hauptleistungsversprechen
einschränkende Regelung handelt es sich bei der Bestimmung in B I Ziffer 5 der
Allgemeinen Versicherungsbedingungen für den Tarif BTI, wonach lediglich die Kosten
für Hilfsmittel in einfacher Ausführung erstattet werden. Es kommt mithin nicht auf die
Entscheidung der Frage an, ob das Transparenzgebot auch auf grundsätzlich
kontrollfreie Leistungsbeschreibungen anwendbar ist.
16
b)
17
Die unter den Parteien streitige Regelung in B I Ziffer 5 der Allgemeinen
Versicherungsbedingungen für den Tarif BTI wird dem Erfordernis des § 307 Abs. 1
Satz 2 BGB nach ausreichender Transparenz nicht gerecht. Denn das
Transparenzgebot schließt auch das Bestimmtheitsgebot ein. Dieses verlangt, dass die
tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden,
dass einerseits für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume
entstehen. Andererseits soll der Vertragspartner ohne fremde Hilfe möglichst klar und
einfach seine Rechte feststellen können, damit er nicht von deren Durchsetzung
abgehalten wird. Eine Klausel genügt deshalb dem Bestimmtheitsgebot nur dann, wenn
sie im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des
Vertragspartners des Klauselverwenders so klar und präzise wie möglich umschreibt.
Unter dem Gesichtspunkt der Unbestimmheit ist demnach ein Verstoß gegen das
Transparenzgebot dann zu bejahen, wenn eine Klausel so unpräzise formuliert ist, dass
für den VN selbst der Kern der von der Klausel erfassten Fälle nicht überblickt werden
18
kann (BGH VersR 2009, 1659; VersR 2007, 1690; Beckmann in Beckmann/Matusche-
Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Auflage, § 10 Rdnr. 234; Bruns in
Langheidt-Wandt, Münchner Kommentar VVG, § 307 BGB Rdnr. 86; HK-VVG
Brömmelmeyer, Einleitung Rn.71). Ein solcher Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot
liegt z.B. dann vor, wenn die versicherte Person auch nach der gebotenen verständigen
Durchsicht nicht in der Lage ist, verlässlich zu bestimmen, welcher Anspruch ihr nach
der Regelung in den Versicherungsbedingungen zustehen soll (vgl. BGH VersR 2009,
1659 unter II 3b (4)).
Gegen dieses Bestimmtheitsgebot verstößt die streitige Bedingungsregelung, wonach
dem Kläger lediglich Kosten für Hilfsmittel in "einfacher Ausführung" erstattet werden
sollen. Diese Regelung ist so konturenlos, dass der Kläger als aufmerksamer Leser der
Versicherungsbedingungen nicht erkennen kann, in welcher Höhe ihm ein
Leistungsanspruch bei der Anschaffung von Hörgeräten zustehen soll.
19
aa)
20
Bei der Regelung ist bereits unklar, ob es sich um eine Konkretisierung oder
Einschränkung des in den MB/KK gegebenen Hauptleistungsversprechens auf
Kostenerstattung für eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handelt. Es bleibt
offen, ob kein Leistungsanspruch besteht, soweit die Versorgung über das medizinisch
Erforderliche hinausgeht im Sinne einer qualitativen Überversorgung oder ob dann
keine Leistungspflicht der Beklagten bestehen soll, wenn die Versorgung mit dem
Hilfsmittel zwar medizinisch erforderlich, aber beispielsweise zu teuer ist.
21
bb)
22
Ferner lässt sich der Regelung auf Erstattung der Kosten für Hilfsmittel in "einfacher
Ausführung" nicht entnehmen, ob es sich bei diesem Merkmal um ein quantitatives,
qualitatives oder rein monetäres Kriterium handeln soll.
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(1) Um ein quantitatives Kriterium würde es sich handeln, wenn die Beklagte hätte zum
Ausdruck bringen wollen, dass sie Kosten nicht für mehrfache Hilfsmittel erstatten will,
also der Versicherungsnehmer keinen Anspruch auf Kostenerstattung für
Reservehilfsmittel hat.
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(2) Um ein qualitatives Kriterium würde es sich handeln, wenn die Beklagte hätte zum
Ausdruck bringen wollen, dass sie nur die Kosten für einfache im Sinne von schlichte
Hilfsmittel erstatten will. Dann könnte der verständige Versicherungsnehmer der
Regelung entnehmen, dass er keinen Anspruch auf die beste Qualität hätte, sich
andererseits aber auch nicht mit der schlechtesten Qualität im Sinne einer "einfachsten"
Ausführung begnügen müsste. Im wäre deutlich, dass er sich aus der Bandbreite der
zwischen den extremen liegenden Angebote bedienen müsste. Unklar bliebe aber
dann, welche Qualität aus der breiten Palette eines oder verschiedener Anbieter
maßgebend sein soll.
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(3) Rein monetär werde die Vertragsbestimmung zu verstehen, wenn die Beklagte – so
wie sie es in diesem Verfahren ausgeführt hat – die Regelung als eine Preisbegrenzung
verstanden wissen will, obwohl es für die medizinische Notwendigkeit auf
Kostengesichtspunkte gerade nicht ankommt (BGH VersR 2003, 581). Ein solches
Verständnis könnte der Sternchenzusatz in den Bedingungen für den
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Beihilfeergänzungstarif nahelegen, auf den auch das Amtsgericht abhebt. Dabei wird
allerdings verkannt, dass sich ein solcher Sternchenzusatz in den hier maßgeblichen
Regelungen für den Tarif BTI gerade nicht befindet. Der verständige
Versicherungsnehmer kann nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass der
Sternchenzusatz des Beihilfeergänzungstarifes allein wegen des gleichen
Regelungswortlautes in den Allgemeinen Bedingungen für den Tarif BTI ebenfalls
gelten soll. Aus der Tatsache, dass der Sternchenzusatz in den letztgenannten
Bedingungen fehlt, kann auch im Umkehrschluss gefolgert werden, dass er bei diesen
Allgemeinen Bedingungen gerade nicht gelten soll.
Aber selbst wenn man den Sternchenzusatz – wie vom Amtsgericht und auch von der
Beklagten angenommen – auch für die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für den
Tarif BTI gelten lässt, bliebe die Preisgrenze, bis zu der ein Leistungsanspruch der
versicherten Person bestehen soll, offen und wäre auch nicht ansatzweise erkennbar.
Denn es fehlt eine Preisangabe wie bei der beispielhaft aufgeführten Brillenfassung. Die
genannte Preisangabe für ein Brillengestell hilft bei anderen Hilfsmitteln, insbesondere
bei der Anschaffung eines Hörgerätes, nicht weiter, da offenkundig Hörgeräte zu einem
Preis von bis zu 52,00 €, wie er bei der Brillengfassung genannt ist, nicht zu erhalten
sind, allenfalls in "einfachster" Ausführung, auf die der Kläger schon nach dem Wortlaut
der Versicherungsbedingungen –wie ausgeführt- nicht beschränkt ist.
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Das Gericht verkennt nicht, dass die Anforderungen an die Transparenz von
Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht überspannt werden dürfen (Bruns, a.a.O.,
Rdnr. 89; Staudinger in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 4. Aufl., Teil A Rn.
111). Es ist allerdings der Auffassung, dass es der Beklagten möglich ist, Preisgrenzen
der Erstattungsfähigkeit von Hörgeräten anzugeben, wenn die streitige Regelung in den
Allgemeinen Versicherungsbedingungen für den Tarif BTI in diesem Sinne verstanden
werden soll, wie die Beklagte in diesem Verfahren ausführt. Dies zeigt die
entsprechende Regelung für Brillenfassungen im Beihilfeergänzungstarif. Die
bestehende, völlig konturenlose Regelung hält die bestehende Ungewissheit um die
Höhe des bestehenden Leistungsanspruches nicht mehr in erträglichen Grenzen. Dies
wurde durch den vorliegenden Rechtsstreit auch nur allzu deutlich. Während die
Beihilfe einen Betrag von 1.025,00 € je Hörgerät für erstattungsfähig hält, geht die
Beklagte von einem Betrag von deutlich unter 1.000,00 € aus. Der in erster Instanz
eingeschaltete Sachverständige hat einen Preisrahmen von 1.000,00 bis 1.200,00 €
ermittelt und das Amtsgericht hat einen Betrag von 1.100,00 € zugrunde gelegt. Der
versicherten Person kann nach Auffassung des Gerichts schlechterdings nicht
zugemutet werden, eine Marktanalyse über die Preise aller verfügbaren Hörgeräte
vorzunehmen. Ebenso kann es nicht Sinn und Zweck einer Vertragsbestimmung sein,
dass der Versicherungsnehmer sich auf eine Marktanalyse seines Vertragspartners, des
Versicherers, verlassen muss, um seinen Leistungsanspruch bestimmen zu können.
Deshalb hilft auch die Anregung der Beklagten nicht weiter, dass der Kläger bei ihr hätte
nachfragen können, um die Höhe seines Leistungsanspruches zu ermitteln. Dadurch
würden der Beklagten gerade diejenigen Beurteilungsspielräume eröffnet, die ihr als
Klauselverwender durch das Bestimmtheitsgebot gerade verschlossen werden sollen.
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Nach alledem hält das Berufungsgericht die streitige Klausel wegen Intransparenz für
unwirksam, so dass sich die Beklagte hierauf zur Eingrenzung ihrer
Leistungsverpflichtung nicht berufen kann.
29
3.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten verstößt der Anspruch des Klägers auf
vollständige Kostenerstattung im tariflichen Umfang auch nicht gegen das
Übermaßverbot des § 5 MB/KK. Denn seit der sogenannten Alpha-Klinik-Entscheidung
des BGH (VersR 2003, 981) ist herrschende Rechtsprechung, dass das Kürzungsrecht
des Versicherers bei sogenannter Übermaßbehandlung gemäß § 5 Abs. 2 MB/KK sich
nicht auf Übermaßvergütungen erstreckt.
31
4.
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Das Gericht vermag der Beklagten auch nicht darin zu folgen, dass sich eine
Einschränkung des Leistungsanspruches des Klägers aus § 5 Abs. 2 Satz 2 MB/KK
2009 ergeben soll. Diese Regelung, wonach der Versicherer insoweit nicht zur Leistung
verpflichtet ist, soweit die Aufwendungen für die Heilbehandlung oder sonstige
Leistungen in einem auffälligen Missverhältnis zu den erbrachten Leistungen stehen,
entspricht inhaltlich § 192 Abs. 2 VVG 2008. Das VVG 2008 findet allerdings auf den im
Jahre 2008 eingetretenen Versicherungsfall in einem Altvertrag ebenso wenig
Anwendung wie die MB/KK 2009. Die MB/KK 2009 kann das Gericht dem streitigen
Versicherungsfall schon deswegen nicht zugrunde legen, weil die Beklagte nichts dazu
vorgetragen hat, dass sie entsprechend den Voraussetzungen in Artikel 2 Nr. 2 EGVVG
für eine Anpassung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen an das VVG 2008
Sorge getragen hat. Deshalb kommt es nicht auf die Entscheidung der Frage an, ob eine
solche Anpassung überhaupt das Übermaßverbot in § 192 Abs. 2 VVG hätte erfassen
können, welches gemäß § 208 VVG nicht zu den zwingenden oder halbzwingenden
Vorschriften der Krankenversicherung gehört. Schließlich würde auch die Regelung in §
192 Abs. 2 VVG inhaltlich die von der Beklagten aufgeworfene Problematik nicht treffen.
Denn die genannte Vorschrift betrifft ein auffälliges Missverhältnis von Aufwendungen
für eine Heilbehandlung im Verhältnis zu den erbrachten Leistungen. Ein solches
Missverhältnis wird indes von der Beklagten gar nicht geltend gemacht, die im gesamten
Rechtsstreit gerügt hat, dass eine Überversorgung mit den erworbenen Hilfsmitteln im
Verhältnis zur bestehenden Erkrankung des Klägers vorliegt, mithin eine Diskrepanz
zwischen zwei Parametern gegeben sein soll, die von § 192 Abs. 2 VVG gar nicht
angesprochen wird.
33
5.
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Nach alledem musste auf die Berufung des Klägers das angefochtene Urteil abgeändert
und dem Klageanspruch in voller Höhe stattgegeben werden.
35
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10 und 713 ZPO. Die Zulassung der Revision war nicht
veranlasst.
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