Urteil des LG Dortmund vom 13.01.2011

LG Dortmund (kläger, invalidität, private unfallversicherung, frist, strafbare handlung, der rat, freiwillige leistung, beitragsbefreiung, anspruchsvoraussetzung, versicherungsvertrag)

Landgericht Dortmund, 2 O 325/10
Datum:
13.01.2011
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 325/10
Leitsätze:
Der versicherten Person steht kein Anspruch auf Invaliditätsleistung zu,
wenn die ärztliche Invaliditätsfeststellung nicht innerhalb der in den AUB
vorgesehenen Frist erfolgt ist. Das Fehlen dieser die
Entschädigungspflicht des Unfallversicherers begrenzenden
Anspruchvoraussetzung ist selbst dann zu berücksichtigen, wenn eine
ärztliche Feststellung der Invalidität innerhalb der bedingungsgemäßen
Frist nicht erfolgen konnte.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von bis zu
150.000,00 € der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Der Kläger unterhält bei der Beklagten zwei Unfallversicherungen, der die AUB 94 der
Beklagten zugrunde liegen. Wegen Verletzungen, die er am 01.11.2007 im Dienst bei
der Festnahme eines Angeschuldigten erlitten hat, nimmt er die Beklagte auf
Invaliditätsleistung (Kapitalleistung und Rente) sowie Beitragsbefreiung in Anspruch.
Die vom Kläger geltend gemachte unfallbedingte Invalidität wurde zunächst ärztlich
nicht festgestellt, weil ein erlittener Brustbeinbruch zunächst nicht erkannt wurde und die
Ärzte davon ausgingen, dass wegen der unfallbedingten Verletzungen keine Invalidität
drohe. Erst im März 2010 wurde dem Kläger von den Ärzten mitgeteilt, dass wegen einer
unfallbedingten Brustbeinbruchs mit Pseudoarthrose eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit
vorliege. Daraufhin meldete der Kläger seine Ansprüche bei der Beklagten an, die diese
mit Schreiben vom 16.03.2010 mit der Begründung zurückwies, dass es an mindestens
einer der drei bedingungsgemäßen formellen Anspruchsvoraussetzungen fehle.
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Der Kläger meint, die Beklagte könne sich auf Fristabläufe nicht berufen, da innerhalb
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der bedingungsgemäßen Fristen eine Invalidität noch gar nicht habe festgestellt werden
können. Die Frist zur Anmeldung von Invaliditätsansprüchen sieht er dadurch gewahrt,
dass er den Unfall der Gewerkschaft, einer Miteigentümerin der Beklagten unmittelbar
nach der Verletzung angezeigt habe.
Der Kläger bemisst seine Invalidität auf mindestens 50 %. Er ist zwischenzeitlich in den
Ruhestand versetzt worden.
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Der Kläger beantragt,
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1.
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die Beklagte wird verurteilt, aus dem Versicherungsvertrag 83.232.631/3/01/807
an den Kläger 40.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit dem 06.03.2010 zu zahlen,
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2.
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die Beklagte wird verurteilt, aus dem Versicherungsvertrag 83.232.631/3/01/807
an den Kläger ab dem 01.11.2007 eine monatliche Rente in Höhe von 2.300,00
€, zahlbar monatlich im Voraus, längstens bis zum Ablauf des 65. Lebensjahres
zu zahlen,
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3.
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die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von der Verpflichtung, Beiträge zu dem
Versicherungsvertrag mit dem Versicherungsschein Nr. 83.232.631/3/01/807 zu
zahlen, ab dem 01.07.2007 längstens bis zum Ablauf des 65. Lebensjahres
freizustellen,
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4.
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die Beklagte wird verurteilt, aus dem Versicherungsvertrag 83.232.631/3 01 an
den Kläger 8.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 06.03.2010 zu zahlen,
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5.
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die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von der Verpflichtung, Beiträge zu dem
Versicherungsvertrag mit der Versicherungsscheinnummer 83.232.631/3 01 zu
zahlen, ab dem 01.11.2007 längstens bis zum Ablauf des 65. Lebensjahres
freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält an ihrer vorgerichtlichen Leistungsentscheidung fest, wonach sie sich zu
Leistungen nicht verpflichtet sieht, weil die Fristen nach § 7 Abs. 1 Ziffer 1 AUB 94 nicht
eingehalten worden sind. Nachdem der Kläger ein Kulanzangebot der Beklagten als zu
niedrig abgelehnt hat, hat sie ihr Angebot auf eine freiwillige Leistung zurückgezogen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Leistungen aus den zwischen
ihnen bestehenden Unfallversicherungen zu, weil eine Beitragsbefreiung im
Versicherungsfall nicht vereinbart ist und die Anspruchsvoraussetzungen für eine vom
Kläger begehrte Invaliditätsleistung nicht gegeben sind.
22
1.
23
Eine Beitragsbefreiung im Versicherungsfall sehen die den beiden
Unfallversicherungsverträgen zugrunde liegenden AUB 94 nicht vor. § 5 Abs. 4 AUB 94,
den der Kläger zur Begründung seines Anspruchs auf Beitragsbefreiung heranzieht,
sieht seine Unterbrechung der Beitragszahlungspflicht für den Fall des §§ 4 Abs. 4 AUB
94 vor. Diese Vorschrift regelt das Außerkrafttreten des Versicherungsschutzes, sobald
der Versicherte im Krieg oder kriegsmäßigen Einsatz Dienst in einer militärischen oder
ähnlichen Formation leistet. Für diesen Fall des Außerkrafttretens des
Versicherungsschutzes sieht dann § 5 Abs. 4 AUB 94 eine Unterbrechung der
Beitragszahlungspflicht vor. Es liegt fern, daraus für den Fall des Eintritts des
Versicherungsfalles eine Befreiung von der Beitragspflicht zu folgern.
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Auch in den Versicherungsscheinen ist keine Regelung enthalten, auf die der Kläger
seinen vermeintlichen Anspruch auf Beitragsbefreiung stützen könnte, so dass ihm ein
solcher Anspruch im Versicherungsfall, wie er in der
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung nicht unüblich ist, nicht zusteht.
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2.
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Für den geltend gemachten Anspruch auf Invaliditätsleistung in Form der vereinbarten
Unfallrente sowie einer Kapitalleistung liegen die bedingungsgemäßen
Anspruchsvoraussetzungen nicht vor. Es fehlt bereits an den formellen
Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 AUB 94. Darin ist geregelt, dass die
Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sowie spätestens vor
Ablauf einer Frist von weiteren drei Monaten ärztlich festgestellt und geltend gemacht
sein muss. Keine dieser Voraussetzungen ist erfüllt.
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a)
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Die Fristenregelungen halten der Inhaltskontrolle nach §§ 9 AGBG/307 BGB stand und
sind wirksam (BGH VersR 2005, 639; VersR 1998, 144). Sie genügen auch dem
Transparenzgebot (BGH VersR 2005, 639). Insoweit bei den AUB 99/2008 wegen eines
vorangestellten Inhaltsverzeichnisses bestehende Bedenken (vgl. OLG Hamm VersR
2008, 811) sind bei den den streitgegenständlichen Unfallversicherungsverträgen
zugrunde liegenden AUB 94 nicht angezeigt.
29
b)
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Wie der Kläger selbst vorträgt, ist die Invalidität nicht binnen eines Jahres nach dem
Unfall eingetreten, sondern hat sich erst später entwickelt. Es fehlt damit an einer
Voraussetzung für die Leistungspflicht der Beklagten. Denn gerade bei dem Erfordernis
des Eintritts der Invalidität innerhalb eines Jahres handelt es sich um eine die
Leistungspflicht des Versicherers begrenzende Anspruchsvoraussetzung (OLG Koblenz
NVersZ 2002, 69; Marlow in Veith/Gräfe, Der Versicherungsprozess, 2. Aufl., § 8 Rn. 99;
Naumann/Brinkmann, Die private Unfallversicherung, § 5 Rn. 22). Maßgebend ist, ob
bereits innerhalb des ersten Jahres nach dem Unfall eine unfallbedingte
Gesundheitsbeeinträchtigung eingetreten ist, die in dieser Zeitspanne den Charakter
eines Dauerschadens erreicht hat (Kloth, Private Unfallversicherung, Kapitel G, Rn. 16)
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c)
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Außerdem ist die unfallbedingte Invalidität des Klägers nicht binnen der in § 7 Abs. 1 Nr.
1 AUB 94 geforderten Frist von 15 Monaten nach dem Unfall ärztlich festgestellt worden.
Auch bei dieser Fristenregelung handelt es sich entgegen der Auffassung des Klägers,
der darin eine Ausschlussfrist sehen will, ebenfalls um eine Anspruchsvoraussetzung,
deren Fehlen nicht entschuldigt werden kann (BGH VersR 2005, 639; VersR 2006, 911;
OLG Hamm VersR 2004, 187; OLG Koblenz NJOZ 2004, 4073; Grimm,
Unfallversicherung, 4. Aufl., AUB 99 Rn. 9; Römer/Langheidt, VVG, 2. Aufl., § 179, Rnd.
23; Mangen in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2.
Aufl., § 47 Rn.165). Der Entscheidung des OLG Celle r+s 2004, 251, die wie der Kläger
in der Frist, innerhalb derer die ärztliche Invaliditätsfeststellung bedingungsgemäß zu
erfolgen hat, eine Ausschlussfrist sieht, vermag sich das erkennende Gericht mit der
herrschenden Meinung nicht anzuschließen. Denn die 15 Monatsfrist zur ärztlichen
Feststellung der Invalidität soll genauso wie die Frist für den Eintritt der Invalidität –
unabhängig von Verschuldensfragen – im (berechtigten) Interesse des Versicherers an
einer rationellen, arbeits- und kostensparenden Abwicklung schwer aufklärbare und
unübersehbare Spätschäden vom Versicherungsschutz ausnehmen und eine baldige
Klärung der Leistungspflicht des Versicherers herbeiführen. Dies fördert die
Rechtssicherheit und ermöglicht eine zweckmäßige Beweissicherung. Darüber hinaus
trägt die Regelung nicht nur den Belangen des Versicherers, sondern auch der
versicherten Gemeinschaft Rechnung. Bei einer Einbeziehung von Spätschäden in den
Versicherungsschutz müssten alle diejenigen versicherten Personen, die die Frist
wahren können, eine etwaige Prämienerhöhung hinnehmen, deren Notwendigkeit
wegen des generell erhöhten Wagnisses und des erheblichen größeren
Verwaltungsaufwandes der Versicherer nahe läge (Leverenz in Bruck/Möller VVG
9. Aufl., AUB 2008 Ziffer 2.1 Rn. 73 m.w.N.; Marlow a.a.O., Rn. 102). Deshalb schließt
die Versäumung der 15-Monats-Frist den Anspruch auf Invaliditätsleistung auch dann
aus, wenn – wie in vorliegendem Fall – eine solche Feststellung vor Fristablauf gar nicht
hätte getroffen werden können (OLG Koblenz VersR 2002, 430; OLG Stuttgart VersR
1999, 44; Grimm, a.a.O.; Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., Nr. 2 AUB 2008
Rn 10).
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Der Kläger verkennt die Rechtsnatur der Frist, innerhalb derer bedingungsgemäß die
ärztliche Invaliditätsfeststellung vorliegen muss, wenn er anhand des Beispieles eines
komatösen Versicherungsnehmers darlegt, dass es "Heilungsvorschriften" gibt, die die
infolge des Komas versäumte Frist zur "Unfallmeldung" entschuldigen können. Denn
bei der bedingungsgemäßen Frist, innerhalb derer die Invalidität beim Versicherer
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geltend gemacht sein muss, handelt es sich im Gegensatz zu der Frist, innerhalb derer
die Invalidität ärztlich festgestellt sein muss, nicht um eine Anspruchsvoraussetzung,
sondern um eine Ausschlussfrist (nicht um eine Obliegenheit), bei deren Versäumung
der Entschuldigungsbeweis zugelassen wird (BGH VersR 1995, 1179; OLG
Saarbrücken NJOZ 2007, 1264; OLG Koblenz NJOZ 2004, 4073; r + s 2000, 129;
Knappmann, a.a.O., Rn. 21; Marlow, a.a.O. Rn. 112; Naumann/Brinkmann, a.a.O. Rn.
30). Bei der als Anspruchsvoraussetzung zur qualifizierenden Frist, innerhalb derer die
ärztliche Invaliditätsfeststellung vorliegen muss, handelt es sich hingegen – wie
ausgeführt – um eine Anspruchsvoraussetzung, die verschuldensunabhängig
einzuhalten ist und deren Versäumung nicht entschuldigt werden kann.
Dem Kläger ist darin zuzustimmen, dass es Sachverhalte geben kann, die die
Berücksichtigung auch von Anspruchsvoraussetzungen als treuwidrig erscheinen
lassen können (OLG Hamm r+s 2007, 74). Nichts anderes hat das Gericht im
Rechtsgespräch mit den Parteien im Termin vom 18.11.2010 geäußert. Das Gericht hat
aber auch – was der Kläger im nachgelassenen Schriftsatz vom 09.12.2010
geflissentlich vernachlässigt – dargelegt, dass Gründe für ein treuwidriges Verhalten
des Versicherers, die einer Berücksichtigung der 15-Monats-Frist zur Einholung der
ärztlichen Invaliditätsfeststellungen entgegen stehen könnten, auch nicht ansatzweise
zu erkennen sind, wenn dem Versicherer innerhalb der bedingungsgemäßen Fristen
weder Invaliditätsansprüche der versicherten Person angemeldet worden sind noch ihm
eine unfallbedingte Verletzung zur Kenntnis gebracht worden ist, die eine Invalidität
nahe legen könnte. Hier hat die Beklagte erst weit nach Ablauf aller Fristen davon
Kenntnis erlangt, dass sich aus einer zunächst von den Ärzten als harmlos erkannten
Unfallverletzung eine Invalidität entwickelt hat. Der in diesem –nach den Erfahrungen
des Gerichts durchaus seltenen- Ausnahmefall eingetretene Anspruchsverlust ist Folge
der zwischen den Parteien in den AUB vereinbarten Anspruchs- und
Leistungsbegrenzung
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Aus Sicht des Gerichts ist auch das Verhalten der den einen der beiden
Unfallversicherungsverträge vermittelnden Polizeigewerkschaft, zugleich
Miteigentümerin der Beklagten, nicht zu beanstanden, die bei der Unfallmeldung ihr
gegenüber dem Kläger geraten hat, von einer Anspruchserhebung bei der Beklagten
abzusehen, da offensichtlich die entsprechenden Voraussetzungen für eine
Eintrittspflicht der Beklagten nicht gegeben waren, was aus damaliger Sicht auch
unstreitig richtig war. Die Auffassung des Klägers, dass man ihn im Jahre 2007 hätte
darauf hinweisen müssen, die Invalidität zu melden und – wenn auch mit falschen
Begutachtungen – feststellen zu lassen, vermag das Gericht nicht nachzuvollziehen.
Der Kläger wird nicht ernsthaft verlangen wollen, dass ihm der Rat gegeben werden
soll, einen Arzt zur Abgabe eines falschen Gesundheitszeugnisses zu verleiten und
damit eine nach § 278 StGB strafbare Handlung zu begehen.
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3)
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Nach alledem musste die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abgewiesen werden.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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