Urteil des LG Dortmund vom 16.04.2009

LG Dortmund: versicherungspflicht, ablauf der frist, private krankenversicherung, kündigung, rückzahlung, versicherungsnehmer, bach, beendigung, versicherer, rückwirkung

Landgericht Dortmund, 2 O 465/08
Datum:
16.04.2009
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 465/08
Leitsätze:
Für die Rückwirkung einer Kündigung nach § 178 h Abs. 2 VVG a.F.
kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Kenntnis des
Versicherungsnehmers, sondern auf den Eintritt der gesetzlichen
Krankenversicherungspflicht an.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von 29.524,63
€ die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht Ansprüche auf Rückzahlung von
Krankenversicherungsprämie für die Zeit vom 01.01.2004 bis Juli 2008 geltend.
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Sie ist Arbeitgeberin des Zeugen L, der seit 1998 bei der Beklagten bzw. deren
Rechtsvorgängerin unter Geltung der MB/KK 94 krankenversichert war. Anlässlich einer
im Jahre 2008 durchgeführte Betriebsprüfung wurde bei der Klägerin festgestellt, dass
der Zeuge L seit dem 01.01.2004 kein Einkommen mehr über der
Beitragsbemessungsgrenze erzielt hat und deswegen (wieder) der gesetzlichen
Krankenversicherungspflicht unterfiel. Die für die gesetzliche Krankenversicherung
betreffend den Zeugen L erforderlichen Beiträge musste die Klägerin in Höhe von
31.143,71 € an die Deutsche Rentenversicherung nachzahlen.
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Gegenüber der Beklagten forderte der Zeuge L mit Schreiben vom 03.11.2008 die
Krankenversicherungsbeiträge für die Zeit vom 01.11.2004 (gemeint wohl 01.01.2004)
bis 31.07.2008 in Höhe von 29.524,63 € zurück, nachdem er zuvor mit Schreiben vom
25.09.2008 seine Kranken- und Pflegeversicherung rückwirkend zum 31.07.2008
wegen Eintritts der gesetzlichen Versicherungspflicht gekündigt hatte. Die ebenfalls
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bestehende Krankenhaustagegeldversicherung kündigte er mit Schreiben vom
21.10.2008 zum 31.01.2009.
Nach Erhalt des Nachweises über die gesetzliche Krankenversicherung bestätigte die
Beklagte die Beendigung der Krankheitskostenversicherung und Pflegeversicherung
zum 31.07.2008. Ansprüche auf Prämienrückzahlung wies sie zurück, da die Klägerin
als Arbeitgeberin die Verantwortung für die korrekte Meldung der für die
Versicherungspflicht erforderlichen Daten trage und sie
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- die Beklagte - von der Versicherungspflicht ab 01.04.2004 keine Kenntnis gehabt
habe.
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Die Klägerin meint, die Beklagte sei zur Rückzahlung verpflichtet, weil eine
Doppelversicherung mit Priorität der gesetzlichen Versicherung vorgelegen habe.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 29.524,63 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des BGB seit Klagezustellung zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie vertritt die Auffassung, dass die geltend gemachten Ansprüche dem
Abtretungsverbot des § 6 Abs. 6 MB/KK unterliegen. In der Sache vertritt sie die
Auffassung, dass die Kündigung nur dann auf den Eintrittszeitpunkt der gesetzlichen
Versicherungspflicht zurückwirke, sofern binnen zwei Monaten nach Eintritt der
Versicherungspflicht gekündigt werde, § 13 Abs. 3 MB/KK. Vorsorglich erhebt sie die
Verjährungseinrede und will Beitragsrückerstattungen sowie einen Treuebonus in der
Pflegeversicherung auf den Rückforderungsanspruch hilfsweise angerechnet wissen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet.
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Dem Kläger steht kein Bereicherungsanspruch nach § 812 BGB auf Rückzahlung von
Krankheitskostenversicherungsprämie zu, weil der zwischen ihrem Arbeitnehmer und
der Beklagten bestehende Krankenversicherungsvertrag nicht rückwirkend zum Eintritt
der Versicherungspflicht gekündigt worden ist. § 178 h Abs. 2 VVG a. F. sowie § 13 Abs.
3 MB/KK 94 sehen vor, dass eine versicherte Person binnen zwei Monaten nach Eintritt
der gesetzlichen Kranken- oder Pflegeversicherungspflicht eine
Krankheitskostenversicherung rückwirkend zum Eintritt der Versicherungspflicht
kündigen kann. Macht der Versicherungsnehmer von seinem Kündigungsrecht
Gebrauch, steht dem Versicherer die Prämie nur bis zu diesem Zeitpunkt zu. Später
kann der Versicherungsnehmer das Versicherungsverhältnis zum Ende des Monats
kündigen, in dem er den Eintritt der Versicherungspflicht nachweist. Nach dem
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eindeutigen Wortlaut des Gesetzes und der vereinbarten Bedingungen kommt es für den
Ablauf der 2-Monats-Frist allein auf den objektiven Zeitpunkt des Eintritts der
gesetzlichen Versicherungspflicht an und entgegen der Auffassung der Klägerin nicht
auf den Zeitpunkt, in dem sie von der Versicherungspflicht Kenntnis erlangt hat (BGH,
NJW-RR 2005, 108 unter II 1 b; KG Berlin, VersR 2005, 924; Landgericht Berlin, VersR
2003, 759; Landgericht Freiburg, VersR 2000, 1007; Amtsgericht Berlin-Tiergarten
VersR 1999, 1226; Moser/Bach, private Krankenversicherung, 3. Aufl., § 13 MB/KK, Rn.
19 exakt zu der auch hier vorliegenden Fallkonstellation, dass bei einer Betriebsprüfung
der gesetzliche Eintritt der Versicherungspflicht festgestellt wird.; Prölss in Prölss/Martin,
VVG, 27. Aufl., § 178 h Rn. 9; Römer in Römer/Langheidt, VVG 2. Aufl., § 178 h, Rn. 3;
Berliner Kommentar/Hohlfeld, § 178 h, Rn. 5; Rogler in HK-VVG, § 205 VVG 2008 Rn.
15 zum neuen Recht). Auch der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung zu § 205
VVG 2008, der im Wesentlichen mit § 178 h VVG a. F. übereinstimmt, ausgeführt, dass
es für den Ablauf der Frist nicht auf den Zeitpunkt ankommt, in dem der
Versicherungsnehmer von der gesetzlichen Versicherungspflicht Kenntnis erlangt (BT-
Drucks. 16/3945, Seite 114).
Mit der Gesetzesformulierung von § 178 h VVG a. F. bzw. § 205 VVG 2008 hat der
Gesetzgeber eine Interessenabwägung vorgenommen und den Interessen des
Versicherungsnehmers, dem Versicherer nicht nutzlos aufgewendete Prämien belassen
zu müssen nur für einen begrenzten Zeitraum Rechnung getragen, weil er andererseits
das Interesse des Versicherers, nicht mit Prämienrückzahlungen erheblichen Umfangs
belastet zu werden und dem Risiko ausgesetzt zu sein, während eines längeren
Zeitraums Leistungen erbringen zu müssen, die sich als nicht geschuldet erweisen,
ganz überwiegend den Vorzug eingeräumt hat. Das Gericht vermag sich deshalb der
gegenteiligen Auffassung des Amtsgerichts Lüneburg in VersR1992, 563 nicht
anzuschließen.
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Zwar weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass das Bundesaufsichtsamt für das
Versicherungswesen in früherer Zeit die Auffassung vertreten hat, dass es für den
Zeitpunkt der Rückwirkung der Kündigung auf die Kenntnis des Versicherungsnehmers
ankommt (VerBAV 92, 259). Dieser Auffassung des Bundesaufsichtsamtes hat sich der
Gesetzgeber jedoch nicht angeschlossen, als er 1994 und mithin in Kenntnis der
Auffassung des Bundesaufsichtsamtes den § 178 h Abs. 2 VVG a. F. und im Jahre 2008
den § 205 VVG 2008 in Kraft gesetzt hat.
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Auf § 5 Abs. 9 SGB V in der im Jahre 2004 gültigen Fassung, wonach den privaten
Versicherungsvertrag mit Wirkung vom Eintritt der Versicherungspflicht an kündigen
kann, wer gesetzlich versicherungspflichtig wird, kann sich die Klägerin zur Stützung
ihrer Auffassung ebenfalls nicht berufen. Denn diese Vorschrift regelt erkennbar keine
Einzelheiten, die für die Beendigung eines Vertrages durch Kündigung notwendig sind,
wie Frist und Nachweis der Versicherungspflicht (Moser/Bach a.a.O.; Römer/Langheidt
a.a.O.). Zudem ist § 178 h Abs. 2 VVG a. F. als später erlassene Vorschrift gegenüber §
5 Abs. 9 SGB V in der im Jahre 2004 geltenden Fassung als später erlassene Vorschrift
lex specialis.
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Nach alledem ist angesichts der eindeutigen gesetzgeberischen Entscheidung, wie sie
in § 178 h Abs. 2 VVG a. F. zum Ausdruck gekommen ist, hinsichtlich des Fristbeginns
auf den objektiven Eintritt der gesetzlichen Versicherungspflicht und nicht auf die
Kenntnis des Versicherungsnehmers abzustellen, so dass die Beklagte wegen der erst
mit Schreiben vom 25.09.2008 erfolgten Kündigung der Krankheitskostenversicherung
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nicht verpflichtet ist, die Beiträge für die Zeit vom 01.01.2004 bis 31.07.2008
zurückzuerstatten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
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