Urteil des LG Dortmund vom 29.10.2010

LG Dortmund (geltendmachung des anspruchs, wohnung, höhe, besitz, zwangsverwaltung, räumung, grundstück, werktag, zwangsvollstreckung, unentgeltlich)

Landgericht Dortmund, 3 O 175/10
Datum:
29.10.2010
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 O 175/10
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, die von ihm genutzte Wohnung im
Erdgeschoss des Hauses C in X zu räumen und an die Klägerin
herauszugeben.
Des Weiteren wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 2.922,83 €
nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus
452,83 € seit dem 05.06.2009 und aus jeweils 617,50 € seit dem
04.07.2009, dem 05.08.2009, seit dem 04.09.2009 und dem 06.10.2009
zu zahlen.
Ferner wird der Beklagte verurteilt, ab dem 01.11.2009 eine monatliche
Nutzungsentschädigung in Höhe von 617,50 €, fällig jeweils zum 3.
Werktag des Monats, bis zur Räumung der oben genannten Wohnung
zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
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I.
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Der Beklagte erwarb zusammen mit seiner damaligen Ehefrau das im Grundbuch von X
Bl. ### eingetragene bebaute Grundstück C in X. Mit notarieller Urkunde vom
23.08.1994 bestellten sie eine Grundschuld in Höhe von 400.000,00 DM zugunsten der
Stadtsparkasse X zur Sicherung eines entsprechenden Darlehens. Hierbei unterwarfen
sie sich der dinglichen Zwangsvollstreckung. Zudem hatten sie auch die persönliche
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Haftung übernommen und sich der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes
Vermögen unterworfen. Über das Vermögen des Beklagten wurde im Jahr 2007 das
Insolvenzverfahren eröffnet. Das Eigentum des Beklagten wurde durch den
Insolvenzverwalter auf die mittlerweile geschiedene Ehefrau übertragen.
Auf Antrag der Sparkasse X ordnete das Amtsgericht Lünen mit Beschluss vom
08.06.2009 (Az. 023 L 035/08) aufgrund der vollstreckbaren Ausfertigung der notariellen
Urkunden des Notars Q vom 23.08.1994 und 16.10.1995 die Zwangsverwaltung des o.
g. Grundstückes an. Die Klägerin wurde zur Zwangsverwalterin bestellt.
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Der Beklagte bewohnt die Wohnung im Erdgeschoss des zwangsverwalteten
Grundstückes unentgeltlich. Zu seinen Gunsten ist seit dem 11.09.2007 – also zeitlich
nach Eintragung der Grundschuld – ein lebenslanges unentgeltliches Wohnungsrecht
eingetragen.
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Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Räumung und Herausgabe der
Wohnung sowie eine Nutzungsentschädigung ab dem 01.06.2009. Mit Schreiben vom
07.07.2009 verlangte die Klägerin vom Beklagten eine monatliche
Nettonutzungsentschädigung in Höhe von 5,00 €/qm zzgl. Vorauszahlungen auf die
Nebenkosten von 1,50 €/qm ab dem 01.06.2009. Insgesamt wurde eine monatliche
Bruttonutzungsentschädigung von 650,00 € geltend gemacht, wobei die Klägerin
ursprünglich davon ausging, die Wohnung sei 100 qm groß. Mittlerweile besteht
Einigkeit darüber, dass die Wohnung lediglich 95 qm groß ist. Mit Schreiben vom
25.08.2009 kündigte die Klägerin das Nutzungsverhältnis und forderte den Beklagten
unter Fristsetzung zum 23.09.2009 auf, die Wohnung zu räumen und in
vertragsgemäßem Zustand zu übergeben. Zudem wurde er zum Ausgleich des
Zahlungsrückstandes bis zum 08.09.2009 aufgefordert. Der Beklagte räumte weder die
Wohnung noch zahlte er den geforderten Betrag.
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Die Klägerin ist der Auffassung, sie könne eine Nutzungsentschädigung vom Beklagten
verlangen. Die unentgeltliche Nutzungsvereinbarung zwischen dem Beklagten und der
Schuldnereigentümerin sei als Leihvertrag über Wohnraum einzuordnen. Die Klägerin
könne daher die Wohnung gem. § 604 BGB zurückverlangen oder die Überlassung
gegen Entgelt verlangen. Sie behauptet, die von ihr festgesetzte
Nutzungsentschädigung sei ortsüblich und angemessen.
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Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen,
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1. die von ihm genutzte Wohnung im EG des Hauses C in X zu räumen und an die
Klägerin in vertragsgemäßem Zustand herauszugeben,
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2. an die Klägerin 3.250,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem
Basiszinssatz aus 650,00 € seit dem 05.06.2009, seit dem 04.07.2009, seit dem
05.08.2009, seit dem 04.09.2009 und seit dem 06.10.2009 zu zahlen,
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3. an die Klägerin eine monatliche Nutzungsentschädigung in Höhe von 650,00 €,
beginnend ab dem 01.11.2009, fällig jeweils zum 3. Werktag des Monats, bis zur
Räumung der im Klageantrag zu Ziff. 1.) genannten Wohnung zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er vertritt die Auffassung, eine Nutzungsentschädigung sei vom Beklagten nicht zu
zahlen. Auch sei er nicht zur Räumung verpflichtet.
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Er behauptet, der Gläubigerin sei bekannt gewesen, dass ein Wohnrecht zugunsten des
Beklagten eingeräumt werden sollte. Es sei daher treuwidrig, nun eine
Nutzungsentschädigung zu verlangen.
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Hinsichtlich des weitergehenden Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist größtenteils begründet.
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1.
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Die Klägerin kann gem. § 985 BGB von dem Beklagten die Räumung und Herausgabe
der von ihm benutzten Wohnung verlangen, da er kein Recht zum Besitz hat. Zwar hatte
der Beklagte zunächst gegenüber der Eigentümerin ein Recht zum Besitz aufgrund der
unentgeltlichen Nutzungsvereinbarung. Ab Anordnung der Zwangsverwaltung steht
jedoch der Klägerin als Zwangsverwalterin das Recht zu, die unentgeltlich
überlassenen Räume jederzeit wieder in Besitz zu nehmen, wenn dafür keine
Nutzungsvergütung gezahlt wird (vgl. LG Mannheim WuM 1969, 42, 43). Zwischen dem
Beklagten und der Schuldnereigentümerin war zwar vereinbart worden, dass der
Beklagte die Wohnung unentgeltlich nutzen kann. Diese Vereinbarung ist für die
Zwangsverwalterin jedoch nicht bindend. Gem. § 152 Abs. 2 ZVG sind nur Miet- oder
Pachtvertrage, die vor der Beschlagnahme geschlossen wurden, auch dem Verwalter
gegenüber wirksam. Auf sonstige Verträge findet § 152 Abs. 2 ZVG jedoch keine
Anwendung. Der Beklagte weigert sich, eine Nutzungsentschädigung zu zahlen, so
dass die Klägerin befugt ist, die Wohnung in Besitz zu nehmen.
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Auch das für den Beklagten eingetragene Wohnungsrecht stellt gegenüber der Klägerin
kein Recht zum Besitz dar. Das Wohnungsrecht gem. § 1093 BGB ist eine beschränkt
persönliche Dienstbarkeit mit nießbrauchsähnlicher Gestaltung (Palandt, BGB-
Kommentar, 10. Aufl. 2010, § 1093 Rn. 1). Nach der erfolgten Anordnung der
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Zwangsverwaltung stehen Besitz und Verwaltung jedoch dem Zwangsverwalter zu,
wenn der die Zwangsverwaltung betreibende Gläubiger dem Wohnungsrecht im Rang
vorgeht und ein Titel gegen den Wohnungsberechtigten auf Duldung der
Zwangsverwaltung vorliegt (Stöber, Kommentar zum Zwangsversteigerungsgesetz,
2009, § 146 Rn. 4.5). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Sowohl der Nießbraucher
als auch der Grundpfandgläubiger sind Inhaber dinglicher Rechte, die auf demselben
Grundstück lasten. Ihr Rangverhältnis richtet sich nach § 879 BGB (BGH NJW 2003,
2164 m. w. N.), wenn nicht eine davon abweichende Bestimmung in das Grundbuch
eingetragen ist (§ 879 Abs. 3 BGB). Die Grundschuld, aus der vorliegend die
Zwangsverwaltung betrieben wird, geht aufgrund der früheren Eintragung dem
Wohnungsrecht des Beklagten im Range vor. Es liegt außerdem ein Titel auf Duldung
der Zwangsverwaltung vor, da der Beklagte sich im Rahmen der Grundschuldbestellung
sowohl der persönlichen als auch der dinglichen Zwangsvollstreckung unterworfen hat
(Ziff. 2 und 3 der Urkunde vom 23.08.1994).
Die Geltendmachung des Anspruchs ist auch nicht treuwidrig. Die Klägerin hat im
Rahmen ihrer Aufgaben dafür zu sorgen, dass aus dem zwangsverwalteten Grundstück
die gerechtfertigten Einnahmen erzielt werden. Durch diese Einnahmen sollen die
Gläubiger befriedigt werden. Auch wenn die Gläubigerin Kenntnis von der finanziellen
Situation des Beklagten zum Zeitpunkt der Eigentumsübertragung an die Ehefrau
gehabt haben sollte, stünde dies der Geltendmachung des Anspruchs folglich nicht
entgegen.
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2.
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Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung einer
angemessenen Nutzungsentschädigung gem. §§ 987, 988 BGB i. V. m. § 152 Abs. 1
ZVG.
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Der Zwangsverwalter hat gem. § 152 Abs. 1 ZVG das Recht und die Pflicht, alle
Handlungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um das Grundstück in seinem
wirtschaftlichen Bestand zu erhalten und ordnungsmäßig zu benutzen. Er hat das
Grundstück wie ein ordentlich wirtschaftender Eigentümer zu verwalten. Er hat
Ansprüche wegen einer rechtsgrundlosen Nutzung gem. §§ 987, 988 BGB geltend zu
machen (Stöber, a. a. O., § 152 Rn. 12.7; BGH NJW-RR 2003, 1308; BGH NJW-RR
2007, 265). Hierzu gehört auch, dass er für die Benutzung von Räumen den sonst
üblichen Mietzins verlangt, wenn der Eigentümer aus Gefälligkeit oder sonstigen
subjektiven Gründen auf diese Einnahmen verzichtete (LG Mannheim WuM 1969, 42,
43). Nachdem das Grundstück von der Klägerin als Zwangsverwalterin in Besitz
genommen wurde, war es daher im Interesse der Gläubiger ihre Pflicht, für die Nutzung
der Wohnung eine angemessene Vergütung zu verlangen. Der Beklagte ist demzufolge
gem. §§ 987, 988 BGB verpflichtet, die Nutzungsvorteile, die er durch den Gebrauch der
Wohnung zog und zieht, an die Klägerin in der Höhe zu bezahlen, die sonst ein Mieter
durch den dort üblichen Mietzins zu vergüten hätte.
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Im Hinblick auf die Höhe der geforderten Nutzungsentschädigung einschließlich
Nebenkostenvorauszahlung behauptet die Klägerin, diese sei ortsüblich und
angemessen. Dieser Vortrag wurde lediglich pauschal durch den Beklagten bestritten.
Dieses pauschale Bestreiten ist als unsubstantiiert zurückzuweisen. Hierauf ist der
Beklagte auch bereits durch Schriftsatz der Klägerin vom 12.07.2010 hingewiesen
worden, so dass ein richterlicher Hinweis gem. § 139 ZPO entbehrlich war.
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Zwischen den Parteien bestand anfangs Uneinigkeit hinsichtlich der Größe der
Wohnung. Die Klägerin hatte zunächst behauptet, die Wohnung sei 100 qm groß,
worauf sie auch die Berechnung der Nutzungsentschädigung stützte. Mittlerweile ist
zwischen den Parteien jedoch unstreitig, dass die Wohnung lediglich 95 qm groß ist.
Legt man diese Wohnungsgröße zugrunde, ergibt sich eine monatliche
Nutzungsentschädigung in Höhe von
617,50 €
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Für den mit dem Klageantrag zu 2.) geltend gemachten Zeitraum von fünf Monaten (Juni
bis Oktober 2009) ergibt sich bei Zugrundelegung der zuvor genannten monatlichen
Nutzungsentschädigung insgesamt ein Anspruch in Höhe von
2.922,83 €
Monat Juni 2009 kann die Klägerin lediglich eine Entschädigung in Höhe von 452,83 €
(617,50 € – 164,67 €) verlangen, da sie erst mit Beschluss vom 08.06.2009 zur
Zwangsverwalterin bestellt worden ist und auch erst ab diesem Zeitpunkt eine
Nutzungsentschädigung fordern kann und nicht wie vorgetragen ab 01.06.2009. Der
Anspruch für Juli bis Oktober beträgt 2.470,00 € (4 x 617,50 €).
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Für den mit dem Klageantrag zu 3.) geltend gemachten Anspruch gilt folgendes: Für den
Zeitraum November 2009 bis zur Räumung der streitgegenständlichen Wohnung hat die
Klägerin einen Anspruch auf eine monatliche Nutzungsentschädigung in Höhe von
617,50 €. Fällig wird dieser Anspruch zu Beginn, spätestens am dritten Werktag eines
Monats. Dies folgt daraus, dass der Zwangsverwalter die ortsübliche Miete verlangen
kann. Zur Ortsüblichkeit gehört neben einer Nebenkostenvorauszahlung auch, dass die
Miete zu Beginn bzw. spätestens am dritten Werktag eines Monats zu zahlen ist.
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Soweit die Klägerin einen darüber hinausgehenden Zahlungsanspruch geltend
gemacht hat, beruht dies darauf, dass sie bei ihrer Berechnung ursprünglich von einer
Wohnungsgröße von 100 qm ausgegangen war. Insofern war die Klage abzuweisen.
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3.
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB, die grundsätzlich auch auf
gesetzliche Schuldverhältnisse, die aus sachenrechtlichen Tatbeständen entstehen,
anwendbar sind (Palandt, a. a. O., § 286 Rn. 4). Dies folgt auch aus § 990 Abs. 2 BGB,
wonach eine weitergehende Haftung des Besitzers wegen Verzuges unberührt bleibt.
Gem. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB, der nach den obigen Erörterungen zur Fälligkeit des
Entschädigungsanspruchs konsequenterweise Anwendung findet, war eine Mahnung
daher vorliegend entbehrlich.
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4.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
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