Urteil des LG Dortmund vom 22.10.2010

LG Dortmund (kläger, treu und glauben, invalidität, ablauf der frist, frist, versicherte person, ärztliches gutachten, höhe, anlage, fälligkeit)

Landgericht Dortmund, 2 O 382/09
Datum:
22.10.2010
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 382/09
Schlagworte:
Unfallversicherung, ärztliche Feststellung unfallbedingter Invalidität,
mehrfache Belehrung über Fristen ( VVG a.F. ), außergerichtliche
Rechtsanwaltskosten
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5 Prozentpunkte Zinsen über
dem jeweiligen Basiszinssatz aus 13.790,00 € für die Zeit vom
24.07.2009 bis zum 10.05.2010 zu zahlen.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger 899,40 €
(vorgerichtliche Anwaltskosten) zu zahlen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen 71 % der Kläger und 29 % die
Beklagte.
Das Urteil ist für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
120 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine "Unfall-Exklusiv-Versicherung", der die
AUB 88 zugrunde liegen. Versicherte Person ist der Sohn des Klägers, X. Vereinbart
war zuletzt eine Versicherungssumme von 197.000,00 € für Unfall-Invalidität. Wegen der
weiteren Einzelheiten des Vertrages wird auf den Versicherungsschein vom 06.12.1993
nebst AUB 88 (Anlage K 9 zum Schriftsatz des Klägers vom 23.09.2009) sowie den
Nachtrag zum Versicherungsschein vom 16.10.2006 (Anlage K 1 zur Klageschrift) und
die besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung nebst Zusatzbedingungen für
die Kinder-Unfallversicherung mit Einschluss von Vergiftungen (Anlage K 3 zur
Klageschrift) Bezug genommen.
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Am 19.05.2007 erlitt X bei einem Motorradunfall eine Oberschenkelfraktur links. Er
wurde bis zum 29.05.2007 stationär behandelt. Ende Mai 2007 zeigte der Kläger das
Unfallereignis mit dem Formular Schadenanzeige (Anlage B 1 zur Klageerwiderung) an.
Die Beklagte rechnete mit Schreiben vom 05.06.2007 Krankenhaustagegeld und
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Genesungsgeld ab. Sie wies zudem auf Folgendes hin:
"Sie haben einen Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsleistung, wenn der Unfall
innerhalb von 18 Monaten, vom Unfalltag an gerechnet, zu einer dauernden
Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität)
führt. Sofern die Bedingungen Ihres Vertrages noch eine Frist von 12 Monaten
vorsehen, haben wir diese Frist für unsere langjährigen treuen Kunden ebenfalls
auf 18 Monate verlängert. Damit haben Sie Zeit, die Entwicklung der Unfallfolgen
zu beobachten und zusammen mit dem behandelnden Arzt festzustellen, ob
unfallbedingte Dauerfolgen eingetreten sind und für immer verbleiben. Eine
Invalidität muss dann spätestens vor Ablauf weiterer 3 Monate ärztlich festgestellt
und von Ihnen geltend gemacht worden sein. Durch Vorlage eines ärztlichen
Attestes bis zum 19.02.2009 halten Sie die Frist ein, innerhalb der Sie Ihren
Invaliditätsanspruch geltend machen müssen. Bitte achten Sie darauf, dass diese
Frist unbedingt eingehalten wird. Sie gefährden anderenfalls Ihren Anspruch auf
Invaliditätsleistung."
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Am 18.11.2008 / 19.11.2008 wurde erneut ein Krankenhausaufenthalt des X wegen
einer Materialentfernung erforderlich. Die Beklagte rechnete die daraus folgenden
Krankenhaustage- und Genesungsgeldansprüche mit Schreiben vom 26.11.2008 ab.
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Sodann wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 07.02.2009 an die Beklagte:
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"… hiermit mache für meinen Sohn X Schadensansprüche geltend. Laut letzter
ärztlicher Untersuchung vom 06.02.2009 durch Dr. G, M Straße ##. ##### O, liegt
ein Folgeschaden vor. Bitte teilen Sie uns bzw. Dr. G mit, welche Informationen Sie
zwecks Festsetzung der Entschädigungsleistung benötigen…."
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Hierauf reagiert die Beklagte mit Schreiben vom 10.02.2009:
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"… der Unfall zieht möglicherweise gesundheitliche Dauerfolgen nach sich.
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Bevor wir jetzt ein ausführliches, ärztliches Gutachten in Auftrag geben, bitten wir
Sie, das beigefügte Invaliditätsattest vom behandelnden Arzt ausgefüllt und
unterzeichnet zurückzusenden.
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Sollten Ihnen ärztliche Berichte vorliegen, die im Zusammenhang mit den
Unfallfolgen gefertigt wurden, bitten wir Sie, uns diese zu übersenden. Bitte teilen
Sie uns auch die Namen und Anschriften der Ärzte und Krankenhäuser mit, die die
Unfallverletzungen behandelt haben…"
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Das Formular "Invaliditätsattest" der Beklagten wurde von dem behandelnden Arzt Dr. G
am 13.03.2009 ausgefüllt. Wegen der Einzelheiten des Invaliditätsattestes wird auf die
Anlage K 6 zur Klageschrift Bezug genommen. Nach Erhalt des Attestes erklärte die
Beklagte mit Schreiben vom 18.03.2009, sie könne sich mit den verspätet eingereichten
Invaliditätsansprüchen nicht mehr befassen. Die Frist zur Geltendmachung der
Invaliditätsansprüche sei am 19.02.2009 abgelaufen, ohne dass ein Attest eingereicht
worden sei. Bei dieser Entscheidung blieb die Beklagte mit Schreiben vom 20.04.2009
(Anlage B 8 zur Klageerwiderung), welches an den Prozessbevollmächtigten des
Klägers gerichtet war.
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Der Kläger hat zunächst behauptet, der Unfall habe zu einer Invalidität in Höhe von 4/10
Beinwert bei seinem Sohn geführt. Er hat daher zunächst beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 55.160,00 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen
über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie 1.761,08 €
(vorgerichtliche Kosten) zu zahlen.
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Das Gericht hat mit Beschluss vom 26.10.2009 darauf hingewiesen, dass die Berufung
auf den Fristablauf vorliegend treuwidrig sein dürfte und die Erhebung des Beweises
durch Sachverständigengutachten zu der Frage des Ausmaßes der Invalidität
angeordnet. Danach hat die Beklagte dem Kläger angeboten, außergerichtlich ein
Gutachten einzuholen, um die unfallbedingte Invalidität zu klären. Hiermit war der
Kläger einverstanden. Nach dem von der Beklagten eingeholten Gutachten lag der
Invaliditätsgrad bei 1/10 Beinwert. Auf der Grundlage dieser Feststellung hat die
Beklagte an den Kläger 13.790,00 € gezahlt. Damit war der Kläger zur Vermeidung
weiterer Gutachterkosten einverstanden. Die Parteien haben sich jedoch nicht über die
Nebenforderungen (vorgerichtliche Anwaltskosten und Zinsen) einigen können.
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Der Kläger hat sodann die Klage in der Hauptsache wegen des 13.790,00 €
übersteigenden Betrages zurückgenommen und die Klage hinsichtlich der
verbleibenden Forderung in Höhe von 13.790,00 € für erledigt erklärt. Dieser
Erledigungserklärung hat die Beklagte sich angeschlossen.
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Der Kläger beantragt nunmehr noch,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen
Basiszinssatz aus 13.790,00 € für die Zeit vom 24.07.2009 bis zum 10.05.2010 zu
zahlen, ferner, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 899,40 € (vorgerichtliche
Anwaltskosten) zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage mit den noch verbliebenen Anträgen abzuweisen.
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Sie meint, die Nebenansprüche des Klägers bestünden nicht, da keine Fälligkeit
vorgelegen habe. Das ärztliche Attest sei nicht fristgerecht eingereicht worden. Die
Berufung auf das Fristversäumnis sei auch nicht treuwidrig, da der Kläger hinreichend
auf die Frist zur Vorlage des ärztlichen Attestes hingewiesen worden sei.
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Hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren wendet die Beklagte ein, der Kläger könne
allenfalls eine Freistellung verlangen, soweit die Rechtsanwaltsgebühren noch nicht
bezahlt wurden. Die Geschäftsgebühr sei nicht mit 1,3 anzusetzen, da sich die
außergerichtliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf Schreiben
einfacher Art beschränkt habe. Sie bestreitet ferner die Rechnungsstellung hinsichtlich
der Gebührenforderung.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist mit den nun noch zur Entscheidung gestellten Anträgen zulässig und
begründet.
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Dem Kläger stehen sowohl die geltend gemachten Zinsen (hierzu im Folgenden: I) als
auch ein Betrag in Höhe von 899,40 € wegen der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten
(II) zu.
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I.
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Dem Kläger stehen die geltend gemachten Rechtshängigkeitszinsen aus § 291 BGB zu.
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Zwar weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass bei einem Anspruch wegen einer
Geldschuld dessen Fälligkeit Voraussetzung auch für die Zuerkennung von
Rechtshängigkeitszinsen ist (Palandt, BGB, 69. Aufl., § 291, Rdnr. 5). Fälligkeit lag hier
aber vor. Denn abgesehen von dem in § 11 Abs. 1 VVG a.F. genannten Zeitpunkt wird
eine Forderung gegen den Versicherer fällig, wenn dem Versicherungsnehmer dessen
Ablehnung des Anspruches zugeht (Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 14, Rdnr. 2 m.w.N.).
Damit trat vorliegend mit Zugang des Schreibens der Beklagten vom 18.03.2009 bei
dem Kläger Fälligkeit ein.
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Ohne Erfolg wendet die Beklagte hierzu ein, die Ablehnung von Ansprüchen führe nur
dann zur Fälligkeit des Anspruches, wenn die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen
erfüllt seien, woran es vorliegend fehle. Dies ist nur im Ausgangspunkt zutreffend: Nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ändert eine Leistungsablehnung des
Versicherers nichts daran, dass der Anspruch des Versicherungsnehmers nicht entsteht,
wenn eine Invalidität nicht fristgerecht ärztlich festgestellt wird (Versicherungsrecht
2002, 472; 2002, 1578). Allerdings kann die Beklagte sich nicht mit Erfolg auf das
Fehlen einer fristgerechten ärztlichen Feststellung unfallbedingter Invalidität berufen.
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Eine schriftliche ärztliche Feststellung unfallbedingter Invalidität, § 7 I. (1) AUB 88, liegt
mit dem Invaliditätsattest vom 13.03.2009 vor.
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Die schriftliche Feststellung unfallbedingter Invalidität erfolgte zwar nicht innerhalb der
(auf 21 Monate verlängerten) Frist, die Beklagte ist jedoch nach Treu und Glauben
daran gehindert, sich hierauf zu berufen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes ist die Berufung des Versicherers auf den Ablauf der Frist zur
ärztlichen Feststellung rechtsmissbräuchlich, wenn dem Versicherer ein
Belehrungsbedarf des Versicherungsnehmers hinsichtlich der Rechtsfolgen der
Fristversäumnis deutlich wird, er aber gleichwohl eine solche Belehrung unterlässt.
Davon kann auszugehen sein, wenn der Versicherte Invaliditätsansprüche rechtzeitig
geltend macht, seine Angaben oder die von ihm vorgelegten ärztlichen Atteste den
Eintritt eines Dauerschadens nahelegen, die erforderliche ärztliche Feststellung der
Invalidität aber noch fehlt (BGH Versicherungsrecht 2006, 352 ständige
Rechtsprechung; a.A. Jacob Versicherungsrecht 2007, 456 ff., der die Anwendung des §
242 BGB ablehnt und gegebenenfalls eine Schadensersatzverpflichtung des
Versicherers gemäß § 280 Abs. 1 BGB annehmen will). Ein solches
Belehrungsbedürfnis musste der Beklagten aufgrund des ihr am 10.02.2009
zugegangenen Schreibens des Klägers vom 07.02.2009 deutlich geworden sein. Denn
der Kläger machte hier konkludent erstmals Ansprüche wegen eingetretener Invalidität
geltend und fragte ausdrücklich nach, welche Informationen der Beklagten noch zur
Festsetzung der Entschädigungsleistung fehlten. Vor dem Hintergrund des drohenden
Fristablaufes zum 19.02.2009 war der mit Schreiben vom 10.02.2009 durch die Beklagte
erteilte Hinweis, das beigefügte Invaliditätsattest sei vom behandelnden Arzt
auszufüllen und unterzeichnet zurückzusenden, erkennbar unzureichend. Erforderlich
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war hier ein Hinweis auf den nur kurzen Zeitraum, der noch zur Verfügung stand, die
ärztliche Feststellung in einer hinreichenden Form zu fixieren. Dies, zumal der Kläger
mit Schreiben vom 07.02.2009 mitgeteilt hatte, dass "laut letzter ärztlicher Untersuchung
vom 06.02.2009" ein Folgeschaden vorliege. Damit bestand für die Beklagte erkennbar
die Möglichkeit, dass der Kläger bereits die Erklärungen des Arztes Dr. G als
fristgerechte Feststellung ansah.
Demgegenüber kann die Beklagte sich nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe bereits
mit dem Schreiben vom 05.06.2007 hinreichende Hinweise erteilt. Zwar ist es richtig,
dass dieses Schreiben ausführliche und zutreffende Hinweise zu den einzuhaltenden
Fristen und den Konsequenzen einer Fristüberschreitung enthält. Diese vermögen
jedoch nicht den aufgrund einer konkreten Nachfrage des Klägers kurz vor Fristablauf
erforderlichen Hinweis zu ersetzen. Die hier bestehende Belehrungspflicht wurde durch
den konkreten Anlass der Nachfrage ausgelöst. Ein Versicherungsnehmer, der bereits
durch frühere Hinweise hinreichend aufgeklärt wurde und der diese frühere Aufklärung
zutreffend aufgefasst hat, wird keine Nachfragen stellen. Stellt er sie doch, so wird
hierdurch die anlassbezogene Belehrungsspflicht für den Versicherer ausgelöst, mit
welcher ihm nichts Unzumutbares abverlangt wird.
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Bei alledem kann dahinstehen, ob die Beklagte nicht ohnehin konkludent auf die
Rechtsfolgen einer Fristversäumnis verzichtet hat, als sie dem Kläger während des
Prozesses nach der Erteilung des gerichtlichen Hinweises vom 26.10.2009 die
Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Höhe einer gegebenenfalls
verbliebenen Invalidität anbot.
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Auch im Übrigen lagen die Voraussetzungen für eine Invaliditätsleistung vor. Die
Parteien stellen nicht in Abrede, dass der Invaliditätsgrad durch das während des
Prozesses eingeholte Sachverständigengutachten mit jedenfalls 1/10 Beinwert zu
bemessen ist, so dass Zinsen aus 13.790,00 € geschuldet werden.
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II.
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Die Beklagte hat auch die mit der Klage nunmehr noch nach einem Streitwert in Höhe
von 13.790,00 € geltend gemachten Rechtsverfolgungskosten zu ersetzen. Denn sie
geriet mit der Ablehnung der Leistung in Verzug. Erst nach dem Ablehnungsschreiben
vom 18.03.2009 hat der Kläger seine Prozessbevollmächtigten mandatiert. Die
Einwendungen der Beklagten gegen die Berechtigung des Anspruches greifen nicht:
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1. Soweit die Beklagte geltend macht, dem Kläger stehe allenfalls ein
Befreiungsanspruch hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu, so
ist dem nicht zu folgen. Denn selbst, wenn der Kläger die Honorarforderung seines
Prozessbevollmächtigten noch nicht erfüllt hätte, ist der entsprechende
Freistellungsanspruch gemäß § 250 BGB in einen Zahlungsanspruch
übergegangen. Es bedarf einer Fristsetzung nach § 250 BGB nicht, wenn der
Schädiger unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass er eine Naturalrestitution
ernsthaft und endgültig verweigert (BGH VersR 2007, 1539). Der
Freistellungsanspruch wandelt sich in diesem Fall in einen Zahlungsanspruch um,
wenn der Geschädigte Geldersatz fordert (BGH VersR 2004, 740); soweit sich aus
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der Entscheidung LG Dortmund NJW-RR 2010, 1258 (1259) etwas anderes
ergeben kann, so hält die Kammer hieran nicht fest.
2. Soweit die Beklagte die Fälligkeit der entstandenen Rechtsanwaltskosten wegen
einer fehlenden Rechnungsstellung anzweifelt, so kann sie auch hiermit nicht
durchdringen. Das Erfordernis der Rechnungsstellung nach § 10 Abs. 1 RVG
betrifft lediglich die Einforderbarkeit der Vergütung im Verhältnis zum Mandanten
des Anwalts. Dagegen gilt § 10 Abs. 1 RVG nach zutreffender Ansicht nicht im
Bereich des materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruches (OLG München,
Urteil vom 13.08.2010, AZ: 10 U 3928/09 = BeckRS 2010, 2053 m.w.N. ; OLG
München VersR 2007, 267; Mayer/Kroiß, RVG, 4. Aufl., § 10 RVG, Rdnr. 7; andere
Ansicht nur LG Bonn NJW 2005, 1873 mit ablehnender Anmerkung Schneider,
AGS 2006, 19).
3. Letztlich ist auch die Höhe der geltend gemachten außergerichtliche
Rechtsanwaltskosten nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der
Beklagten ist der Ansatz der Mittelgebühr vorliegend zutreffend. Soweit keine
besonderen Umstände vorliegen, entspricht die Bestimmung des Mittelwertes der
gesetzlichen Rahmengebühr durch den Rechtsanwalt billigem Ermessen (OLG
Düsseldorf VersR 2008, 1347; BVerwG NJW 2006, 247). Solche besonderen
Umstände sind aber für den vorliegenden Rechtsstreit nicht ersichtlich und nicht
vorgetragen.
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Nach alledem war zu erkennen wie geschehen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§
91, 91 a, 92, 269 ZPO. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat (3/4 der
Hauptforderung), waren ihm die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 269 Abs.3, S.2 ZPO
aufzuerlegen. Soweit hingegen die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend teilweise
für erledigt erklärt haben (1/4 der Hauptforderung), so waren die Kosten des
Rechtsstreits gemäß § 91 a ZPO der Beklagten aufzuerlegen. Dies entspricht billigem
Ermessen, weil die Beklagte sich insoweit freiwillig in die Rolle der Unterlegenen
begeben hat. Soweit sie sich darauf beruft, sie habe lediglich aus Kulanz noch eine
Invaliditätsentschädigung gezahlt, so kann sie hiermit nicht durchdringen. Denn nach
den obigen Ausführungen (I.) wäre die Beklagte ohnehin bereits vorgerichtlich
verpflichtet gewesen, ein Sachverständigengutachten einzuholen, nachdem die
formellen Anspruchsvoraussetzungen vorlagen, weil sie sich nach Treu und Glauben
nicht auf eine Versäumung der Frist für die Vorlage der ärztlichen Feststellung
unfallbedingter Invalidität berufen durfte. Bei der Ermittlung der Gesamtkostenquote hat
das Gericht eine konkrete Betrachtung der Gerichtskosten und der Verfahrensgebühr
einerseits und der (auch bei einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128
II ZPO entstehenden) Terminsgebühr andererseits vorgenommen. Dabei wiederum
waren die für diese Gebühren jeweils maßgeblichen Streitwerte und die jeweiligen
Obsiegensquoten zu berücksichtigen. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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