Urteil des LG Detmold vom 08.07.2010

LG Detmold (verfügung von todes wegen, eröffnung, letztwillige verfügung, gemeinschaftliches testament, verkehrswert, beschwerde, zeitpunkt, gebühr, wertminderung, wert)

Landgericht Detmold, 3 T 16/10
Datum:
08.07.2010
Gericht:
Landgericht Detmold
Spruchkörper:
Beschwerdekammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 T 16/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Detmold, 11 IV 98/08
Schlagworte:
Geschäftswert - Grundbesitz - Verkehrswert - Sachwertmethode -
Erbscheinsverfahren - Gebühr - Eröffnung letztwillige Verfügung -
gemeinschaftliche Verfügung - gemeinsame Eröffnung - Zeitpunkt der
Gebührenfälligkeit - Nacherbfolge
Normen:
KostO § 19; KostO § 18 Abs; KostO § 102; KostO § 103 Abs. 1; KostO §
46 Abs. 4
Leitsätze:
Bewertung des zum nachlass gehörenden Grundbesitzes (Verkehrswert)
zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Gebühren; Erhebung von Gebühren für
die Eröffnung einer gemeinschaftlichen Verfügung von Todes wegen
nach mehreren Erblassern
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert:
Der Geschäftswert für die Eröffnung des gemeinschaftlichen Testaments
vom 04.11.1955 nach dem verstorbenen O wird auf 100.545,75 €
festgesetzt.
Der Geschäftswert für die Eröffnung des gemeinschaftlichen Testaments
vom 04.11.1955 nach der verstorbenen E wird auf 384.513,88 €
festgesetzt.
Die Geschäftswerte für die Beurkundung einer eidesstattlichen
Versicherung im Erbscheinsverfahren und für die Erteilung eines
Erbscheins nur für Grundbuchzwecke werden jeweils auf 175.682,26 €
festgesetzt.
Die weitergehende Beschwerde des Beteiligten zu 2.) und die
Beschwerde des Beteiligten zu 1.) werden zurückgewiesen.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden
nicht erstattet.
Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
1
Die Rechtsmittel der Beteiligten sind nach § 11 Abs. 1 RPflG, § 31 Abs. 3 S. 1 KostO
zulässig. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2.) hat auch in der Sache überwiegend
Erfolg. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1.) ist hingegen unbegründet.
2
(1)
3
Der Geschäftswert für die Eröffnung des gemeinschaftlichen Testaments vom
14.11.1955 nach dem am 28.09.1998 verstorbenen O folgt dem reinen Nachlasswert
nach Abzug der Verbindlichkeiten außer solchen aus Vermächtnissen,
Pflichtteilsrechten oder Auflagen (§§ 102, Abs. 3 S. 1, 46 Abs. 4 KostO) und beträgt hier
100.545,75 €. Dieser Betrag errechnet sich, da der Nachlass des Erblassers
ausschließlich aus dem im Grundbuch von E2 Bl. 3338 unter der lfd. Nr. 1 verzeichneten
Grundstück G1 1, Flurstück X und dem im Grundbuch von E2 Bl. 5552 unter der lfd. Nr. 2
verzeichneten Grundstück G1, Flur X, Flurstück X bestand, wie folgt:
4
Gebäudewert:
5
- Brandversicherungssumme 1914
6
lt. Angabe des Beteiligten 1.): 26.500
7
- Richtzahl für 1998 20,5
8
543.250,00 DM
9
- abzüglich eines 20 %igen Sicherheits-
10
abschlags 108.650,00 DM
11
434.600,00 DM
12
- abzüglich eines 60 %igen Abschlags
13
für technische und wirtschaftliche
14
Wertminderung infolge des Alters
15
des Gebäudes 260.760,00 DM
16
173.840,00 DM
17
- abzüglich eines 20 %igen
18
Abschlags wegen der
19
feuchtigkeitsbedingten
20
Gebäudeschäden 34.768,00 DM
21
139.072,00 DM 139.072,00 DM
22
Bodenwert:
23
- 700 qm Bauland à 120,00 DM 84.000,00 DM
24
- 997 qm Hausgarten à 12,00 DM 11.964,00 DM
25
95.964,00 DM
26
- abzüglich eines 25 %igen
27
Sicherheitsabschlags 23.991,00 DM
28
71.973,00 DM
29
- abzüglich eines 20 %igen
30
Abschlags wegen des ungün-
31
stigen Zuschnitts des Grundbe-
32
sitzes und der fehlenden Zuwegung zum
33
B-Weg 14.394,60 DM
34
57.578,40 DM 57.578,40 DM
35
196.650,40 DM
36
= 100.545,75 €.
37
(a)
38
Wird – wie hier geschehen – ein gemeinschaftliches Testament, das Bestimmungen
über die Erbfolge des Letztversterbenden enthält, erst nach dem Tod des
Letztverstorbenen eröffnet, dann wird es gleichwohl zweimal eröffnet, nämlich einmal
nach dem Erstverstorbenen hinsichtlich der von ihm getroffenen letztwilligen
Verfügungen und einmal nach dem Letztverstorbenen hinsichtlich der von diesem
getroffenen letztwilligen Verfügungen. Der vom Amtsgericht im Anschluss an
Rohs/Weweder, Kostenordnung, § 103 RdNr. 10 vertretenen Ansicht, das in diesen
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Fällen nur eine Gebühr nach § 102 KostO nach dem zusammengerechneten Wert des
Nachlasses des Erst- und des Letztverstorbenen zu erheben sei, vermag die Kammer
nicht zu folgen. Es gibt keine gemeinsam Eröffnung eines gemeinschaftlichen
Testaments im Rechtssinne (ebenso Assenmacher/Matthias, Kostenordnung, 16. Aufl.,
Stichwort: Eröffnung einer Verfügung von Todes wegen, Anm. 1.3.2.2 und Korintenberg,
Kostenordnung, 18. Aufl. § 102 RdNr. 8 und 9).
Dass Eheleute ihre letztwilligen Verfügungen in einer Urkunde zusammenfassen
können, ändert nichts daran, dass ein jeder von ihnen eigene Verfügungen trifft, die
grundsätzlich alsbald nach ihrem Tod und damit getrennt von den Verfügungen des
Anderen zu treffen sind (vgl. dazu §§ 2260 Abs. 1, 2273 Abs. 1 BGB bzw. §§ 348 Abs.
349 Abs. 1 FamFG). Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass im Termin am
12.02.2008 im Ergebnis zwei Verfügungen von Todes wegen eröffnet wurden und zwar
diejenige des verstorbenen O und diejenige der verstorbenen E. Für beide
Eröffnungsvorgänge ist eine gesonderte Gebühr nach § 102 KostO zu erheben und
folgerichtig auch der Geschäftswert nach den §§ 103 Abs. 1, 46 Abs. 4 KostO gesondert
festzusetzen.
40
(b)
41
Mit dem Beteiligten zu 2.) ist die Kammer der Auffassung, dass hier wegen des langen
Zeitraums zwischen dem Erbfall und der Eröffnung des Testaments bei der Bemessung
des Geschäftswertes abweichend von den §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1 KostO nicht auf
den Zeitpunkt der Testamentseröffnung, sondern zur Vermeidung unverhältnismäßiger
Gebühren auf den Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen ist.
42
( c )
43
Nach § 19 Abs. 1 S. 1 KostO ist der Wert einer Sache der gemeine Wert. Er entspricht,
wie sich aus § 19 Abs. 1 S. 2 KostO ergibt, dem Verkehrswert. Diese Grundsätze gelten
auch für Grundstücke, soweit hinreichende Anhaltspunkte für die Bestimmung des
Verkehrswertes vorhanden sind und dieser über dem Einheitswert liegt. Diese
Anhaltspunkte ergeben sich hier aus amtlich bekannten Tatsachen, nämlich aus dem
Brandversicherungswert des auf dem Nachlassgrundbesitz befindlichen Gebäudes und
der Bodenrichtwertkarte des Gutachterausschusses des Kreises Lippe für das Jahr
1998. Die Ermittlung des Verkehrswertes eines Hausgrundstücks nach dieser –
vereinfachten – Sachwertmethode ist seit langem in der obergerichtlichen
Rechtsprechung anerkannt (vgl. BayObLG, Rechtspfleger 1972, S. 464 ff. und FamRZ
2005, S. 823 ff., OLG Düsseldorf, FGPrax. 2001, S. 259 ff.) und auch von der Kammer
gebilligt.
44
Dass das auf dem Nachlassgrundbesitz befindliche Gebäude im Jahr 1929 errichtet
wurde und hinsichtlich seiner Ausstattung, des Zuschnitts seiner Räumlichkeiten und
insbesondere seiner Wärmedämmung den heutigen Standards nicht entspricht, diesem
Umstand ist durch einen 60 %igen Abschlag für technische und wirschaftliche
Wertminderung infolge des Alters des Gebäudes Rechnung zu tragen. Darüber hinaus
ist ein weiter Abschlag in Höhe von 20 % vorzunehmen, weil das Gebäude – wie die
vom Beteiligten zu 1.) mit Schreiben vom 30.03.2009 beigebrachten Unterlagen belegen
schon seit 1996 erhebliche Feuchtigkeitsschäden aufweist.
45
Von dem 1.697 qm großen Grundbesitz sind entsprechend den Vorgaben der
46
Bodenrichtwertkarte nur 700 qm als Bauland einzustufen und der Rest als Hausgarten.
Damit ist auch dem Umstand Rechnung getragen, dass eine weitere Bebauung des
Grundbesitzes wegen der örtlichen Gegebenheiten nicht möglich ist. Mit dem Beteiligten
zu 2.) ist allerdings auch die Kammer der Auffassung, dass von dem ermittelten
Bodenwert nicht nur der nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BayObLG,
DNotZ 1995, S. 779 ff.) vorgegebene Sicherheitsabschlag in Höhe von 25 %, sondern
darüber hinaus wegen des ungünstigen Zuschnitts des Grundbesitzes und der
fehlenden Zuwegung zum B-Weg ein weiterer Abschlag in Höhe von 20 %
vorzunehmen ist. Dagegen ist für die Ermittlung des Verkehrswertes des
Nachlassgrundbesitzes in diesem Verfahren ohne Bedeutung, ob der Beteiligte zu 1.) in
Zukunft mit weiteren finanziellen Lasten zu rechnen hat, etwa weil die Stadt E2 plant,
die Niederschlagswasserkanäle in den angrenzenden Straßen zu sanieren.
Bei der Bestimmung des Verkehrswerts der Nachlassgrundbesitzes im Jahr 1998 kann
nicht auf den vom Beteiligten zu 1.) angegebenen Ertragswert abgestellt werden. Zwar
ist in der Kostenordnung nicht näher geregelt, nach welcher Bewertungsmethode der
gemeine Wert (Verkehrswert) festzustellen ist. Deshalb kann der Verkehrswert eines
Mietwohnungsgrundstücks grundsätzlich auch im Ertragswertverfahren ermittelt werden.
Dies ist im vorliegenden Fall aber schon deshalb nicht möglich, weil der
Nachlassgrundbesitz nicht als Mietwohnungsgrundstück einzustufen ist. Hinzu kommt,
dass der Beteiligte zu 1.) nur einen Ertragswert für das Jahr 2007 ermittelt hat und dass
seiner Ertragswertberechnung keinerlei Unterlagen beigefügt sind. Dies wäre indes
erforderlich gewesen, um sie überhaupt nachprüfen zu können. So ist die Berechnung
des Beteiligten zu 1.) nicht verwertbar (vgl. dazu BayObLG, NJW-RR 2001, S. 287 ff.).
47
(2)
48
Der Geschäftswert für die Eröffnung des gemeinschaftlichen Testaments vom
14.11.1955 nach der verstorbenen E folgt ebenfalls dem reinen Nachlasswert nach
Abzug der Verbindlichkeiten außer solchen aus Vermächtnissen, Pflichtteilsrechten
oder Auflagen (§§ 102, 103 Abs. 1, 46 Abs. 4 KostO) und zwar zum Zeitpunkt der
Testamentseröffnung am 12.02.2008 (§§ 7, 18 Abs. 1 S. 1 KostO). Der Geschäftswert
beträgt mithin 384.513,88 € und errechnet sich wie folgt:
49
- Sparguthaben 205.600,00 €
50
- Nachlassgrundbesitz 178.913,88 €
51
384.513,88 €
52
(a)
53
Dass für die Eröffnung des gemeinschaftlichen Testaments nach der Erblasserin eine
gesonderte Gebühr nach § 102 KostO zu erheben und folgerichtig auch der
Geschäftswert für diese Gebühr nach den §§ 103 Abs. 1, 46 Abs. 4 KostO gesondert
festzusetzen ist, ist bereits dargelegt worden.
54
(b)
55
Aus den bereits dargelegten Gründen ist der Verkehrswert des Nachlassgrundbesitzes
für den Bewertungszeitpunkt 12.02.2008 wiederum nach der vereinfachten
56
Sachwertmethode zu ermitteln. Er beläuft sich mithin auf 178.913,88 € und errechnet
sich wie folgt:
Gebäudewert:
57
- Brandversicherungssumme 1914
58
lt. Angabe des Beteiligten zu 1.) 26.500
59
- Richtzahl für 2008 11,52
60
305.280,00 €
61
- abzüglich eines 20 %igen
62
Sicherheitsabschlags 61.056,00 €
63
244.224,00 €
64
- abzüglich eines 60 %igen
65
Abschlags für technische und
66
wirtschaftliche Wertminderung
67
infolge des Alters des Gebäudes 146.534,40 €
68
97.689,60 €
69
- abzüglich eines 20 %igen Abschlags
70
wegen der feuchtigkeitsbedingten
71
Gebäudeschäden 19.537,92 €
72
78.151,68 € 78.151,68 €
73
Bodenwert:
74
- 700 qm Bauland à 210,00 € 147.000,00 €
75
- 997 qm Hausgarten à 21,00 € 20.937,00 €
76
167.937,00 €
77
- abzüglich eines 25 %igen Sicher-
78
heitsabschlags 41.984,25 €
79
125.952,75 €
80
- abzüglich eines 20 %igen
81
Abschlags wegen des un-
82
günstigen Zuschnitts des Grund-
83
besitzes und der fehlenden
84
Zuwegung zum B-Weg 25.190,55 €
85
100.762,20 € 100.762,20 €
86
178.913,88 €.
87
Das Vorbringen des Beteiligten zu 1.) gibt keinen Anlass, für den Bewertungszeitpunkt
12.02.2008 prozentual höhere Abschläge vorzunehmen als für den Bewertungszeit
1998. Auch kann aus den bereits dargelegten Gründen bei der Bemessung des
Verkehrswertes des Nachlassgrundbesitzes nicht auf seine Ertragswertberechnung
zurückgegriffen werden.
88
(3)
89
Die Geschäftswerte für die Beurkundung einer eidesstattlichen Versicherung im
Erbscheinsverfahren und für die Erteilung eines Erbscheins nur für Grundbuchzwecke
sind hier nach den §§ 49 Abs. 2 S. 1, 107 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 KostO nach dem
Verkehrswert des Nachlassgrundbesitzes im Zeitpunkt des Eintritts der Nacherbfolge im
Jahr 2007 zu bestimmen und belaufen sich jeweils auf 175.682,26 €. Dieser Betrag
errechnet sich wie folgt:
90
Gebäudewert:
91
- Brandversicherungssumme 1914
92
lt. Angabe des Beteiligten zu 1.) 26.500
93
- Richtzahl für 2007 10,69
94
283.285,00 €
95
- abzüglich eines 20 %igen
96
Sicherheitsabschlags 56.657,00 €
97
226.628,00 €
98
- abzüglich eines 60 %igen
99
Abschlags für technische und
100
wirtschaftliche Wertminderung
101
infolge des Alters des Gebäudes 135.976,80 €
102
90.651,20 €
103
- abzüglich eines 20 %igen Abschlags
104
wegen der feuchtigkeitsbedingten
105
Gebäudeschäden 18.130,24 €
106
72.520,96 € 72.520,96 €
107
Bodenwert:
108
- 700 qm Bauland à 215,00 € 150.500,00 €
109
- 997 qm Hausgarten à 21,50 € 21.435,50 €
110
171.935,50 €
111
- abzüglich eines 25 %igen Sicher-
112
heitsabschlags 42.983,88 €
113
128.951,62 €
114
- abzüglich eines 20 %igen
115
Abschlags wegen des un-
116
günstigen Zuschnitts des Grund-
117
besitzes und der fehlenden
118
Zuwegung zum B-Weg 25.790,32 €
119
103.161,30 € 103.161,30 €
120
175.682,26 €.
121
Das Vorbringen des Beteiligten zu 1.) gibt keinen Anlass, für den Bewertungszeitpunkt
2007 prozentual höhere Abschläge vorzunehmen, als für die Bewertungszeiträume
1998 und 2008. Aus den bereits dargelegten Gründen kann bei der Bemessung des
Verkehrswertes des Nachlassgrundbesitzes im Übrigen nicht auf seine
Ertragswertberechnung zurückgegriffen werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 31 Abs. 5 KostO.
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Die weitere Beschwerde ist nicht zuzulassen, da hier keine Fragen von grundsätzlicher
Bedeutung zur Entscheidung anstehen (§§ 14 Abs. 5 S. 1, 31 Abs. 3 S. 5 KostO).
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