Urteil des LG Darmstadt vom 24.06.2010

LG Darmstadt: internetseite, wichtiger grund, unentgeltliche tätigkeit, rechtsberatung, anleger, verkehr, verein, anlagefonds, lamm, satzung

Gericht:
LG Darmstadt 3.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 O 165/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 3 UWG, § 4 Nr 3 UWG, § 4 Nr
11 UWG, § 8 Abs 1 UWG, § 8
Abs 3 UWG
Unerlaubte Rechtsdienstleistung durch Verein
Leitsatz
1. Die Erbringung einer unerlaubten Rechtsdienstleistung durch einen Verein liegt vor,
wenn dieser im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des Wettbewerbs Personen, die
eine Beteiligung an einem bestimmten Anlagefonds halten, unaufgefordert ein
Anschreiben (nebst Anmeldeformular) übersendet, in welchem mit konkreten
Leistungen für die rechtliche Beratung im Zusammenhang mit diesem Fonds geworben
wird.
2. Die Erbringung einer unerlaubten Rechtsdienstleistung durch einen Verein liegt vor,
wenn dieser im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des Wettbewerbs über eine
Internetseite Fondsanlegern Rechtsberatung anbietet, insbesondere ihnen für eine
einmalige Beitrittsgebühr folgende Leistungen anbietet: Prüfung, ob Ansprüche
bestehen; Prüfung, gegen welche Personen, Unternehmen und Institutionen sich diese
Ansprüche richten, Prüfung der Erfolgsaussichten; Prüfung des Kostenrisikos einer
außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsverfolgung; Deckungsanfrage bei der
Versicherung für rechtsschutzversicherte Anleger.
Tenor
I. Dem Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung, bei
Meidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis
zu sechs Monaten, und zwar für je 150,00 EUR einen Tag Ordnungshaft, oder von
Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu insgesamt zwei
Jahren, zu vollziehen an dem Vorstand des Verfügungsbeklagten, aufgegeben, es
zu unterlassen,
1. im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des Wettbewerbs Personen, die eine
Beteiligung an dem Anlagefonds X halten, unaufgefordert Anschreiben (nebst
Anmeldeformular) zu übersenden, in welchen für die rechtliche Beratung im
Zusammenhang mit dem Anlagefonds X geworben wird, insbesondere wenn diese
Werbung erfolgt wie in dem als Anlage beigefügten Schreiben und für die darin und
im beigefügten Anmeldeformular angebotenen Leistungen;
2. im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des Wettbewerbs über eine Internetseite
mit der Domain www.[...].de Anlegern Rechtsberatung anzubieten, insbesondere
ihnen für eine einmalige Beitrittsgebühr folgende Leistungen anzubieten:
- Prüfung, ob Ansprüche bestehen,
- gegen welche Personen, Unternehmen und Institutionen sich diese Ansprüche
richten,
- wie groß die Erfolgsaussichten sind und
- wie hoch das Kostenrisiko einer außergerichtlichen oder gerichtlichen
Rechtsverfolgung ist sowie
- für rechtsschutzversicherte Anleger eine Deckungsanfrage bei der Versicherung
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- für rechtsschutzversicherte Anleger eine Deckungsanfrage bei der Versicherung
durchzuführen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Verfügungsbeklagte zu tragen.
Streitwert: 60.000,00 €.
Tatbestand
Der Verfügungskläger ist Rechtsanwalt in Berlin.
Der Verfügungsbeklagte ist ein eingetragener Verein. Er verfügt nicht über eine
Erlaubnis zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen. Wegen des Inhalts der
Satzung des Verfügungsbeklagten wird auf deren Ablichtung, Bl. 43, 44 d.A.,
ergänzend Bezug genommen.
Der Verfügungsbeklagte wandte sich mit persönlichen Schreiben direkt an einzelne
Anleger des Anlagefonds X. Er bot diesen darin den Beitritt zu einer
„Anlegerschutzgemeinschaft X“ an. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses
Schreibens wird auf dessen Ablichtung, Bl. 26 f d.A., ergänzend Bezug genommen.
Dem Schreiben beigefügt war ein Anmeldeformular. Wegen dessen Inhalts im
einzelnen wird auf die Ablichtung desselben, Bl. 28 d.A., ergänzend Bezug
genommen.
Das dem Schreiben beigefügte Anmeldeformular verweist auf die Internetseite des
Verfügungsbeklagten (www.[...].de). Auf dieser Internetseite ist u.a. ein
Anmeldeformular für Y-Interessengemeinschaften abrufbar. Wegen des Inhalts
dieses Anmeldeformulars auf der Internetseite wird auf einen Ausdruck derselben,
Bl. 30 d.A., ergänzend Bezug genommen.
Die Parteien sind unterschiedlicher Ansicht darüber, ob die Tätigkeit des
Verfügungsbeklagten gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstößt.
Der Verfügungskläger beantragt,
dem Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben,
es zu unterlassen,
1. im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des Wettbewerbs Personen, die eine
Beteiligung an dem Anlagefonds X halten, unaufgefordert Anschreiben zu
übersenden, in welchen für die rechtliche Beratung im Zusammenhang mit dem
Anlagefonds X geworben wird; insbesondere wenn diese Werbung erfolgt wie in
dem als Anlage Ast 1 beigefügten Schreiben;
2. Im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des Wettbewerbs über eine Internetseite
mit der Domain „www.[...].de“ Anlegern Rechtsberatung anzubieten, insbesondere
ihnen für eine einmalige Beitrittsgebühr folgende Leistungen anzubieten:
- Prüfung, ob Ansprüche bestehen,
- gegen welche Personen, Unternehmen und Institutionen sich diese Ansprüche
richten,
- wie groß die Erfolgsaussichten sind und
- wie hoch das Kostenrisiko einer außergerichtlichen oder gerichtlichen
Rechtsverfolgung ist sowie
- für rechtsschutzversicherte Anleger eine Deckungsanfrage bei der Versicherung
durchführen.
II. dem Antragsgegner für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis
zu 25.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs
Monaten anzudrohen, wobei Ordnungshaft an dem Vorstand des Antragsgegners
zu vollziehen ist.
Der Verfügungsbeklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll vom 24.6.2010
sowie die nachfolgenden Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist begründet.
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A.
Dem Verfügungskläger steht gegen den Verfügungsbeklagten ein Anspruch auf
Unterlassung in dem tenorierten Umfang nach § 8 Abs. 1, 3 UWG in Verbindung
mit den §§ 3, 4 Nr. 3 und 11 UWG und §§ 2, 6, 7 RDG zu.
Nach dem Sach- und Streitstand, wie er sich aus dem Vorbringen der Parteien in
diesem Verfahren ergibt, ist ein wichtiger Grund für eine Unterlassungsverfügung
gegenüber dem Verfügungsbeklagten gegeben.
Der Verfügungskläger hat einen Verfügungsanspruch gegenüber dem
Verfügungsbeklagten, da der Verfügungsbeklagte mit den streitgegenständlichen
Handlungen ohne Erlaubnis die Erbringung von Rechtsdienstleistungen nach dem
RDG anbietet und damit nicht nur gegen das RDG verstößt, sondern auch
unlautere geschäftliche Handlungen insbesondere nach § 3 UWG vornimmt, die
geeignet sind, die Interessen insbesondere von Mitbewerbern und Verbrauchern
spürbar zu beeinträchtigen.
I.
Bei den streitgegenständlichen Handlungen des Verfügungsbeklagten
(Anschreiben und Anmeldeformular, auch auf der Internetseite) handelt es sich
um Rechtsdienstleistungen nach dem RDG, für die sich der Verfügungsbeklagte
weder auf eine Erlaubnis noch auf einen Ausnahmetatbestand, bei dem eine
Erlaubnis nicht erforderlich ist, berufen kann:
1. Der Verfügungsbeklagte bietet Rechtsdienstleistungen nach dem RDG an,
indem er
a) an Personen, die an einem bestimmten Fonds beteiligt sind, konkrete,
unaufgeforderte Anschreiben nebst Anmeldeformular – wie die in Anlage dieser
Entscheidung beigefügte – sendet und hierbei auch auf die Internetseite
www.[...].de verweist,
b) ferner, indem er über die Internetseite www.[...].de insbesondere im
Anmeldeformular Personen für eine einmalige Beitrittsgebühr folgende Leistungen
anbietet:
- Prüfung, ob Ansprüche bestehen,
- gegen welche Personen, Unternehmen und Institutionen sich diese Ansprüche
richten,
- wie groß die Erfolgsaussichten sind und
- wie hoch das Kostenrisiko einer außergerichtlichen oder gerichtlichen
Rechtsverfolgung ist sowie
- für rechtsschutzversicherte Anleger eine Deckungsanfrage bei der Versicherung
durchzuführen.
Hinsichtlich beider der genannten Handlungen liegen Rechtsdienstleistungen nach
dem RDG (bzw. deren Angebot) vor, da der Verfügungsbeklagte jeweils die
rechtliche Prüfung einer konkreten, fremden Angelegenheit anbietet:
a) In dem Schreiben an Beteiligte an einem bestimmten Fonds wird auf ein
beigefügtes Anmeldeformular (sowie auf die Internetseite des
Verfügungsbeklagten) verwiesen, in dem/denen die Interessengemeinschaft im Y
e.V. dem an dem Fonds Beteiligten die Möglichkeit anbietet, diese konkrete
Kapitalanlage von „Y-Anlegerschutzanwälten“ bewerten zu lassen und von diesen
prüfen zu lassen, ob ihm Schadensersatz zustehen, ob die Ansprüche des am
Fonds Beteiligten juristisch durchsetzbar wären und welche Maßnahmen eventuell
sofort zu ergreifen sind.
Damit bietet der Verfügungsbeklagte an, nicht unkomplizierte, konkrete rechtliche
Verhältnisse einer Person, die mit dem Verfügungsbeklagten bislang nichts zu tun
hat, zu prüfen.
Die Prüfung soll auch nicht etwa eine fiktive oder nur abstrakte Fallkonstellation,
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Die Prüfung soll auch nicht etwa eine fiktive oder nur abstrakte Fallkonstellation,
sondern den konkreten Fall des jeweils angeschriebenen, am Fonds Beteiligten
betreffen (Einzelfallprüfung).
Hierbei richtet sich der Verfügungsbeklagte mit konkreten Anschreiben sowie mit
der Internetseite an eine Vielzahl von Personen mit einer jeweils konkreten
Angelegenheit, nämlich betreffend die Ansprüche von Anlegern eines bestimmten
Fonds.
Eine konkrete Angelegenheit im Sinne des § 2 RDG liegt auch dann noch vor, wenn
sich der Berater an eine Vielzahl von Personen richtet, die er in einer bestimmten
Angelegenheit kontaktiert (vgl. Dreyer/Müller in: Dreyer/Lamm/Müller, RDG, 2009, §
3 Rz. 37).
b) Auch in dem auf der Internetseite des Verfügungsbeklagten enthaltenen
Anmeldeformular bietet der Verfügungsbeklagte die rechtliche Prüfung einer
konkreten fremden Angelegenheit an, indem er gegen die einmalige
Beitrittsgebühr die o.g. Leistungen (insbesondere die Prüfung, ob und gegen wen
Ansprüche bestehen, wie hoch die Erfolgsaussichten / das Kostenrisiko ist)
anbietet.
c) Das Angebot und die Erbringung der Rechtsdienstleistungen erfolgt auch
im Sinne des § 2 RDG.
Dieser kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er nur den Kontakt zu
Rechtsanwälten vermittelt:
Nach den Formulierungen im Anschreiben und den Anmeldeformularen (zum
Schreiben und im Internet) ist zunächst nicht eindeutig, ob für die erste
Anspruchsprüfung gemäß dem Angebot des Verfügungsbeklagten der
Verfügungsbeklagte die Rechtsanwälte selbst beauftragt oder aber die
Mandatserteilung durch die jeweiligen Anleger erfolgt.
Für ersteres sprechen die Formulierungen „der die Y-Interessengemeinschaft (…)
betreuenden Anlegerschutzkanzlei“ (im Anschreiben) und Bewertung durch „Y-
Anlegerschutzanwälten“ (im Anmeldeformular zum Anschreiben) sowie die
Formulierungen „Die Anspruchsprüfung Ihres Falles durch die Rechtsanwälte löst
jedoch keine gesonderten Kosten aus!“ sowie „Rechtsanwälte der
Interessengemeinschaften“ (im Internet-Anmeldeformular).
Zumindest mehrdeutig erscheint die Formulierung „Empfehlung für den Y-
Vertragsanwalt welcher die betreffende Interessengemeinschaft führt und
betreut“.
Nach dem Gesamteindruck der Formulierungen insbesondere in den beiden
Anmeldeformularen wird nach Auffassung des erkennenden Gerichts allerdings
deutlich der Eindruck erweckt, dass der der Interessengemeinschaft Beitretende
für die Beitrittsgebühr i.H.v. 75,- Euro
das Recht erwirbt, dass sein konkreter Fall durch
vom Verfügungsbeklagten gestellte Rechtsanwälte im einzelnen geprüft wird,
wobei er eindeutig an
zahlt und – jedenfalls nach den Formulierungen des Verfügungsbeklagten auf der
Internetseite und in dem Anmeldeformular zum Anschreiben – auch keinen
direkten Vertrag mit den Rechtsanwälten schließt.
Aus Sicht des Beitretenden zahlt dieser und erwirbt
einen Anspruch auf Erbringung der Rechtsberatung.
Welcher Anwalt dann – zur Erfüllung der vom Verfügungsbeklagten nach dessen
Formulierungen im Anschreiben und Anmeldeformular geschuldeten Leistungen -
tätig wird, darauf hat der Beitretende nach den Unterlagen des
Verfügungsbeklagten keinen Einfluß.
Aus Sicht des Beitretenden handelt damit der entsprechende Anwalt
für den Verfügungsbeklagten; zwischen dem Beitretenden und
dem Anwalt existiert in dieser Gestaltung kein Auftragsverhältnis.
Nicht zuletzt bezeichnet der Verfügungsbeklagte einen solchen Anwalt im
Anmeldeformular auch als „Y-Vertragsanwalt“.
Selbst wenn der der Interessengemeinschaft Beitretende – entgegen dem
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Selbst wenn der der Interessengemeinschaft Beitretende – entgegen dem
Eindruck, der durch den Verfügungsbeklagten erweckt wird - sogar (auf die
Vermittlung durch den Verfügungsbeklagten hin) förmlich den Rechtsanwalt selbst
beauftragen würde - was aus dem Internetauftritt des Verfügungsbeklagten so
allerdings nicht hinreichend hervorgeht - würde schon die Tatsache, dass die
Zahlung des Beitretenden an den Verfügungsbeklagten geht den
jeweiligen Rechtsanwalt , für die Annahme, dass dem Rechtsanwalt in
dieser Konstellation nur die Stellung eines sog. tatsächlichen Erfüllungsgehilfen
des Verfügungsbeklagten zukommt, für die Schlußfolgerung ausreichen, dass der
Verfügungsbeklagte selbst die Rechtsdienstleistung anbietet/erbringt (siehe dazu
BGH, Entscheidung vom 29.07.2009, Az. I ZR 166/06, Rz. 24, 26, juris-online).
Aber auch eine solche Konstellation und die mit dieser verbundenen Gefahren
sollen durch das RDG verhindert werden:
Es soll gerade nicht so sein, dass in der Person des Rechtsanwalts, der in der hier
gewählten Konstellation vom Verfügungsbeklagten und nicht vom einzelnen
Mitglied der Verfügungsbeklagten beauftragt – jedenfalls aber bezahlt - wird, eine
Interessenkollision auftreten kann und dessen Unabhängigkeit und
Eigenverantwortlichkeit bei der Rechtsberatung beeinträchtigt werden können (so
der BGH, Entscheidung vom 29.07.2009, Az. I ZR 166/06, Rz. 24, juris-online).
Außerdem soll gerade gewährleistet werden, dass der Rechtssuchende bei einer
fehlerhaften Beratung Schadensersatzansprüche erfolgreich geltend machen kann
und deshalb ein direktes Vertragsverhältnis mit dem Rechtsanwalt hat, nicht
hingegen einen nur theoretischen Anspruch gegen einen Verein / eine
Interessengemeinschaft, über dessen Finanzierung und Vermögen nichts bekannt
ist (vgl. dazu auch BGH, Entscheidung vom 29.07.2009, Az. I ZR 166/06, Rz. 24,
juris-online).
d) Soweit der Verfügungsbeklagte sich im übrigen darauf beruft, dass er gemäß §
1 Absatz 2 seiner Satzung nur juristische Beratung erbringt, soweit diese nicht
gegen das RBG (Rechtsberatungsgesetz) oder sonstige Vorschriften verstößt, ist
auch dieses Vorbringen unerheblich:
Abgesehen davon, dass die Satzung nur auf das frühere RBG und nicht auf das
nun geltende RDG Bezug nimmt, ist für den vorliegenden Rechtsstreit allein
entscheidend, was der Verfügungsbeklagte tatsächlich tut, nicht, wozu er (ggf.
ursprünglich) die Absicht hatte/hat oder ob er den gegebenen Sachverhalt
rechtlich zutreffend würdigt.
Ob der Verfügungsbeklagte im übrigen mit seiner tatsächlichen Tätigkeit gegen
seine eigene Satzung verstößt, war durch das erkennende Gericht nicht zu
entscheiden.
2. Es liegt vorliegend auch keine erlaubte unentgeltliche Tätigkeit des
Verfügungsbeklagten nach § 6 Abs. 1 RDG vor.
Die Tätigkeit des Verfügungsbeklagten ist nicht unentgeltlich, da dieser von den
Beitretenden eine Beitrittsgebühr von 75,00 € erhebt.
3. Der Verfügungsbeklagte kann für sich auch nicht die Ausnahmeregelung nach §
7 RDG in Anspruch nehmen:
Vorliegend liegt keine ausnahmsweise nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 RDG erlaubte
Rechtsdienstleistung vor, da die Voraussetzungen dieser Norm hier nicht erfüllt
sind:
Nach dieser Vorschrift sind Rechtsdienstleistungen erlaubt,
1. die eine zur Wahrung gemeinschaftlicher Interessen gegründete Vereinigung
2. im Rahmen ihres satzungsmäßigen Aufgabenbereichs
3. für ihre Mitglieder erbringt,
4. soweit diese gegenüber der Erfüllung ihrer übrigen satzungsmäßigen Aufgaben
nicht von übergeordneter Bedeutung sind.
Bereits die erste Voraussetzung ist bei dem Verfügungsbeklagten nicht gegeben:
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Vorliegend erfolgt im Rahmen der Interessengemeinschaft allenfalls eine
Bündelung von Einzelinteressen, nicht hingegen die Verfolgung eines
nennenswerten gemeinschaftlichen Interesses:
Die Interessenten/Mitglieder der fraglichen Vereinigung haben nur bestimmte,
konkrete eigennützige Interessen; es handelt sich um Anleger eines einzelnen
Fonds, die ihre eigenen Ansprüche prüfen und ggf. verfolgen möchten.
An einem gemeinschaftlichen Interesse / Gruppeninteresse mangelt es aber bei
Vereinigungen, bei denen die Mitglieder lediglich Einzelinteressen verfolgen und
sich die Wahrung der gemeinschaftlichen Interessen in der Bündelung der
Durchsetzung dieser Einzelinteressen erschöpft (vgl. Dreyer/Geißler in:
Dreyer/Lamm/Müller, RDG, 2009, § 7 Rz. 10).
Auch die vierte Voraussetzung ist nicht erfüllt:
Nach dem Inhalt der Unterlagen des Verfügungsbeklagten ist das vorherrschende,
dominante Interesse am Beitritt zum Verfügungsbeklagten die Inanspruchnahme
der konkreten Rechtsdienstleistung, nämlich die Prüfung der Ansprüche des
einzelnen Anlegers.
Darüber hinaus bietet der Verfügungsbeklagte nach seinen eigenen Unterlagen,
insbesondere den Anmeldeformularen und dem Anschreiben, keine weiteren
nennenswerten tatsächlichen Leistungen an, so dass die Rechtsdienstleistung
gerade keine Nebenbedeutung bei den Zielen und Aufgaben des Vereins, sondern
gerade die zentrale Bedeutung hat.
Hieran ändert auch nichts, dass der Verfügungsbeklagte in seiner Satzung weitere
Tätigkeitsfelder nennt. Schließlich spielen diese weiteren Tätigkeitsfelder in seinem
konkreten Auftreten gegenüber Interessenten praktisch keine Rolle (s.o.).
Dies ist der grundlegende Unterschied zwischen der Tätigkeit des
Verfügungsbeklagten und etwa der des ADAC (der stets als Beispiel für § 7 Abs. 1
Nr. 1 RDG herangezogen wird), welcher zahllose weitere Tätigkeitsfelder wie
Interessenvertretung auf politischer Ebene, Information und Aufklärung, technische
Hilfsleistungen, Schulungen etc. anbietet.
Das Fehlen der Voraussetzungen Nr. 1. und 4. bei dem Verfügungsbeklagten wird
zudem durch das Indiz gestützt, dass der Verfügungsbeklagte nur einen
Mitgliedsbeitrag von 75,- Euro erhebt, der bei einer
Beauftragung des vermittelnden Anwalts auf weitere
Tätigkeit (z.B. Klageerhebung) angerechnet wird, so das Anmeldeformular auf der
Internetseite des Verfügungsbeklagten.
Damit verbleiben dem Verfügungsbeklagten bei Mitgliedern, die eine solche
spätere Beauftragung der Rechtsanwälte vornehmen, sowohl für die erste
Anspruchsprüfung durch Rechtsanwälte als auch für seine gesamte sonstige
Tätigkeit (neben der Rechtsberatung, etwa das Unterhalten der Internetseite und
die Briefe an Interessenten) für die Mitglieder - jedenfalls aus den
Mitgliedsbeiträgen – keinerlei Mittel. Dies stellt ebenfalls ein nicht unwesentliches
Indiz dafür dar, wo der eindeutige Schwerpunkt der Tätigkeit des
Verfügungsbeklagten liegt.
In diesem Zusammenhang wird nochmals auf das o.g. Haftungsargument
verwiesen.
Das spricht nicht unerheblich dafür, dass der Verfügungsbeklagte keine sonstige
nennenswerte Tätigkeit entfaltet.
Es spricht auch in erheblichem Umfang dafür, dass es vorliegend – sowohl den
Mitgliedern als auch dem Verfügungsbeklagten als Anbieter – in erster Linie auf
einen grundsätzlich einmaligen Kontakt der (Anfangs-)Rechtsberatung in einem
bestimmten Gebiet ankommt, und es gerade nicht um einen dauerhaften
Zusammenschluß mit übergeordnetem, gemeinschaftlichen Interesse geht.
Auf Seiten des Verfügungsbeklagten – oder dessen „Vertragsanwälten“ – mag das
Interesse an einer späteren Beauftragung (Klageerhebung) zusätzlich eine Rolle
spielen. Auch dies begründet jedoch kein „gemeinschaftliches Interesse“ i.S.d. § 7
Abs. 1 Nr. 1 RDG.
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Das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen Nr. 2 und 3 kann danach
dahinstehen.
II.
Bei diesen Handlungen handelt es sich auch um unlautere geschäftliche
Handlungen nach § 3 UWG, die geeignet sind, die Interessen insbesondere von
Mitbewerbern und Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen:
Das Werben um Einzelmandate durch das direkte Anschreiben von potentiellen
neuen Mandanten nebst Anmeldeformular sowie der Internetauftritt des
Verfügungsbeklagten einschließlich Anmeldeformular sind geeignet, die Interessen
von Mitbewerbern, nämlich redlichen Rechtsanwälten, spürbar zu beeinträchtigen.
Die o.g. Handlungen des Verfügungsbeklagten dienen der Umgehung des
Werbeverbots für Rechtsanwälte nach § 43b BRAO, indem einzelne potentielle
neue Mandanten gezielt und direkt angeschrieben werden, und verschleiern
darüber hinaus den Werbecharakter von geschäftlichen Handlungen (§ 4 Nr. 3
UWG).
Außerdem beeinträchtigen die Handlungen des Verfügungsbeklagten u.a. deshalb
spürbar die Interessen der Verbraucher, weil diese in Anbetracht der unklaren
Formulierungen des Verfügungsbeklagten im Ungewissen gelassen werden, wer
genau ihr Vertragspartner werden soll, ob dieser über eine hinreichende
Berufshaftpflichtversicherung bzw. Vermögen verfügt und gegen wen sie etwa bei
einer fehlerhaften Beratung Ansprüche geltend machen können.
Schlußendlich stellt der Verstoß gegen das RDG auch einen Verstoß gegen § 4 Nr.
11 UWG dar, weil das RDG auch dazu dient, im Interesse der Marktteilnehmer das
Marktverhalten zu regeln (so auch Dreyer/Müller in: Dreyer/Lamm/Müller, RDG,
2009, § 3 Rz. 31).
III.
Der Verfügungskläger ist antragsbefugt nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG, da er als
Rechtsanwalt ein unmittelbarer Wettbewerber des Verfügungsbeklagten bei der
Erbringung von Rechtsdienstleistungen ist (vgl. dazu Dreyer/Müller in:
Dreyer/Lamm/Müller, RDG, 2009, § 3 Rz. 32).
IV.
Der Verfügungsgrund wird nach § 12 Abs. 2 UWG vermutet.
Im übrigen dient das RDG in hohem Maße nicht nur dem Schutz der
rechtsuchenden Bevölkerung, sondern auch dem Schutz der Rechtordnung (so
Dreyer/Müller in: Dreyer/Lamm/Müller, RDG, 2009, § 1 Rz. 31, 33).
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.