Urteil des LG Darmstadt vom 29.10.2008

LG Darmstadt: gerichtshof der europäischen gemeinschaften, verspätung, aussetzung, eugh, quelle, immaterialgüterrecht, verwaltungsrecht, zivilprozessrecht, ausgleichszahlung, dokumentation

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Gericht:
LG Darmstadt 7.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 S 200/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 148 ZPO, Art 234 EG, Art 2
Abs 1 EGV 261/2004, Art 5
Abs 1 Buchst c EGV 261/2004,
Art 7 EGV 261/2004
Fluggastrechte bei Flugannulierung: Aussetzung eines
Rechtsstreits bis zur Entscheidung des EuGH über eine
Vorlagefrage des BGH
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt bis zur Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs in dem Vorlageverfahren aufgrund des Beschlusses des
Bundesgerichtshofes vom 17.07.2007, AZ: X ZR 95/06.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
Die Klägerin verlangt von der beklagten Charterfluggesellschaft u. a.
Ausgleichszahlungen nach Art. 7 VO (EG) 261/2004, weil insgesamt vier Reisende
den von der Klägerin für die gesamte Gruppe für den 12.06.2007 gebuchten
Rückflug von La Palma über Lanzarote nach Düsseldorf nur mit einer Verspätung
von etwa 23 Stunden antreten konnten. Sie ist der Ansicht, dass es sich wegen der
auf der Anzeigetafel erfolgten Hinweises "cancelled", der Dauer der Verzögerung
und des tatsächlich erst am Folgetag erfolgten Rückfluges nicht nur um eine
Verspätung, sondern um eine Annullierung des Fluges gehandelt habe, so dass sie
für jeden der Mitreisenden eine Ausgleichszahlung von jeweils 600,00 Euro fordern
könnten (obwohl die Entfernung, wie noch in erster Instanz unstreitig geworden ist,
weniger als 3.500 km beträgt). Nach Auffassung der Beklagten lag lediglich eine
Verspätung, aber keine Annullierung des Fluges vor. Das Amtsgericht hat nach
Beweisaufnahme die Klage abgewiesen.
Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 17.07.2007 (Az: X ZR 95/06) dem
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Auslegung von Artt. 2 lit. I, 5
Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist bei der Auslegung des Begriffs "Annullierung" entscheidend darauf
abzustellen, ob die ursprüngliche Flugplanung aufgegeben wird, so dass eine
Verzögerung unabhängig von ihrer Dauer keine Annullierung darstellt, wenn die
Fluggesellschaft die Planung des ursprünglichen Fluges nicht aufgibt?
2. Falls die Frage zu 1. verneint wird: Unter welchen Umständen ist eine
Verzögerung des geplanten Fluges nicht mehr als Verspätung, sondern als
Annullierung zu behandeln? Hängt die Beantwortung dieser Frage von der Dauer
der Verspätung ab?
Der EuGH hat bisher über die Vorlagefragen nicht entschieden.
Der Umstand, dass am Bundesgerichtshof ein Revisionsverfahren anhängig ist, in
dem über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, von deren Beantwortung auch die
Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ganz oder teilweise abhängt,
rechtfertigt zwar die Aussetzung der Verhandlung des zweiten Rechtsstreits
grundsätzlich nicht (vergleiche dazu BGH, Beschluss vom 30.03.2005, Az: X ZB
26/04, abgedruckt NJW 2005, S. 1947 f). Der Kammer steht aber eine
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26/04, abgedruckt NJW 2005, S. 1947 f). Der Kammer steht aber eine
Ermessensentscheidung des Inhalts zu, die Verhandlung so lange auszusetzen,
bis über die Vorlagen durch den Europäischen Gerichtshof entschieden ist (§ 148
ZPO entsprechend). Für die Aussetzung spricht dabei, dass die
Gemeinschaftsgerichte und die nationalen Gerichte zu loyaler Zusammenarbeit
verpflichtet sind und die Erfüllung der Aufgabe des EuGH, nicht als
Rechtsmittelgericht in mitgliedstaatlichen Verfahren tätig zu werden, sondern
verbindlich über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu entscheiden, durch
eine Vielzahl von gleich gelagerten, nichts zu einer Verbreiterung der
Entscheidungsgrundlagen beitragenden Vorabentscheidungsersuchen eher
beeinträchtigt denn gefördert werden könnte (vergleiche dazu ausdrücklich
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.03.2005, Az: X ZB 26/04, a. a. O.;
zustimmend Musielak-Stadler, Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2007, § 148, Rdnr.
16).
Hinzukommt, dass das Berufungsgericht nicht verpflichtet ist, das Verfahren
auszusetzen und dem EuGH vorzulegen, weil diese Verpflichtung nur für
letztinstanzliche Gerichte gilt (Art. 234 Abs. 3 EGV) und das Berufungsgericht
deshalb nur zu einer Vorlage berechtigt, aber nicht verpflichtet ist (vgl. dazu
Zöller-Greger, Kommentar zur ZPO, 26. Aufl. 2007, § 148, Rdnr. 3 b).
Das vorliegende Verfahren war deshalb bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften über die Vorlagefragen des Bundesgerichtshofes
auszusetzen.
Gegen diesen Beschluss hat die Kammer die Rechtsbeschwerde zugelassen (§ 574
Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Der Bundesgerichtshof hat bisher die Frage, ob ein
Vorlageverfahren beim Europäischen Gerichtshof eine Aussetzung rechtfertigt,
noch nicht ausdrücklich entschieden, sondern in dem Beschluss vom 30.03.2005
(Az: X ZB 26/04) offen gelassen.
Die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
erfordert deshalb eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs als
Rechtsbeschwerdegericht (§ 574 Abs. 3, 2 Nr. 2 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.