Urteil des LG Darmstadt vom 28.03.2011

LG Darmstadt: persönlichkeit, strafverfahren, wahrscheinlichkeit, ausführung, wiederholungsgefahr, internet, straftat, muster, besitz, grundrecht

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Gericht:
LG Darmstadt 3.
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Qs 152/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 81g Abs 1 StPO, § 81g Abs 4
StPO, §§ 304 StPO, § 184b Abs
1 StGB, § 184b Abs 2 StGB
Speicherung von DNA-Mustern: Zu den Anforderungen an
das Vorliegen einer "Wiederholungsgefahr" nach einer
Verurteilung wegen Besitzes und Besitzverschaffens
kinderpornographischer Schriften
Leitsatz
1. Für die Anordnung einer Maßnahme nach § 81 g Abs. 1 StPO reicht das Vorliegen
einer abstrakten Wahrscheinlichkeit eines künftigen Strafverfahrens nicht aus. Die
Wahrscheinlichkeit ist aufgrund von Umständen des Einzelfalls, die sich aus der Art oder
Ausführung der jeweiligen Taten, der Persönlichkeit des Betroffenen oder sonstigen
Erkenntnissen ergeben, durch das jeweils befasste Gericht konkret festzustellen.
2. Insofern darf eine Negativprognose im Sinnen von § 81 g Abs. 1 StPO nicht in
abstrakter Weise allein deswegen angenommen werden, weil der Betroffene wegen des
Besitzes kinderpornegraphischer Schriften gemäß § 184 b StGB verurteilt worden ist,
wenn weitere Anhaltspunkte für eine Fortschreibung der Anlasstat nicht ersichtlich sind.
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Darmstadt vom 29.12.2010 wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des
Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Die Voraussetzungen für die Anordnung der DNA-Identitätsfeststellung gemäß §§
81g Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 StPO liegen nicht vor.
Die Anordnung einer DNA-Identitätsfeststellung nach § 81g Abs. 4 i. V. m. Abs. 1
StPO setzt voraus, dass der Betroffene wegen einer Straftat von erheblicher
Bedeutung oder einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung rechtskräftig
verurteilt worden ist („Anlasstat“) und, dass wegen der Art oder Ausführung der
Tat, der Persönlichkeit des Betroffenen oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der
Annahme besteht, dass gegen ihn künftig Strafverfahren wegen einer Straftat von
erheblicher Bedeutung zu führen sind („Wiederholungsgefahr“), für die das DNA-
Identifizierungsmuster ein Aufklärungsansatz für einen Spurenabgleich bieten kann
(vgl. hierzu: BVerfG, NStZ 2001, 328, 330; OLG Celle, Beschluss vom 07.12.2009,
Az: 1 Ws 556/09, Rz. 8, zitiert nach Juris).
Zwar liegen im vorliegenden Fall Anlasstaten im Sinne des § 81g Abs. 1 StPO vor.
Der Verurteilte wurde wegen dieser durch Urteil des Landgerichts Darmstadt vom
03.09.2009 wegen Besitzes und Besitzverschaffens kinderpornographischer
Schriften gemäß § 184b Abs. 1, Abs. 2 StGB und damit wegen „Straftaten gegen
die sexuelle Selbstbestimmung“ im Sinne des 13. Abschnitts des Besonderen Teils
des StGB verurteilt. Auch zeigen die Anlasstaten, dass der Verurteilte nicht
abgeneigt ist, sich neben einer Vielzahl von Dateien mit nicht strafbarem
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abgeneigt ist, sich neben einer Vielzahl von Dateien mit nicht strafbarem
pornographischem Inhalt, auch kinderpornographische Bilddateien über das
Internet zu beschaffen, diese zu betrachten und – in Kenntnis ihres Inhaltes – an
Dritte weiterzuleiten, zumal er wegen des Bestehens dieser Neigung seit dem
12.04.2007 im Informationszentrum für Männerfragen e. V. bei Dr. H. an einer
rückfallpräventiven therapeutischen Maßnahme teilnimmt.
Im vorliegenden Fall besteht jedoch weder aus der Art und Ausführung der
Anlasstaten, der Persönlichkeit des Betroffenen noch aus sonstigen Erkenntnissen
ausreichend Grund zu der Annahme, dass gegen den Verurteilten künftig
Strafverfahren zu führen sind, bei denen sein DNA-Identifizierungsmuster ein
Aufklärungsansatz bieten könnte.
Zunächst ist festzustellen, dass für die Anordnung einer Maßnahme nach § 81g
Abs. 1 StPO das Vorliegen einer bloß abstrakten Wahrscheinlichkeit eines künftigen
Strafverfahrens auch vor dem Hintergrund, dass durch die Anordnung in das
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1
Abs. 1 GG eingegriffen wird (vgl. BVerfG, NStZ 2001, 328, 330), allein nicht
ausreichen kann (vgl. LG Freiburg, NStZ 2000, 162, 163). Die Prognose, ob es zu
künftigen Strafverfahren gegen den Betroffenen kommen wird, ist aufgrund von
Umständen des jeweiligen Einzelfalles, die sich aus der Art oder Ausführung der
jeweiligen Taten, der Persönlichkeit des Betroffenen oder sonstiger Erkenntnisse
ergeben können, durch das jeweils befasste Gericht konkret festzustellen (so auch:
Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflage, § 81g Rn. 10a). Dies entspricht auch dem Willen
des Gesetzgebers, der darin zum Ausdruck kommt, dass nach § 81g Abs. 1 StPO
auch bei Anlassstraftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung für die Anordnung
der DNA-Identitätsfeststellung zusätzlich eine Negativprognose vorliegen muss.
Insofern darf eine Negativprognose nicht in abstrakter Weise allein deswegen
angenommen werden, weil der Betroffene wegen des Besitzes
kinderpornographischer Schriften verurteilt worden ist (in diese Richtung weisend,
aber: AG Bremen, Beschluss vom 08.04.2008, Az: 80 Gs 75/07 – 403 AR 43790/07,
Rz. 13, zitiert nach Juris).
Bei der vorstehenden Auslegung des § 81 Abs. 1 StPO verkennt die Kammer
freilich nicht, dass bezüglich Personen, die geneigt sind, sich aus sexueller
Motivation kinderpornographische Bilder zu beschaffen und zu betrachten,
grundsätzlich von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit künftiger, gleichgelagerter
Strafverfahren sowie zudem der Gefahr ggf. auch weitergehender realer Übergriffe
auf Kinder zur Befriedigung des Sexualtriebs ausgegangen werden muss. Dies
ergibt sich bereits aus der engen Verbindung von sexuellen Vorlieben und
Neigungen mit der Persönlichkeit. Gleichwohl bedarf es für die begründete
Annahme einer Negativprognose im Sinne des § 81g Abs. 1 StPO weiterer, sich
aus dem Einzelfall, der Art und Ausführung der Anlasstat, der Persönlichkeit des
Betroffenen oder anderweitig ergebender Umstände. Ein solcher weiterer Umstand
kann beispielsweise sein, dass ein wegen Besitz von kinderpornographischer
Schriften Verurteilter begonnen hat, sich Kindern und Jugendlichen in sexueller
Absicht zu nähern (vgl. AG Bremen, Beschluss vom 08.04.2008, Az: 80 Gs 75/07 –
403 AR 43790/07, Rz. 14, zitiert nach Juris).
Im vorliegenden Fall sind konkrete Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit von
zukünftigen Strafverfahren gegen den Verurteilten, bei denen sein DNA-
Identifizierungsmuster ein Aufklärungsansatz bieten könnte (vgl. BVerfG, NStZ
2001, 328, 330; OLG Celle, Beschluss vom 07.12.2009, Az: 1 Ws 556/09, Rz. 8,
zitiert nach Juris), derzeit nicht ersichtlich.
Der Verurteilte ist bisher nur einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zwei
frühere Ermittlungsverfahren gegen den Verurteilten wegen des Verdachts des
Besitzes und des Besitzverschaffens kinderpornographischer Schriften wurden
gemäß § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Der
Verurteilte wurde wegen der Anlasstaten durch das Landgericht Darmstadt gemäß
§ 184b Abs. 1, Abs. 2 StGB wegen des Besitzes und Besitzverschaffens von
kinderpornographischen Schriften verurteilt. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass
der Verurteilte im Jahr 2007 insgesamt 7 kinderpornographische Bilddateien, die u.
a. den schweren sexuellen Missbrauch von 6-10jährigen Mädchen zeigen, über das
Internet empfangen, auf seinem PC gespeichert und per E-Mail an eine andere
Person versendet hat. Im Rahmen von Ermittlungen bei derartigen Straftaten, die
allein unter Einsatz eines PC und des Internets begangen werden, können DNA-
Muster grundsätzlich nicht zu einem Ermittlungsansatz führen. Denn DNA-Muster
entstehen allenfalls an dem PC, mit dem die Dateien heruntergeladen,
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entstehen allenfalls an dem PC, mit dem die Dateien heruntergeladen,
gespeichert oder versandt werden (vgl. LG Traunstein, Beschluss vom 12.03.2007
– 1 Qs 27/07, zitiert nach Juris).
Zwar ist zudem anerkannt, dass eine Maßnahme nach § 81g Abs. 4 i. V. m. Abs. 1
StPO auch in solchen Fällen angeordnet werden darf, in denen die Persönlichkeit
des Betroffenen und sein Nachtatverhalten ergeben, dass in Fortschreibung der
Anlasstat(en) die konkrete Wahrscheinlichkeit künftiger Strafverfahren wegen
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung besteht, bei denen direkt auf
andere Personen eingewirkt und typischerweise DNA-Spuren hinterlassen werden
(vgl. LG Traunstein, Beschluss vom 12.03.2007 – 1 Qs 27/07, Rz. 8, zitiert nach
Juris). Jedoch sind hierfür im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Obwohl die Anlasstaten bereits ca. 4 Jahre zurückliegen, ist mangels anderer
Erkenntnisse davon auszugehen, dass der bis dahin nicht vorbestrafte Verurteilte
seitdem keinerlei Straftaten mehr begangen hat. Zudem zeigen die konkreten
Umstände der Anlasstaten, dass es dem Verurteilten, der seit 1999 in
erheblichem Umfang Pornographie aus dem Internet bezogen hat, im Jahr 2007
vornehmlich um den Bezug von Erwachsenenpornographie gegangen ist.
Kinderpornographische Schriften wurden in sehr untergeordnetem Maße auf dem
PC aufgefunden. Die Auswertung des im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung am
04.04.2007 sichergestellten PC des Verurteilten hat ergeben, dass der Verurteilte
ca. 4000 pornographische Dateien auf seinem PC gespeichert hatte, von denen 7
kinderpornographischen Inhalt hatten. Des Weiteren hat der Verurteilte bereits am
12.04.2007 – also schon kurz nach der Sicherstellung seines PC während den
Ermittlungen zu den Anlasstaten – eine rückfallpräventive therapeutische
Maßnahme bei Dr. H. vom Informationszentrum für Männerfragen e. V., Frankfurt
am Main, begonnen und diese wenigstens bis zum Urteil des Landgerichts
Darmstadt vom 03.09.2009 ohne Unterbrechung fortgesetzt. Dieser Umstand
sowie die Tatsache, dass er seit ca. 4 Jahren nicht mehr strafrechtlich in
Erscheinung getreten ist, lassen die begründete Vermutung zu, dass der
Verurteilte seinen Taten aufgearbeitet hat und auch in Zukunft in der Lage sein
wird, einen Rückfall zu vermeiden.
Der Beschluss des Amtsgerichts Darmstadt vom 29.12.2010 war daher
aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO analog.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.