Urteil des LG Cottbus vom 01.08.2008

LG Cottbus: eröffnung des verfahrens, strafbare handlung, bevölkerung, strafrichter, holocaust, konzentrationslager, tatverdacht, menschenwürde, bahnhof, frieden

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Gericht:
LG Cottbus 4.
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
24 Qs 411/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 130 Abs 1 Nr 1 StGB, § 130
Abs 1 Nr 2 StGB, § 6 Abs 1
VStGB, § 210 Abs 2 StPO, § 311
Abs 2 StPO
Strafbarkeit des Singens eines Liedes mit den Holocaust
verharmlosenden Inhalt auf einem Bahnhof durch Fußballfans
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des
Amtsgerichts Cottbus, Strafrichter, vom 01. August 2008 aufgehoben.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Cottbus vom 17. April 2007, Az: 1630 Js 7194/07,
wird zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht
Cottbus, Strafrichter, eröffnet, und zwar mit der Maßgabe, dass sich der Tatvorwurf
lediglich auf das „Verharmlosen“ erstreckt.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Cottbus hat mit ihrer Anklage vom 17. April 2007 den
Angeschuldigten unter Hinweis auf § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StBG angeklagt, am 13.
August 2006 in Cottbus durch die selbe Handlung in einer Weise, die geeignet ist, den
öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufgestachelt und
die Menschenwürde anderer dadurch angegriffen zu haben, dass er Teile der
Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht hat und eine unter der Herrschaft des
Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches
bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
öffentlich gebilligt und verharmlost zu haben.
Dem Angeschuldigten hat sie zur Last gelegt:
„Am 13. August 2006 sang er „als Mitglieder einer Zwickauer Fußballfangruppe von ca.
70 bis 80 Fußballfans auf dem Bahnhof Cottbus in der Unterführung von Gleis 11 zum
Hauptausgang mehrfach:
. Eine Vielzahl der Zwickauer Fans sang das Lied
im weiteren Verlauf mit. Dies wurde von den Polizeibeamten … gehört und war für
mehrere sich in der Unterführung befindliche nicht zur Fangruppe gehörende Passanten
wahrnehmbar. Mit dem Lied machten sich der Angeschuldigte und die mitsingenden
Fußballfans über die zur Zeit des Nationalsozialismus mit der Deutschen Reichsbahn
nach Auschwitz in das dortige Konzentrationslager transportierten Juden lustig und
bekundete die Absicht, mit den gegnerischen Fußballfans genau so zu verfahren. Durch
diese qualitative Gleichsetzung verharmloste er die Judenvernichtung im Dritten Reich
und hielt sie gleichzeitig für gut und annehmbar. Durch die sprachliche Wahl der
Aktivform rief er die Zwickauer Fans zum Hass gegen die Cottbuser Fans auf und griff
dadurch gleichzeitig die Menschenwürde der Cottbuser Fans an.“
Der Angeschuldigte trat durch seinen Verteidiger teils aus tatsächlichen teils aus
rechtlichen Gründen einer Eröffnung des Hauptverfahrens entgegen.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 01. August 2008 die Eröffnung des
Hauptverfahrens aus Rechtsgründen abgelehnt. Es sieht den Tatbestand der Vorschrift
des § 130 Abs. 1 Ziffer 1 und 2 StGB nicht als erfüllt an. Die hier verbal angegriffenen
gegnerischen Fußballfans, also die Cottbuser Fußballfans, seien nicht als „Teil der
Bevölkerung“ im Sinne der Vorschrift des § 130 Abs. 1 Ziffer 1 und 2 StGB zu bewerten.
Zudem meinte es, in der Liedzeile könne nicht zweifelsfrei eine Verharmlosung der
Vernichtung der Juden in der Zeit des Nationalsozialismus, für die Auschwitz symbolisch
stehe, gesehen werden. Insoweit schloss es sich der Entscheidung des OLG Rostock vom
23. Juli 2007 zu 1 Ss 080/06 (recherchiert in Juris) an.
Gegen diese der Staatsanwaltschaft am 12. August 2008 zugestellte Entscheidung
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Gegen diese der Staatsanwaltschaft am 12. August 2008 zugestellte Entscheidung
richtet sich die am 13. August 2008 eingelegte sofortige Beschwerde. Die
Staatsanwaltschaft widerspricht unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG
Braunschweig vom 06. März 2007, Az: Ss 2/07, dem Beschluss. Der Angeschuldigte
habe mit dem Absingen der oben zitierten Textzeile zum Ausdruck gebracht, dass er die
während der Zeit des Nationalsozialismus durchgeführten Transporte von vorwiegend
jüdischen Teilen der Bevölkerung in die Konzentrationslager gut geheißen und damit
deren massenweise Tötung gebilligt habe. Mit dem Verwenden einer solchen Parole
werde zugleich die Wertwidrigkeit des nationalsozialistischen Holocaust verharmlost.
Der Angeschuldigte wendet sich mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 21. Januar 2009
gegen die sofortige Beschwerde.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde, §§ 210 Abs. 2, 311 Abs. 2 StPO, ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zulassung der
Anklagte zur Hauptverhandlung und Eröffnung des Verfahrens vor dem Amtsgericht,
Strafrichter, und zwar mit der Maßgabe, dass sich der Tatvorwurf lediglich auf das
Verharmlosen erstreckt.
Die Kammer verbleibt bei der schon in ihrem Beschluss vom 01.12.2008 (Az. 24 jug Qs
50/08) vertretenen Auffassung, dass die inkriminierte Äußerung „… eine U-Bahn, eine U-
Bahn bauen wir, von Cottbus bis nach Auschwitz, eine U-Bahn bauen wir…“ eine
strafbare Handlung der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB in der Tatform des
Verharmlosens darstellt. Das Wort „Auschwitz“ ist angesichts des dort praktizierten
Holocaust ein Symbol für die Schreckenstaten der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft, wie sie sich in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches im Einzelnen
wiederfinden. Mit der Formulierung „… eine U-Bahn bauen wir, von Cottbus bis nach
Auschwitz…“ wird der Bezug hergestellt zu den Transporten der Opfer der Vernichtung
nach Auschwitz. Das der Text vordergründig auf die Spieler bzw. Fans des gegnerischen
Fußballclubs … gemünzt gewesen sein dürfte, bedeutet angesichts des aufgezeigten
Bezuges zu der in Auschwitz ausgeübten Massenvernichtung und der Ungeheuerlichkeit
dieses Vorgangs nichts anderes, als dass das Geschehen in Auschwitz in seinem
Unwertgehalt bagatellisiert bzw. relativiert wird. Damit ist nicht notwendigerweise ein
Gutheißen (billigen) dieser Massenvernichtung verbunden (vgl. BHG 46, 40 f) weshalb die
Kammer mangels anderweitiger Anhaltspunkte diese Alternative hier nicht bejaht.
Die Entscheidung des OLG Rostock (s.o.), auf die sich das Amtsgericht stützt, geht von
einer anderen, nach Auffassung der Kammer unzutreffenden Wortinterpretation aus, der
nicht gefolgt werden kann (so auch im Ergebnis OLG Braunschweig in seinem Beschluss
vom 06. März 2007, Az: Ss 2/07).
Soweit der Angeschuldigte meint, der nach § 203 StPO erforderliche hinreichende
Tatverdacht bestehe angesichts des konkreten Bestreiten des Tatvorwurfs durch den
Angeschuldigten und mit Blick auf die Aussage des Zeugen … nicht, geht der
Angeschuldigte fehl. Denn der hinreichende Tatverdacht besteht bei vorläufiger
Tatbewertung in der Wahrscheinlichkeit der späteren Verurteilung. Zwar kann der
hinreichende Verdacht mit der Begründung verneint werden, dass nach Aktenlage bei
den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende wahrscheinlich das Gericht nach diesem
Grundsatz freisprechen wird. Indes liegt dieser Fall hier nicht vor. Zwar bestreitet der
Angeschuldigte den Tatvorwurf, auch wird der Angeschuldigte durch die schriftliche
Zeugenaussage Kästner vom 04. Dezember 2006 entlastet, demgegenüber aber haben
die Zeuge … und …, die unmittelbar neben der Person des Angeschuldigten gestanden
haben, bekundet, dass sie gesehen haben, dass gerade der Angeschuldigte das Lied
angestimmt habe. Angesichts der den Angeschuldigten nach Aktenlage belastenden
Aussagen der Zeugen … ist gerade nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass bei
den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende das Gericht freisprechen wird. Dies ist
zwar auch nicht ausgeschlossen. Gleichwohl obliegt diese Entscheidung dem Gericht
nach Würdigung aller Beweismittel aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung, wobei
der Glaubwürdigkeitsprüfung ein besonderes Gewicht zukommt.
Mithin ist das Verfahren vor dem Amtsgericht Cottbus, Strafrichter, gemäß dem
Beschlusstenor durchzuführen.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
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