Urteil des LG Cottbus vom 21.09.2009

LG Cottbus: vorläufige einstellung des verfahrens, sachlich begründetes bedürfnis, rechtliches gehör, wohnung, beschwerdekammer, anklageschrift, kauf, vorrang, verhütung, beweiswürdigung

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Gericht:
LG Cottbus 4.
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
24 Qs 16/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 240 StGB, § 205 StPO, § 304
StPO, Art 103 Abs 1 GG
Beschwerde des Angeschuldigten gegen die vorläufige
Einstellung des Verfahrens wegen Nichterreichbarkeit des
Zeugen
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Angeschuldigten vom 27.01.2009 wird der Beschluss des
Amtsgerichts Senftenberg vom 21.09.2009, Az … aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der
Angeschuldigten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Cottbus vom 15.01.2008 wird der
Angeschuldigten zur Last gelegt, in der Zeit vom 13.07. bis 31.07.2007 in Senftenberg
versucht zu haben, einen Menschen rechtswidrig durch Drohung mit einem
empfindlichen Übel zu einer Duldung zu nötigen. Konkret wird ihr zur Last gelegt, sich
wegen bestehender Mietrückstände in die von ihr an den Zeugen … vermietete
Wohnung in der … begeben, aus dieser persönliche Unterlagen, Bekleidung, einen PC,
einen Fernseher, einen DVD-Player, eine Stereoanlage sowie Hygieneartikel des Zeugen
in ihre Wohnung verbracht und am 31.07.2007 dann die Herausgabe der Sachen
verweigert zu haben, als sich der Zeuge zu ihr begeben hatte, um die rückständige
Miete zu bezahlen.
Das Amtsgericht Senftenberg hat – einem Antrag der Staatsanwaltschaft vom
15.01.2009 entsprechend – das Verfahren mit Beschluss vom 21.01.2009 mit der
Begründung, dass der Aufenthalt des Zeugen … unbekannt sei, gemäß § 205 StPO
vorläufig eingestellt.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 27.01.2009 bei dem Amtsgericht
eingegangene Beschwerde der Angeschuldigten. Zur Begründung führt sie an, dass
nach der Vorschrift des § 205 StPO eine vorläufige Einstellung nur dann in Betracht
komme, wenn der Hauptverhandlung für längere Zeit die Abwesenheit des
Angeschuldigten – nicht jedoch eines Zeugen – entgegenstehe.
Die Staatsanwaltschaft, welche die Akten nach Eingang der ihr vom Amtsgericht
übersandten Beschwerde unmittelbar, d.h. ohne nochmalige Vorlage an das
Amtsgericht, der Beschwerdekammer übersandt hat, ist der Ansicht, dass der
Beschwerde nicht abzuhelfen sei.
II.
Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte und zulässige Beschwerde gegen den
Beschluss des Amtsgerichts vom 21.01.2009 ist in der Sache begründet; sie führt zur
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
1. Einer Entscheidung des Beschwerdegerichts steht zunächst nicht entgegen, dass das
gemäß § 306 Abs. 2 StPO vorgesehene Abhilfeverfahren nicht durchgeführt worden ist
(vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 306 Rn. 10). Die Kammer hat zur Vermeidung von
weiteren Verfahrensverzögerungen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ohne
Abhilfeentscheidung des Amtsgerichts über die Beschwerde in der Sache selbst zu
entscheiden.
Da die Staatsanwaltschaft der Beschwerdekammer jedoch wiederholt Akten unter
Verletzung des in § 306 Abs. 2 StPO vorgesehenen Verfahrens vorgelegt hat, soll auf
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Verletzung des in § 306 Abs. 2 StPO vorgesehenen Verfahrens vorgelegt hat, soll auf
diese Regelung nochmals ausdrücklich hingewiesen werden. Das Abhilfeverfahren soll
dem Erstrichter die Gelegenheit zur Korrektur seiner Entscheidung geben, um dem
Beschwerdegericht gegebenenfalls eine Befassung mit der Sache zu ersparen (so
ausdrücklich BGH NJW 1992, 2169). Dieser Aufgabe kann es nur gerecht werden, wenn
eine Beschwerde, die bei einem Amtsgericht eingeht, welchem die Akten nicht mehr
vorliegen und welches die Beschwerde daher ohne Abhilfeentscheidung an die
Staatsanwaltschaft weiterleitet, mit den Akten nochmals dem Amtsgericht zur
Entscheidung über die Abhilfe übersandt wird. Erst nach einer entsprechenden
Entscheidung des Amtsgerichts sind die Akten dann dem Beschwerdegericht
vorzulegen.
2. Die Beschwerde ist statthaft und zulässig. Insbesondere steht der Angeschuldigten
ein Recht zu, sich gegen eine vorläufige Einstellung des gegen sie gerichteten
Verfahrens zu wehren, da sie einen Anspruch hat, nicht länger als nötig in das Verfahren
verstrickt zu sein (vgl. KK-StPO-Schneider, 6. Aufl., § 205 Rn. 21).
3. Die Beschwerde dringt auch in der Sache durch, da die Entscheidung des
Amtsgerichts auf einer fehlerhaften Anwendung des § 205 StPO beruht.
Die Vorschrift des § 205 StPO gestattet nach ihrem Wortlaut die vorläufige Einstellung
des Verfahrens nur in den Fällen, in denen der Hauptverhandlung für längere Zeit die
Abwesenheit des Angeschuldigten oder ein anderes in seiner Person liegendes Hindernis
entgegensteht. Die angefochtene Entscheidung kann somit keinesfalls unmittelbar auf
die vom Amtsgericht herangezogene Bestimmung gestützt werden. Aber auch eine
entsprechende Anwendung kommt nicht in Betracht, da § 205 StPO keine Regelung
enthält, die einem allgemeinen, auf andere Verfahrensgestaltungen übertragbaren
Rechtsgedanken Raum gibt.
Zwar wird diese Ansicht vor allem im Schrifttum teilweise vertreten (vgl. Meyer-Goßner,
StPO, 50. Aufl., § 205 Rn. 8 m.w.N.). Allerdings legt bereits der enge Wortlaut der
Vorschrift die Annahme nahe, dass der Gesetzgeber mit der Anbindung der eine
Verfahrenseinstellung rechtfertigenden Hindernisse an die Person des Angeschuldigten
den Anwendungsbereich bewusst einengen und begrenzen wollte (vgl. OLG München NJW
1978, 176; OLG Frankfurt NStZ 1982, 218). Noch mehr aber folgt aus dem
Gesetzeszweck der Ausnahmecharakter der Bestimmung. Denn mit ihr soll in erster
Linie der Anspruch des Angeschuldigten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)
sichergestellt werden, was in aller Regel nur dadurch erreicht werden kann, dass die
Hauptverhandlung in Anwesenheit des mit dem staatlichen Strafanspruch überzogenen
Beschuldigten durchgeführt wird. Liegen daher Gründe in seiner Person vor, die ihn an
der Wahrnehmung seines verfassungsmäßig geschützten Rechts vorübergehend
hindern, erscheint es einsichtig und geboten, seinen individuellen Belangen Vorrang vor
den öffentlichen Interessen einzuräumen. Andererseits wird im Lichte des Normzwecks
deutlich, dass die Rechtsordnung eine Verfahrensverzögerung nur in diesen
Ausnahmefällen, in denen dem Angeschuldigten ohne die Gewährung rechtlichen
Gehörs schwerwiegende und endgültige Rechtsnachteile drohen, in Kauf nimmt, so dass
neben einer extensiven Auslegung auch eine entsprechende Anwendung des § 205 StPO
auf anders geartete Verfahrenshemmnisse, mit denen die erwähnte Besorgnis nicht
einhergeht, von daher zwingend ausgeschlossen ist (vgl. zum Ganzen OLG Frankfurt
a.a.O.).
Davon abgesehen ist hierfür in den Fällen der vorliegenden Art auch ein sachlich
begründetes Bedürfnis schon deshalb nicht vorhanden, weil keine ausfüllungsbedürftige
Regelungslücke besteht. Denn die Möglichkeit, dass in der Person eines Zeugen ein
Vernehmungshindernis eintreten könnte, hat der Gesetzgeber durchaus bedacht. Das
zeigt die in § 251 StPO getroffene Regelung, die nicht nur die Verhütung von
Beweisverlusten bezweckt, sondern auch eine praktische und zügige Durchführung des
Strafverfahrens gewährleisten soll. Danach wäre das Amtsgericht hier – nach Eröffnung
des Hauptverfahrens – nicht gehindert, die Vernehmung des Zeugen gem. § 251 Abs. 1
Nr. 2 StPO durch Verlesung der Niederschrift über seine frühere polizeiliche Vernehmung
zu ersetzen, falls der Zeuge tatsächlich in absehbarer Zeit wegen Unerreichbarkeit nicht
persönlich vernommen werden kann, was das Gericht unter Beachtung der von der
Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sorgfältig zu prüfen haben wird (vgl. wiederum
OLG Frankfurt a.a.O.; siehe auch BGH NStZ 1985, 230; OLG Hamm, NJW 1998, 1088).
Ob nur so erhobene Beweise zur Überzeugungsbildung genügen, wäre Sache der
tatrichterlichen Beweiswürdigung (BGH a.a.O.).
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender
Anwendung.
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