Urteil des LG Cottbus vom 13.10.2008

LG Cottbus: beleidigung, bevölkerung, meinungsfreiheit, arbeitsamt, qualifikation, ehre, berechtigter, rechtspflege, form, kritik

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Gericht:
LG Cottbus 5.
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
25 Ns 278/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 185 StGB, § 193 StGB, § 312
StPO, Art 5 Abs 1 GG
Beleidigung eines Richters durch eine Unmutsäußerung
Tenor
Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Cottbus vom
13.10.2008 aufgehoben.
Der Angeklagte wird auf Kosten der Landeskasse, die auch seine notwendigen Auslagen
zu tragen hat, freigesprochen.
Gründe
I
Das Amtsgericht Cottbus verurteilte den Angeklagten am 13.10.2008 wegen Beleidigung
zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 10 €. Hiergegen richtete sich die zulässige
Berufung des Angeklagten, der einen Freispruch erstrebt hat. Das zulässige Rechtsmittel
hatte auch in der Sache Erfolg und führte zu einer Abänderung des amtsgerichtlichen
Urteils und einer Freisprechung des Angeklagten.
II
Die Berufungshauptverhandlung hat zu folgenden Feststellungen geführt:
1 Zur Person des Angeklagten
Der 57-jährige Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger und verheiratet. Er hat weder
minderjährigen Kindern noch anderen Verwandten Unterhalt zu leisten. Der Angeklagte
ist von Beruf Lokführer, jedoch Frührentner und erhält monatlich 329 € Rente und
ergänzend Arbeitslosengeld II.
2 Zur Sache
Am 09.11.2006 richtete der Angeklagte in dem Zivilprozess Aktenzeichen … ein
Schreiben an das Amtsgericht Cottbus, Richterin …. Darin schreibt er u. a.: „Ich stelle es
Ihnen zum Vorteil, dass Ihr Intelligenzquotient wohl nur mit dem Durchschnitt zu
bewerten ist, da Sie sich ansonsten nicht zu einer derartigen Begründung hinreißen
lassen könnten. Von der Sache her gehören Sie auf das Arbeitsamt, da Sie wohl trotz
Qualifikation nicht Ihrer Aufgabe gewachsen sein dürften.“ Anlass für das Schreiben des
Angeklagten war ein Beschluss der Richterin am Landgericht … gewesen, mit dem er
nicht einverstanden gewesen war und über den er sich subjektiv sehr erregt hatte, wie
das gesamte achtseitige „Protestschreiben“ ergibt.
III
Der Angeklagte war aus Rechtsgründen freizusprechen.
Zu Unrecht und ohne nähere Begründung, insbesondere ohne die erforderliche
Abwägung von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz, hat das Amtsgericht diese
Unmutsäußerung des Angeklagten als Beleidigung gewertet.
Der Angeklagte hat das Schreiben eingeräumt und sich dahin eingelassen, dass er
hiermit nicht die Absicht gehabt hätte, die Richterin … in ihrer Ehre herabzusetzen,
sondern lediglich seinen Unmut über eine von dieser Richterin verantwortete
richterlichen Entscheidung zum Ausdruck bringen wollen. Es sei „nicht persönlich
gemeint“ gewesen, er habe sich nicht anders zu helfen gewusst. Bereits in seiner
Stellungnahme zur Anklageschrift hatte der Angeklagte betont, seine Aussage sei „im
Sinn der freien Meinungsäußerung“ zu verstehen und nicht als Beleidigung gedacht
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Sinn der freien Meinungsäußerung“ zu verstehen und nicht als Beleidigung gedacht
gewesen.
Die Rechtssprechung lässt – insbesondere bei Rechtsanwälten – derartige
Unmutsäußerungen „im Kampf ums Recht“, auch wenn sie „im Eifer des Gefechts“ über
das Ziel hinausschießen, sehr weitgehend zu, solange keine Formalbeleidigungen oder
keine offensichtliche Schmähkritik vorliegt. Dies ist hier nicht der Fall.
Zum einen ist die Meinungsäußerung, dass die Richterin … „nur“ über einen
durchschnittlichen Intelligenzquotienten verfüge, schon objektiv nicht beleidigend. Denn
ca. 68 % der Bevölkerung verfügen per definitionem nach der überwiegend anerkannten
Wechslerskala über einen durchschnittlichen Intelligenzquotienten von 100 Punkten mit
einer Standardabweichung von +/- 15 Punkten (vgl. Wikipedia, Freie Enzyklopädie,
Stichwort „Intelligenzquotient“) und es kann nicht beleidigend sein, für eine Person
anzunehmen, was für die Mehrheit der Bevölkerung objektiv zutrifft.
Im Übrigen ist die Kammer auch davon überzeugt, dass es keiner überdurchschnittlichen
Intelligenz bedarf, um das Abitur abzulegen, ein Jurastudium zu absolvieren und
richterlicher Tätigkeit nachzugehen. Die Kammer ist aufgrund langjähriger Erfahrung mit
einer Vielzahl von Juristen und von Kollegen der Überzeugung, dass es jedem
durchschnittlich intelligenten Menschen bei einem gewissen Fleiß möglich ist, erfolgreich
die höhere Schulbildung und ein Jurastudium zu absolvieren und beanstandungsfrei
richterlicher Tätigkeit nachzugehen. Dass richterliche Tätigkeit Hochintelligenten mit
einem überdurchschnittlichen IQ vorbehalten wäre, entspricht keinem Erfahrungssatz.
Auch die Auffassung des Angeklagten, dass die Richterin … besser auf dem Arbeitsamt
aufgehoben wäre, ist objektiv nicht beleidigend, sondern mit ihrer Begründung sogar
durchaus vorsichtig formuliert, weil der Angeklagte ihr sowohl ihre juristische Qualifikation
durchaus zugesteht als auch die vorsichtige Formulierung „dürften“ gebraucht. Im
Übrigen lässt sich die Äußerung nicht nur so (böswillig) interpretieren, dass die Richterin
… infolge mangelnder Qualifikation aus dem Dienst entfernt werden und als
Arbeitssuchende sich auf dem Arbeitsamt melden müsste, sondern sie kann durchaus
auch so verstanden werden, dass der Angeklagte der Auffassung ist, dass die Richterin
… statt richterlicher Tätigkeit nachzugehen, besser einer Tätigkeit auf dem Arbeitsamt
nachgehen sollte. Es ist gerichtsbekannt, dass bei den Arbeitsagenturen, insbesondere
in leitenden Positionen, auch Volljuristen beschäftigt sind, die gesellschaftlich kein oder
nur geringfügig geringeres Ansehen genießen als Volljuristen, die im richterlichen Dienst
tätig sind. Insoweit kann auch eine solche Äußerung schon objektiv nicht als Beleidigung
gewertet werden, zumal es der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts entspricht, dass von mehreren möglichen Interpretationen
nicht zu Lasten des Angeklagten diejenige gewählt werden darf, die zu einer Strafbarkeit
führt, wenn auch eine Auslegung möglich ist, die zu einer Straflosigkeit des Angeklagten
führt: Entscheidet ein Gericht unter mehreren möglichen Deutungen einer Äußerung sich
für eine dem Äußerndem zum Nachteil gereichten Auslegung, ohne die anderen in
Betracht kommenden Auslegungen unter Angabe überzeugender Gründe
auszuschließen, so wird durch diese Vorgehensweise die Freiheit der Meinungsäußerung
verkannt (BVerfG, Beschluss 1 BVr 40/86 vom 19.04.1990; BVerfG E 82, 43 ff (51);
BVerfG, Beschluss 1 BVr 126/91 vom 14.07.1993).
Im Übrigen wären die Äußerungen des Angeklagten, selbst dann, wenn man sie als
objektiv beleidigend qualifizieren wollte, nach § 193 StGB wegen Wahrnehmung
berechtigter Interessen gerechtfertigt. Bei der Anwaltschaft geht die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts und der Obergerichte insoweit sehr weit. Das
Kammergericht hat entschieden, dass die Äußerung eines Anwalts „die Justiz kann sich
nach Auffassung des Unterzeichneten weder Richter leisten, welche zu dumm sind, noch
solche, welche absichtlich Fehlurteile produzieren…“ als von § 193 StGB gedeckt
betrachtet (KG Berlin, 5. Strafsenat, 1 Ss 204/95, Beschluss vom 20.09.1996). Diese
Äußerung, die das Kammergericht bei einem Anwalt nach § 193 StGB als gerechtfertigt
angesehen hat, ist wesentlich härter als die Formulierung, die der Angeklagte hier in
Bezug auf die Richterin … gebraucht hat.
Auch das Oberlandesgericht Köln hat entschieden, dass übertreibende Bewertungen des
Gläubigerverhaltens wie „Wucher“ oder „erpressen“ in einem Anwaltsschriftsatz noch
durch Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt sein können (OLG Köln, 1.
Strafsenat, Urteil vom 20.02.1979 1 Ss 69/79).
In einer neuen – allerdings auch nach Auffassung der Kammer sehr weitgehenden –
Entscheidung hat das BVerfG (1 BvR 1318/07) am 05.12.2008 einstimmig beschlossen,
dass selbst die Bezeichnung „Dummschwätzer“ nicht notwendig den Tatbestand der
Beleidigung erfüllt, sondern nach § 193 StGB gerechtfertigt sein kann, wenn nicht die
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Beleidigung erfüllt, sondern nach § 193 StGB gerechtfertigt sein kann, wenn nicht die
notwendige kontextorientierte Analyse der Aussage ergibt, dass im Einzelfall in der
Güterabwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehre dem Ehrenschutz der Vorrang
gebührt. Unabhängig davon könne eine Aussage nur dann als Schmähkritik gewertet
werden, „wenn es sich um eine Äußerung handelt, deren diffamierender Gehalt so
erheblich ist, dass sie in jedem denkbaren Zusammenhang als bloße Herabsetzung des
Betroffenen erscheint“ und daher kontextunabhängig stets als persönlich diffamierende
Schmähung aufgefasst werden muss, „wie dies möglicherweise bei der Verwendung
besonders schwerwiegender Schimpfwörter – etwa aus dem Bereich der Fäkalsprache –
der Fall sein kann (BVerfG 1 BvR 1318/07 v. 05.12.2008, Zit. nach juris, Rz. 16).
Seit der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfG, StV 2000, 414
f m.w.N. ist anerkannt, dass die Meinungsfreiheit grundsätzlich dem
Persönlichkeitsschutz vorgeht, zumal bei einer Abwägung zugunsten eines
Rechtsanwalts ins Gewicht fällt, dass dieser „im Kampf ums Recht“ auch starke,
eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte zur Unterstreichung seiner
Rechtsposition gebrauchen darf (BVerfG a.a.O.). Wenn dies einem Organ der
Rechtspflege erlaubt ist, von dem man erwarten kann, dass es seine Worte sorgfältiger
wählt als ein wenig gebildeter Lokomotivführer und Frührentner, so muss dies erst recht
für die Unmutsäußerungen einer Naturpartei gelten; diese kann nicht in vergleichbaren
Situationen strenger beurteilt werden als ein gebildetes Organ der Rechtspflege, das
dazu ausgebildet und gewohnt ist, seine Worte sorgfältig zu setzen.
Es ist anerkannt, dass eine herabsetzende Äußerung erst dann den Charakter einer
Schmähung annimmt, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern
die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfG, Beschluss 1 BVr 1165/89
vom 26.06.1990; BVerfG 82, 272 (284); BVerfG, Beschluss 1 BVr 1917/04 vom
23.08.2005).
Dies ist hier schon objektiv nicht der Fall. Umso weniger wäre der Nachweis der
subjektiven Tatseite zu führen, da der Angeklagte bestritten hat, dass es ihm um die
Diffamierung der Richterin … gegangen sei.
Schließlich ist festzuhalten, dass es für Beamtete oder in einem beamtenähnlichen
Verhältnis wie Richter stehende im öffentlichen Dienst beschäftigte Personen keinen
gesteigerten Ehrenschutz gegenüber der durchschnittlichen Bevölkerung gibt. Ein
besonderer Tatbestand der Richter– oder Beamtenbeleidigung existiert entgegen
verbreiteten Fehlvorstellungen in Teilen der Bevölkerung nicht. Es ist kaum vorstellbar,
dass ein Angeklagter deshalb verurteilt werden würde, weil er Zweifel an der Qualifikation
eines Automechanikers, eines Klempnermeisters oder Zahntechnikers übt, sofern dies
nicht in formal beleidigender Form oder in Form verbotener Schmähkritik erfolgt.
Gleiches muss auch für Richter gelten. In einem Staatswesen, das sich nicht autoritär
und obrigkeitsstaatlich, sondern als demokratischer Rechtsstaat versteht, sind Organe
der Justiz nicht der Kritik der Bevölkerung generell enthoben, sondern sie müssen sich
wie jede andere Berufsgruppe auch in den hier nicht überschrittenen zulässigen Grenzen
der Meinungsfreiheit auch mit deutlichen Worten Kritik gefallen lassen, ohne hierauf
sogleich mit Strafanzeigen wegen Beleidigung zu reagieren.
Der gegen den Angeklagten erhobene Vorwurf der Beleidigung ließ sich daher weder in
objektiver noch in subjektiver Hinsicht aufrecht erhalten, so dass er mittels sich aus §
467 Abs. 1 StPO ergebenen Kostenfolge aus Rechtsgründen freizusprechen war.
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