Urteil des LG Cottbus vom 08.12.2008

LG Cottbus: weisung, blutuntersuchung, rechtliches gehör, alkohol, urinuntersuchung, auflage, anschrift, heilbehandlung, rechtsgrundlage, kontrolle

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Gericht:
LG Cottbus 4.
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
24 jug Qs 4/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 23 Abs 1 JGG, § 10 JGG, § 56c
StGB, § 58 JGG, § 56e StGB
Rechtmäßigkeit nachträglich erteilter Weisungen in einem
Bewährungsauflagenbeschluss
Tenor
Auf die Beschwerde des Verurteilten vom 27.01.2009 wird der Beschluss des
Amtsgerichts Lübben vom 08.12.2008, Az: 44 BRs 17/08, insoweit aufgehoben als er den
Verurteilten verpflichtet,
dem Amtsgericht mindestens ein Mal im Monat ein Negativattest über eine
Blutuntersuchung zur Frage eines eventuellen Alkoholkonsums unaufgefordert
vorzulegen und
dem Amtsgericht alle zwei Wochen unaufgefordert schriftlich und lückenlos seine
konkreten Aufenthaltsorte über die jeweils zurückliegenden zwei Wochen vorzulegen und
die Aufenthaltsorte mit Anschrift für jede Tages- und Nachtzeit jeden Tages anzugeben.
Insoweit wird die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten
tragen die Staatskassen und der Verurteilte jeweils zur Hälfte.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Lübben verhängte gegen den Verurteilten mit Urteil vom 06.03.2008,
Az. 44 Ls 1852 Js 33024/07 (1/08), wegen vorsätzlichen Vollrausches und Beleidigung
unter Einbeziehung der Entscheidung des Amtsgerichts Lübben vom 14.06.2005, Az. 44
Ls 23/05, eine Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten.
Auf die Berufung des Verurteilten änderte die 3. Große Strafkammer – Jugendkammer –
des Landgerichts Cottbus die Entscheidung des Amtsgerichts Lübben vom 06.03.2008
mit Urteil vom 02.09.2008, Az. 23 Ns 10/08, rechtskräftig seit demselben Tag,
dahingehend ab, dass die Vollstreckung der verhängten Jugendstrafe zur Bewährung
ausgesetzt wurde.
In dem Bewährungsbeschluss vom 02.09.2008 setzte das Berufungsgericht die Dauer
der Bewährungszeit auf drei Jahre fest. Außerdem bestimmte es in Ziffer 6 seines
Beschlusses:
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Mit Beschluss vom 21.10.2008 hat die 3. Große Strafkammer – Jugendkammer – des
Landgerichts die Bewährungsaufsicht gemäß § 58 Abs. 3 Satz 2 JGG einschließlich der
damit zusammenhängenden sämtlichen Entscheidungen dem Amtsgericht –
Jugendrichter – Lübben übertragen.
Der Jugendrichter des Amtsgericht Lübben hat mit Beschluss vom 08.12.2008 Frau …
von den Sozialen Diensten der Justiz als Bewährungshelferin bestellt (Ziffer 1 des
Beschlusses). Außerdem hat er bestimmt:
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 29.01.2009 bei dem Amtsgericht
eingegangene Beschwerde des Verurteilten vom 27.01.2009. Dieser macht geltend,
dass das Amtsgericht die Auflagen aus dem Beschluss des Landgerichts verschärft
habe, ohne dass es hierfür eine Rechtsgrundlage gebe, so dass dahinstehen könne, ob
der angefochtene Beschluss nicht bereits aus formellen Gründen aufzuheben sei, weil er
– der Verurteilte – vor dem Erlass zu hören gewesen wäre. Zwar entspreche es der
ständigen Rechtsprechung, dass nachträgliche Änderungen eines
Bewährungsbeschlusses nach § 453 StPO i.V.m. § 56 e StGB auch zu Ungunsten des
Verurteilten wirken können. Allerdings ergebe sich aus dem Sinn und Zweck der
Vorschrift, dass Änderungen nur dann zulässig seien, wenn sich entweder die objektive
Situation verändert oder aber das Gericht von vorher schon bestehenden Umständen
erst nachträglich Kenntnis erlangt habe. In dem angefochtenen Beschluss finde sich
aber weder ein Hinweis darauf, dass er – der Verurteilte – etwa seinen Pflichten aus dem
landgerichtlichen Beschluss nicht nachgekommen wäre, noch eine Begründung für die
Abänderung der ihm in diesem Beschluss auferlegten Verpflichtungen. Zudem sei die
Entscheidung des Amtsgerichts zu Ziffer 6 d und e des Beschlusses des Landgerichts
unverhältnismäßig; sie führe zu einer Tag- und Nachtüberprüfung des Verurteilten.
Die Staatsanwaltschaft beantragte, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Beschwerde des Verurteilten, mit der dieser geltend macht, dass die Anordnungen
in dem Beschluss des Amtsgerichts Lübben vom 08.12.2008 gesetzwidrig seien, ist
zulässig (§§ 59 Abs. 2, 105, 109 Abs. 2, 2 JGG, § 304 StPO); in der Sache hat sie jedoch
nur teilweise Erfolg.
1. Soweit der Verurteilte rügt, vor Erlass des Beschlusses nicht angehört worden zu sein,
führt dies nicht zu einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Denn ein möglicher
Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 2
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Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 2
JGG) ist jedenfalls dadurch geheilt, dass dem Verurteilten – und der Staatsanwaltschaft –
im Beschwerdeverfahren rechtliches Gehör gewährt wurde.
2. Auch die fehlende Begründung (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 4 JGG) führt nicht zur Aufhebung
der angegriffenen Entscheidung, da die in dem Beschluss des Amtsgerichts getroffenen
Anordnungen im Rahmen der – dem Beschwerdeführer durch die Kammer bekannt
gemachten – Nichtabhilfeentscheidung begründet worden sind.
3. In der Sache kann die Beschwerde gegen die als „Konkretisierung der Auflagen im
Bewährungsbeschluss des Landgerichts Cottbus vom 2.09.2008“ getroffenen
nachträglichen Anordnungen nach §§ 59 Abs. 2 Satz 2, 105, 109 Abs. 2 JGG nur darauf
gestützt werden, dass diese gesetzwidrig sind. Dies ist dann der Fall, wenn die jeweils
getroffene Anordnung im Gesetz nicht vorgesehen, wenn sie unverhältnismäßig oder
unzumutbar ist oder sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten
Ermessens überschreitet (vgl. Eisenberg, JGG, 12. Aufl., § 59 Rn. 23).
Vorliegend ist zu unterscheiden zwischen den einzelnen Anordnungen, da diese jeweils
einen unterschiedlichen Regelungsgehalt aufweisen.
Die Anordnung, ab sofort mindestens ein Mal im Monat ein Negativattest über eine
Blutuntersuchung zur Frage eines eventuellen Alkoholkonsums unaufgefordert dem
Gericht vorzulegen, ist – auch wenn sie vom Amtsgericht im weiteren als „Auflage“
bezeichnet wird – eine an den Verurteilten gerichtete Weisungen im Sinne des §§ 23 Abs.
1, 105, 109 Abs. 2 i.V.m. § 10 Abs. 1 JGG. Eine solche Weisung findet jedoch in den
vorgenannten Vorschriften keine Rechtsgrundlage.
Zulässig nach § 23 Abs. 1 i.V.m. § 10 Abs. 1 JGG sind im Rahmen der
Bewährungsaufsicht nur solche Weisungen, die den Verurteilten erzieherisch
beeinflussen und ihn zukünftig von der Begehung von Straftaten abhalten; eine
ausschließlich andere Zielsetzung, etwa die der bloßen Überwachung des Verurteilten
während der Bewährungszeit, ist dagegen nicht erlaubt (vgl. OLG Zweibrücken,
Beschluss vom 22.08.1989 – 1 Ws 371/89, Rn. 4, zu § 56 c StGB). Dem präventiven
Zweck einer Lebensführungshilfe dienen auch solche Weisungen, die darauf abzielen,
vorhandene Risiken zu beseitigen oder künftigen zu begegnen, die den Verurteilten in
Gefahr bringen können, strafbare Handlungen zu begehen. Ausweislich der
Ausführungen in den Urteilsgründen diente die – zulässige (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ
1984, 332) – Weisung in Ziffer 6 b des landgerichtlichen Bewährungsbeschlusses,
keinerlei Alkohol mehr zu trinken, genau diesem Zweck; der Verurteilte sollte durch die
Abkehr vom Alkoholkonsum zu einem straftatenfreien Leben geführt werden.
Eine solche stabilisierende Einwirkung auf die Lebensführung des Verurteilten ist jedoch
nur sinnvoll, wenn sie auch überwacht wird, was mit der Anordnung der Verpflichtung,
Negativatteste vorzulegen, erreicht werden soll. Eine bloße gerichtliche Weisung, keinen
Alkohol zu trinken, wäre dagegen ohne Kontrolle wirkungslos. Durch den
Kontrollcharakter verliert eine Weisung auch nicht ihren durch § 23 Abs. 1 i.V.m. § 10 JGG
vorgeschriebenen Zweck der Bewährungshilfe (vgl. OLG Zweibrücken, a.a.O., Rn. 6).
Jedoch bedarf es zur Anordnung der Vorlage eines Negativattestes über eine
Blutuntersuchung einer Einwilligung des Verurteilten, weil die der Blutuntersuchung
vorangehende Blutentnahme mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. Dies folgt
zwar nicht unmittelbar aus § 10 JGG. Jedoch zeigt die Vorschrift des § 56 c Abs. 3 Nr. 1
StGB, dass Weisungen, die mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind, nur mit
Einwilligung des Verurteilten erteilt werden dürfen. Auch wenn die Norm nach ihrem
Wortlaut nur körperliche Eingriffe im Rahmen einer Heilbehandlung erfasst, muss der
hinter ihr stehende Rechtsgedanke auch bei sonstigen Weisungen Berücksichtigung
finden, die – wie hier – nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit einer Heilbehandlung
stehen (vgl. aber auch Kropp, StV 2002, 284 f., der Drogen-Screening-Tests als
Heilbehandlung im Sinne von § 56 c Abs. 3 StGB verstanden wissen will), und zwar auch
im Jugendstrafrecht. Der Gesetzgeber will körperliche Eingriffe im Rahmen der
Bewährungsanordnungen (die in aller Regel nur bei Heilbehandlungen zu erwarten sind)
unter einen Einwilligungsvorbehalt gestellt wissen, dass diese außerhalb einer
Heilbehandlung erfolgen, kann für die Frage des Einwilligungserfordernisse ebenso wenig
relevant sein wie die Tatsache, dass es sich bei dem Verurteilten um einen Jugendlichen
bzw. Heranwachsenden handelt.
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Ohne die Einwilligungserklärung, von dessen Fehlen hier mangels anderer Anhaltspunkte
auszugehen ist, war die Weisung unzulässig und daher gesetzwidrig (§ 59 Abs. 2 Satz 2
JGG). Insbesondere kann in dem von der Bewährungshelferin in ihrem Bericht vom
26.01.2009 geschilderten Bemühen des Verurteilten, einen Termin für eine
Blutuntersuchung zu erhalten keine Einwilligung in den körperlichen Eingriff gesehen
werden, zumal dieser zugleich gegen den Beschluss des Amtsgerichtes Beschwerde
eingelegt hat.
Da die Beschwerde gegen nachträglichen Anordnungen nach §§ 59 Abs. 2 Satz 2, 105,
109 Abs. 2 JGG nur darauf gestützt werden, dass diese gesetzwidrig sind, hat das
Beschwerdegericht auch nur die Gesetzmäßigkeit der getroffenen Entscheidung zu
überprüfen. Die Weisung war daher aufzuheben. Für eine Abänderung der Entscheidung
durch das Beschwerdegericht (denkbar erschiene beispielsweise, dem Verurteilen statt
der Vorlage eines Negativattestes über eine Blutuntersuchung aufzugeben, einen
monatlichen Atemalkoholtest bei der Polizei abzuleisten und dem Gericht das Ergebnis
mitzuteilen) war kein Raum, da das Beschwerdegericht sein eigenes Ermessen nicht an
die Stelle des Ermessens des Amtsgerichts setzen darf (vgl. OLG Jena, NStZ 2006, 39;
Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 309 Rn. 4).
Der nachträglichen Anordnung, mindestens alle sechs Monate ein Negativattest über
eine Urinuntersuchung zur Frage eines eventuellen Alkoholkonsums unaufgefordert dem
Gericht vorzulegen, begegnen dagegen keine Bedenken.
Diese Anordnung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 23 Abs. 1, 105, 109 Abs. 2 i.V.m. § 10
Abs. 1 JGG. Auch wenn das Amtsgericht sie als „Auflage“ bezeichnet hat, handelt es sich
um an den Verurteilten gerichtete Weisungen im Sinne des § 10 Abs. 1 JGG.
Die allgemeine Zulässigkeit der Weisung, Urinuntersuchungen durchführen zu lassen, ist
in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.04.1993
– 2 BvR 930/92, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22.08.1989 – 1 Ws 371/89, Rn. 3,
juris; LG Berlin, StV 1997, 642) und wird von dem Verurteilten auch nicht in Zweifel
gezogen; einer Einwilligungserklärung des Verurteilten bedarf es insoweit wegen des
Fehlens eines körperlichen Eingriffs nicht (vgl. LG Berlin, a.a.O.).
Die Anordnung, alle sechs Monate ein Negativattest über eine Urinuntersuchung
vorzulegen, ist im vorliegenden Fall geeignet, die Lebensführung des Verurteilten
spezialpräventiv mit dem Ziel zu beeinflussen, ihn von weiterem Alkoholkonsum
abzuhalten, und damit der Gefahr der Begehung weiterer Straftaten unter Einfluss von
Alkohol zu begegnen; die bloße gerichtliche Weisung, keinen Alkohol zu trinken, wäre
dagegen ohne Kontrolle wirkungslos. Durch den Kontrollcharakter verliert eine Weisung –
wie oben bereits dargelegt – auch nicht ihren durch § 23 Abs. 1 i.V.m. § 10 JGG
vorgeschriebenen Zweck der Bewährungshilfe.
Die Weisung ist auch erforderlich. Sie wäre es selbst dann, wenn das Amtsgericht dem
Verurteilten statt der Blutuntersuchung eine monatliche Atemalkoholkontrolle
aufgegeben hätte bzw. aufgeben würde. Während nämlich ein Atemalkoholtest – wie
auch eine Blutuntersuchung – nur einen Befund über den kurzfristig zurückliegenden
Alkoholkonsum liefert, kann mittels einer Urinuntersuchung auch ein einige Zeit
zurückliegender Genuss von Alkohol festgestellt werden.
Die Weisung stellt letztlich auch keine unzumutbare Anforderungen an den Verurteilten
(§ 23 Abs. 1 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 2 JGG). Angesichts der Tatsache, dass ein solcher
Test nur alle sechs Monate zu erfolgen hat, kann es dem Verurteilten insbesondere auch
zugemutet werden, die Kosten hierfür aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln
aufzubringen.
Dass die Weisung erst nachträglich in dem angefochtenen Beschluss ergangen ist und
nicht bereits Gegenstand des landgerichtlichen Bewährungsbeschlusses war, macht sie
– entgegen der Ansicht des Verurteilten – ebenfalls nicht unzulässig.
Der Beschwerde ist zuzugeben, dass die von § 23 Abs. 1 Satz 3 JGG eröffnete
Möglichkeit, Anordnungen nachträglich zu treffen, zu ändern oder aufzuheben, den
Zweck verfolgt, Auflagen und Weisungen während der Bewährungszeit den wechselnden
Verhältnissen, also dem Bewährungsfortschritt oder –rückschritt, anzupassen. Für eine
nachträgliche Regelung ist es daher grundsätzlich erforderlich, dass sich entweder die
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nachträgliche Regelung ist es daher grundsätzlich erforderlich, dass sich entweder die
objektive Situation oder aber der Informationsstand des Gerichts in tatsächlicher
Hinsicht geändert hat (vgl. OLG Stuttgart, NJW-RR 2004, 89, zu § 59 e StGB).
Vorliegend gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass die angegriffene Weisung,
mindestens alle sechs Monate ein Negativattest über eine Urinuntersuchung zur Frage
eines eventuellen Alkoholkonsums unaufgefordert dem Gericht vorzulegen, für den
Verurteilten keine wesentlichen zusätzlichen Beeinträchtigungen mit sich bringt. Die auf
die Lebensführung des Verurteilten maßgeblich einwirkende Weisung ist vielmehr bereits
durch das Landgericht in dem Bewährungsbeschluss vom 02.09.2008 getroffen worden;
aus diesem ergibt sich, dass er keinen Alkohol mehr trinken darf.
Nach Auffassung der Kammer sind nachträgliche Weisungen, die allein der Überwachung
bereits getroffener Anordnungen dienen, von § 10 Abs. 1 Satz 3 JGG gedeckt, wenn das
Gericht, welches den Bewährungsbeschluss erlassen hat, oder das Gericht, dem die
Bewährungsaufsicht übertragen wurde, im Nachhinein erkennt, dass eine
Bewährungskontrolle ohne diese nachträglichen Anordnungen nicht in geeignetem Maße
möglich ist. Eines begründeten Verdachts, der Verurteilte komme seinen
Bewährungspflichten nicht nach, bedarf es hierzu nicht.
Auch die an den Verurteilten gerichtete Weisung, dem Gericht einmal im Monat einen
schriftlichen Bericht über die ambulante Nachsorge durch die Suchtberatung zu
erstatten, stellt sich als eine nach § 23 Abs. 1 i.V.m. § 10 Abs. 1 JGG zulässige Weisung
dar. Diese dient – wie die Anordnung der Vorlage von Negativattesten über
durchgeführte Urinuntersuchungen – letztlich der Kontrolle der Einhaltung einer Weisung
des landgerichtlichen Bewährungsbeschlusses, nämlich derjenigen zu Ziffer 6 c.
Sie ist aus Sicht der Kammer geeignet, den Verurteilten anzuhalten, der Weisung in
Ziffer 6 c des landgerichtlichen Bewährungsbeschlusses auch tatsächlich
nachzukommen und sich der ambulanten Nachsorge durch die Suchtberatung zu
unterziehen. Denn durch die Berichtspflicht wird der Verurteilte angehalten, die Termine
der Suchtberatung wahrzunehmen. Darüber hinaus stellt die Verpflichtung zur
Erstattung eines monatlichen Berichts keine unzumutbaren Anforderungen an den
Verurteilten. Dass sie erst nachträglich erfolgt ist und nicht bereits Gegenstand des
landgerichtlichen Bewährungsbeschlusses war, führt aus den oben unter lit. b
dargelegten Gründen nicht zu ihrer Unzulässigkeit.
Die Weisung, dem Gericht alle zwei Wochen unaufgefordert schriftlich und lückenlos
seine konkreten Aufenthaltsorte über die jeweils zurückliegenden zwei Wochen
vorzulegen und die Aufenthaltsorte mit Anschrift für jede Tages- und Nachtzeit jeden
Tages anzugeben, ist dagegen gesetzwidrig; diese Weisung war daher ebenfalls
aufzuheben.
Diese Weisung dient aus Sicht der Kammer der bloßen Überwachung des Verurteilten
während der Bewährungszeit; sie ist nicht geeignet, den Verurteilten erzieherisch zu
beeinflussen und ihn zukünftig von der Begehung von Straftaten abzuhalten. Denn es
kann nicht davon ausgegangen werden, dass die umfassende Berichtspflicht über
sämtliche Aufenthaltsorte mit Anschrift für jede Tages- und Nachtzeit den Verurteilten
geeignet ist, den Verurteilten zur Erfüllung der Weisungen zu Ziffer 6 d und e des
landgerichtlichen Bewährungsbeschlusses anzuhalten.
Anders als bei den Angaben in den Berichten über die Teilnahme an der ambulanten
Nachsorge durch die Suchtberatung, die ohne Weiteres nachgeprüft werden können,
lassen sich die Angaben in den Berichten eines Verurteilten über seinen Aufenthalt
allenfalls dann überprüfen, wenn dieser Personen benennt, bei denen er sich aufgehalten
hat. Fehlen solche Angaben (etwa bei Angaben zu einem alleinigen Aufenthalt in der
eigenen Wohnung, einem Spaziergang im Wald, einem Fahrradausflug etc.), ist eine
Überprüfung in der Regel nicht möglich. Wegen dieser fehlenden
Überprüfungsmöglichkeit kann nicht angenommen werden, dass eine Berichtspflicht
einen Verurteilten davon abhält, weisungswidrig rechtsextreme Gruppen aufzusuchen.
Darüber hinaus erscheint die Weisung auch unzumutbar, da sie nur schwer erfüllbare
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Darüber hinaus erscheint die Weisung auch unzumutbar, da sie nur schwer erfüllbare
Anforderungen an den Verurteilten stellt, der minutiös über seinen Tagesablauf
berichten soll.
Da es mithin bereits an einer zulässigen Weisung im Sinne des § 23 Abs. 1 i.V.m. § 10
Abs. 1 JGG fehlt, muss im Ergebnis nicht geklärt werden, ob die umfassende
Berichtspflicht auch deshalb gesetzwidrig ist, weil sie gegen das allgemeine
Persönlichkeitsrecht des Verurteilten aus Art. 2 Art. 1 GG verstößt.
Ebenso kann offen bleiben, ob die Anordnungen in dem landgerichtlichen
Bewährungsbeschluss, zu deren Überwachung die angegriffene Weisung zu dienen
bestimmt war, ihrerseits hinreichend bestimmt sind (vgl. zur Weisung, nicht mit
Personen aus der „rechten Szene/Neonazi-Szene“ zu verkehren, die Entscheidung des
OLG Jena, a.a.O.); diese Anordnungen sind nicht Gegenstand des hiesigen
Beschwerdeverfahrens.
4. Abschließend weist die Kammer darauf hin, dass ein Widerruf der Aussetzung der
Jugendstrafe – entgegen den Ausführungen in Ziffer 4 des angefochtenen Beschlusses –
nicht schon dann in Betracht kommt, wenn der Verurteilte „auch nur gegen eine
Auflage“ des Beschlusses des Amtsgerichts vom 08.12.2008 oder des Landgerichts vom
02.09.2008 verstößt. Vielmehr richtet sich der Widerruf der Strafaussetzung allein nach §
26 JGG; nur unter den dort genannten Voraussetzungen ist der Widerruf der Aussetzung
der Jugendstrafe zulässig und geboten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 2 JGG, §§ 473 Abs. 4, 464 d StPO.
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