Urteil des LG Cottbus vom 13.03.2017

LG Cottbus: tonträger, ergänzung, aufzeichnung, zeugenaussage, anforderung, form, erlass, abhören, beschränkung, akteneinsicht

1
2
3
4
5
6
Gericht:
LG Cottbus 7.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 T 395/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 160 Abs 3 Nr 4 ZPO, § 160a
Abs 2 S 3 ZPO, § 567 Abs 1 Nr 2
ZPO
Leitsatz
1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Ablehnung der vollständigen Übertragung einer
auf Tonträger aufgezeichneten Zeugenaussage in das Protokoll.
2. Im Rahmen der Übertragung einer unmittelbar auf Tonträger aufgezeichneten
Zeugenaussage ist das Protokoll auch um die an den Zeugen gerichteten Fragen zu
ergänzen.
Die zugelassene Rechtsbeschwerde ist nicht eingelegt worden.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 19.10.2009 wird der Beschluss des
Amtsgerichts Cottbus vom 09.10.2009 aufgehoben. Das Amtsgericht wird angewiesen,
das Protokoll der Beweisaufnahme vom 01.07.2009 um sämtliche vorläufig auf Tonträger
aufgezeichnete Fragen an die Zeuginnen K und R zu ergänzen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Im Beweisaufnahmetermin am 01.07.2009 hat das Amtsgericht die Zeuginnen K und R
vernommen. Die Vernehmung einschließlich der an die Zeuginnen gestellten Fragen ist
unmittelbar und fortlaufend auf Tonträger aufgezeichnet worden; dies ist im Protokoll
vermerkt worden.
Mit Schriftsatz vom 01.07.2009 hat der Kläger beantragt, das Protokoll um den
gesamten Aussageinhalt der Zeuginnen zu ergänzen und die Aussage in Reinschrift zu
übertragen. Das Amtsgericht hat daraufhin am 17.07.2009 eine ergänzte
Protokollfassung gefertigt, wegen deren Inhalt auf Bl. 82 bis 99 d. A. Bezug genommen
wird. Die an die Zeuginnen gerichteten Fragen sind in dieser Fassung nur teilweise
enthalten; im Übrigen ist vor der Aussage jeweils vermerkt: "Auf Frage:". Eine Passage
der Vernehmung der Zeugin R ist beispielsweise wie folgt protokolliert:
Am 24.07.2009 hat das Amtsgericht ein klageabweisendes Urteil verkündet; der
Rechtsstreit ist derzeit in der Berufungsinstanz (Aktenzeichen 1 S 151/09) beim
Landgericht Cottbus anhängig.
Mit Schriftsatz vom 28.09.2009 hat der Kläger gegenüber dem Amtsgericht beantragt,
das Protokoll der Verhandlung vom 01.07.2009 dahingehend zu berichtigen, dass der
gesamte Inhalt der vom Gericht vorgenommenen vorläufigen Aufzeichnung in das
Protokoll übertragen wird. Er ist der Ansicht, der Inhalt der Antworten der Zeuginnen
erschließe sich teilweise nicht, weil die Fragen nicht mit in das Protokoll aufgenommen
worden seien.
Das Amtsgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 09.10.2009 (Bl. 157 d. A.)
abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Anspruch auf Übertragung der Fragen
an die Zeuginnen bestehe nicht, da nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160a Abs. 2
Satz 3 ZPO nur die Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO, das heißt die Aussagen
der Zeugen, zu übertragen seien. Die Übertragung auch der Fragen liefe auf ein
7
8
9
10
11
12
13
der Zeugen, zu übertragen seien. Die Übertragung auch der Fragen liefe auf ein
vollständiges Wortprotokoll hinaus, worauf die Parteien keinen Anspruch hätten. Die
Beschränkung des Protokollinhaltes auf die Fragen beeinträchtige keine
Verfahrensrechte der Parteien. Diese könnten das gesamte Protokolldiktat abhören.
Gegen diesen Beschluss hat der Kläger mit dem am Tage seiner Abfassung beim
Amtsgericht eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz vom 19.10.2009 Beschwerde
eingelegt, die er mit weiteren Schriftsätzen vom 03.11.2009 und 18.11.2009 begründet
hat. Darin verweist der Kläger – nach Abhören des Tonträgers durch seinen
Prozessbevollmächtigten – unter anderem darauf, dass ein Teil der nicht übertragenen
Fragen an die Zeuginnen gut zu verstehen sei. Wegen der weitergehenden
Beschwerdebegründung wird auf die vorgenannten Schriftsätze Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Es hält das Rechtsmittel unter
Hinweis auf § 160 Abs. 4 ZPO bereits für unzulässig. Außerdem verweist die Vorinstanz
darauf, dass der Übertragung von Fragen des Gerichts oder der Parteien tatsächliche
Schwierigkeiten entgegen stünden. Die Akustik im Gerichtssaal sei ungünstig, weshalb
die Fragen zum Teil akustisch überlagert seien. Daher seien, wie im Protokoll vermerkt,
selbst die Antworten der Zeuginnen an einigen Stellen nicht verständlich. Überdies fehle
es regelmäßig an einer konkreten Fragestellung der Prozessbeteiligten.
Die Kammer hat die Tonträgeraufzeichnung der Beweisaufnahme vom 01.07.2009
beigezogen und angehört.
II.
1.
Die sofortige Beschwerde des Klägers ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft. Der
Kläger hat eine amtsgerichtliche Entscheidung angefochten, die eine mündliche
Verhandlung nicht erfordert hat und mit der ein das Verfahren betreffendes Gesuch
zurückgewiesen worden ist. Das Amtsgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss vom
09.10.2009 den Antrag des Klägers nach § 160a Abs. 2 Satz 3 ZPO auf Ergänzung des
Protokolls vom 01.07.2009 um den gesamten Inhalt der auf Tonträger vorläufig
aufgezeichneten Beweisaufnahme zurückgewiesen. Der Erlass dieser Entscheidung
bedurfte keiner mündlichen Verhandlung.
Die Auffassung des Amtsgerichts, der Beschluss vom 09.10.2009 sei gemäß § 160 Abs.
4 Satz 3 ZPO unanfechtbar, ist nicht zutreffend. Während § 160 Abs. 4 ZPO das
Verfahren über einen im Rahmen der mündlichen Verhandlung oder der
Beweisaufnahme gestellten Antrag auf Aufnahme bestimmter Vorgänge und
Äußerungen in das Protokoll regelt, betrifft die hier beschwerdegegenständliche
Entscheidung die Übertragung einer bereits vorgenommenen vorläufigen
Tonträgeraufzeichnung in das schriftliche Protokoll. Diese Sachverhalte sind nicht
vergleichbar. Eine entsprechende Anwendung der in § 160 Abs. 4 Satz 3 ZPO normierten
Beschränkung des Instanzenzuges auf das Protokollergänzungsverfahren nach § 160a
Abs. 2 Satz 3 ZPO ist nicht geboten. Insbesondere hindert die Möglichkeit der
Anfechtung eines Beschlusses zur Protokollergänzung regelmäßig nicht den Fortgang
der mündlichen Verhandlung.
Die sofortige Beschwerde des Klägers ist auch nicht nach den für die Entscheidung über
eine Berichtigung des Protokolls geltenden Grundsätzen (vgl. BGH MDR 2005, 46;
Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 164 Rn. 11 m. w. N.) unstatthaft. Zwar hat der Kläger mit
Schriftsatz vom 28.09.2009 die "Berichtigung" des Protokolls vom 01.07.2009 beantragt.
Dabei handelt es sich indes um eine unschädliche Falschbezeichnung. Aus dem
Schriftsatz geht unzweifelhaft hervor, dass der Kläger die – gegenüber der vom
Amtsgericht erstellten Fassung – weitergehende Ergänzung des Protokolls nach § 160a
Abs. 2 Satz 3 ZPO begehrte und keine Berichtigung nach § 164 ZPO. Die Beurteilung
einer solchen Ergänzung ist dem Beschwerdegericht, anders als bei der sachlichen
Prüfung des Protokollinhaltes im Rahmen einer Berichtigung, auch möglich, da es nicht
auf die Anwesenheit im Termin, sondern auf die Tonträgeraufzeichnung und das
schriftliche Protokoll ankommt, die der Kammer als Beurteilungsgrundlagen zur
Verfügung stehen.
Das Rechtsmittel des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerdefrist nach §
569 Abs. 1 ZPO ist mangels Zustellung oder Verkündung der Entscheidung nicht in Gang
gesetzt worden. Überdies ist die sofortige Beschwerde innerhalb von zwei Wochen nach
Erlass des angegriffenen Beschlusses eingelegt worden.
2.
14
15
16
17
18
19
20
21
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat das Amtsgericht die
vollständige Ergänzung des Protokolls der Beweisaufnahme vom 01.07.2009 um
sämtliche an die Zeuginnen K und R gerichteten, vorläufig auf Tonträger
aufgezeichneten Fragen abgelehnt.
Nach § 160a Abs. 2 Satz 3 ZPO ist das Protokoll der Beweisaufnahme auf den bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gestellten Antrag einer Partei oder auf
Anforderung des Rechtsmittelgerichts um die mit einem Tonaufnahmegerät vorläufig
aufgezeichneten Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO zu ergänzen. Zu den
Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO gehören unter anderem die Aussagen der
Zeugen.
Vorliegend hat der Kläger vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens einen
Antrag auf Ergänzung des Protokolls um die vollständige Aufzeichnung der Vernehmung
der Zeuginnen K und R gestellt.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist mit der bisher erstellten Fassung des
Protokolls keine vollständige Ergänzung nach § 160a Abs. 2 Satz 3 ZPO erfolgt. Das
Amtsgericht hat die an die Zeuginnen gerichteten Fragen teilweise nicht vom Tonträger
in das schriftliche Protokoll übertragen. Die einem Zeugen gestellten Fragen gehören
aber zu den Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO, um die das Protokoll zu
ergänzen ist (offen gelassen mit Tendenz zur Protokollierungspflicht in BVerwG,
Beschluss vom 22.09.1987, 6 B 22/87, juris).
Zwar scheint der Gesetzeswortlaut "Aussagen der Zeugen" darauf hinzudeuten, dass
lediglich das vom Zeugen gesprochene Wort zu übertragen ist. Ein solches Verständnis
würde indes dem Sinn und Zweck der Regelung des § 160a Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht
gerecht. Die Ergänzung des Protokolls um die zunächst nur auf Tonträger
aufgezeichneten Angaben des Zeugen dient zum einen dazu, den Parteien eine Prüfung
der Beweiswürdigung des Gerichts in seiner Entscheidung und gegebenenfalls Angriffe
gegen die Tatsachenfeststellung des Erstgerichts im Rahmen des Berufungsverfahrens
zu ermöglichen. Zum anderen ist das Berufungsgericht ohne eine
Vernehmungsniederschrift häufig nicht in der Lage zu prüfen, ob die Beweisaufnahme
erschöpfend war und die Urteilsgründe in Übereinstimmung mit den Zeugenaussagen
stehen (vgl. Zöller/Heßler, a.a.O., § 529 Rn. 7). Diese Funktionen kann das Protokoll
jedoch regelmäßig nur dann erfüllen, wenn auch die Fragen an den Zeugen darin
festgehalten sind. Nur dann erschließt sich zumeist, in welcher Weise durch welchen
Verfahrensbeteiligten ein Zeuge zu welchem Sachverhalt befragt worden ist, was
wiederum Rückschlüsse sowohl auf das eigene Wissen des Zeugen als auch auf seine
Glaubwürdigkeit zulässt. Werden zudem einem Zeugen – wie häufig anzutreffen -
geschlossene Fragen in Form von Entscheidungsfragen (Antwortmöglichkeiten: ja, nein
oder doch) oder Paraphrasierungsfragen (Habe ich sie richtig verstanden, dass...)
gestellt, ist ohne Kenntnis der Frage ein Verständnis der Antwort des Zeugen zumeist
nicht möglich. Der durch den Zeugen bestätigte oder verneinte Sachverhalt ist in diesen
Fällen bereits in der Frage enthalten.
Im vorliegenden Fall wird die Notwendigkeit der Aufnahme der Fragen in das Protokoll
durch die oben unter Ziffer I. zitierte Passage aus der Vernehmung der Zeugin R
deutlich. Die Antworten der Zeugin sind für sich genommen unverständlich und
ermöglichen weder den Parteien noch dem Berufungsgericht eine Prüfung im
Zusammenhang mit dem Urteil vom 24.07.2009.
Im Übrigen steht die durch das Amtsgericht vertretene Ansicht, die den Zeuginnen
gestellten Fragen seien nicht in das Protokoll zu übertragen, mit der eigenen
Handhabung im ergänzten Protokoll nicht in Übereinstimmung. Auf den Antrag des
Klägers hat das Amtsgericht das Protokoll nämlich nicht nur um die Antworten der
Zeuginnen K und R, sondern auch um einen Teil der Fragen ergänzt. Nach welchen
Kriterien die Fragen entweder vom Tonträger übernommen oder nicht übertragen
wurden hat das Amtsgericht allerdings nicht dargelegt und erschließt sich auch
anderweitig nicht. Die uneinheitliche Verfahrensweise ist jedenfalls nicht auf die fehlende
akustische Verständlichkeit einiger Fragen zurückzuführen. Ebenso wie der
Klägervertreter hat sich auch das Beschwerdegericht durch Anhören des Tonträgers
davon überzeugt, dass mindestens ein Teil der nicht in das Protokoll übertragenen
Fragen deutlich zu verstehen ist.
Soweit das Amtsgericht auf technische Schwierigkeiten bei der Aufnahme der
Vernehmung der Zeuginnen abgestellt hat, betrifft dies die Aufzeichnung der Aussagen
auf den Tonträger, während es hier um die Übertragung der vorläufigen Aufzeichnung in
22
23
24
25
auf den Tonträger, während es hier um die Übertragung der vorläufigen Aufzeichnung in
das Protokoll geht. Es versteht sich von selbst, dass das Amtsgericht das Protokoll nur
um dasjenige ergänzen kann, was zuvor auch in übertragbarer Form, also verständlich,
aufgezeichnet worden ist. Sollten Passagen der Tonträgeraufzeichnung akustisch nicht
zu verstehen sein, kann dies unter Umständen in der Berufungsinstanz Bedeutung
erlangen (vgl. BVerwG a.a.O.), berechtigt das Amtsgericht aber nicht zur Ablehnung der
Übertragung verständlich aufgezeichneter Abschnitte der Zeugenvernehmung.
Auch die weiteren Argumente des Amtsgerichts vermögen die Kammer nicht zu
überzeugen. Ein Verweis der Parteien auf die Möglichkeit des Abhörens der Fragen in der
Tonträgeraufzeichnung im Rahmen einer Akteneinsicht verbietet sich angesichts der
zwingenden gesetzlichen Anweisung zur Ergänzung des Protokolls in § 160a Abs. 2 Satz
3 ZPO und würde zu einer unpraktischen Zerstückelung der Wiedergabe der
Zeugenvernehmung führen. Soweit das Amtsgericht außerdem unter Zitierung von
Zöller/Stöber, a.a.O., § 160a Rn. 3 meint, die Parteien hätten keinen Anspruch auf ein
vollständiges Wortprotokoll, betrifft die Kommentarstelle ersichtlich und richtigerweise
das zusammenfassende Diktat einer Zeugenaussage in das Protokoll durch das Gericht.
Wenn sich das Gericht - wie hier das Amtsgericht – jedoch dafür entscheidet, die
Aussage des Zeugen ausschließlich durch einen Mitschnitt zu dokumentieren, ist nach
entsprechender Antragstellung einer Partei oder Anforderung durch das
Rechtsmittelgericht eine wörtliche Ergänzung des Protokolls unvermeidlich.
Das Amtsgericht hat nach alldem sein Protokoll vom 01.07.2009 um die noch nicht
aufgenommenen Fragestellungen zu ergänzen.
Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Die Kosten der erfolgreichen Beschwerde
im Zwischenverfahren auf Protokollergänzung sind solche des Rechtsstreits.
Die Rechtsbeschwerde wird nach § 574 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen,
da die Problematik der Ergänzung des Protokolls um die auf Tonträger aufgezeichneten
Fragen grundsätzliche Bedeutung hat.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum