Urteil des LG Bonn vom 14.09.2010

LG Bonn (treu und glauben, umtausch, verjährungsfrist, erhebliche bedeutung, verjährung, kläger, zpo, billigkeit, leistungsverweigerung, rechtsirrtum)

Landgericht Bonn, 8 S 52/10
Datum:
14.09.2010
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
8. Zivilkammer des Landgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 S 52/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Bonn, 115 C 1/09
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bonn
vom 08.02.2010, 115 C 1/09, wird zurückgewiesen.
II.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
1
I.
2
Die Darstellung des Tatbestandes entfällt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO.
Da die Revision nicht zugelassen wurde und der für die Nichtzulassungsbeschwerde
nach § 26 Nr. 8 EGZPO erforderliche Beschwerdewert nicht erreicht ist, ist ein
Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig.
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II.
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Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
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1.)
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Dem Kläger steht ein Anspruch gem. §§ 346 S. 1 BGB aF i.V.m. § 286 Abs. 2 BGB aF
bzw. § 326 Abs. 2 BGB a.F. auf Auszahlung der auf den streitgegenständlichen
Telefonkarten gespeicherten Guthabenwerte i. H. v 3.080,02 EUR zu. Wie das
Amtsgericht zutreffend festgestellt hat, befand sich die Beklagte bei der Abgabe der
Rücktrittserklärung mit dem Umtausch der Telefonkarten in Verzug.
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a)
8
Das Amtsgericht ist unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu
Recht davon ausgegangen, dass der Kläger einen Anspruch auf Umtausch der
streitgegenständlichen Telefonkarten hatte. Denn mit Urteil vom 24.01.2008 – III ZR
79/07 - hat der BGH die Beklagte aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung nur
deshalb für berechtigt gehalten, gemäß § 315 BGB die Gültigkeitsdauer der
unbefristeten Telefonkarten der ersten Generation nachträglich zu beschränken, weil
den Interessen des durchschnittlichen Erwerbers dadurch hinreichend Rechnung
getragen worden sei, dass ihm zugleich das Recht eingeräumt worden sei, die bei
Ablauf der Geltungsdauer gesperrten, noch nicht verbrauchten Telefonkarten unter
Anrechnung des Restguthabens unbefristet gegen gültige Telefonkarten umzutauschen
(vgl. BGH, Urt. v. 24.01.2008 – III ZR 79/07, juris Rn. 10ff.; ebenso BGH, Urt. v.
11.03.2010 – III ZR 178/09, juris Rn. 10.)
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b)
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Dieser Anspruch verjährt wie der BGH in seinem Urteil vom 11.03.2010 – III ZR 178/09 -
ausgeführt hat nicht vor dem 01.01.2012. Dabei könne es auf sich beruhen, ob es sich
bei dem Umtauschanspruch um einen verhaltenen Anspruch handele. Die ergänzende
Vertragsauslegung, aufgrund derer die Beklagte für berechtigt gehalten worden sei, die
Laufzeit der ursprünglich unbefristet geltenden Telefonkarten durch einseitige
Leistungsbestimmung gemäß § 315 BGB zu begrenzen, sei vielmehr dahingehend
fortzuführen, dass die Beklagte den Telefonkarteninhabern für den an die Stelle des
Telefonieranspruchs getretenen Umtauschanspruch unter Berücksichtigung der
Billigkeit und der beiderseitigen Interessen eine längere als die in Art. 229 § 6 Abs. 4 S.
1 EGBGB bestimmte Verjährungsfrist eingeräumt hätte, wenn die Frage der Verjährung
bedacht worden wäre. Denn ein redlicher und verständiger
Leistungsbestimmungsberechtigter, der gebührend auch auf die berechtigten Belange
seines Vertragspartners Rücksicht nimmt, hätte in Anbetracht der durch das
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vorgesehenen Ersetzung der regelmäßigen
dreißigjährigen Verjährungsfrist (§ 195 BGB aF) durch eine dreijährige Verjährungsfrist
in Rechnung gestellt, dass die dadurch bewirkte Verkürzung der Verjährungsfrist für den
Umtauschanspruch nicht der Billigkeit nach § 315 Abs. 1 und 3 BGB entsprochen hätte.
In Abwägung der widerstreitenden Interessen und unter Einbeziehung der in § 199 Abs.
2 – 4 BGB enthaltenen gesetzlichen Wertungen hätte er für den Umtauschanspruch
vielmehr eine Verjährungsfrist von zehn Jahren entsprechend § 199 Abs. 4 BGB
vorgesehen (Vgl. BGH, Urt. v. 11.03.2010 – III ZR 178/09, juris Rn. 14ff.).
11
c)
12
Zu Recht hat das Amtsgericht weiter festgestellt, dass eine Mahnung in dem
vorliegenden Fall nicht erforderlich war, da die Beklagte mit E-Mails vom 08.12.2008
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und 15.12.2008 den Umtausch der Telefonkarten ernsthaft und endgültig verweigert hat.
Soweit die Beklagte vorträgt, dass es sich bei dieser Mitteilung nicht um eine
Leistungsverweigerung handeln soll, ist das nicht zutreffend. In der E-Mail vom
06.12.2008 heißt es:
"der Umtauschanspruch unterliegt wie jeder Rechtsanspruch der Verjährung ..... Die
Einrede der Verjährung behält sich die U für alle zum Umtausch eingereichten
Telefonkarten vor…Verjährt sind in der Regel sämtlich Telefonkarten, die DM
Nennwerte …haben und die zum 31.12.2004 außer Kraft gesetzt wurden und in der
Vergangenheit bis zum 31.12.2004 getauscht werden konnten".
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Nachdem der Kläger um Überprüfung bat, teilte ihm die Beklagte am 15.12.2008 mit:
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Wie wir Ihnen bereits mit der Mail vom 08.12.2008 mitgeteilt haben, unterliegt der
Umtauschanspruch von Telefonkarten wie jeder Rechtsanspruch der Verjährung.
Die Einzelheiten wurden Ihnen in der Mail bereits erläutert. Dieses Verfahren ist
unternehmensintern abgestimmt und im Einklang mit den Regelungen des BGB zur
Verjährung von Ansprüchen, bestätigt durch den rechtskräftigen OLG-Beschluss"
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Eine Mahnung ist im Fall der ernsthaften und endgültigen Leistungsverweigerung nicht
erforderlich (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 61. Aufl. 2002, § 284 Rn. 35; Erman/Battes,
BGB, 10. Aufl. 2000, § 284 Rn. 35). Zudem ist schließlich auch in dem
Klageabweisungsantrag der Beklagten eine endgültige Leistungsverweigerung zu
sehen.
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In diesem Zusammenhang kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht darauf
an, dass die Beklage zuletzt den Umtausch in 20,00 EUR Karten angeboten hat. Die
Beklagte hat durch die oben genannten Schreiben erklärt, dass der Umtausch abgelehnt
werde, weil der dahingehende Anspruch mit Ablauf des 31.12.2004 verjährt sei. Da aus
der Sicht der Beklagten somit die Verjährung der maßgebliche Grund für die Ablehnung
des Anspruchs war, hat sie aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers
zugleich zu verstehen gegeben, dass sie die Telefonkarten der ersten Generation auch
nicht in sogenannte Umtauschkarten mit einem Nominalwert von 20 € umtauschen
werde. Darin liegt eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung (ebenso in
einem Parallelfall OLG Köln, Urt. v. 03.06.2009 – 11 U 213/08, juris Rn. 12; nicht
beanstandet durch BGH, Urt. v. 11.03.2010 – III ZR 178/09, juris Rn. 22.)
18
d)
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Der Eintritt des Verzugs ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte ihre
unterbliebene Leistung gemäß § 285 BGB aF nicht zu vertreten hat. Soweit die Beklagte
die Auffassung vertritt, sie habe sich bei der Berufung auf die Einrede der Verjährung in
einem unverschuldeten Rechtsirrtum befunden, vermag sich die Kammer dieser
Auffassung nicht anzuschließen. Ein solcher Rechtsirrtum ist als Entschuldigungsgrund
zwar grundsätzlich anerkannt. Allerdings werden insoweit strenge Anforderungen
gestellt. Der Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig prüfen und, soweit erforderlich,
Rechtsrat einholen. Er hat sich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu
orientieren (BGH vom 30.09.1993, NJW 1993, 3324). Bei einer höchstrichterlich noch
nicht entschiedenen Frage hat er sich an der Rechtsprechung der Obergerichte zu
orientieren. Er ist auch dann entschuldigt, wenn seine Rechtsansicht der damals
herrschenden Meinung entsprach (Palandt-Heinrichs, BGB, 61. A. 2002, § 285, Rdnr. 4).
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Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass in der Zeit vor der Rücktrittserklärung die –
mangels Befassung des Bundesgerichtshofs mit der Frage der Verjährung –
maßgebliche instanz- und obergerichtliche Rechtsprechung einhellig davon
ausgegangen ist, dass der Anspruch auf Umtausch der Telefonkarten der ersten
Generation mit Ablauf des 31.12.2004 verjährt war (vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v.
22.02.2007 – 12 U 1636/06 ; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 22.06.2006 – 9 O 6942/05 LG
Nürnberg-Fürth, Urt. v. 30.07.2007 – 9 O 4169/05).
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Auf die vorgenannte Rechtsprechung durfte sich die Beklagte im Lichte der bis zu
diesem Zeitpunkt ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gleichwohl
nicht verlassen.
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So hat der Bundesgerichtshof – worauf der Kläger zu Recht hingewiesen hat – bereits in
seinem Urteil vom 24.01.2008 – III ZR 79/07 von einem unbefristeten Recht der Kunden
zum Umtausch der Telefonkarten, deren Gültigkeitsdauer nachträglich von der
Beklagten beschränkt ist, gesprochen (vgl. BGH, Urt. v. 24.01.2008 – III ZR 79/07, juris
Rn. 16). Mit einem solchen unbefristeten Recht verträgt sich die Anwendung der
regelmäßigen Verjährungsfrist von 3 Jahren gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB von
vornherein nur schwer. Dies gilt erst recht, wenn man berücksichtigt, dass durch das im
Jahr 2002 in Kraft getretene Schuldrechtsmodernisierungsgesetz die regelmäßige
Verjährungsfrist von 30 Jahren auf 3 Jahre abgesenkt worden ist.
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Der Bundesgerichtshof hat in dem vorgenannten Urteil zudem ausgeführt, dass
angesichts einer fehlenden vertraglichen Regelung der Frage, ob und unter welchen
Voraussetzungen die Beklagte die Geltungsdauer der Telefonkarten der ersten
Generation beschränken durfte, eine ergänzende Vertragsauslegung zu erfolgen habe.
Bei der Ergänzung des Vertragsinhalts sei darauf abzustellen, was redliche und
verständige Parteien in Kenntnis der Regelungslücke nach dem Vertragszweck und bei
sachgemäßer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben
vereinbart hätten. In Bezug auf die vor 1998 abgeschlossenen Telefonkartenverträge sei
davon auszugehen, dass sich die Parteien dahingehend geeinigt hätten, dass die
Beklagte entsprechend § 315 Abs. 1 BGB berechtigt sein sollte, die Gültigkeitsdauer der
Telefonkarten nachträglich entsprechend der Billigkeit anzupassen, und im Gegenzug
den Kunden ein unbefristetes Recht zum Umtausch der gesperrten Telefonkarten gegen
aktuelle Telefonkarten mit gleichem Guthabenwert einräumen musste (vgl. BGH, Urt. v.
24.01.2008 – III ZR 79/07, juris Rn. 16). Der Beklagten war damit seit Anfang des Jahres
2008 bekannt, dass der Bundesgerichtshof die Beschränkung der Geltungsdauer der
Telefonkarten der ersten Generation als Ausübung eines einseitigen
Leistungsbestimmungsrechts gemäß § 315 BGB einordnet und dementsprechend die
Ausgestaltung des Umtauschrechts der Kunden insbesondere auch in zeitlicher
Hinsicht unter dem Gesichtspunkt prüft, ob die Leistungsbestimmung nach billigem
Ermessen getroffen worden ist. Ihr musste somit bereits zu diesem Zeitpunkt klar sein,
dass im Rahmen dieser Prüfung den Interessen der Kunden eine erhebliche Bedeutung
zukommt. Ferner musste ihr bewusst sein, dass sie das Risiko einer Unbilligkeit der von
ihr getroffenen Leistungsbestimmung trägt (vgl. dazu Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 315
Rn. 19).
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Angesichts dieser beiden Gesichtspunkte konnte die Beklagte nicht ohne weiteres
davon ausgehen, dass der Bundesgerichtshof die instanz- und obergerichtliche
Rechtsprechung, die die Interessen der Kunden nicht in ausreichendem Maße in den
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Blick genommen hat, billigen wird. Vielmehr musste sie ernsthaft damit rechnen, dass
der Bundesgerichtshof von einer längeren Verjährungsfrist als der regelmäßigen
Verjährungsfrist ausgehen wird. Selbst wenn die Beklagte ihre entgegenstehende
Rechtsansicht sorgfältig gebildet haben sollte, hat sie insoweit auf eigenes Risiko
gehandelt, so dass ein unverschuldeter Rechtsirrtum nicht angenommen werden kann.
e)
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Da der Kläger aufgrund der mittlerweile kaum noch vorhandenen
Nutzungsmöglichkeiten der Telefonkarten kein Interesse mehr an der Leistung hat, kann
offen bleiben, ob sich der Zahlungsanspruch nach § 346 BGB. a.F i.V.m mit § 326 BGB
a.F. oder aber i.V.m. § 286 Abs. 2 a.F BGB ergibt.
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2.)
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Als Folge des Rücktritts steht dem Kläger, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt
hat, gem. §§ 347 S.2. BGB i.V.m. § 987 Abs. 1 BGB als Nutzungsersatz eine Verzinsung
des Guthabenwertes zu.
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3.)
30
Der Anspruch auf Zahlung der Zinsen steht dem Kläger aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2
BGB zu.
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4.).
32
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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5.)
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Für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO bestand keine
Veranlassung. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch ist eine
Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
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Streitwert: 3.080,02 EUR
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