Urteil des LG Bonn vom 08.09.2010

LG Bonn (anlage, verfügung, unterlagen, beschwerde, verzeichnis, aufforderung, bescheinigung, mitteilung, stundung, einigungsversuch)

Landgericht Bonn, 6 T 218/10
Datum:
08.09.2010
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
6. Zivilkammer des Landgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 T 218/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Bonn, 97 IK 207/10
Schlagworte:
Rücknahmefiktion, statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde,
Unerfüllbarkeit von gerichtlichen Auflagen
Normen:
§§ 34 Abs. 1, 305 Abs. 3 Satz 2 InsO
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Leitsätze:
Weist das Insolvenzgericht nicht in verständlicher Weise darauf hin,
welche unvollständigen Erklärungen und Unterlagen zu ergänzen sind,
so kommt dies einer Erteilung unerfüllbarer gerichtlicher Auflagen gleich.
In diesem Fall ist die sofortige Beschwerde gegen die Mitteilung der
Rücknahmefiktion gemäß § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO analog § 34 Abs. 1
InsO statthaft.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird der
Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts Bonn vom 17.08.2010 – 97 IK
107/10 –aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Eröffnungsantrag der Schuldnerin vom
15.06.2010 nicht gemäß § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO als zurückgenommen
gilt und dass die Anträge auf Erteilung der Restschuldbefreiung sowie
auf Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens nicht gegenstandslos
sind.
Gründe:
1
I.
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Die Schuldnerin beantragte unter dem 16.06.2010 die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen sowie Restschuldbefreiung und Stundung der
Verfahrenskosten. Dem Antrag beigefügt waren zahlreiche Anlagen.
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Am 22.06.2010 wies das Amtsgericht darauf hin, dass die vorgelegte Bescheinigung
über den erfolglosen Versuch einer außergerichtlichen Einigung mit den Gläubigern
nicht den Anforderungen des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO genüge; das eingereichte
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Verzeichnis der gegen die Schuldnerin gerichteten Forderungen (§ 305 Abs. 1 Nr. 3
InsO) sei unvollständig; die Anlage 4, Ergänzungsblätter G und J und K seien
auszufüllen, ferner fehle der erforderliche Schuldenbereinigungsplan. Das Amtsgericht
gab Gelegenheit, die Unterlagen unverzüglich nachzureichen, und teilte mit, dass der
Eröffnungsantrag als zurückgenommen gelte, falls dies nicht innerhalb eines Monats ab
Zustellung geschehe. Die Verfügung wurde am 29.06.2010 zugestellt.
Auf einen Fristverlängerungsantrag der Schuldnerin teilte das Amtsgericht unter dem
05.07.2010 mit, dass die Monatsfrist nicht verlängert werden könne; die Schuldnerin
habe im Übrigen die richtigen Formulare des Schuldenbereinigungsplans vorgelegt,
"nur eben nicht ausgefüllt".
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Mit Schriftsatz vom 08.07.2010 legte die Schuldnerin unter Bezugnahme auf die
Verfügung vom 22.06.2010 weitere Unterlagen vor; u.a. führte sie aus: "Soweit das
eingereichte Verzeichnis der gegen die Schuldnerin gerichteten Forderungen als
unvollständig beanstandet worden ist, überreichen wir in Anlage weitergehend
ausgefüllt Anlage 4 sowie die Ergänzungsblätter 5 G, 5 J und 5 K". Eine erneute
Vorlage der Anlage 6, d.h. des Verzeichnisses der gegen die Schuldnerin gerichteten
Forderungen, erfolgte jedoch nicht.
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Hierauf teilte das Amtsgericht mit Verfügung vom 12.07.2010 mit: "Die Bescheinigung
über den vorgerichtlichen Einigungsversuch (Anlage 2 A) ist nach wie vor
unvollständig".
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Die Schuldnerin legte mit Schriftsatz vom 14.07.2010 die weitergehend ausgefüllte
Anlage 2 A vor und bat um einen Hinweis, falls noch bestimmte Angaben oder
Unterlagen benötigt würden.
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Mit Verfügung vom 23.07.2010, zugestellt am 03.08.2010, hat das Amtsgericht mitgeteilt,
dass der Eröffnungsantrag vom 15.06.2010 nunmehr kraft Gesetzes als
zurückgenommen gelte, weil er unvollständig gewesen und trotz gerichtlicher
Aufforderung nicht fristgerecht ergänzt worden sei. Damit seien auch die Anträge auf
Erteilung der Restschuldbefreiung sowie auf Stundung der Verfahrenskosten
gegenstandslos. Eine weitergehende Begründung enthielt die Verfügung nicht. In einem
richterlichen Vermerk vom selben Tag, der nicht bekannt gegeben wurde (Bl. 101 R
d.A.), hieß es: "Unvollständig ausgefüllt: Anlage 4, Ergänzungsblätter 5 J, 5K, Anlage 6
(nicht erneut vorgelegt)".
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Hiergegen hat die Schuldnerin unter dem 13.08.2010, eingegangen am 14.08.2010,
sofortige Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel mit Beschluss
vom 17.08.2010 nicht abgeholfen und die Akte dem Landgericht zur Entscheidung
vorgelegt. Das Amtsgericht ist der Auffassung, dass die sofortige Beschwerde unter
Bezugnahme auf BGH ZInsO 2009, 2262 unzulässig sei. Das Amtsgericht habe keine
unerfüllbaren oder inhaltlich unzulässigen Anforderungen gestellt, vielmehr habe die
Schuldnerin lediglich die gesetzlich vorgeschriebenen Vordrucke trotz Aufforderung
nicht ausgefüllt.
10
II.
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1.
12
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft. Die Mitteilung, dass die
gesetzliche Rücknahmefiktion nach § 305 Abs. 3 InsO eingetreten sei, ist allerdings
grundsätzlich nicht mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, weil die
Insolvenzordnung insoweit kein Rechtsmittel vorsieht (vgl. näher BGH, Beschluss vom
22.10.2009 – IX ZB 195/08 –, ZinsO 2009, 2262). In Ausnahmefällen kommt jedoch eine
analoge Anwendung des § 34 Abs. 1 InsO in Betracht, wenn die Rücknahmefiktion einer
Ablehnung des Eröffnungsantrags gleichkommt. Dies ist nach der neuesten
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann der Fall, wenn unerfüllbare Auflagen
erteilt werden oder die Anforderungen gegen das Willkürverbot verstoßen (BGH a.a.O.).
Nicht rechtsmittelfähig ist die Mitteilung der Rücknahmefiktion hingegen, wenn sie zwar
mit § 305 Abs. 3 InsO nicht in Einklang steht, jedoch die Anforderungen weder
unerfüllbar noch willkürlich sind (a.a.O.).
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Nach diesem Maßstab ist die sofortige Beschwerde vorliegend statthaft. Die
Anforderungen des Amtsgerichts kamen letztlich einer unerfüllbaren Auflage gleich, weil
die Schuldnerin nicht in verständlicher Weise darauf hingewiesen worden war, welche
Unterlagen sie noch einreichen bzw. vervollständigen sollte.
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Es ist schon fraglich, ob es ausreichte, lediglich eine "vollständige Ausfüllung" zu
verlangen, ohne näher zu erläutern, welche konkreten Angaben aus Sicht des
Amtsgerichts fehlten. Immerhin hatte die Schuldnerin zahlreiche Anlagen mit einer
Vielzahl von Eintragungen vorgelegt. Allerdings fehlte in der Anlage 4 der Wert des
Grundstücks (Ziffer 1.7), und dies wurde auch nicht nachgetragen. Anlage 6 war
unvollständig ausgefüllt, da die Gesamtforderungen nicht in Hauptforderung, Zinsen und
Kosten unterteilt wurden, und auch dies wurde nicht nachgetragen. Welche Angaben in
den Anlagen 5 J und 5 K auch nach Eingang des Schriftsatzes vom 08.07.2010 noch
gefehlt haben sollen, wird nicht recht verständlich. Insgesamt mag das Amtsgericht
jedoch objektiv zu Recht von einer Unvollständigkeit der Formulare ausgegangen sein.
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Es ist allerdings fraglich, ob der Hinweis vom 22.06.2010 hinreichend klar war, da unter
Buchstabe b) sowohl das Verzeichnis der gegen die Schuldnerin gerichteten
Forderungen als auch die Anlage 4, Ergänzungsblätter G, J und K gerügt wurden, dies
jedoch sprachlich in einer Weise gefasst wurde, dass man – auch wegen der
Einordnung unter den einen Buchstaben b) – dem Missverständnis unterliegen konnte,
dass es sich um ein und dieselbe Rüge handelte. Die Schuldnerin hat dies auch
erkennbar missverstanden, da sie zum einen die Anlage 6 nicht nochmals vorlegte und
zum anderen in dem Schriftsatz vom 08.07.2010 formulierte, dass sie im Hinblick auf
das Verzeichnis der gegen die Schuldnerin gerichteten Forderungen die Anlage 4
sowie die Ergänzungsblätter 5 G, 5 J und 5 K überreiche – was unsinnig war, denn die
Anlage 4 nebst Ergänzungsblättern hatte mit dem Verzeichnis der gegen die
Schuldnerin gerichteten Forderungen nichts zu tun, sondern betraf die
Vermögensverhältnisse der Schuldnerin. Selbst in der Beschwerdeschrift hatte die
Schuldnerin die gerichtliche Verfügung noch nicht verstanden, denn sie führte aus, dass
drei Punkte beanstandet worden seien; es waren aber tatsächlich – unterteilt in drei
Buchstaben – vier Punkte beanstandet worden, jedoch in sprachlich ungeschickter
Weise und ohne ausdrückliche Nennung der Anlage 6. Andererseits kann nicht außer
Betracht bleiben, dass die beiden Absätze unter Buchstabe b) inhaltlich verschiedene
Dinge betrafen, was jedenfalls eine anwaltlich vertretene Schuldnerin wohl hätte
erkennen müssen.
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Jedenfalls wurde aber die Schuldnerin mit Verfügung vom 12.07.2010 darauf
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hingewiesen, dass "die Bescheinigung über den vorgerichtlichen Einigungsversuch
(Anlage 2 A) nach wie vor unvollständig" sei, und zwar als Reaktion auf die
Nachreichung von Unterlagen mit Schriftsatz vom 08.07.2010. Dies durfte die
Schuldnerin so verstehen, dass nur noch die Anlage 2 A als unvollständig angesehen
wurde, dass also die Unvollständigkeit im Hinblick auf die sonstigen Nachreichungen
nicht mehr beanstandet wurde. Die Schuldnerin verstand dies auch tatsächlich so, denn
mit Schriftsatz vom 14.07.2010 reichte sie unter Bezugnahme auf die Verfügung vom
12.07.2010 die Anlage 2 A nach und bat ausdrücklich um einen Hinweis, falls noch
bestimmte Angaben oder Unterlagen benötigt werden sollten. Damit war der
ursprüngliche Hinweis vom 22.06.2010 gegenstandslos, unbeschadet dessen, dass
wohl noch nicht alle dort erteilten Auflagen erfüllt worden waren. Wenn das Amtsgericht
sodann – trotz der Erfüllung der Auflage gemäß Verfügung vom 12.07.2010 – die
Rücknahmefiktion aussprach, kam dies einer Erteilung von unerfüllbaren Auflagen
gleich, denn die Schuldnerin konnte nicht wissen, dass das Amtsgericht ungeachtet
seiner überholenden Verfügung vom 12.07.2010 später wieder auf die Verfügung vom
22.06.2010 zurückgreifen würde.
2.
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Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Die Rücknahmefiktion des § 305 Abs. 3
Satz 2 InsO ist nicht eingetreten. Nach dieser Vorschrift gilt der Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens als zurückgenommen, wenn der Schuldner der gerichtlichen
Aufforderung, unvollständige Erklärungen und Unterlagen zu ergänzen, nicht binnen
eines Monats nachkommt. Vorliegend fehlt es an einer gerichtlichen Aufforderung, der
die Schuldnerin nicht fristgemäß nachgekommen wäre. Zwar war mit der Verfügung vom
22.06.2010 ursprünglich ein Hinweis erteilt worden, dessen Auflagen auch noch nicht
vollständig erfüllt worden sein dürften (s.o.). Diese Verfügung war aber aufgrund der
späteren Verfügung vom 12.07.2010 gegenstandslos geworden. Die Schuldnerin
musste nicht damit rechnen, dass sie trotz der Erfüllung der dort mitgeteilten
Anforderungen später wieder daran festgehalten werden würde, dass sie die Auflagen
der früheren Verfügung nicht vollständig erfüllt hatte.
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Es kann vor diesem Hintergrund dahinstehen, welche Auswirkungen es hat, dass die
Rücknahmefiktion schon vor dem Ablauf der Monatsfrist ausgesprochen wurde
(Zustellung der Verfügung am 29.06.2010, Bl. 46 d.A., Ausspruch der Rücknahmefiktion
am 23.07.2010). Einerseits könnte überlegt werden, ob ein der Unerfüllbarkeit
gleichstehender Fall auch dann anzunehmen ist, wenn dem Schuldner durch eine
verfrühte Fiktionsmitteilung die Möglichkeit abgeschnitten wird, bis zum Fristablauf die
geforderten Unterlagen nachzureichen. Andererseits wäre die Monatsfrist jedenfalls zum
Zeitpunkt der Nichtabhilfe abgelaufen gewesen, ohne dass weitere Unterlagen
eingereicht worden waren.
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Eine Kostenentscheidung und eine Wertfestsetzung sind nicht veranlasst.
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