Urteil des LG Bonn vom 08.12.2010

LG Bonn (kläger, höhe, unwirksamkeit, klausel, relativität der schuldverhältnisse, gas, vertrag, grobe fahrlässigkeit, verjährung, allgemeine geschäftsbedingungen)

Landgericht Bonn, 5 S 95/10
Datum:
08.12.2010
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
5. Zivilkammer des Landgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 95/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Euskirchen, 17 C 983/09
Schlagworte:
Gaspreisanpassungsklausel, Sondervertragskunden, Verjährung
Rückforderungsanspruch
Normen:
§§ 195, 199, 306, 307, 812, 818 BGB
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Leitsätze:
1. Allein der Weiterbezug von Gas begründet bei Unwirksamkeit einer
Gaspreisanpassungsklausel keinen neuen stillschweigend vereinbarten
Gaspreis mit Sondervertragskunden.
2. Die Verjährung von Rückforderungsansprüchen wegen
Unwirksamkeit einer Gaspreisanpassung beginnt nicht erst mit Erteilung
der Jahresrechnung, sondern mit Ablauf des Jahres, in welchem die
Zahlungen erbracht worden sind.
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. Auf die
Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts
Euskirchen vom 09.03.2010 – 17 C 983/09 – unter Zurückweisung der
Anschlussberufung im Übrigen abgeändert und im Hauptsachetenor wie
folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.623,82 € zuzüglich Zinsen
hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
30.11.2009 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 8 Prozent und die
Beklagte zu 92 Prozent.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des
aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils
zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e:
1
A.
2
I.
3
Die Beklagte ist ein regionales Gasversorgungsunternehmen. Sie schloss mit dem
Kläger als Sonderkunden unter Verwendung eines von ihr vorformulierten
Vertragsformulars unter dem 17.03./13.03.19## einen Vertrag über die Belieferung des
Hausgrundstückes des Klägers mit Gas. Gemäß § 2 dieses Vertrages setzt sich der
zugrundezulegende Gaspreis zusammen aus einem monatlichen Grundpreis in Höhe
von 29,00 DM sowie einem Arbeitspreis in Höhe von 4,05 Pf/kWh Ho zuzüglich
gesetzlicher Umsatzsteuer. Sodann heißt es dort weiter:
4
"Der vorstehende Gaspreis ändert sich, wenn eine Änderung der "Allgemeinen
Tarifpreise für Gas" eintritt."
5
Gem. § 5 des vorgenannten Vertrages können die Parteien diesen erstmals nach Ablauf
von 12 Monaten nach seinem Inkrafttreten mit einer Kündigungsfrist von 3 Monaten
jeweils zum Ende eines Abrechnungsjahres schriftlich kündigen. § 6 des Vertrages
verweist schließlich auf die "Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Gas aus
dem Versorgungsnetz der GVG," die wesentlicher Bestandteil des Vertrages sind.
6
Die Beklagte nahm in der Folgezeit Erhöhungen des vereinbarten Arbeitspreises vor.
Durch Schreiben vom 31.12.20## kündigte der Kläger an, künftige Zahlungen nur noch
unter Vorbehalt zu leisten. Durch weiteres Schreiben vom 14.10.20## widersprach er
zudem ausdrücklich der durch die Beklagte angekündigten Preiserhöhung mit der
Begründung, diese sei unbillig. Nach Bekanntwerden des Inhaltes des Urteils des
Bundesgerichtshofes vom 17.12.2008 – VIII ZR 274/06 – fordert er nunmehr von der
Beklagten unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung die
Rückzahlung der aufgrund der unter Hinweis auf § 2 des Gasversorgungsvertrages
durchgeführten Gaspreiserhöhungen vereinnahmten Mehrbetrages zurück. Bei
Berechnung seiner Forderung legt der Kläger den ursprünglich vereinbarten
Arbeitspreis von 4,05 Pf/kWh netto zugrunde. Hinsichtlich des Zeitraumes vom
05.06.20## bis zum 04.06.20## fordert er auf dieser Grundlage einen Betrag in Höhe
von 2.858,32 € zurück. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Anlage K 11 (Bl.
9f. d. A.) verwiesen.
7
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe gegen die Beklagten einen
Rückzahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung. Zudem hat er neben dem
Rückzahlungsanspruch mit den Anträgen zu 3.) und 4.) den Ersatz vorgerichtlicher
Rechtsanwaltskosten sowie der durch Einholung der Deckungszusage bei der
Rechtsschutzversicherung entstandenen Rechtsanwaltskosten begehrt. Er hat
beantragt,
8
1. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.858,32 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
9
2. Hilfsweise: Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.690,52 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
10
3. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 229,55 € nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
11
4. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 97,10 € nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
12
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und hierzu vorgetragen, aus der
Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 17.12.2008 ergebe sich zwar, dass eine
Preisänderung nicht auf § 2 des Sondervertrages gestützt werden könne. Eine
Preisänderung sei jedoch durch den widerspruchslosen Weiterbezug von Gas
zustandegekommen. Auch hat sie sich auf den Einwand der Entreicherung und die
Einrede der Verjährung berufen.
13
Wegen des weiteren Sachverhaltes wird gemäß § 540 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die
tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
14
II.
15
Das Amtsgericht hat der Klage in Höhe von 1.590,08 €
abgewiesen. Der Kläger habe aus § 812 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung der
Beträge, die aufgrund der Gaspreiserhöhung nach dem 31.12.20## bis zum 04.06.20##
gezahlt worden seien, da diese Gaspreiserhöhungen unwirksam seien. Für diese
Zahlungen fehle es an einem Rechtsgrund, weil die dahingehende Klausel aus § 2 des
Gaslieferungsvertrages unwirksam sei. Der Vertrag im Übrigen sei wirksam geblieben,
wobei auch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die so entstandene
Regelungslücke nicht zu schließen sei. Soweit der Kläger bis zum 31.12.20## die
Preisänderungen widerspruchslos hingenommen habe, sei dagegen von einer
einvernehmlichen Preisvereinbarung auszugehen, so dass der Berechnung des
Rückforderungsanspruches auch dieser Gaspreis zugrundzulegen sei. Hinsichtlich der
Ansprüche aus dem Jahr 20## könne sich die Beklagte jedoch mit Erfolg auf die
Einrede der Verjährung berufen. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren seien
dagegen nicht erstattungsfähig, weil der Kläger rechtsschutzversichert und der
Gebührenanspruch auf die Versicherung übergegangen, eine Abtretung jedoch nicht
vorgetragen sei.
16
III.
17
Gegen dieses Urteil haben die Beklagte Berufung und der Kläger Anschlussberufung
eingelegt.
18
Die Beklagte trägt zur Begründung vor, es sei zwischen den Parteien eine konkludente
Preisvereinbarungen getroffen worden, soweit der Kläger einer Preiserhöhung nicht
widersprochen habe. Der erfolgte Widerspruch vom 31.12.20## richte sich zudem nur
gegen die Billigkeit der Preiserhöhung. Anderenfalls sei bei einem ersatzlosen Wegfall
einer Preisanpassungsklausel eine ergänzende Vertragsauslegung geboten, da sich
sonst das Vertragsgefüge einseitig zu Gunsten der Kunden verschiebe, welche zu
einem für die Beklagte weit unter der Wirtschaftlichkeitsgrenze liegenden Preis beliefert
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werden müssten. Werde eine ergänzende Vertragsauslegung verneint, sei der Vertrag
jedenfalls gem. § 306 Abs.3 BGB insgesamt unwirksam. Insbesondere seien die
wirtschaftlichen Nachteile zu berücksichtigen, welche aus der Vielzahl weiterer Verträge
mit etwa 58.000 Sonderkunden folgten. Die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel
sei für die Beklagte auch im Hinblick auf das Urteil des Landgerichts Bonn vom
07.09.2006 – 8 S 146/05 – nicht vorhersehbar gewesen. Zudem habe sie im Vertrauen
darauf, die Leistung behalten zu dürfen, Aufwendungen getätigt, die sie anderenfalls
nicht getätigt hätte. Die Beklagte beruft sich auf den Einwand der Entreicherung.
Unabhängig davon habe der Kläger sein Rückforderungsrecht gemäß § 242 BGB
verwirkt.
Die Beklagte beantragt,
20
das Urteil des Amtsgerichts Euskirchen vom 09.03.2010 – 17 C 983/09 – abändern
und die Klage abzuweisen.
21
Der Kläger beantragt,
22
die Berufung zurückzuweisen.
23
24
Im Wege der Anschlussberufung beantragt er,
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die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Euskirchen vom
09.03.2010 zu verurteilen, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von
1.218,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit (30.11.2009) zu zahlen.
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Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung, soweit das Amtsgericht der Klage
stattgegeben hat. Ergänzend trägt er vor, die von der Beklagten geltend gemachten
Preisänderungen seien auch nicht durch anderweitiges Verhalten zustande gekommen.
Da Zahlungen auf die Preisänderungen nur unter Vorbehalt geleistet worden seien,
könne die Beklagte sich auch nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen.
27
Die Beklagte beantragt,
28
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
29
B.
30
I.
31
Lediglich die Anschlussberufung des Klägers hat teilweise Erfolg. Sein Rechtsmittel
führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung im tenorierten Umfang. Er hat
gegen die Beklagte aus § 812 Abs.1 Satz 1 Alt. 1 BGB über die in erster Instanz
zugesprochenen 1.590,08 € einen Anspruch auf Rückzahlung eines weiteren Betrages
in Höhe von 1.033,74 € und mithin eines Gesamtbetrages in Höhe von 2.623,82 €. Die
Berufung der Beklagten ist dagegen unbegründet.
32
1.
33
Grundlage der von der Beklagten in dieser Zeit durchgeführten Preisanpassungen einen
Mehrbetrag in Höhe von 2.858,32 € an die Beklagte gezahlt.
2.
einen Arbeitspreis zugrundelegte, der den bei Vertragsschluss geltenden Arbeitspreis
überstieg. Der Beklagten steht ein Anspruch auf das erhöhte Entgelt für die
Gasversorgung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
34
a)
nicht in der durch die Beklagte vorgenommenen Preisanpassung, da sie diese auf § 2
des unter Verwendung eines von ihr vorformulierten Vertragsformulars mit dem Kläger
geschlossenen Sondervertrages stützte. Die vorgenannte Formularvertragsklausel ist
eine allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305 Abs.1 Satz 1 BGB. Sie
unterliegt daher der Inhaltskontrolle der §§ 307ff. BGB. Als Ergebnis dieser Kontrolle ist
sie gemäß § 307 Abs.1 Satz 1 und 2 BGB unwirksam, weil sie hinsichtlich des Umfangs
der Preisänderung nicht klar und verständlich ist und die Kunden deswegen
unangemessen benachteiligt (BGH Urt. v. 17.12.2008 – VIII ZR 274/06 – BGHZ 179,
186ff.; vgl. dazu auch OLG Köln Urt. 19.02.2010 – 19 U 143/09 – ZNER 2010, 285ff.; AG
Hamburg-Bergehof Urt. v. 15.05.2009 – 409 C 10/09 –ZMR 2009, 692ff.; LG Köln Urt. v.
16.09.2009 – 90 O 50/09 – RdE 2009, 386). Denn der Preisanpassungsklausel lässt
sich auch im Wege der Auslegung nicht entnehmen, in welchem Umfang der Gaspreis
bei einer Änderung der allgemeinen Tarife erhöht oder gesenkt wird (BGH Urt. v.
17.12.2008 – VIII ZR 274/06 – BGHZ 179, 186ff.; OLG Köln Urt. 19.02.2010 – 19 U
143/09 – ZNER 2010, 285ff.).
35
b)
Regelung zur Preisanpassung kommt insoweit auch nicht in Betracht. Zwar gilt nach § 6
des Versorgungsvertrages auf die jeweils gültige AVBGasV zurückgegriffen werden,
"soweit in diesem Sondervertrag nichts anderes vereinbart wird." Der Sondervertrag
enthält jedoch eine – wenn auch unwirksame – Regelung zur Preisanpassung. Im
Hinblick auf das in § 307 Abs.1 Satz 1 und 2 BGB bestimmte Transparenzgebot kann
daher nicht auf die Regelungen zur Preisanpassung in der AVBGasV bzw. der GasGVV
zurückgegriffen werden. Bei Vertragsschluss hatte der Kläger keinerlei Anlass für die
Annahme, die Beklagte würde Preisanpassungen auf andere Regelungen außer § 2
des Sondervertrags stützen. Der Kläger durfte daher davon ausgehen, dass § 2 des
Sondervertrags eine abschließende Regelung zu Preiserhöhungen enthält (vgl. BGH
Urt. v. 17.12.2008 - VIII ZR 274/06 - NJW 2009, 578f.).
36
c)
Beklagten, da die Parteien eine wirksame Befugnis der Beklagten zur einseitigen
Leistungsbestimmung gerade nicht vereinbart haben und sich diese auch nicht kraft
Gesetzes ergibt (vgl. OLG Hamm Urt. v. 29.05.2009 – 19 U 52/08 – VuR 2009, 316).
37
d)
gebrachten Preiserhöhungen an einer rechtlichen Grundlage. Sind Allgemeine
Geschäftsbedingungen - hier die formularmäßigen Preisänderungsklauseln - nicht
Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam, so bleibt der Vertrag grundsätzlich
wegen § 306 Abs.1 BGB im Übrigen wirksam. Soweit Bestimmungen nicht
Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind, richtet sich der Inhalt des Vertrages
gemäß § 306 Abs. 2 BGB nach den gesetzlichen Vorschriften.
38
(1)
konkludenten vertraglichen Änderung des Gaspreises. Bei einer einseitigen Erhöhung
von Gaspreisen durch den Gasversorger gegenüber Sondervertragskunden wird der
von dem Versorger veröffentlichte Gaspreis auch dann nicht zum individuell
vereinbarten Preis, wenn der Kunde auf die ihm individuell bekannt gegebene
Preiserhöhung weiterhin widerspruchslos Gas bezieht, ohne zum Ausdruck zu bringen,
dass er das vom Gasversorger gewünschte erhöhte Entgelt nicht entrichten möchte (vgl.
BGH Urt. v. 14.07.2010 – VIII ZR 246/08 – MDR 2010, 1096f. und Juris Rdnr. 57; OLG
Hamm Urt. v. 29.05.2009 – 19 U 52/08 – VuR 2009, 316; OLG Koblenz Urt. v.
02.09.2010 – U 1200/09.Kart. – nicht veröffentlicht; a.A. OLG Köln Urt. 19.02.2010 – 19
U 143/09 – ZNER 2010, 285ff.; OLG Frankfurt/Main Urt. v. 13.10.2009 – 11 U 28/09
(Kart) – RdE 2010, 104; LG Bonn Urt. v. 24.03.2010 – 1 O 226/09 – nicht veröffentlicht;
LG Köln Urt. v. 16.09.2009 – 90 O 50/09 – RdE 2009, 386; LG Dresden Urt. v.
11.09.2008 – 6 O 1981/07 – RdE 2009, 33ff.; OLG Oldenburg Urt. v. 05.09.2008 – 12 U
49/07 – OLGR Oldenburg 2008, 885, zitiert in Juris Rdnr. 94).
39
Zwar hat der Bundesgerichtshof dies für den widerspruchslosen Weiterbezug von Gas
für den Bereich der Tarifvertragskunden bereits wiederholt angenommen (BGH Urt. v.
13.06.2007 – VIII ZR 36/06 – NJW 2007, 2540; BGH Urt. v. 19.11.2008 – VIII ZR 138/07
– NJW 2009, 502). Jedoch ist dies auf Sondervertragskunden nicht übertragbar (BGH
Urt. v. 14.07.2010 – VIII ZR 246/08 – MDR 2010, 1096f. und in Juris Rdnr. 57). Denn
anders als beim Sondervertragskunden ist bei einseitigen Preiserhöhungen in einem
Tarifkundenvertrag gemäß § 4 Abs.1 und 2 AVBGasV nicht zweifelhaft, ob das
Versorgungsunternehmen den Preis überhaupt anpassen durfte; es besteht lediglich
Ungewissheit darüber, ob die Preisanpassung der Billigkeitskontrolle gemäß § 315
Abs.3 BGB standhält, welche nur stattfindet, wenn der Kunde die Unbilligkeit der
Leistungsbestimmung durch Klage geltend macht oder wenn er gegenüber der
Leistungsbestimmung des Versorgers den Einwand der Unbilligkeit erhebt und der
Versorger im Wege der Leistungsklage vorgeht (BGH Urt. v. 14.07.2010 – VIII ZR
246/08 – MDR 2010, 1096f. und in Juris Rdnr. 57).
40
Ob von einer stillschweigenden Vertragsänderung ausgegangen werden kann, ist daher
nach allgemeinen Grundsätzen davon abhängig, ob die Beklagte aufgrund des
Verhaltens des jeweiligen Kunden nach den Gesamtumständen davon ausgehen durfte,
der Kunde hätte der Änderung des Abrechnungspreises zugestimmt (§§ 133, 157 BGB;
vgl. auch BGH Urt. v. 10.10.2007 – VIII ZR 279/06 - NZM 2008, 81f.; BGH Urt. v.
14.07.2010 – VIII ZR 246/08 – MDR 2010, 1096f. und in Juris Rdnr. 57). Da es insoweit
aber bei der Beklagten aufgrund der Unwirksamkeit der unter § 2 des Vertragsformulars
formulierten Klausel überhaupt an einer Gasanpassungsklausel fehlt (s.o.), kommt eine
weiter gehende Auslegung des Verhaltens des Klägers dahin, er werde nicht nur die
Billigkeit der jeweiligen einseitigen Preisänderung, sondern auch die Berechtigung des
Beklagten zur einseitigen Preisänderung akzeptieren, nicht in Betracht (BGH Urt. v.
10.10.2007 – VIII ZR 279/06 - NZM 2008, 81f.; BGH Urt. v. 14.07.2010 – VIII ZR 246/08
– MDR 2010, 1096f. und in Juris Rdnr. 57).
41
(2)
ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) herleiten.
42
Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt in Betracht, wenn sich die mit dem Wegfall
einer unwirksamen Klausel entstehende Lücke nicht durch dispositives Gesetzesrecht
43
füllen lässt und dies zu einem Ergebnis führt, das den beiderseitigen Interessen nicht
mehr in vertretbarer Weise Rechnung trägt, sondern das Vertragsgefüge einseitig
zugunsten des Kunden verschiebt (BGH Urt. v. 28.10.2009 – VII ZR 320/07 – WM 2010,
228ff.; BGH Urt. v. 15.07.2009 – VIII ZR 225/07 – BGHZ 182, 59ff.; BGH Urt. v.
01.02.1984 – VIII ZR 54/83 – BGHZ 90, 69ff.; OLG Köln Urt. 19.02.2010 – 19 U 143/09 –
ZNER 2010, 285ff.; OLG Koblenz Urt. v. 02.09.2010 – U 1200/09.Kart. – nicht
veröffentlicht).
Die ergänzende Vertragsauslegung scheitert im vorliegenden Fall jedoch jedenfalls
daran, dass nicht feststeht, was die Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn sie bei
Vertragsschluss bedacht hätten, dass die von der Beklagten vorgegebene
Gaspreisanpassungsklausel unwirksam ist. Denn kann eine Regelungslücke in
verschiedener Weise geschlossen werden und bestehen keine Anhaltspunkte dafür, für
welche Alternative sich die Parteien entschieden hätten, ist eine ergänzende
Vertragsauslegung ausgeschlossen (vgl. nur BGH Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 397/02 –
NJW-RR 2005, 1619ff., Juris Rndr. 19; Palandt-Ellenberger, BGB, 69. Auflage, § 157
Rdnr. 10 m.w.N.).
44
Zwar haben die Parteien in § 2 des Gaslieferungsvertrages eine
Preisanpassungsmöglichkeit vereinbart. Es entspricht insoweit auch dem tatsächlichen
Willen der Parteien, der Beklagten im Grundsatz die Möglichkeit einzuräumen,
Kostensteigerungen an ihre Kunden weiterzugeben. Auch ist eine
Preisänderungsklausel grundsätzlich ein geeignetes und anerkanntes Instrument zur
Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung bei langfristigen Verträgen,
indem sie einerseits dem Verwender das Risiko langfristiger Kalkulation abnimmt und
ihm seine Gewinnspanne trotz nachträglicher ihn belastender Kostensteigerungen
sichert und sie andererseits den Vertragspartner davor bewahrt, dass mögliche künftige
Kostenerhöhungen vorsorglich schon bei Vertragsschluss durch Risikozuschläge
aufgefangen werden (BGH Urt. v. 24.03.2010 – VIII ZR 178/08 – NJW 2010, 1240ff.,
zitiert Juris Rdnr. 27; BGH Urt. v. 13.06.2007 – VIII ZR 36/06 – NJW 2007, 2540ff., zitiert
Juris Rdnr. 22; BGH Urt. v. 13.12.2006 – VIII ZR 25/06 – NJW 2007, 1054, zitiert Juris
Rdnr. 20 jeweils m.w.N.). Dabei hat der Gasversorger auch ein berechtigtes Interesse,
Kostensteigerungen während der Vertragslaufzeit an den Kunden weiterzugeben, mit
dem er einen Vertrag mit unbestimmter Laufzeit geschlossen hat (BGH Urt. v.
24.03.2010 – VIII ZR 178/08 – NJW 2010, 1240ff., zitiert Juris Rdnr. 27).
45
Trotzdem ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, welche Regelung die Parteien zur
Frage einer möglichen Preisanpassung getroffen hätten. Zwar nimmt der
Gassondervertrag in der Gasanpassungsklausel in § 2 Bezug auf die "Allgemeinen
Tarifpreise für Gas", so dass eine Abhängigkeit des Sondervertragspreises von den
allgemeinen Tarifpreisen von den Parteien gewollt war. Auch stellt eine
Preisanpassungsklausel, die das im Tarifkundenverhältnis bestehende gesetzliche
Preisänderungsrecht nach § 4 Abs.1 und 2 AVBGasV in einen formularmäßigen
Gassondervertrag übernimmt im Grundsatz keine unangemessene Benachteiligung des
Sonderkunden im Sinne von § 307 Abs.1 Satz 1 oder 2 BGB dar (BGH Urt. v.
15.07.2010 – VIII ZR 225/07 – NJW 2009, 2662ff., Juris Rdnr. 24). Die §§ 4 AVBGasV
und 5 Abs.2 GasGVV können vielmehr als gesetzliche Regelungen für den
Tarifkundenbereich auch Leitbild einer Preisanpassung für Sondervertragskunden sein.
46
Allerdings verbietet sich im vorliegenden Fall eine vorbehaltlose Übertragung der
gesetzlichen Regelungen für Tarifkunden im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung
47
auf den Sonderkundenvertrag. Denn aus der Bezugnahme auf die allgemeinen
Tarifpreise lässt sich lediglich eine Abhängigkeit des sondervertraglich vereinbarten
Gaspreises vom Tarifpreis entnehmen. In welcher Weise diese Abhängigkeit besteht,
lässt sich dagegen nicht bestimmen. Aus der unwirksamen Klausel wird lediglich
deutlich, dass sich die Gaspreise jeweils in die gleiche Richtung ändern sollen wie die
Tarifpreise, dass also bei einer Senkung der allgemeinen Tarifpreise nur eine Senkung,
nicht aber eine Erhöhung des Gaspreises in Betracht kommt und umgekehrt (so BGH
Urt. v. 17.12.2008 – VIII ZR 274/06 – BGHZ 179, 186ff., Juris Rdnr. 15 zu der hier in
Rede stehenden Klausel aus § 3 des Gaslieferungsvertrages). Die Frage nach dem
Umfang der jeweiligen Erhöhung oder Senkung war aber bereits hinsichtlich der
unwirksamen Klausel auch im Wege der Auslegung nicht hinreichend zu klären (so
BGH Urt. v. 17.12.2008 – VIII ZR 274/06 – BGHZ 179, 186ff., Juris Rdnr. 15 ebenfalls zu
der hier in Rede stehenden Klausel). Der Bundesgerichtshof hatte zur Auslegung der
von der Beklagten verwendeten ausgeführt, es sei nicht feststellbar, welche denkbare
Lösungsmöglichkeit die kundenfreundlichste sei, und hatte hierzu die nachfolgenden
Beispiele gebildet ( BGH Urt. v. 17.12.2008 – VIII ZR 274/06 – BGHZ 179, 186ff., Juris
Rdnr. 15):
"- Eine Änderung der Tarifpreise wird nominal auf die Sonderkundenpreise
übertragen (Beispiel: Bei einer Erhöhung bzw. Senkung der Tarifpreise um 0,5
Cent/kWh werden auch die Sonderkundenpreise um 0,5 Cent/kWh erhöht bzw.
gesenkt.).
48
- Eine Änderung der Tarifpreise wird prozentual auf die Sonderkundenpreise
übertragen (Beispiel: Der Tarifpreis von 5 Cent/kWh wird um 0,5 Cent/kWh – also
10% – erhöht bzw. gesenkt; der Sonderkundenpreis beträgt 4 Cent/kWh, er wird um
10% – also 0,4 Cent/kWh – erhöht bzw. gesenkt.).
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- Bei einer Änderung der Tarifpreise besteht ein einseitiges
Leistungsbestimmungsrecht der Beklagten, die Preise für Sonderkunden zu
erhöhen (im Falle einer Erhöhung der Tarifpreise) oder zu senken (im Falle einer
Senkung der Tarifpreise), ohne dass eine feste rechnerische Bindung an die
Änderung der Tarifpreise besteht."
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Vor dem Hintergrund dieser verschiedenen Möglichkeiten vermag die Kammer im Wege
der ergänzenden Vertragsauslegung nicht sicher festzustellen, was die Vertragsparteien
im vorliegenden Fall vereinbart hätten, wenn sie bei Vertragsschluss bedacht hätten,
dass die von der Beklagten vorgegebene Gaspreisanpassungsklausel unwirksam ist.
Bei Verweisung auf das gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 4 Abs.1 und 2
AVBGasV bliebe weiterhin unklar, in welcher Weise der Gaspreis im Sondervertrag vom
Gaspreis im Tarifvertrag abhängig sein soll beziehungsweise in welcher Weise der
Gaspreis im Sondervertrag sich vom Gaspreis im Tarifvertrag unterscheiden soll. Es
wäre mithin jedenfalls eine ergänzende Vereinbarung der Parteien zur Frage dieses
Abhängigkeitsverhältnisses zu treffen, deren Inhalt nicht mit Sicherheit beurteilt werden
kann. Anderenfalls würde die ergänzende Vertragsauslegung in diesem Fall lediglich
eine unklare Klausel durch eine unklare Bestimmung ersetzen. Aus gleichen Gründen
scheidet daher auch eine Anwendung des § 315 BGB aus (vgl. dazu auch OLG Köln
Urt. 19.02.2010 – 19 U 143/09 – ZNER 2010, 285ff., zitiert Juris Rdnr. 41).
51
3.
Gaslieferungsvertrages führt auch nicht gemäß § 306 Abs.3 BGB zu einer
52
Unwirksamkeit des Gaslieferungssondervertrages insgesamt.
Gesamtnichtigkeit gemäß § 306 Abs.3 BGB tritt erst ein, wenn das Festhalten an dem
nach § 306 Abs.2 BGB näher zu bestimmenden Vertragsinhalt bei Unwirksamkeit einer
Klausel (§ 306 Abs.1 BGB) für eine der Vertragsparteien eine unzumutbare Härte
darstellt (BGH Urt. v. 20.03.2003 – I ZR 225/00 – NJW-RR 2003, 1056ff., Juris Rdnr. 72;
BGH Urt. v. 22.02.2002 – V ZR 26/01 – NJW-RR 2002, 1136f.; Palandt-Grüneberg, 69.
Auflage, BGB, § 306 Rdnr. 10). Da die Verwendung einer unwirksamen Klausel auf
Seiten des Verwenders jedoch immer zu einer Verschlechterung seiner Rechtsstellung
führt, ist § 306 Abs.3 BGB eng auszulegen (vgl. nur OLG Frankfurt/Main Urt. v.
22.09.1994 – 1 U 103/93 – NJW-RR 1995, 283f., Juris Rdnr. 40f.; Palandt-Grüneberg,
69. Auflage, BGB, § 306 Rdnr. 11f.). Das Festhalten am Vertrag kann unzumutbar sein,
wenn infolge der Unwirksamkeit einer Klausel das Vertragsgleichgewicht grundlegend
gestört ist. Allerdings genügt insoweit nicht jeder wirtschaftliche Nachteil auf Seiten des
Verwenders; erforderlich ist eine einschneidende Störung des Äquivalenzverhältnisses
von Leistung und Gegenleistung, die das Festhalten am Vertrag für ihn schlechthin
unzumutbar macht (vgl. dazu BGH Urt. v. Urt. v. 09.05.1996 – III ZR 209/95 – NJW-RR
1996, 1009, Juris Rdnr. 26).
53
Im Wege der Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien vermag die
Kammer jedoch eine der Beklagten als Gasversorgerin unzumutbare Härte nicht zu
ermitteln. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die aufgezeigte Unwirksamkeit der
einseitigen Gaspreisanpassung die Austauschbedingungen für die Beklagte nachteilig
dahingehend verändert, dass sie Gas zu den Bedingungen liefern muss, die sie im
Zeitpunkt des Vertragsschlusses vereinbart hat, was im Einzelfall insbesondere bei
Altverträgen dazu führen kann, dass die Beklagte Gas zu einem unter den eigenen
Beschaffungskosten liegenden Preis liefern muss. Allerdings ist im Rahmen der
Interessensabwägung auch zu berücksichtigen, dass sich hierin das der Verwendung
einer formularvertraglichen Preisanpassungsklausel immanente Risiko verwirklicht und
sich die Beklagte als Gasversorgerin von dem für sie ungünstig gewordenen Vertrag
durch Kündigung lösen kann.
54
Ein unzumutbares Ergebnis zu Lasten des Gasversorgers wird in Konstellationen wie
der vorliegenden daher im allgemeinen dann nicht angenommen, wenn dieser sich
nach Ablauf einer Mindestvertragslaufzeit vom Vertrag lösen kann; wenn er bis zu
diesem Zeitpunkt an den vertraglich vereinbarten Preis gebunden bleibt, führt bereits
dies nicht ohne Weiteres zu einem unzumutbaren Ergebnis (vgl. dazu auch BGH Urt. v.
17.12.2008 – VIII ZR 274/06 - BGHZ 179, 186ff.; BGH Urt. v. 28.10.2009 – VII ZR 320/07
– WM 2010, 228ff.; BGH Urt. v. 15.07.2009 – VIII ZR 225/07 – BGHZ 182, 59ff.; BGH Urt.
v. 29.04.2008 – KZR 2/07 – BGHZ 176, 244ff.; OLG Köln Urt. 19.02.2010 – 19 U 143/09
– ZNER 2010, 285ff.; OLG Hamm Urt. v. 29.05.2009 – 19 U 52/08 – VuR 2009, 316;
OLG Oldenburg Urt. v. 05.09.2008 – 12 U 49/07 – OLGR Oldenburg 2008, 885, zitiert in
Juris Rdnr. 92; AG Hamburg-Bergedorf Urt. v. 15.05.2009 – 409 C 10/09 –ZMR 2009,
692ff.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beklagte kann den mit dem Kläger
geschlossenen Gaslieferungsvertrag gemäß des dortigen § 5 erstmals nach Ablauf von
12 Monaten nach seinem Inkrafttreten mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten
jeweils zum Ende eines Abrechnungsjahres schriftlich kündigen. Auch wenn der Kläger
bei ersatzlosem Wegfall der Preisanpassungsklausel zu einem weit unter der
Wirtschaftlichkeitsgrenze liegenden Preis beliefert wurde, ist daher ein unzumutbares
Ergebnis zu Lasten der Beklagten nicht feststellbar. Die Beklagte hätte dieses Risiko
durch Kündigung des Gaslieferungsvertrages ab Erhalt des ersten Widerspruches
55
begrenzen können (vgl. dazu zu der hier in Rede stehenden Klausel auch BGH Urt. v.
17.12.2008 – VIII ZR 274/06 – BGHZ 179, 186ff. sowie in Juris Rdnr. 24f.).
Auch der in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgebrachte Einwand der
Beklagten, sie habe im Jahr 20## gar nicht kündigen können, da sie als damaliger
Monopolist in der Region zu Belieferung der Kunden verpflichtet gewesen wäre und
sich die Sondervertragskunden sicherlich gegen eine Kündigung ihrer günstigen
Sonderverträge zur Wehr gesetzt hätten, überzeugt nicht. Die Beklagte hätte eine
Änderungskündigung mit einer wirksamen Preisanpassungsklausel aussprechen
können. Das Prognoserisiko hinsichtlich der Rechtslage bis zum Zeitpunkt der
höchstrichterlichen Feststellung der Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel trifft die
Beklagte als Verwenderin.
56
Die Beklagte kann insoweit auch nicht einwenden, die Unwirksamkeit der
Preisanpassungsklausel sei für sie insbesondere im Hinblick auf das Urteil des
Landgerichts Bonn vom 07.09.2006 – 8 S 146/05 – nicht vorhersehbar gewesen. Denn
diese Entscheidung erging zeitlich nach dem ersten Widerspruchsschreiben des
Klägers vom 31.12.20##; zudem hatte das Landgericht Bonn in der genannten
Entscheidung die Revision ausdrücklich zugelassen (vgl. LG Bonn Urt. v. 07.09.2006 –
8 S 146/05 – zitiert in Juris). Allein der Umstand, dass die Beklagte das dahingehende
Prozessrisiko abweichend eingeschätzt hatte, macht die Unwirksamkeit der in Rede
stehenden Preisanpassungsklausel für sie nicht unvorhersehbar. Sie hatte die
Möglichkeit, ein weitergehendes wirtschaftliches Risiko durch eine Kündigung des
Sonderlieferungsvertrages zu vermeiden.
57
Überdies ist das wirtschaftliche Gesamtrisiko für die Beklagte ohnehin auf die
verjährungsfreie Zeit der Zahlungen des erhöhten Entgelts begrenzt. In diesem
Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte das in dem bereits
verjährten Zeitraum gezahlte erhöhte Entgelt für die Gasversorgung behalten darf,
sofern sie die Einrede der Verjährung erhebt. Die Vorteile einer unwirksamen
Preisanpassungsklausel verbleiben ihr daher für einen nicht unerheblichen Zeitraum.
58
Dem Ergebnis der Interessenabwägung steht nicht entgegen, dass die Beklagte als
regionale Gasversorgerin in diesem Fall einer Vielzahl von Rückforderungsansprüchen
anderer Sondervertragskunden ausgesetzt ist und dies nach ihrem Vortrag zu einer
erheblichen finanziellen Belastung bis an die Grenze ihrer wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit führt. Bereits der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse
verbietet es, für die Frage der Unwirksamkeit eines einzelnen Vertrages auf Verträge der
Beklagten mit Dritten abzustellen (ebenso OLG Koblenz Urt. v. 02.09.2010 – U
1200/09.Kart. – nicht veröffentlicht).
59
4.
Pf kWh (2,07 Cent/kWh) netto zugrunde legen. Entsprechend seiner durch die
Beklagten nicht bestrittenen Darlegungen entspricht die für den Zeitraum vom
05.06.20## bis zum 04.06.20## einem Betrag in Höhe von 2.858,32 €.
60
5.
den Einwand der Entreicherung (§ 818 Abs.3 BGB) berufen.
61
a)
folgt, wonach der Bereicherungsschuldner nach den allgemeinen Vorschriften haftet,
62
folgt, wonach der Bereicherungsschuldner nach den allgemeinen Vorschriften haftet,
was insbesondere bedeutet, dass er sich nicht auf den Wegfall der Bereicherung
berufen kann.
§ 820 Abs.1 BGB ist nach allgemeiner Auffassung auf Zahlungen unter dem Vorbehalt
der Rückforderung entsprechend anzuwenden, weil auch hier eine Unsicherheit über
das endgültige Behaltendürfen der Leistung besteht (vgl. nur Palandt/Sprau, BGB, 69.
Auflage, § 820 Rdnr. 4; Staudinger/Lorenz, BGB, Neubearb. 2007, § 820 Rdnr. 5; BGH
Urt. v. 08.06.1988 – IVb ZR 51/87 – WM 1988, 1494 jeweils m.w.N.). Allerdings setzt die
Anwendbarkeit von § 820 Abs.1 BGB voraus, dass dem Vorbehalt seitens des
Zahlungsempfängers nicht widersprochen wurde (vgl. BGH Urt. v. 20.10.2005 – III ZR
37/05 – NJW 2006, 286ff., Juris Rdnr. 13). Es ist fraglich, ob von einem solchen
fehlenden Widerspruch gegen den Vorbehalt der Rückforderung der geleisteten
Zahlungen auszugehen ist. Der Kläger widersprach erstmals mit Schreiben vom
31.12.20## einer durch die Beklagte angekündigten Preiserhöhung und leistete nach
unwidersprochenem Vortrag künftige Zahlungen auf durch die Beklagte erhöhte
Gaspreise nur noch unter Vorbehalt.
63
b)
Wegfall der Bereicherung zu berufen. Zwar sind die dem Bereicherungsschuldner
erwachsenen Erwerbskosten grundsätzlich im Rahmen des § 818 Abs.3 BGB
anzurechnen, jedoch haben hierbei die Wertungen, die sich aus dem Zweck des
Bereicherungsanspruches ergeben, Berücksichtigung zu finden (Palandt/Sprau, BGB,
69. Auflage, § 818 Rdnr. 42f.). Bei der Leistungskondiktion ist daher maßgeblich, wer
nach den Vorschriften des fehlgeschlagenen Geschäftes das Entreicherungsrisiko zu
tragen hat (BGH Urt. v. 12.05.1998 – XI ZR 79/97 – NJW 1998, 2429ff., Juris Rdnr. 19;
BGH Urt. v. 25.10.1989 – VIII ZR 105/88 – NJW 1990, 314ff., Juris Rdnr. 18; OLG Köln
Urt. v. 19.02.2010 – 19 U 143/09 – ZNER 2010, 285ff.; Palandt/Sprau, BGB, 69. Auflage,
§ 818 Rdnr. 43 m.w.N.). Das wirtschaftliche Beschaffungsrisiko im Gaslieferungsvertrag
liegt – wie in anderen Lieferverträgen auch (vgl. etwa BGH Urt. v. 12.05.1998 – XI ZR
79/97 – NJW 1998, 2429ff., Juris Rdnr. 19; BGH Urt. v. 25.10.1989 – VIII ZR 105/88 –
NJW 1990, 314ff.) - im Grundsatz beim Lieferanten und damit bei der Beklagten. Es ist –
wie gezeigt - gerade Folge der Unwirksamkeit der Gaspreisanpassungsklausel, dass
sich die Austauschbedingungen für die Beklagte als Verwenderin der unwirksamen
Klausel nachteilig verändern können. Angesichts der jährlichen Kündigungsmöglichkeit
in § 5 des Sondervertrages ist ihr ein Festhalten an dem Vertrag zu den ursprünglichen
Konditionen jedoch zuzumuten. Auf die obigen Ausführungen zu § 306 Abs.3 BGB wird
Bezug genommen. Dieses Risiko kann die Beklagte als Verwenderin der unwirksamen
Klausel nicht über § 818 Abs.3 BGB auf den Kunden verlagern. Hat sie für den Zeitraum
der ihr zumutbaren Bindung höhere Erwerbskosten zu zahlen, fällt deshalb auch dies in
ihren Risikobereich (ebenso in einem vergleichbaren Fall OLG Köln Urt. v. 19.02.2010 –
19 U 143/09 – ZNER 2010, 285ff., zitiert Juris Rdnr. 72ff.).
64
6.
in Höhe von unstreitig 234,50 € jedoch auf die Einrede der Verjährung berufen. Der
Rückzahlungsanspruch des Klägers unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von
drei Jahren (§ 195 BGB). Gemäß § 199 Abs.1 BGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem
Schluss des Jahres, in welchem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den
den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis
erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
65
Im vorliegenden Fall ist der Rückzahlungsanspruch des Klägers aus § 812 Abs. 1 S. 1
66
1. Alt. BGB jeweils in dem Zeitpunkt der Zahlung, d.h. der monatlichen
Abschlagszahlung und der evt. Schlusszahlung nach der Jahresabrechnung,
entstanden. Der Zeitpunkt der Jahresabrechnung ist in diesem Zusammenhang
irrelevant. Zwar hängt die Fälligkeit des Zahlungsanspruchs des Gasversorgers von der
Erteilung einer Abrechnung ab (§ 27 AVBGasV bzw. § 17 GasGVV), diese Regelung ist
aber auf gesetzliche Rückforderungsansprüche von Kunden nicht übertragbar. So hat
der Bundesgerichtshof zum alten Verjährungsrecht ausdrücklich entschieden, dass die
Verjährung von Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung auf Rückzahlung
zuviel entrichteter Leistungsentgelte, die zu bestimmten Zeitpunkten zu bezahlen sind,
mit Ablauf des Jahres beginnt, in welchem die Zahlung erbracht wurde (BGH Urt. v.
26.04.1989 – VIII ZR 12/88 – NJW-RR 1989, 1013ff.). Die von dem Kläger für den
Zeitraum vom 05.06.20## bis zum 31.12.20## geltend gemachten
Rückforderungsansprüche in Höhe von 234,50 € beruhen allein auf im Jahr 20##
geleisteten Abschlagszahlungen; sie beruhen nicht auf einer Schlusszahlung nach
Abrechnung. Zwar ergibt sich aus der maßgeblichen Jahresabrechnung 20## eine
Nachzahlung zu Lasten des Klägers in Höhe von 13,17 €. Die sich aus der
Schlussrechnung vom 10.07.20## ergebenen Abschlagszahlungen in Höhe von
monatlich brutto 125,00 € waren für den Verbrauch vom 05.06. bis 31.12.20## (524,04 €
gemäß Abrechnung der Beklagten, Bl. 15 d.A.) jedoch kostendeckend (Abschlag
insgesamt: 750,00 €). Die für 20## geltend gemachten Rückforderungsansprüche sind
daher auch im Jahr 20## entstanden.
Der Kläger hatte auch im Jahr 20## für den Beginn der Verjährungsfrist erforderliche
Kenntnis bzw. von den anspruchsbegründenden Umständen. Insbesondere war ihm
bekannt, dass die Abschlagszahlungen auch auf den durch die Beklagte auf Grundlage
der formularvertraglichen Preisanpassungsklausel in § 2 des Sondervertrages
vorgenommenen Preiserhöhungen basierten. Auch hatte er – wie in seinen
Widerspruchsschreiben zum Ausdruck kommt – jedenfalls Zweifel an der Billigkeit der
Preiserhöhung. Darauf, dass er aus den ihm bekannten Tatsachen auch die richtigen
rechtlichen Schlüsse zieht, kommt es grundsätzlich nicht an (BGH Urt. v. 23.09.2008 - XI
ZR 262/07 - NJW-RR 2009, 547 ff. , Jjuris Rdnr. 15;). Rechtsunkenntnis kann nur in
Ausnahmefällen von unsicherer oder zweifelhafter Rechtslage den Verjährungsbeginn
hinausschieben (BGH, a.a.O.). Dies wird insbesondere dann angenommen, wenn dem
Gläubiger nicht einmal die Erhebung einer Feststellungsklage zumutbar ist (BGH a.a.O.,
Juris Rdnr. 14, 15). Im vorliegenden Fall war dem Kläger jedoch die Erhebung jedenfalls
einer Feststellungsklage zumutbar. Spätestens ab dem Jahr 2004 hatte sich nämlich
eine allgemeine Diskussion über die Rechtfertigung von Gaspreiserhöhungen durch
viele Gasversorger entwickelt; Verbraucherverbände hatten bereits im Jahr 2004
Musterwiderspruchsschreiben zur Verfügung gestellt.
67
Damit hat die Verjährungsfrist hinsichtlich der für den Zeitraum vom 05.06. bis
31.12.20## geltend gemachten Rückforderungsansprüche mit Ablauf des Jahres 20##
zu laufen begonnen. Da zuvor verjährungshemmende Maßnahmen nicht ergriffen
worden sind, ist mit Ablauf des Jahres 20## Verjährung eingetreten.
68
7.
mit Erfolg den Einwand der Verwirkung (§ 242 BGB) mit dem Hinweis geltend machen,
es sei treuwidrig, sich nach längerer Zeit noch auf die Unwirksamkeit der Preiserhöhung
zu berufen.
69
Nach allgemeiner Auffassung ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere
70
Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit
Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und
eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde
(BGH Urt. v. 12.03.2008 – XII ZR 147/05 – NJW 2008, 2254ff., zitiert Juris Rdnr. 22; BGH
Urt. v. 18.10.2006 – XII ZR 33/04 – NZM 2006, 929; BGHZ 88, 280, 281; Palandt-
Heinrichs, BGB, 65. Auflage, § 242 Rdnr. 87 m.w.N.). Im vorliegenden Fall fehlt es
jedoch an einem rechtlich schutzwürdigen Vertrauen der Beklagten in die
Nichtgeltendmachung der Unwirksamkeit der Preiserhöhungen durch den Kläger. Macht
der Gläubiger – wie hier – wegen einer vom Schuldner pflichtwidrig verwandten
unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingung seinen Anspruch zunächst nicht
geltend, ist das Vertrauen des Verwenders in dieses Verhalten nicht schutzwürdig (BGH
Urt. v. 12.03.2008 – XII ZR 147/05 – NJW 2008, 2254ff., zitiert Juris Rdnr. 23).
8.
71
II.
72
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs.1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
73
III.
74
Die Revision war im Hinblick auf zwischenzeitlich bekannt gewordene anderweitiger
Entscheidungen aus Gründen der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO).
75
Gegenstandswert für das Berufungsverfahren:
76
2.858,32 €
77