Urteil des LG Bonn vom 15.10.2010

LG Bonn (wohnung, zpo, mittelbarer besitz, schuldner, unverletzlichkeit der wohnung, besitz, unterlagen, ermächtigung, anordnung, durchsuchung)

Landgericht Bonn, 6 T 223/10
Datum:
15.10.2010
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
6. Zivilkammer des Landgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 T 223/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Siegburg, 37 M 102/10
Schlagworte:
Richterliche Durchsuchungsanordnung; Zwangsverwaltung;
Ermächtigung zur Besitzverschafffung; Herausgabe beweglicher
Sachen; Schuldnerwohnung
Normen:
§ 758a ZPO, § 883 ZPO, § 150 ZVG
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Leitsätze:
Die Einweisung des Zwangsverwalters in den Besitz an der
Schuldnerwohnung sowie deren Durchsuchung zur Auffindung von
Unterlagen bedarf einer richterlichen Durchsuchungsanordnung nach §
758a Abs. 1 ZPO. Der Beschluss über die Anordnung der
Zwangsverwaltung nebst Ermächtigung zur Bestizverschaffung reicht als
Vollstreckungstitel inwoweit nicht aus.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Zwangsverwalters vom 29.07.2010 gegen
den Beschluss des Amtsgerichts Siegburg vom 15.07.2010 – 37 M
102/10 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
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I.
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Mit Beschluss vom 16.12.2009 – ## L ###/## – ordnete das Amtsgericht T die
Zwangsverwaltung über das streitgegenständliche Grundstück, eingetragen im
Grundbuch von U Blatt #####, Flur ##, Flurstück ###, Gebäude- und Freifläche, J # an,
dessen Eigentümer der Schuldner ist. Zum Zwangsverwalter wurde der
Beschwerdeführer bestellt. Auf dem Grundstück befindet sich ein Gebäude mit mehreren
Wohnungen; eine der Wohnungen soll nach der Behauptung des Zwangsverwalters im
unmittelbaren Besitz des Schuldners selbst sein.
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Mit Schreiben vom 08.02.2010 erteilte der Zwangsverwalter dem weiteren Beteiligten,
dem Obergerichtsvollzieher L, den Auftrag, ihn in das Objekt einzuweisen und dem
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Schuldner bestimmte näher bezeichnete Unterlagen wegzunehmen, darunter die
Betriebskostenabrechnungen für die Jahre ####, #### und #### gegenüber den
Nutzern des Objektes nebst näher bezeichneten Belegen für die Jahre ####, #### und
####. Für den Fall, dass die Herausgabe der Unterlagen verweigert werde bzw. die
Unterlagen nicht vorgefunden würden, solle der Gerichtsvollzieher dem Schuldner die
eidesstattliche Versicherung abnehmen. Dem Schreiben beigefügt war die
Bestallungsurkunde als Zwangsverwalter (Zwangsverwalterausweis), nicht jedoch der
Anordnungsbeschluss des Amtsgerichts.
Der Gerichtsvollzieher beraumte daraufhin Termin auf den 08.03.2010 an. Zu dem
Termin traf er den Schuldner nicht an, sondern nur den Mieter S, den der Schuldner mit
seiner Vertretung bevollmächtigt hatte. Herr S weigerte sich jedoch, die abgeschlossene
Wohnungstür zu der angeblichen Wohnung des Schuldners zu öffnen. Der
Gerichtsvollzieher weigerte sich daraufhin, die Wohnung zwangsweise zu öffnen, und
machte dies von der Vorlage eines richterlichen Beschlusses gemäß § 758a Abs. 1
ZPO abhängig. Außerdem wies er darauf hin, dass die Vollstreckung nur bei Vorlage
des Anordnungsbeschlusses und der Ermächtigung des Zwangsverwalters zur
Besitzergreifung im Original erfolgen könne.
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Der Gerichtsvollzieher behauptet, dass der Zwangsverwalter zwar mitgeteilt habe, dass
er im Besitz dieser Urkunden sei, diese jedoch nicht angeboten habe. Der
Zwangsverwalter behauptet hingegen, dass er bei dem Termin die Urkunden im Original
mit sich geführt und die sofortige Aushändigung angeboten habe, was der
Gerichtsvollzieher mit der Bemerkung abgelehnt habe, dass die Vorlage zum nächsten
Termin ausreiche.
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Der Gerichtsvollzieher trägt ferner vor, dass es sich bei der Wohnung – wie eine
nachfolgende Vollstreckung gegen die Ehefrau des Schuldners gezeigt habe – nur um
eine "Scheinwohnung" handele, in der sich der Schuldner, der im offenen Vollzug in der
JVA F einsitze und tagsüber berufstätig sei, nach Auskunft des Herrn S nur gelegentlich
und kurzfristig am Wochenende aufhalte. Der Schuldner benötige die Wohnung
angeblich nur, um nicht auch am Wochenende in der JVA einsitzen zu müssen. Der
frühere Eigentümer und jetzige Mieter S habe die Wohnung als Büro genutzt und
besitze noch Zimmerschlüssel. An der Wohnung bestehe nach allem nur mittelbarer
Besitz des Schuldners.
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Unter dem 22.03.2010 hat der Zwangsverwalter Erinnerung zum Amtsgericht Siegburg
eingelegt mit dem Antrag, den Gerichtsvollzieher anzuweisen, dass er den
Zwangsverwalter in den Besitz des Untergeschosses (d.h. der angeblichen
Schuldnerwohnung) einweisen und dem Schuldner die näher bezeichneten
Betriebskostenabrechnungen gegenüber den Nutzern nebst bestimmten Belegen
wegnehmen möge.
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Der Schuldner hat beantragt, die Erinnerung zurückzuweisen. Der Gerichtsvollzieher hat
Stellung genommen und erneut darauf hingewiesen, dass er die Vollstreckung von der
Vorlage eines richterlichen Beschlusses gemäß § 758a Abs. 1 ZPO abhängig mache.
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Das Amtsgericht hat die Erinnerung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die
sofortige Beschwerde des Zwangsverwalters, mit der er seine im Erinnerungsverfahren
gestellten Anträge weiterverfolgt. Der Gerichtsvollzieher hält auch im
Beschwerdeverfahren an seinen Bedenken fest. Der Schuldner hat sich nicht erneut
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geäußert.
II.
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Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Der Gerichtsvollzieher hat die
Einweisung des Zwangsverwalters in den Besitz an der streitgegenständlichen
Wohnung sowie die Wegnahme der Betriebskostenabrechnungen und Belege zu Recht
von der Erwirkung eines richterlichen Beschlusses gemäß § 758a Abs. 1 ZPO abhängig
gemacht, wobei der Zwangsverwalter klargestellt hat, dass es um die Wegnahme der
Unterlagen gerade in der Wohnung geht.
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Die auf § 150 Abs. 2 ZVG beruhende, in dem Anordnungsbeschluss des Amtsgerichts
ausgesprochene Ermächtigung des Zwangsverwalters, sich den Besitz an dem
Grundstück zu verschaffen, stellt keine hinreichende Grundlage für eine zwangsweise
Öffnung und Besitzergreifung an der Wohnung dar. Die Wohnung wird zwar von dem
Wortlaut dieser Vorschrift und des Anordnungsbeschlusses umfasst, da sie einen Teil
des Grundstücks darstellt. Ausdrücklich wird die Wohnung des Schuldners allerdings
nicht erwähnt. Hinzu kommt, dass die Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG einem
besonderen grundrechtlichen Schutz unterliegt. Die Wohnung ist unverletzlich. Dies hat
zur Folge, dass nur aufgrund eines hinreichend bestimmten Gesetzes in den
Schutzbereich des Grundrechts eingegriffen werden darf. Der allgemein gehaltene
Wortlaut des § 150 Abs. 2 ZVG ist insoweit als Eingriffsgrundlage nicht ausreichend, da
Wohnungen dort nicht ausdrücklich erwähnt werden. Gleiches gilt in Bezug auf den
Anordnungsbeschluss, der zwar eine allgemeine Ermächtigung zur Besitzergreifung
enthält, aber sich nicht im Besonderen zu Wohnraum verhält. Insoweit hat auch keine
konkrete Abwägung des Gläubigerinteresses mit dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit
der Wohnung stattgefunden; dem Anordnungsbeschluss lässt sich nicht entnehmen,
dass dem Amtsgericht bei Erlass des Beschlusses bewusst war, dass es vorliegend um
die Besitzergreifung an einer Wohnung geht. Vielmehr beruht die Formulierung
unmittelbar auf der allgemeinen Regelung des § 150 Abs. 2 ZVG.
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Erst recht kommt eine Durchsuchung der Wohnung zwecks Wegnahme von Unterlagen
ohne richterlichen Beschluss nicht in Betracht. Bei der zielgerichteten Begehung der
Wohnung, um diese Unterlagen zu finden, würde es sich um eine Durchsuchung im
Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG handeln (vgl. Zöller, § 758 ZPO Rn. 2). Dies ist aber ohne
richterliche Genehmigung gegen den Willen des Schuldners nicht möglich. Der
Anordnungsbeschluss stellt insoweit keine taugliche Grundlage dar, denn der
Rechtspfleger ist kein Richter im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG.
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Entgegen der Auffassung des Zwangsverwalters folgt auch nichts anderes aus § 758a
Abs. 2 ZPO. Danach ist Absatz 1 auf die Vollstreckung eines Titels auf Räumung oder
Herausgabe von Räumen nicht anzuwenden. Die Ermächtigung zur Besitzergreifung ist
aber kein Räumungs- oder Herausgabetitel im Sinne dieser Vorschrift. Diese bezieht
sich lediglich auf eine Räumungsvollstreckung gemäß § 885 ZPO. Hiervon ist die
Übergabe des Grundstücks an den Zwangsverwalter nicht umfasst (Zöller, § 885 ZPO
Rn. 3), wie sich auch aus dem systematischen Zusammenhang zu § 149 Abs. 2 ZVG
ergibt. Jedenfalls ist aber § 758a Abs. 2 ZPO bei verfassungskonformer Anwendung
einschränkend auszulegen. Soweit vertreten wird, dass eine Räumungsanordnung nach
§ 149 Abs. 2 ZVG gemäß § 758a Abs. 2 ZPO ohne richterlichen Beschluss vollstreckt
werden könne, auch soweit die Schuldnerwohnung betroffen ist (Stöber, § 149 ZVG
Anmerkung 3.8), kann dahinstehen, ob diese Auffassung überzeugt, denn vorliegend
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geht es jedenfalls nicht um eine Räumung.
Der Zwangsverwalter kann auch nicht geltend machen, dass die Besitzeinweisung ein
"Minus" zu einer Räumung sei. Dieses Argument scheitert jedenfalls daran, dass § 758a
Abs. 2 ZPO ausdrücklich nur bei einer Räumung oder Herausgabe von der richterlichen
Anordnung absieht und sich damit auf § 149 Abs. 2 ZVG, nicht aber auf § 150 Abs. 2
ZVG bezieht. Im Übrigen würde es auch insoweit an einer hinreichend bestimmten
Eingriffsermächtigung im Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 GG fehlen.
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Schließlich kann sich der Zwangsverwalter nicht darauf berufen, dass eine
Durchsuchung anlässlich einer Räumung ohne gesonderte richterliche Anordnung
zulässig sei, was hier im Hinblick auf die Wegnahme der Unterlagen erst recht gelten
müsse. Es ist zwar anerkannt, dass weitere Vollstreckungsaufträge desselben
Gläubigers, für die keine richterliche Ermächtigung vorliegt, mit vollstreckt werden
können, wenn sich der Gerichtsvollzieher erlaubt bereits in der Wohnung befindet. Dies
gilt jedoch nur, soweit der Grundrechtseingriff durch die Vollstreckungshandlung nicht
erweitert wird (Zöller, § 758a ZPO Rn. 8). Davon ist vorliegend aber auszugehen, da das
Durchsuchen der Wohnung zwecks Auffindens der Unterlagen über die bloße
Besitzeinweisung deutlich hinausgeht.
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Die richterliche Anordnung gemäß § 758a Abs. 1 ZPO kann auch nicht durch das in
dem vorliegenden Verfahren zuständige Erinnerungs- oder Beschwerdegericht ersetzt
werden. Hinsichtlich des Beschwerdegerichts ist das schon deshalb nicht möglich, weil
eine ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts besteht. Außerdem dient das
vorliegende Verfahren lediglich dazu, die Rechtmäßigkeit der Weigerung des
Gerichtsvollziehers zu überprüfen. Einen Antrag auf richterliche Anordnung hat der
Zwangsverwalter nicht gestellt, zumal er das Erfordernis einer solchen Anordnung
ausdrücklich bestreitet.
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Da nach allem eine richterliche Anordnung für die begehrten Vollstreckungshandlungen
erforderlich gewesen wäre, kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob die
Bestallungsurkunde allein als Vollstreckungstitel ausgereicht hätte. Die Kammer geht
allerdings nicht davon aus, dass dies der Fall war, da sich die Ermächtigung zur
Besitzverschaffung aus der Bestallungsurkunde nicht konkret ergab. Im Übrigen dürfte
diese Frage insofern gegenstandslos sein, als der Zwangsverwalter jedenfalls über den
Anordnungsbeschluss verfügt und diesen jederzeit dem Gerichtsvollzieher vorlegen
kann.
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Schließlich ist nicht entscheidend, ob der Schuldner unmittelbaren Besitz an der
Wohnung hat. Sollte er keinen unmittelbaren Besitz an der Wohnung haben, so könnte
der Antrag auf Besitzeinweisung schon aus diesem Grunde keinen Erfolg haben.
Allerdings geht die Kammer nach der Aktenlage nicht davon aus, dass der Schuldner
keinen unmittelbaren Besitz an der Wohnung hat. Die Behauptung des
Gerichtsvollziehers, dass nur mittelbarer Besitz bestehe, ist nicht näher konkretisiert
worden. Allein der Umstand, dass der Schuldner werktags die Wohnung nicht nutzt, weil
er im offenen Vollzug einsitzt und tagsüber einer Arbeit nachgeht, sodass er nur am
Wochenende die Wohnung aufsuchen kann, führt nicht ohne weiteres zum Verlust des
unmittelbaren Besitzes. Auch wird aus dem Vortrag des Gerichtsvollziehers nicht
deutlich, welche andere Person als Besitzmittler den unmittelbaren Besitz ausüben soll.
Insbesondere wird nicht dargelegt, dass Herr S unmittelbarer Besitzer wäre. Dass die
Wohnung indes besitzlos wäre oder von einer dritten Person ohne den Willen des
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Schuldners genutzt würde, behauptet der Gerichtsvollzieher nicht. Im Übrigen macht der
Schuldner selbst geltend, Bewohner und damit unmittelbarer Besitzer der Wohnung zu
sein (Schriftsatz vom 05.03.2010, Bl. 75 d.A.). Hieran muss er sich im Rahmen der
gegen ihn gerichteten Zwangsvollstreckung festhalten lassen.
Soweit das Amtsgericht das Zwangsverwaltungsverfahren mit Beschluss vom
15.04.2010 einstweilen eingestellt hatte (Bl. 18 d.A.), hat der Zwangsverwalter mit
Schriftsatz vom 24.08.2010 (Bl. 49 d.A.) unwidersprochen vorgetragen, dass dies
lediglich darauf beruhte, dass die Forderung veräußert worden war und der
Vollstreckungstitel umgeschrieben werden musste. Nachdem das geschehen sei, habe
das Amtsgericht mit Beschluss vom 31.05.2010 die Fortsetzung des Verfahrens
angeordnet.
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Nach allem konnte das Rechtsmittel keinen Erfolg haben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, weil bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist, ob
eine Besitzverschaffung und Durchsuchung der Schuldnerwohnung zugunsten des
Zwangsverwalters im Wege der Zwangsvollstreckung allein aufgrund der Ermächtigung
in dem Anordnungsbeschluss und ohne richterliche Anordnung gemäß § 758a Abs. 1
ZPO zulässig ist.
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Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.000,00 Euro festgesetzt.
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