Urteil des LG Bonn vom 28.09.2005

LG Bonn: gefahr im verzug, europäische kommission, beschlagnahme, vorbereitung der verteidigung, eugh, korrespondenz, faires verfahren, unternehmen, beweismittel, verordnung

Landgericht Bonn, 37 Qs 27/05
Datum:
28.09.2005
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
7. große Strafkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
37 Qs 27/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Bonn, 51 Gs 219/05
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich ihrer Auslagen
trägt die Beschwerdeführerin.
G r ü n d e :
1
I.
2
Das
Bundeskartellamt
Verdachts der unbilligen Behinderung bzw. Diskriminierung von Abnehmern und des
Verdachts der Marktaufteilung ihrer Kunden. Zu den verdächtigen Unternehmen zählt
auch die Beschwerdeführerin.
3
Mit Beschluss vom 21.02.2005 erließ das
Amtsgericht
Bonn einen Durchsuchungsbeschluss bezüglich der Geschäftsräume einschließlich
sämtlicher Nebenräume der Beschwerdeführerin sowie ihrer vertretungsberechtigten
Organe bzw. Mitglieder solcher Organe und ordnete die Verwahrung oder
Sicherstellung der dabei aufgefundenen Beweismittel an. Grundlage der Ermittlungen
war ein vermuteter Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot der §§ 1, 20 Abs. 1 GWB,
46 Abs. 1 OwiG. Im Falle des § 98 Abs. 2 StPO war das vorgefundene Beweismaterial
binnen drei Tagen dem Gericht zur Entscheidung über die richterliche Bestätigung der
Beschlagnahme vorzulegen.
4
Die
Kommission
11.02.2005 - Az. C...... – eine
Nachprüfungsentscheidung
alle direkt oder indirekt von diesem Unternehmen kontrollierten Unternehmen
einschließlich der E AG erlassen wegen des Verdachts der Teilnahme an folgenden
wettbewerbswidrigen Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten
Verhaltsweisen in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union:
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- der Festsetzung von Preisen einschließlich der Festsetzung eines
"Energiekostenzuschlags";
6
- der gegenseitige Zuteilung von Kunden;
7
- und der Beschränkung der Produktionskapazitäten.
8
Auf Antrag des Bundeskartellamtes vom 15.2.2005 erließ das
Amtsgericht
Beschluss gleichfalls vom 21.02.2005 - Az. 51 GS 219/05/
b7
Nachprüfungsentscheidung einen
weiteren
Geschäftsräume einschließlich sämtlicher Nebenräume der Beschwerdeführerin und
ordnete die Verwahrung oder Sicherstellung der dabei aufgefundenen Beweismittel an.
Gestützt wurde dieser Beschluss auf eine mögliche Verletzung des Art. 81 des EG-
Vertrages. Dabei hatte die Kommission das Bundeskartellamt ersucht, für sie die
Nachprüfung im Hinblick auf diese Vorwürfe durchzuführen. Zu diesem Zweck sollte das
Bundeskartellamt ausweislich der
Nachprüfungsvollmacht
Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1/203 genannten Befugnisse" verfügen.
9
Die bei der
Durchsuchung am 22.02.2005
deren Räumlichkeiten sich auch die Geschäftsräume der I GmbH befinden -
sichergestellten Gegenstände mit den Asservaten - Nr. 1-46 wurden nach der
Entscheidung des Bundeskartellamtes zu Az. B ..... – Flachglas gem. § 98 Abs. 1 S. 1
StPO i.V.m. § 46 OWIG wegen Gefahr im Verzug förmlich beschlagnahmt, da diese nicht
freiwillig herausgegeben wurden. In der Durchsuchungsniederschrift wurde als
Begründung angegeben, dass der Richter des Amtsgerichts Bonn zum Zeitpunkt des
Widerspruchs um 18:55 Uhr nicht erreichbar gewesen sei. In der Rubrik "Belehrung bei
Beschlagnahme wegen Gefahr im Verzug"
dass gegen diese Vorgehensweise Gefahr im Verzug kein ausdrücklicher Widerspruch
erhoben worden sei.
10
Die Unterlagen mit der Nr. 40 des Asservatenverzeichnisses wurden im
Büro von
Rechtsanwalt L
es sich um einen Ordner mit einem Rechtsgutachten und diversen Schreiben u.a. der B
Rechtsanwälte sowie um Notizen des Rechtsanwalts L in Bezug auf diese Schreiben
und erfolgte Besprechungen, welche u.a. die wettbewerbsrechtliche Beurteilung des
Lieferverhaltens der Beschwerdeführerin gegenüber einem Abnehmer behandeln.
11
Mit Schriftsatz vom 09.03.2005 haben die B Rechtsanwälte unter Beifügung einer
"Strafprozessvollmacht" vom 22.02.2005 für die I GmbH beim Amtsgericht Bonn die
gerichtliche Entscheidung über die Beschlagnahmeanordnung des Bundeskartellamtes
vom 22.02.2005 beantragt, soweit zwischen der I GmbH und der Anwaltssozietät B
Rechtsanwälte unter deren Aktenzeichen 0..... und der Mandatsbezeichnung "T"
geführte anwaltliche Korrespondenz betroffen ist.
12
Das Bundeskartellamt beantragte bei dem Amtsgericht Bonn unter dem 21.03. 2005 die
richterliche
in F aufgefundenen Unterlagen mit der Nr. 40 des Asservatenverzeichnisses vom
22.02.2005.
13
Mit Beschluss vom 15.04.2005 bestätigte das Amtsgericht Bonn - Az. 51 GS 518/05 AG
14
Bonn – die Beschlagnahme der aufgefundenen Unterlagen. In der sowohl auf die
Nachprüfungsentscheidung der Kommission als auch im Hinblick auf das nationale
Ermittlungsverfahren des Bundeskartellamts gestützten Begründung führte das
Amtsgericht u.a. aus, dass ein Beschlagnahmeverbot gem. §§ 97 Abs. 1, 2 i.V.m. 53
Abs. 1 Nr. 3 StPO i.V.m. 46 Abs. 1 OWIG mangels Gewahrsam der Rechtsanwälte B an
ihren Unterlagen nicht bestehe und sich ein solches auch nicht aus dem Recht auf eine
effektive Verteidigung ergebe. Es habe sich nicht um Verteidigungsunterlagen
gehandelt, da sie nicht zwecks Verteidigung gegen einen konkreten Vorwurf im
bußgeldrechtlichen Ermittlungsverfahren angefertigt worden seien.
Mit der Schriftsatz vom 13.05.2005 hat sich die
Beschwerdeführerin
bestätigenden Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Bonn vom 15. 04.2005
gewendet und u.a. die Aufhebung dieses Beschlusses beantragt. Sie ist der Ansicht, die
aufgefundenen Unterlagen seien Verteidigungsunterlagen. Insoweit sei auf die
Einleitung des Ermittlungsverfahrens im Jahre 2003 und nicht auf die Durchsuchung
abzustellen. Des weiteren erstrecke sich das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1
StPO auch auf die bei dem Syndikusanwalt L aufgefundenen Unterlagen. Die geführte
Korrespondenz sei nach dem nationalen Verfahrensrecht übergelagerten europäischen
Kartellrecht über den
Grundsatz des legal Privilege
Beschlagnahme und Verwertung geschützt, unabhängig davon, ob die Beschlagnahme
allein in Ausführung des auf nationalem Recht fußenden Durchsuchungsbeschlusses
des Amtsgerichts Bonn vom 21.02.2005 zu Az. 51 GS 219/05 oder (auch) im Wege der
Amtshilfe für die Europäische Kommission nach Art. 22 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 erfolgt sei.
15
Das Amtsgericht Bonn hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
16
II.
17
Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
18
Zu Recht hat das Amtsgericht die durchgeführte Beschlagnahme gem. § 98 Abs. 2 StPO
bestätigt.
19
1.
Beschlagnahmeverbot nach
nationalem
20
Hinsichtlich des hier nach deutschem Recht in Betracht kommenden
Bußgeldverfahrens
Abs. 1 und Abs. 2 OWiG auf die Vorschriften der StPO.
21
a)
die Untersuchung von Bedeutung sein können, in Verwahrung zu nehmen oder in
anderer Weise sicherzustellen und bei Gewahrsam einer nicht freiwillig
herausgabebereiten Person zu beschlagnahmen.
22
Bei den Unterlagen, die in dem Ordner Asservat Nr. 40 des
Asservatenverzeichnisses sichergestellt wurden, handelt es sich nach dem
Ergebnis der vorläufigen Sichtung um solche, die als Beweismittel im
kartellrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren in Betracht kommen. Dies stellt
auch die Beschwerdeführerin nicht ernsthaft in Abrede.
23
Auch sofern letztlich nicht jedes der im Ordner Asservat Nr. 40 enthaltenen
Schriftstücke für eine Beweisführung geeignet sein mag und im weiteren
Ordnungswidrigkeitenverfahren verwendet werden wird, steht dies einer
Beschlagnahme nicht entgegen. Gemäß § 94 StPO dürfen Unterlagen
beschlagnahmt werden, die "als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung
sein können". Dies erfordert eine Prognoseentscheidung der Ermittlungsbehörde,
der allerdings nicht abverlangt werden kann, dass jedes Blatt eines Aktenordners
auch tatsächlich für die zur Beweisführung relevant ist.
24
b)
25
(1)
Freiheitsrecht und das Rechtsstaatsprinzip gem. Art 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3
GG sowie durch Art. 6 Abs. 3 der EMRK als Ausprägung des Anspruchs auf ein
faires Verfahren geschützt (vgl. BGHSt 44, S. 46). Hieraus folgt, dass
Verteidigungsunterlagen
auch dann nicht beschlagnahmt werden dürfen, wenn sie sich im Gewahrsam des
Beschuldigten befinden. Ferner sind alle Unterlagen, die der Beschuldigte zur
Vorbereitung und Konzeption seiner Verteidigung anfertigt, beschlagnahmefrei,
auch soweit sie nicht für seinen Verteidiger bestimmt sind und nur dem
persönlichen Gebrauch des Beschuldigten dienen.
26
Der Begriff
Verteidigungsunterlagen
der Beschuldigte anlässlich der gegen ihn erhobenen Vorwürfe angefertigt hat,
sofern es sich um Korrespondenz im Rahmen eines bestehenden
Verteidigungsverhältnisses handelt (vgl. LG Bonn, Beschluss vom 27.03.2002, Az.
37 Qs 91/01 in WuW/E DE-R 917). Wird ein Ermittlungsverfahren gegen den
Mandanten eingeleitet, garantiert § 148 StPO den freien Verkehr zwischen
Rechtsanwalt und Mandant. Danach ist sämtliche Korrespondenz, gleichgültig, ob
sie sich bei dem Anwalt oder dem Mandanten befindet, geschützt, soweit diese
einen Bezug zur Verteidigung hat, wie auch Schriftstücke des Mandanten, die zur
Vorbereitung der Verteidigung dienen (BGH NJW 1973, 2035).
27
Das strafrechtliche
Ermittlungsverfahren
eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden strafrechtlich
vorzugehen, auch wenn der Beschuldigte noch unbekannt ist (vgl. Meyer-Goßner,
StPO, 48. Auflage 2005, Einl Rdn. 60). Nach der höchstrichterlichen
Rechtssprechung ist auch anerkannt, dass etwa polizeiliche Verhaltensweisen
schon nach ihrem äußeren Befund belegen, dass bestimmte Personen allein durch
Befragen ohne Hinweis auf die Beschuldigteneigenschaft dennoch als
Beschuldigte angesehen werden, insbesondere bei einer bei dem Verdächtigen
vorgenommenen Durchsuchung (vgl. BGHSt 38, S. 214 f.).
28
Nach diesen Grundsätzen hatte das Ermittlungsverfahren im vorliegenden Fall
bereits mit der Aktenanlegung durch die Kartellbehörden im Jahre 2003 begonnen.
Daraus folgt aber nicht, dass auch ein Verteidigungsverhältnis schon ab diesem
Zeitpunkt zu bejahen wäre und damit die aus dem Jahr 2004 erstellten Unterlagen
"automatisch" geschützt wären. Denn der Beginn der Ermittlungen und der
Zeitpunkt eines Verteidigungsverhältnisses müssen zeitlich nicht zusammen fallen
und dies ist in der Regel auch nicht der Fall. Der Schutz der Vertraulichkeit
29
zwischen Verteidiger und Beschuldiger kann erst geschützt sein, nachdem der
Betroffene von der Aufnahme der Ermittlungen erfahren hat (vgl. BGHSt.44, 46, 48).
Andernfalls könnte sich der Beschuldigte im Extremfall schon bei Begehung der
Tat auf die Vertraulichkeit einer anwaltlichen Beratung berufen.
Im vorliegenden Fall ist der
Beginn des Verteidigungsverhältnisses
dokumentiert durch die Unterzeichnung der "Strafprozessvollmacht" am 22.2.2005
(also am Tag der Durchsuchung). Das schließt allerdings nicht aus, dass die
Beschwerdeführerin bereits vorher von der Aufnahme von Ermittlungen gegen sich
erfahren haben könnte. Es kann hier aber letztlich offen bleiben, wann genau das
Verteidigungsverhältnis begründet wurde. Denn die Korrespondenz, insbesondere
auch die Erstellung des Rechtsgutachtens, fand jedenfalls nicht zu
Verteidigungszwecken im Hinblick auf ein Bußgeldverfahrens statt. Allein der
Umstand, dass im dem Rechtsgutachten (auch) eine bußgeldrechtliche
Stellungnahme im Hinblick auf einen etwaigen Verstoß gegen § 20 Abs. 1 GWB
enthalten war, führt nicht zu einer Einstufung als Verteidigungskorrespondenz. Es
handelt sich um eine allgemeine Stellungnahme zur Rechtlage, so dass der
konkrete Bezug auf Ermittlungen der Kartellbehörden fehlt.
30
Soweit die Beschwerdeführerin darauf abstellt, sie sei durch die
Beschlagnahmefreiheit benachteiligt, da gerade Unternehmen mit einer gewissen
Marktgröße sich im Hinblick auf einen möglichen Kartellrechtsverstoß beraten
lassen, mag dies im Ausgangspunkt zutreffend sein. Dies kann allerdings nicht
dazu führen, dass die gesamte laufende
Anwaltskorrespondenz
allgemeiner
auch noch vor Beginn eines Ermittlungsverfahrens, als Verteidigungsunterlagen
angesehen werden kann (vgl. LG Mainz NStZ 1986, S. 473). Eine Ausdehnung des
Beschlagnahmeverbots auch auf diese vor Anbahnung des
Verteidigerverhältnisses entstandenen Unterlagen würde zu einer vom Gesetz
nicht beabsichtigten Aushöhlung der generellen Beschlagnahmefähigkeit aller
Beweismittel führen. Denn zwischen der allgemeinen Rechtsberatung und der
Strafverteidigung besteht ein wesensmäßig erheblicher Unterschied: die
Rechtsberatung zielt auf die Sachverhaltsgestaltung, während die
Strafverteidigung allein die Bewertung von abgeschlossenen Sachverhalten unter
sanktionsrechtlichen Gesichtspunkten betreibt. Hierbei muss er mit dem
Mandanten auf dessen möglicherweise schon begangene Fehler vertrauensvoll
eingehen können, während die Rechtsberatung sich in der Vermeidung von
Fehlern erschöpfen sollte.
31
(2)
Beschlagnahmeverbot. Das in §§ 97 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO i.V.m. § 53 Abs. 1
Nr. 3 StPO i.Vm. § 46 Abs. 1 OWiG normierte
berufsrechtliche
Beschlagnahmeverbot
enthaltenen Unterlagen schon deshalb nicht, weil sich diese Gegenstände nicht im
Gewahrsam der zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personen - also der B
Rechtsanwälte – befanden (§ 97 Abs. 2 S. 1 StPO), sondern im
Mitgewahrsam
Syndikusanwaltes L als Leiter der Rechtsabteilung der I GmbH standen.
32
Bei im
Gewahrsam eines Syndikusanwaltes
nur dann Beschlagnahmefreiheit, wenn er mit typischen anwaltlichen Aufgaben
33
befasst ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage 2005, § 53 Rdn. 15), mithin nur,
wenn Unterlagen betroffen sind, die er als Rechtsanwalt zur Erbringung von
anwaltlichen Leistungen gegenüber Dritten erstellt hat. Soweit der Syndikusanwalt
für sein Unternehmen tätig wird (z.B. als Leiter der Rechtsabteilung), handelt es
sich nicht um eine Anwaltstätigkeit i.S.d. § 53 StPO.(Senge in Karlsruher
Kommentar, Rdn. 15 zu § 53 StPO m.w.N.) Denn es fehlt gerade die weisungsfreie
Stellung als Organ der Rechtspflege. Nur soweit der Syndikusanwalt neben seiner
Einbindung in ein bestimmtes Unternehmen auch für außenstehende Dritte tätig
wird, erfüllt er das Regelbild des zeugnisverweigerungsberechtigten Anwalts.
Diese Differenzierung wird auch in § 46 Abs. 2 Nr. 1 der
Bundesrechtsanwaltsordnung vorgenommen (vgl. dazu BGH NJW 1999, 1715 ff.)
und so liegen die Dinge auch im konkreten Fall: Die beschlagnahmten Unterlagen
befanden sich lediglich im Mitgewahrsam von Rechtsanwalt L. Sie waren nicht vom
ihm, sondern den B Rechtsanwälten verfasst und ihm in seiner Funktion als Leiter
der Rechtsabteilung übersandt worden. Die Beschwerdeführerin hatte daher
zumindest Mitgewahrsam an den beschlagnahmten Unterlagen.
Soweit das
Landgericht
351 f.) die Beschlagnahmefreiheit von bei einem Syndikusanwalt aufgefundenen
Unterlagen bejaht hat, erfolgte dies aufgrund des Umstandes, dass nach einer
vorgelegten eidesstattlichen Versicherung das Dienstverhältnis des
Rechtsanwaltes so ausgestaltet war, dass er auch während seiner Dienstzeit bei
dem Unternehmen als Rechtsanwalt auf eigene Rechnung tätig werden konnte und
insoweit die fraglichen Unterlagen zur Verfügung gestellt bekam. Außerdem hatte
der Syndikusanwalt die Unterlagen in seinem Büro in einem abschließbaren
Schrank, zu dem er allein einen Schlüssel besaß, aufbewahrt. Dass die
tatsächliche Ausgestaltung des Dienstverhältnisses und die konkreten Örtlichkeiten
vorliegend diesen Voraussetzungen entsprachen, behauptet die
Beschwerdeführerin auch in ihrer weiteren Stellungnahme vom 18.07.2005 nicht.
Da jedenfalls ein das Beschlagnahmeverbot ausschließender Mitgewahrsam der
Beschwerdeführerin als Beschuldigte bestand (vgl. BGHSt 19, S. 374), kann die
Beschwerde schon deshalb keinen Erfolg haben.
34
(3)
StPO den Antrag auf richterliche Bestätigung der Beschlagnahme nicht binnen drei
Tagen gestellt. Die
Frist von drei Tagen
Beschlagnahme bei ausdrücklichem Widerspruch des Betroffenen ist jedoch kein
Wirksamkeitserfordernis der Beschlagnahme (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48.
Auflage 2005, § 98 Rdn. 14). Insoweit kann auch dahin stehen, ob hier tatsächlich
überhaupt ein ausdrücklicher Widerspruch bei der Beschlagnahme erfolgt ist.
35
2.
Beschlagnahme der streitgegenständlichen Unterlagen erfolgte durch das
Bundeskartellamt im Hinblick auf das von ihr betriebene Bußgeldverfahren nach § 98
Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. § 46 OWiG, wenngleich beide Durchsuchungsbeschlüsse,
mithin auch der betreffend der Nachprüfungsentscheidung der Kommission vom
11.02.2005, am gleichen Tag vollzogen wurden.
36
a.)
16.12.2002 vollzieht die
nationale
37
Maßgabe des innerstaatlichen Rechts. Bereits unter Geltung der Verordnung Nr.
17/1962 des Rates vom 06.02.1962 war anerkannt, dass die nationalen Gerichte
bei der Entscheidung über Durchsuchungen und Beschlagnahmen das jeweilige
innerstaatliche Recht anwenden (vgl. EuGH, Urteil vom 22.10.2002 Roquettes
Frères, Az. C-94/00, Slg. 2002, I-9011). Gem. Art. 12 Abs. 1. der Verordnung Nr.
1/2003 findet ein Informationsaustausch zwischen der Kommission und den
Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten statt. Nach Art. 12 Abs. 3 2.
Spiegelstrich der Verordnung Nr. 1/2003 dürfen diese Informationen aber nur dann
als Beweismittel verwendet werden, wenn sie in einer Weise erhoben worden sind,
die hinsichtlich der Wahrung der Verteidigungsrechte natürlicher Personen das
gleiche Schutzniveau wie nach dem für die empfangene Behörde geltenden
innerstaatlichen Recht gewährleistet.
Nach dem nationalen Recht besteht aber - wie bereits ausgeführt - keine
Beschlagnahmefreiheit.
38
b.)
(professional)
legal privilege
39
(1)
des Rates vom 06.02.1962 in der Verordnung Nr. 1/2003 des Rates vom
16.12.2002 nicht ausdrücklich berücksichtigt worden, obgleich es nach der
Rechtsprechung
gegen das Unternehmen AM&S der gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz des
Schutzes der Vertraulichkeit von Dokumenten aus der Korrespondenz
zwischen Anwalt und Mandaten grundsätzlich anerkannt worden ist.
40
Der
EuGH
in den Mitgliedsstaaten hingewiesen und lediglich die gemeinsamen Kriterien
herangezogen. In den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ist die
Vertraulichkeit des Schriftverkehrs geschützt, wenn der Schriftwechsel zum
einen im Rahmen und im Interesse des Rechts des Mandanten auf
Verteidigung geführt wird und zum anderen von unabhängigen
Rechtsanwälten ausgeht, also von solchen, die nicht durch einen
Dienstvertrag an den Mandaten gebunden sind (EuGH Rs. 155/79 AM&S, Slg.
1982, S. 1575 Rdn. 18 = NJW 1983, S. 503). Des weiteren ist hiernach nicht
nur die nach Eröffnung des Verwaltungsverfahrens geführte schriftliche
Korrespondenz erfasst, sondern auch frühere Mitteilungen, soweit sie einen
Bezug zum Verfahrensgegenstand aufweisen (vgl. EuGH Rs. 155/79 AM&S,
Slg. 1982, S. 1575 Rdn. 23; EuG Rs. T-30/89 Hilti, Slg. 1990, II-163).
41
(2)
Schriftwechsel mit Syndikusanwälten nicht generell privilegiert (vgl. EuGH Rs.
155/79 AM&S, Slg. 1982, S. 1575 Rdn. 21). Vielmehr hat der EuGH über die
in der Literatur befürwortete
Erstreckung
Syndikusanwälte
Chemicals Ltd. und Akcros Chemicals Ltd. ist, noch keine abschließende
Entscheidung getroffen.
42
Nachdem der Präsident des EuG mit Beschluss vom 30.10.2003, Az. T-
43
125/03 in der Rechtssache Akzo Nobel Chemicals Ltd. und Akcros Chemicals
Ltd. ./. Kommission (Slg. 2003, II-04771) zunächst in Ziffer 6. und 7. des
Beschlusses im Wege der
einstweiligen
Entscheidung der Kommission im Nachprüfungsverfahren über einen Antrag
auf Schutz durch das Berufsgeheimnis in der Rechtssache T-253/03 R bis
zum Erlass des Hauptsacheurteils ausgesetzt und Unterlagen, die im Sinne
des legal privilege beschlagnahmefrei sein könnten, in gerichtliche
Verwahrung genommen hatte, wurde diese Entscheidung mit Beschluss des
EuGH vom 27.09.2004 (Az. C-7/04) mangels Dringlichkeit wieder
aufgehoben. In der Begründung hat der EuGH unter Bezugnahme auf die
Entscheidung Roquette Frères darauf abgestellt, dass die Kommission im
Falle eines Verstoßes gegen die Beschlagnahmefreiheit daran gehindert ist,
die verfahrenswidrig im Zuge der Nachprüfungsentscheidung erlangten
Beweisstücke in einem Verfahren wegen Verstoßes gegen die
Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zu verwenden. Hiernach hat der EuGH
lediglich ein Beweisverwertungsverbot nach Abschluss des
Hauptsacheverfahrens in Aussicht gestellt.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann daher derzeit nicht
davon ausgegangen werden, dass nach europäischem Recht dem
Syndikusanwalt die gleichen Schutzrechte zustehen wie einem externen
Anwalt. Vielmehr hat der
Präsident des EuG
lediglich die Frage aufgeworfen,
ob
der Rechtsanwälte seit 1982 und die Anerkennung des Privilegs in den
Mitgliedstaaten die Privilegierung nicht auf die Korrespondenz mit
unternehmensinternen Rechtsanwälten ausgedehnt werden sollte (vgl.
Rieger/Jester/Sturm, Das Europäische Kartellverfahren: Rechte und Stellung
der Beteiligten nach Inkrafttreten der VO 1/03, Beiträge zum Transnationalen
Wirtschaftsrecht, Heft 35). Auch soweit der Präsident des EuG im Beschluss
vom 30.10.2003 die weitere Frage aufgeworfen hat, ob die zum Zweck der
externen Rechtsberatung erstellten Unterlagen dem Schutz des
Anwaltsprivilegs unterfallen, ist diese Frage für das europarechtliche
Kartellverfahren noch nicht entschieden ist.
44
c.
nicht gegeben, als in dem Asservat Nr. 40 Unterlagen enthalten sind, die
ausschließlich von dem Syndikusanwalt L erstellt worden sind. Problematisch ist
lediglich das Rechtsgutachten der Rechtsanwälte B, da es sich hierbei um
Korrespondenz von externen Anwälten mit der Mandantin (vertreten durch den
Syndikusanwalt) handelt. Insoweit fallen die
nationalen
Rechtsgrundsätze
zu den Grenzen der Beschlagnahmefreiheit von Anwaltskorrespondenz erscheint
enger als die von den europäischen Gerichten in Erwägung gestellten Grundsätze.
Da aber die beiden Durchsuchungsbeschlüsse im vorliegenden Fall sowohl auf die
Durchsetzung des nationalen Kartellrechts wie auch der europäischen Regelungen
in Art. 81 des EG-Vertrages gerichtet sind, sieht sich die Kammer gehindert, die
Beschlagnahmefreiheit festzustellen. Es muss vielmehr dem weiteren Gang der
Ermittlungen vorbehalten werden, welcher Verfahrensordnung für die vermuteten
Kartellverstöße maßgeblich ist. Wie dem Schreiben des Bundeskartellamtes vom
30. Mai 2005 an die Europäische Kommission zu entnehmen ist, steht derzeit auch
45
noch nicht fest, welche Behörde die weitere Sachbehandlung im vorliegenden Fall
übernehmen wird. Hiernach muss sich auch der zukünftige Rechtschutz ausrichten.
Derzeit kann die Kammer nur auf der Grundlage der deutschen
Strafprozeßordnung die Beschlagnahmeanordnung beurteilen.
Etwas anderes würde nur gelten, wenn auch bei der Anwendung des nationalen
Rechts der Grundsatz des "legale Privilege" in der Ausprägung, wie sie das
europäische Recht befürwortet, zu beachten wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Der
Kammer ist keine nationale Rechtsprechung bekannt, die dies befürworten würde.
Der Grundsatz des "legale Privilege" hat auch nicht die Qualität eines
europäischen Grundrechts, das bei der
Auslegung
beachten wäre. Darüber hinaus beruhen die Regelungen der StPO auf einer
Abwägung verschiedener Rechtsprinzipien (z.B. staatliches Verfolgungsinteresse
einerseits und Schutz der Grundrechte der Betroffenen andererseits, vorbeugender
Rechtschutz im Ermittlungsverfahren und endgültiger Rechtsfindung in der
Hauptverhandlung), die nicht durch die Übernahme einzelner europäischer
Grundsätze von einem nationalen Gericht abgeändert werden kann. Ob etwas
anders gelten würde, wenn das legale Privilege im nationalen Recht überhaupt
nicht beachtet würde, kann dahin gestellt bleiben, da dieses Problem sich hier nicht
stellt. Beide Rechtsordnungen kennen diesen Rechtsgrundsatz, lediglich im Detail
ergeben sich Unterschiede in der Anwendung. Die demnach gerechtfertigte
Bindung der Kammer an die höchstrichterliche Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes verbietet es daher, innerhalb der StPO für den Bereich des
Kartellrechts einen Sonderweg zu gehen. Es kann daher auch offen bleiben, ob die
Kammer überhaupt berufen wäre, europäische Verfahrensgrundsätze anzuwenden
und gegebenenfalls gegenüber europäischen oder nationalen Behörden
durchzusetzen (zur beschränkten Prüfungskompetenz der deutschen Gerichte für
den Fall, dass das Bundeskartellamt im Wege der Amtshilfe für die
Wettbewerbskommission tätig wird, vgl. EuGH NJW 2003, 35 "Roquette Freres"
sowie Vocke, wistra 2004, 408 ff.; Toepel, NStZ 03, 631 ff.).
46
Für die Beschwerdeführerin ergeben sich durch die Zurückhaltung der Kammer in
Bezug auf eine Abänderung der nationalen Rechts auch
keine
Nachteile
Beweisverwertungsverbotes durch die europäische Kommission im Falle eines
Verfahrens nach Art. 81 EG auf europäischer Ebene hinreichend geschützt. Wird
dagegen das Kartellverfahren auf der Grundlage der § 20 GWB fortgeführt (z.B.
weil die Zuwiderhandlungen schwerpunktmäßig in Deutschland begangen
wurden), dann wird die Beschwerdeführerin hinsichtlich der zu verwertenden
Beweismittel nicht besser oder schlechter als jeder andere Betroffene eines
Ordnungswidrigkeitenverfahrens behandelt.
47
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
48