Urteil des LG Bielefeld vom 21.05.2010

LG Bielefeld (anlage, mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit, höhe, grundstück, kreis, geltendmachung des anspruchs, gaswerk, bezug, abbruch, gutachten)

Landgericht Bielefeld, 8 O 465/07
Datum:
21.05.2010
Gericht:
Landgericht Bielefeld
Spruchkörper:
8. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 O 465/07
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 46.113,91 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
15.02.2010 zu zahlen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Klägerin von den zukünftigen
Kosten gemäß § 24 Abs. 1 BBodSchG freizustellen, die die Klägerin als
Verpflichtete in Bezug auf schädliche Bodenveränderungen und
Altlasten hinsichtlich der Grundstücke Gemarkung N., Flur xx, Flurstücke
x und y (Amtsgericht N., Grundbuch von N., Blatt 4026 A) einschließlich
der von diesen ausgehenden Grundwasserverunreinigungen durchführt,
soweit diese Kosten jeweils durch das ehemals von der Beklagten auf
den vorgenannten Grundstücken betriebene Gaswerk verursacht worden
sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen zu 2/3 die Beklagte und zu 1/3 die
Klägerin.
Das Urteil ist für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d ( § 313 Abs. 2 ZPO):
1
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten einen bodenschutzrechtlichen
Ausgleichsanspruch gemäß § 24 Abs. 2 Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG)
geltend.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin eines im Grundbuch des Amtsgerichts N., Blatt 4026 A,
3
eingetragenen Grundstücks Gemarkung N., Flur xx, Flurstücke x und y mit einer
Gesamtgröße von 6.878 qm.
Auf diesem Grundstück hat die Beklagte in der Zeit von 1868 bis 1933 ein Gaswerk
betrieben. Das Gaswerk wurde im Jahre 1933 aufgegeben.
4
Zu dem von der Beklagten seinerzeit betriebenen Gaswerk gehörten unter anderem
eine Ammoniakfabrik, ein Reinigerraum, ein Kesselhaus und eine Wasser-Gas-Anlage.
5
Während des Betriebszeitraums von 1868 bis 1933 wurden jährlich ca. 2,5 bis 3,5
Millionen cbm Gas abgegeben.
6
Ein Großteil der Gebäude wurde in der Zeit zwischen 1933 und 1945 abgerissen.
7
Im Jahre 1938 erwarb die D.R. das streitgegenständliche Grundstück von der Beklagten
(vgl. dazu Kaufvertrag vom 24.11.1938, Anlage K 17).
8
Am 07.09.1949 ging das Eigentum an die DB über.
9
Wegen der Örtlichkeit wird auf die Darstellung in der von der Klägerin überreichten
Dokumentationen Bezug genommen (vgl. insbesondere den Lageplan 1883, Anlage K
46, den Lageplan von 1920 im Anlagenordner K 12, den Detailplan ALVF 15 –
Profilschnitte, relevante Belastungen – im Anlagenordner K 5 und den Lageplan des
Standortes mit Darstellung der Verdachtskategorien der ALVF Teilfläche 3 und 11 – Hbf
und Nebenwerkstatt – im Anlagenordner K 21 2/2).
10
Auf dem streitgegenständlichen Grundstück wurden im Rahmen einer orientierenden
Untersuchung (Gutachten der Q. GmbH vom 25.02.1998) und einer Detailuntersuchung
(Gutachten der Q. GmbH vom 15.10.1998), jeweils von der Klägerin in Auftrag gegeben,
erhebliche Belastungen des Bodens und des Grundwassers festgestellt.
11
Die vorgefunden Belastungen sind im Einzelnen in der Ordnungsverfügung des Kreises
N.-M. vom 17.06.2003 (Anlage K 1) und im Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung
E. vom 04.12.2003 (Anlage K 18) dargestellt.
12
In 8 von 9 Grundwassermessstellen wurden Belastungen mit leicht flüchtigen
halogenierten Kohlenwasserstoffen (LHKW) gemessen, bei der Grundwassermessstelle
4 wurde eine Überschreitung der Prüfwertgrenze für Cyanide von 50 mg/l um das 9-
fache festgestellt.
13
Die Bodenuntersuchungen zu den Rammkernsondierungen 4 und 8 ergaben einen
Gehalt von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK), der um ein
Vielfaches die Prüfwertspanne überschreitet.
14
In der Ordnungsverfügung des Kreises N.-M. vom 17.06.2003 (Anlage K 1) ist unter
anderem festgestellt, dass die im Boden festgestellten PAK-Gehalte eine gravierende
Bodenverunreinigung darstellen, die geeignet ist, auf dem Grundstück befindliche
Menschen durch direkte Aufnahme von Schadstoffen zu gefährden.
15
Die PAK gelten grundsätzlich als kanzerogen wirkende Stoffe.
16
Bei den Grundwasseruntersuchungen wurden Überschreitungen der Prüfwerte der
BBodSchV durch leicht flüchtige halogenierte Kohlenwasserstoff (LHKW) und Cyanide
festgestellt. Auch LHKW`s und Cyanide gelten als kanzerogene Stoffe.
17
Eine konkrete Gefährdung des Grundwassers und damit der Allgemeinheit liegt insofern
ebenfalls vor.
18
Das von der Q. GmbH erstellte Gutachten vom 25.02.1998 kam zusammenfassend zu
dem Ergebnis (Anlage K 5, dort Seite 110 ff.), dass im Bereich des ehemaligen
Gaswerkes massive Kontaminationen vorlägen und unabhängig von einer zukünftigen
Nutzung von den Fachbehörden Maßnahmen gefordert werden könnten.
19
Konkrete Gefahren stellten auf dieser Fläche vor allem die unsichere Situation des
bereits einmal bei Auflast eingebrochenen Gebäudekellers unter dem ehemaligen
Apparateraum und die oberflächennah, auf unversiegelter Fläche vorgefundene
Kontamination am Bohrpunkt RKS 8 dar. Bevor über Art und Umfang von
Sanierungsmaßnahmen entschieden werden könne, sei es erforderlich, weitere
Erkenntnisse zu erlangen.
20
Im Rahmen einer Besprechung vom 13.07.1998 (vgl. das Ergebnisprotokoll Anlage K
94) einigten sich die Beteiligten darauf, dass Herkunft und Ausmaß der festgestellten
Bodenverunreinigungen durch PAK, insbesondere Naphthalin, im Bereich von RKS 8
und das Ausmaß der festgestellten Grundwasserverunreinigung durch Errichtung von 2
zusätzlichen Grundwassermessstellen zu untersuchen seien. Das Grundwasser sei aus
allen 6 Messstellen auf die bisher untersuchten Parameter neu zu untersuchen. Von
Seiten des Kreises N.-M. wurde ausdrücklich angemerkt, dass die Klägerin als
Zustandsstörerin zur Übernahme aller Maßnahmen auf ihrem Grundstück verpflichtet
werden könne. Die Untersuchungen wurden sodann durch die Klägerin – ohne
Anerkennung einer Rechtspflicht – in Auftrag gegeben.
21
Die nachfolgende Detailuntersuchung durch die Q. GmbH ergab in der
Grundwassermessstelle GWM 4 im direkten Abstrom des ehemaligen Gaswerkes eine
Cyanid-Konzentration von 0,45 mg/l, in der im direkten Anstrom der Gaswerksflächen
liegenden Grundwassermessstelle GWM 9 waren demgegenüber keine Cyanide
nachweisbar. Durch den Austrag von Cyaniden aus den Gaswerksflächen sei das
Schutzwerkgrundwasser konkret gefährdet. Für die abschließende Beurteilung der
Cyanidbelastung und zur Ableitung weiterer Maßnahmen sei die Cyanidbelastung
durch die Beprobung der Messstellen GWM 4, 5, 6 und 9 in einem Abstand von 6
Monaten erforderlich.
22
Der Kreis N.-M. gab der Klägerin daraufhin mit Ordnungsverfügung vom 10.03.2000 (vgl.
Seite 5 des Urteils des VG N. vom 02.02.2005, Anlage K 13) auf, die durch die
orientierende Untersuchung vom 25.02.1998 und die Detailuntersuchung vom
15.10.1998 festgestellten Verunreinigungen des Bodens und des Grundstücks auf dem
Grundstück Gemarkung N., Flur xx, Flurstücke x und y auf der Grundlage einer von der
Klägerin noch in Auftrag zu gebenden ergänzenden Gefährdungsabschätzung und einer
darauf basierenden Sanierungsuntersuchung zu sanieren. Der Kreis N.-M. hob die
Ordnungsverfügung vom 10.03.2000 auf, nachdem ein Klageverfahren beim
Verwaltungsgericht N. zum Aktenzeichen 11 K 2578/01 vorausgegangen war.
23
In der bereits genannten Ordnungsverfügung vom 17.06.2003 gab der Kreis N.-M. der
24
Klägerin die Durchführung einer Detailuntersuchung auf, die der abschließenden
Gefährdungsabschätzung hinsichtlich der auf dem streitgegenständlichen Grundstück
festgestellten Bodenbelastung dienen sollte.
Der von der Klägerin gegen die vorgenannte Ordnungsverfügung eingelegte
Widerspruch und das nachfolgende Klageverfahren blieben erfolglos.
25
Wegen der im Einzelnen durchzuführenden Untersuchungsmaßnahmen wird auf den
Inhalt der Ordnungsverfügung vom 17.06.2003 (Anlage K 1) Bezug genommen.
26
Der Standort des streitgegenständlichen Grundstücks wird von der Bezirksregierung E.
im Altlastenkataster als Altlast geführt (vgl. Anlage K 7). Auch der Kreis N.-M. als
zuständige Untere Bodenschutzbehörde geht davon aus, dass es sich um ein
"Altstandort" handelt.
27
Die Klägerin behauptet,
28
die Beklagte habe die Altlast verursacht, indem sie von 1868 bis 1933 auf dem
streitgegenständlichen Grundstück ein Gaswerk und eine Ammoniakfabrik betrieben
habe.
29
Sie macht dazu geltend, dass es sich bei den festgestellten Verunreinigungen um
gaswerksspezifische Stoffe handele. Davon seien auch der Kreis N.-M. in seinem
Bescheid vom 17.06.2003 und das Verwaltungsgericht N. im Urteil vom 02.02.2005
ausgegangen.
30
Die Verteilung der Stellen mit den höchsten Verunreinigungen ("Hotspots") belege die
Verursachung der Kontamination durch den Gaswerksbetrieb der Beklagten. Die Hot-
spots seien dort vorhanden, wo die Baulichkeiten der Gasanstalt ihren Standort hatten.
31
Dass die gefundenen Verunreinigungen zu einer Zeit entstanden sind, als das
Grundstück noch im Eigentum der Beklagten war, ergebe sich auch aus dem Urteil des
Verwaltungsgerichts N. vom 02.02.2005 (Anlage K 13, dort Seite 18).
32
Die Klägerin behauptet weiter,
33
dass für den Kontaminationsschaden auch typische Handhabungsverluste bei der
Entleerung der Teer- und Ammoniakgruben des Gaswerkes kausal waren. Es sei
lebensfremd, dass die bei der Gasproduktion entstandenen Abfallprodukte aus den
Gruben fortlaufend zur Verwertung abgepumpt und abgefahren worden seien.
34
In den Jahren zwischen 1867 und 1933 habe niemand für eine schadlose und
regelmäßige Entsorgung oder sogar Verwertung von Produktionsrückständen Sorge
getragen. Die schadlose Entsorgung von Abfällen und Umweltschutz habe weder im
Kaiserreich noch in der Weimarer Republik eine Rolle gespielt.
35
Teer- und Ammoniakgruben seien mit einfachsten Pumpen und Schöpfgeräten entleert
worden. Üblicherweise sei der Teer sogar per Hand in Fässer umgefüllt worden.
36
Die Klägerin macht geltend, dass die von ihr durchgeführten umfangreichen
Maßnahmen solche nach dem Bundesbodenschutzgesetz seien, insbesondere solche
37
der Gefährdungsabschätzung, Sanierungsuntersuchung, Sanierungsplanung und
Sanierung in Bezug auf die Altlast "ehemalige Städtisches Gaswerk an der G.-Straße in
N.".
Für die nachfolgenden Gutachten/Maßnahmen seien ihr Kosten in Höhe von insgesamt
46.113,91 Euro entstanden (vgl. Schriftsatz vom 12.2.2010, Seite 23 ff, Bl. 371 ff.):
38
Die Klägerin legt dem von ihr geltend gemachten Ausgleichsanspruch folgende
39
rechtliche Würdigung zu Grunde:
40
Der zeitliche Anwendungsbereich der Anspruchsgrundlage aus § 24 Abs. 2 BBodSchG
sei gegeben, weil mit den Maßnahmen, für die der Ausgleich verlangt werde, eine
gegenwärtige Umweltgefahr beseitigt wäre. Deshalb fehle es an einer unzulässigen
Rückwirkung.
41
Der Nachweis der Verursachung der vorliegenden Bodenverunreinigungen durch die
Beklagte ergebe sich auf der Grundlage der Grundsätze für den Anscheinsbeweis.
Diese Grundsätze seien auf den Streitfall anwendbar, da die Beklagte von 1867 bis
1933 ein Gaswerk und eine Ammoniakfabrik betrieben und damit Risikonutzungen
durchgeführt habe, die zu gaswerkstypischen Verunreinigungen des Bodens und des
Grundwassers geführt haben.
42
Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass ihren Aufwendungen eine
ordnungsbehördliche Heranziehung zu Grunde liegt. Eine vorgehende Anordnung sei
nicht Voraussetzung für den Ausgleichsanspruch gemäß § 24 Abs. 2 BBodSchG.
43
Eine anderweitige Vereinbarung im Sinne des § 24 Abs. 2 Satz 2 BBodSchG bestehe
zwischen den Parteien nicht. Eine solche anderweitige Vereinbarung beinhalte
insbesondere der Grundstückskaufvertrag aus dem Jahre 1938 nicht.
44
Da der Kreis N.-M. als zuständige Untere Bodenschutzbehörde eine Bodensanierung
für erforderlich halte (Ergebnisprotokoll des Kreises N.-M. vom 10. Oktober 2008, Anlage
K 20), werde die Klägerin auch künftig Aufwendungen für die Sanierung der Altlast
haben.
45
Die Klägerin schätzt den Aufwand der künftigen Kosten auf 1.340.182,00 Euro (vgl.
dazu im Einzelnen Klageschrift Seite 22, Blatt 22 der Akten und Schriftsatz vom
06.01.2010, Seite 3 Blatt 305).
46
Sie vertritt die Auffassung, dass die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede
nicht durchgreife. Maßgeblich sei allein die 3-jährige Verjährungsfrist des § 24 Abs. 2
Satz 3 BBodSchG. Da bislang lediglich Teil-Maßnahmen durchgeführt worden seien,
habe der Lauf der Verjährungsfrist noch nicht begonnen. Die Verjährungsfrist beginne
erst nach vollständigem Abschluss der Maßnahmen, was den Besonderheiten der
komplexen Altlastensanierung Rechnung trage.
47
Eine Kostenverteilung zwischen den Parteien ganz oder teilweise zu Lasten der
Klägerin komme nicht in Betracht, da die Beklagte alleinige Verursacherin des
Schadenbildes sei.
48
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Klägerin wird auf den Inhalt der
von ihr eingereichten Schriftsätzen nebst Anlagen sowie auf den Inhalt der
Sitzungsniederschriften vom 13.01.2010 und 5.5.2010 Bezug genommen.
49
Die Klägerin hat zunächst die Erstattung von Kosten in Höhe von insgesamt 106.764,19
Euro verlangt (vgl. die Kostenaufstellung in der Klageschrift, dort Seite 20,
Gesamtsumme 71.080,18 Euro und Kostenaufstellung im Schriftsatz vom 06.01.2010,
Blatt 305, Gesamtsumme 35.684,01 Euro).
50
Sie hat zunächst beantragt,
51
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 106.764,19 Euro nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
52
53
2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von den zukünftigen Kosten für
Gefährdungsabschätzungsuntersuchung, Sanierungsuntersuchung,
Sanierungsplanung und Sanierung der schädlichen Bodenveränderungen und
Altlasten hinsichtlich der Grundstücke Gemarkung N., Flur xx, Flurstücke x und y
(Amtsgericht N., Grundbuch von N., Blatt 4026 A) einschließlich der von diesen
Grundstücken ausgehenden Grundwasserverunreinigungen freizustellen;
54
55
hilfsweise:
56
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die bezeichneten
Kosten zu ersetzen.
57
Sie beantragt
58
nach Teilklagerücknahme (vgl. Schriftsatz vom 12.2.2010, Bl. 349 ff., 379,
Zustimmung der Beklagten im Schriftsatz vom 10.3.2010, Bl. 387),
59
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 46.113,91 Euro nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
60
61
62
2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von den zukünftigen Kosten gemäß § 24
Abs. 1 BBodSchG freizustellen, die die Klägerin als Verpflichtete in Bezug auf
schädliche Bodenveränderungen und Altlasten hinsichtlich der Grundstücke
Gemarkung N., Flur xx, Flurstücke x und y (Amtsgericht N., Grundbuch von N.,
Blatt 4026 A) einschließlich der von diesen Grundstücken ausgehenden
Grundwasserverunreinigungen durchführt;
63
hilfsweise:
64
die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von den zukünftigen Kosten gemäß § 24
Abs. 2 BBSchG Abs. 1 BBodSchG freizustellen, die die Klägerin als Verpflichtete
in Bezug auf schädliche Bodenveränderungen und Altlasten hinsichtlich der
Grundstücke Gemarkung N., Flur xx, Flurstücke x und y (Amtsgericht N.,
Grundbuch von N., Blatt 4026 A) einschließlich der von diesen Grundstücken
ausgehenden Grundwasserverunreinigungen durchführt,
jeweils durch das ehemals von der Beklagten auf den vorgenannten Grundstücken
betriebene Gaswerk verursacht worden sind.
65
Die Beklagte beantragt,
66
die Klage abzuweisen.
67
Sie erhebt die Einrede der Verjährung und macht dazu insbesondere geltend, dass
Ansprüche der Klägerin im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesbodenschutz-
gesetzes im Jahre 1999 bereits gemäß § 195 BGB a.F. verjährt waren.
68
Die Beklagte bestreitet, Verursacherin einer Schadstoffkontamination der
streitgegenständlichen Grundstücke zu sein. Die festgestellten Schäden seien vielmehr
auf das Verhalten der Klägerin zurückzuführen.
69
Die seitens der Klägerin eingeleiteten Untersuchungen hätten sich auf den gesamten
Bahnstandort und unter anderem auf 28 Altlastenverdachtsflächen im Bereich der
Nebenwerkstatt bezogen. Auf Grund der Nutzung des Geländes durch die Klägerin
seien Rückstände aus Schmierstoffen, Öl, Farben, Lacken sowie Reinigungs- und
Entfettungsmittel gefunden worden. Gerade die streitgegenständliche Fläche des
ehemaligen Gaswerks sei seitens der Klägerin kontaminiert worden.
70
Beweiserleichterungen oder die Grundsätze des Anscheinsbeweises könnten der
Klägerin nicht zu Gute kommen, da es sich nicht um einen typischen Sachverhalt
handele.
71
Die Klägerin habe die (bis dahin) unversehrten Gebäude nach Besitzübergang
abgerissen. Die Verunreinigungen seien nicht während des Betriebs des Gaswerks
entstanden, sondern erst durch die spätere Verfüllung des Kellers des Apparatehauses
(mit Material aus den abgebrochenen Gebäuden) verursacht worden.
72
Die Klägerin habe zudem nach dem von ihr durchgeführten Abbruch des Gaswerks
flächendeckend eine erheblich kontaminierte Auffüllungsschicht von ca. 1 Meter
73
Mächtigkeit in die gesamte Fläche eingebracht.
Aus dem Lageplan aus der Bauakte des Gaswerks vom 29.6.1909 (Anlage B 5) und
einem in der Bauakte des Gaswerks befindlichen Vermerk vom 13.2.1937 (Anlage B 6)
ergebe sich, dass der Abbruch des Gaswerks nach dem Besitzübergang auf die
Klägerin durchgeführt worden sei.
74
Die Beklagte bestreitet die für das Q.-Gutachten vom 15.10.1998 anteilig geltend
gemachten Kosten.
75
Da für die gutachterlichen Untersuchungen der Q. GmbH vom 15.10.1998 und der F.
aus Juli 2001 (Anlage K 12) eine behördliche Anordnung nicht vorliege, sei der zeitliche
Anwendungsbereit des Bundesbodenschutzgesetzes insoweit nicht eröffnet.
76
Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Kaufvertrag aus dem Jahre 1938 enthalte eine
anderweitige Vereinbarung im Sinne des § 24 Abs. 2 BBodSchG, da die Parteien damit
dem Kaufrecht in ihrer Rechtsbeziehung Geltung verschafft hatten. Eine
Inanspruchnahme der Beklagten scheide deshalb aus.
77
Die Beklagte macht geltend, dass die Klägerin durch die Untere Bodenschutzbehörde
nicht "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" künftig zu weiteren Maßnahmen
nach dem Bundesbodenschutzgesetz herangezogen werde.
78
Da der erzielbare Grundstückswert insgesamt nur 75.000,-- Euro betrage, wäre die
Klägerin allenfalls zu Maßnahmen verpflichtet, die diesen Wert erreichen, da sonst die
Grenze der Zumutbarkeit überschritten sei.
79
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Beklagten wird auf den Inhalt
der von ihr eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt der
Sitzungsniederschriften vom 13.01.2010 und 5.5.2010 Bezug genommen.
80
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen B. P. zu
den in der Sitzungsniederschrift vom 5.5.2010 aufgeführten Beweisfragen. Für das
Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug
genommen.
81
82
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e (§ 313 Abs. 3 ZPO):
83
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichem Umfang begründet, im
Übrigen ist sie unbegründet.
84
I.
85
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Ausgleichsanspruch gemäß § 24 Abs.
2 Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG) in Höhe von 46.113,91 €:
86
Die Klägerin ist zur Geltendmachung des Anspruchs aktivlegitimiert (dazu unten unter
87
1.)
Der Anwendungsbereich des § 24 Abs. 2 BBodSchG ist eröffnet (2.).
88
Die auf dem Gelände des ehemaligen Gaswerks vorgefundenen erheblichen
Bodenverunreinigungen sind durch gaswerkstypische Schadstoffe, die auf den Betrieb
des ehemaligen Gaswerks zurückzuführen sind, verursacht worden (3.).
89
Im Verhältnis der Parteien ist der von den Bodenverunreinigungen ausgehende
Gefährdungszustand und Schaden vorwiegend von der Beklagten verursacht worden
(4.).
90
Die Ausgleichspflicht der Beklagten scheitert nicht daran, dass die Parteien eine andere
Vereinbarung im Sinne von § 24 Abs. 2 Satz 2 BBodSchG getroffen haben (5.).
91
Der Ausgleichsanspruch ist nicht verjährt (6.).
92
Der Anspruch besteht in Höhe von 46.113,91 € (7.).
93
I.1.
94
Die Klägerin ist anspruchsberechtigt im Sinne des § 24 Abs. 2 Satz BBodSchG.
95
Sie ist als Eigentümerin zur Sanierung des Bodens gemäß § 4 BBodSchG verpflichtet.
Ihre Aktivlegitimation ergibt sich aus ihrer Stellung als Grundstückseigentümerin, mit der
sie Zustandsstörerin ist. Als solche ist sie vom Kreis N.-M. als zuständiger Behörde
herangezogen worden (vgl. die Ordnungsverfügung vom 17. Juni 2003, Anlage K1).
96
I.2.
97
Der Anwendungsbereich des § 24 Abs.2 BBodSchG ist eröffnet. Dem steht nicht
entgegen, dass die Altlast vor Inkrafttreten des Bundesbodenschutzgesetzes am 1. März
1999 verursacht wurde, diese Sanierung jedoch erst heute durchgeführt wird.
Entscheidend ist, dass mit den Maßnahmen, für die Ausgleich verlangt wird, eine
gegenwärtige Umweltgefahr beseitigt wird (vgl. dazu BGHZ 158, 354). Gemäß § 24 Abs.
2 Satz 1 BBodSchG ist der Ausgleichsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten
unabhängig von einer (ordnungsbehördlichen) Heranziehung der Parteien.
98
I.3.
99
Die auf dem Grundstück des ehemaligen Gaswerks vorgefundenen erheblichen
Bodenverunreinigungen sind ganz überwiegend durch gaswerkstypische Stoffe
verursacht worden. Dies betrifft insbesondere die Belastungen mit leicht flüchtigen
halogenierten Kohlenwasserstoffen (LHKW), Cyaniden und polyzyklischen
aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK). Das Gericht schließt sich insoweit der
Wertung des Kreises N.-M. in der Ordnungsverfügung vom 17.06.2003 (dort Seite 5,
Anlage K1) und des Verwaltungsgerichts N. in seinem Urteil vom 02.02.2005 (dort Seite
18, Anlage K13) an. Auf der Grundlage der vorliegenden gutachterlichen
Stellungnahmen und unter Berücksichtigung langjähriger Erfahrungen über die typische
Schadensträchtigkeit von Gaswerken und die von älteren Gaswerken ausgehenden
Verunreinigungen kann letztlich kein Zweifel daran bestehen, dass die vorgefundenen
100
Bodenverunreinigungen und -belastungen auf den Betrieb des Gaswerks
zurückzuführen sind.
Insoweit wird zur ergänzenden Begründung beispielhaft Bezug genommen auf den
Erläuterungsbericht zur historischen Erkundung der F. GmbH aus Juli 2001
(Anlagenordner K15, dort Seite 16, 20, 29 und Anlage 3), die fachgutachterliche
Stellungnahme der F. GmbH aus April 2002 (Anlage K19), die Materialien zur
Altlastenbearbeitung der Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg (Anlage
K54), den Leitfahren "Biologische Verfahren zur Bodensanierung" aus der
Schriftenreihe der Deutschen Vereinigung des Gas- und Wasserfaches "Gas Nr. 45"
(Anlage K87) und die Studie des DVGW-Sonderausschusses "Sanierung ehemaliger
Gaswerksgelände" (Anlage K91).
101
Die Klägerin hat die Bau- und Nutzungshistorie der Städtischen Gasanstalt G.-Str. in N.
in ihrem Schriftsatz vom 28.04.2008 (Blatt 107 ff. der Akten) im Einzelnen dargelegt. In
der von ihr in Bezug genommenen Archivarbeit des Westfälischen Amtes für
Denkmalpflege, Kapitel "G.-Straße, Städtisches Gaswerk" ist in dem Bericht der
Bauforschung des Westfälischen Amtes für Denkmalpflege unter anderem der Hinweis
enthalten, dass als Nebenprodukte der Gasherstellung Koks, Teer und Ammoniak
anfielen, die verkauft wurden (dazu Anlage K43).
102
Aus den Materialien zur Altlastenbearbeitung der Landesanstalt für Umweltschutz
Baden-Württemberg ergibt sich, dass insbesondere der Bereich der Teergruben zu den
gaswerkstypischen Schadensquellen zählt und als "Hotspot" gilt (vgl. dazu beispielhaft
die Ausführungen mit entsprechender Abbildung Seite 9 ff. in den vorgenannten
Materialien zur Altlastenbearbeitung, Anlage K54).
103
Das festgestellte Schadensbild geht einher mit der Art der auf dem Grundstück
gehandhabten Güter während des Gaswerksbetriebs. Dies betrifft insbesondere die
leicht-flüchtig halogenierten Wasserstoffe (LKHW) im Grundwasser und die Cyanide im
Abstrom des Gaswerksstandorts. Bei beiden handelt es sich um gaswerksspezifische
Schadstoffe. Gleiches gilt für die im Schadensbild vorgefundenen polyzyklischen
aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK), die im Steinkohlenteer enthalten sind.
Halogenierte Kohlenwasserstoffe, Cyanide und polyzyklische aromatische
Kohlenwasserstoffe haben typischerweise immer wieder zu Bodenkontaminationen
beim Betrieb von Gaswerken geführt.
104
Die von der Klägerin und ihrer Rechtsvorgängerin vorgenommene Grundstücknutzung
war demgegenüber nicht geeignet, die erheblichen Bodenverunreinigungen und -
belastungen mit unzweifelhaft gaswerkstypischen Stoffen herbeizuführen.
105
Für die Entscheidung der Frage, ob die vorgefundenen Bodenverunreinigungen und -
belastungen auf gaswerkstypische Stoffe zurückzuführen sind, ist die Heranziehung der
Grundsätze über den Anscheinsbeweis nicht erforderlich. Denn die Parteien streiten
letztlich nicht darum, ob es sich bei den vorgefundenen erheblichen Verunreinigungen
um gaswerkstypische Stoffe handelt, sondern darüber, ob die festgestellten
Verunreinigungen, insbesondere im Hinblick auf die örtliche Lage der
Verunreinigungen, bereits während des Betriebes des Gaswerks durch die Beklagte
oder erst durch eine nach dem vorangegangenen Abbruch der Gebäude von der
Rechtsvorgängerin der Klägerin vorgenommene Verfüllung des Kellers unter dem
ehemaligen Apparatehaus mit Schuttmassen und der flächendeckenden Auffüllung des
106
Geländes entstanden sind. Insoweit geht die Beklagte selbst davon aus, dass sich die
vorhandenen Verunreinigungen ohne weiteres mit dem Abriss des Gaswerks,
insbesondere mit der Beschädigung der Teergruben, der Verfüllung des Kellers unter
dem ehemaligen Apparatehaus mit Material aus den abgebrochenen Gebäuden und
dem Einbringen einer Auffüllungsschicht von ca. 1 m Mächtigkeit auf der gesamten
Fläche erklären lassen.
I.4.
107
Die Beklagte ist Verursacherin der durch die gaswerkstypischen Stoffe herbeigeführten
Bodenverunreinigungen und -belastungen auf dem Gaswerksgrundstück.
108
Dies gilt ohne Zweifel dann, wenn der Abbruch der aufstehenden Gebäude auf dem
Grundstück bereits 1934 und damit vor dem Besitzübergang auf die Rechtsvorgängerin
der Klägerin erfolgt ist. Dann nämlich spricht bei lebensnaher Betrachtung alles dafür,
dass die im Zusammenhang mit dem Abbruch der Gebäude erfolgte Verfüllung der
Keller unter dem Apparatehaus und das Auffüllen und Verteilen kontaminierten Bodens
auf der Gesamtfläche in den Verantwortungsbereich der Beklagten, die seinerzeit noch
Eigentümerin des Grundstücks war, fällt. Anhaltspunkte dafür, dass in diesem Fall ein
anderer Verursacher als die Beklagte in Betracht kommen könnte, sind nicht ersichtlich.
109
Die vorliegenden Quellen weisen auf einen Abbruch im Jahre 1934 hin. Das
Verwaltungsgericht N. ist in seinem Urteil vom 02.02.2005 ausdrücklich davon
ausgegangen, dass die ehemals im Bereich der RKS 4 befindlichen unterkellerten
Gebäude – Apparateraum, Retortenhaus, Kohleschuppen – im Jahre 1934 abgebrochen
und mit Schuttmassen verfüllt worden sind.
110
Der Abbruch der Retortenfabrik, der Apparatefabrik und des alten Kohleschuppens ist
jeweils dokumentiert. Insoweit wird auf den Erläuterungsbericht zur historischen
Erkundung der F.-Umwelt GmbH aus Juli 2001, dort Seite 9, die Anlage 5
"Quellenverzeichnis" und die Anlage 12 "Auszug aus der
Gebäudesteuerrolle/Gebäudebuch"; sämtlich im Anlagenordner K12, verwiesen. In der
vorgenannten Gebäudesteuerrolle ist ausdrücklich der Abbruch der vorgenannten
Gebäude im Jahre 1934 eingetragen.
111
Der entgegenstehende Sachvortrag der Beklagten, der sich auf den Inhalt des in der
Bauakte befindlichen Vermerks vom 13.02.1937 (Anlage B6 zum Schriftsatz vom
10.03.2010, Blatt 381, 390) stützt, steht dem nicht zwingend entgegen. Insbesondere
ergibt sich daraus nicht, dass zu diesem Zeitpunkt entgegen dem in der
Gebäudesteuerrolle dokumentierten Abbruch ein solcher nicht stattgefunden hat.
112
Soweit im Nachhinein historisch und technisch nicht mehr feststellbar ist, wann und
durch wen die Aufhöhung des Geländes in einer Mächtigkeit von ca. 1 m vorgenommen
ist (vgl. dazu zum Beispiel den Erläuterungsbericht zur historischen Erkundung aus Juli
2001 der F.-Umwelt GmbH, Anlagenordner K12, Seite 9), ändert dies nichts daran, dass
die Beklagte Verursacherin der durch die gaswerkstypischen Schadstoffe
hergebeigeführten Bodenverunreinigungen und –belastungen ist. Denn die Beklagte hat
das Gaswerk betrieben und auf dem Grundstück befinden sich unabhängig davon, wann
und durch wen eine Aufhöhung des Geländes und eine Verteilung der Bodenmassen
stattgefunden hat, gaswerkstypische Schadstoffe. Die dadurch herbeigeführten
Gefahren und Schäden hat die Beklagte durch den Betrieb des Gaswerks verursacht.
113
Eine "Umschichtung" der Schadstoffe auf dem Gelände ändert daran nichts.
I.5.
114
Eine anderweitige Vereinbarung im Sinne von § 24 Abs. 2 Satz 2 BBodSchG, die eine
vom Verursachungsanteil abweichende Ausgleichsverpflichtung ergeben könnte, liegt
nicht vor.
115
Der Kaufvertrag vom 24.11.1938 (Anlage K17) enthält eine derartige Vereinbarung
nicht. Insoweit ist zunächst festzuhalten, dass der vorgenannte Kaufvertrag keinerlei
Gewährleistungsausschluss enthält. Unabhängig davon könnte selbst ein im
Kaufvertrag enthaltener Gewährleistungsausschluss einen Ausgleichsanspruch gemäß
§ 24 Abs. 2 Satz 1 BBodSchG nicht ausschließen. Zu bedenken ist dabei maßgeblich,
dass bei Grundstückskaufverträgen, die (hier sogar: weit) vor dem 01. März 1999
(Inkrafttreten des BBodSchG) geschlossen worden sind, ein erst zu einem deutlich
späteren Zeitpunkt normierter Ausgleichsanspruch von einem
Gewährleistungsausschluss nicht erfasst sein konnte.
116
Soweit etwas anderes dann gelten könnte, wenn namentlich der Käufer gegen einen
entsprechend geminderten Kaufpreis das Sanierungsrisiko für ein mit Schadstoffen
belastetes Grundstück vollständig übernommen hat, gibt es für das Vorliegen eines
derartigen (Ausnahme-) Falles im Streitfall keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte.
Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Rechtsvorgängerin der Klägerin mit dem
Erwerb des Grundstücks eine Verpflichtung zur Entsorgung der Schadstoffe
übernommen hatte, sind ebenfalls nicht vorhanden. Im Gegenteil: Die Entsorgung von
Schadstoffen und/oder schädlichen Produktionsrückständen fand in dem Zeitraum, in
dem das Gaswerk zwischen 1867 und 1933 betrieben wurde, in aller Regel nicht statt,
da die Belange des Umweltschutzes seinerzeit keine Rolle spielten. Gerade dies erklärt
die hohe Anzahl von Altlasten aus der damaligen Zeit.
117
I.6.
118
Der Ausgleichsanspruch ist nicht verjährt.
119
Für die Frage der Verjährung ist allein die Regelung in § 24 Abs. 2 Satz 3-5 BBodSchG
maßgeblich.
120
Der Beklagten ist insoweit zuzugeben, dass die Entscheidung des BGH vom
01.10.2008 (XII ZR 52/07, NVwZ 2009, 734) nur die Frage betrifft, ob der Anspruch aus
§ 24 Abs. 2 BBodSchG der kurzen Verjährung nach § 548 BGB unterliegt. Die
Entscheidung befasst sich nicht mit der Frage, ob zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des
BBodSchG die Verjährung bereits gemäß § 195 BGB a.F. eingetreten sein kann.
121
Die Verjährungsvorschrift des § 195 a.F. BGB, die Ansprüche aus dem Kaufvertrag vom
24.11.1938 erfassen könnte, kann allerdings keine Anwendung auf den gesetzlichen
Ausgleichsanspruch nach § 24 Abs. 2 BBodSchG finden, der erst mit dem Inkrafttreten
des BBodSchG im Jahre 1999 entstanden ist. Der Ausgleichsanspruch ist nach Sinn
und Zweck des Gesetzes auch und gerade dann gegeben, wenn die Verpflichtung zur
Durchführung von Maßnahmen nach dem BBodSchG auf in der Vergangenheit
liegenden Vorgängen, die gerade bei Altlasten (deutlich) mehr als 30 Jahre
zurückliegen können, beruht.
122
Der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist hat auf der Grundlage der Regelung in § 24
Abs. 2 BBSchG Abs. 2 Satz 4 BBodSchG noch nicht begonnen. Die erste Alternative,
die die Beitreibung von Kosten bei einer Ausführung von Maßnahmen durch die
Behörde voraussetzt, ist ersichtlich nicht gegeben. Im Übrigen beginnt der Lauf der
Verjährungsfrist erst nach der Beendigung der Maßnahmen durch den Verpflichteten.
Dazu ist anerkannt, dass es auf den vollständigen Abschluss (aller) Maßnahmen
ankommt. Dies ist auch sachgerecht, da für die Altlastensanierung ein zeitlich
gestrecktes Maßnahmenbündel charakteristisch ist.
123
I.7.
124
Der Anspruch besteht in dem von der Klägerin geltend gemachten Umfang in Höhe von
46.113,91 €.
125
Q. GmbH (15.10.1998):
126
Aus dem Ergebnisprotokoll des Kreises N.-M. vom 13.07.1998 (Anlage K 94) ergibt sich,
dass der Kreis N.-M. als zuständige Ordnungsbehörde die Einrichtung von weiteren
Grundwassermessstellen deshalb verlangt hat, weil die Ergebnisse der orientierenden
Untersuchung des Bodens und des Grundwassers sehr starke gaswerkstypische
Untergrundverunreinigungen aufwiesen. Die insoweit (zusätzlich) entstandenen Kosten
sind damit auf den Betrieb des Gaswerks durch die Beklagte zurückzuführen. Der Kreis
N.-M. hat als Ordnungsbehörde Veranlassung zur Durchführung der Maßnahmen
gegeben, wie sich ebenfalls aus dem Inhalt des Ergebnisprotokolls vom 13.07.1998
ergibt. Dort ist ausdrücklich die Anmerkung enthalten, dass die Klägerin als
Zustandsstörerin zur Übernahme aller Maßnahmen auf ihrem Grundstück verpflichtet
werden kann.
127
Die Klägerin hat die anteiligen gaswerksbezogenen Kosten in Höhe von 4.542,17 € aus
dem Gesamtkostenbetrag in Höhe von 13.521,45 € in ihrem Schriftsatz vom 12.02.2010,
dort Seite 24 (Blatt 372 der Akte) substantiiert und im Einzelnen dargelegt. Das Gericht
folgt dieser Abrechnung.
128
Der Zeuge P. hat bei seiner Vernehmung den Sachvortrag der Klägerin glaubhaft
dahingehend bestätigt, dass es sich bei der Rechnung vom 01.12.1998 (vgl. Anlage
zum Protokoll vom 05.05.2010) mit dem Nettobetrag von 24.471,70 DM (13.521,45 €)
um die Rechnung handelt, die sich auf das Leistungsverzeichnis des Architekten-
Ingenieurvertrages (wie mit Anlage K 95 vorgelegt) bezieht.
129
Der Zeuge P. war seinerzeit Projektleiter des Bahnumweltzentrums und hat das Projekt
geführt. Er konnte die Rechnungsvorgänge anhand der von ihm mitgebrachten
Bauakten nachvollziehen. Das Auftragsschreiben vom 03.08.1998 und die
Kurzmitteilung vom 03.12.1998, in der die sachliche und rechnerische Richtigkeit der
Rechnung bescheinigt wird, tragen jeweils seine Unterschrift. Aus den in der Bauakte
der Klägerin befindlichen weiteren Dokumenten ergibt sich ohne Zweifel, dass die
Rechnung bezahlt worden ist. Aus den übereinstimmenden Bestellnummern und
Kreditorennummern des Schreibens der Klägerin vom 03.08.1998 (Anlage K 95) zum
Architekten-Ingenieurvertrag vom 30.07.1998/03.08.1998 und der Rechnung vom
01.12.1998 ergibt sich, dass sich die Rechnung vom 01.12.1998 auf den vorgenannten
130
Architekten-Ingenieurvertrag mit dem enthaltenen Leistungsverzeichnis bezieht.
Soweit der Rechnungsbetrag in der Rechnung vom 01.12.1998 geringfügige
Abweichungen zum vorläufigen Honorarangebot im Schreiben vom 03.08.1998
aufweist, erklärt sich dies, wie vom Zeugen P. nachvollziehbar dargelegt, ohne Weiteres
daraus, dass der Leistungsumfang bei der Erteilung des Auftrags noch nicht 100%ig
feststeht (und auch nicht feststehen kann), weil es sich zunächst nur um eine Schätzung
handelt.
131
Der Zeuge P. hat dazu auf Nachfrage bestätigt, dass die im Leistungsverzeichnis
enthaltenen Positionen insgesamt durchgeführt worden sind. Der Zeuge P. ist
glaubwürdig. Seine Darstellung war in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Sie wird
durch die von ihm vorgelegten Dokumenten im vollen Umfang bestätigt.
132
133
Die Klägerin hat die Kosten in der Höhe von 6.875,74 € im Schriftsatz vom 12.02.2010
(dort Seite 27, Bl. 375 d.A.) unter Vorlage der Rechnungen im Einzelnen dargelegt. Die
Rechnungen beziehen sich auf eine Maßnahme, die ausschließlich auf die
Altlastensanierung des ehemaligen Gaswerkstandortes bezogen und vom Kreis N.-M.
als zuständige Ordnungsbehörde veranlasst worden ist.
134
135
Die Klägerin hat die Kosten unter Vorlage der Rechnungen in ihrem Schriftsatz vom
12.02.1010 (dort Seite 28, Bl. 376 d. A.) im Einzelnen dargelegt. Die Rechnungen
beziehen sich auf eine Maßnahme, die ebenfalls ausschließlich auf die
Altlastensanierung des ehemaligen Gaswerkstandortes bezogen ist, nämlich auf die
Durchführung der mit Ordnungsverfügung des Landkreises N.-M. vom 17.06.2003
angeordneten Detailuntersuchung.
136
137
Die Klägerin hat die Kosten unter Vorlage der Rechnungen im Einzelnen dargelegt
(Schriftsatz vom 12.02.2010, dort Seite 29, 30, Bl. 378, 379 d. A.). Die Rechnungen
beziehen sich ebenfalls auf eine Maßnahme, die ausschließlich auf die
Altlastensanierung des ehemaligen Gaswerkstandortes bezogen und vom Kreis N.-M.
durch die Ordnungsverfügung vom 17.06.2003 veranlasst worden ist.
138
a.-d.)
139
Der Gesamtbetrag in Höhe von 46.113,91 € ist gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB
ab dem 15.02.2010 (Zeitpunkt der Zustellung des Schriftsatzes vom 12.02.2010, vgl.
dazu das Protokoll vom 05.05.2010) zu verzinsen.
140
II.
141
Der Freistellungsanspruch ist hinsichtlich des Hilfsantrages begründet, der
weitergehende Hauptantrag ist unbegründet.
142
Aus den Ausführungen zu I.1 bis I.6 folgt, dass die Beklagte die Klägerin von den
143
zukünftigen Kosten gemäß § 24 Abs. 1 BBodSchG freizustellen hat, die die Klägerin als
Verpflichtete in Bezug auf schädliche Bodenveränderungen und Altlasten hinsichtlich
der streitgegenständlichen Grundstücke einschließlich der von diesen ausgehenden
Grundwasserverunreinigungen durchführt, soweit diese Kosten jeweils durch das
ehemals von der Beklagten betriebene Gaswerk verursacht worden sind.
Dass die Klägerin damit rechnen muss, von der zuständigen Ordnungsbehörde auch
zukünftig zur Durchführung weiterer Maßnahmen nach § 24 Abs. 1 BBodSchG
herangezogen zu werden, ergibt sich bereits daraus, dass die Maßnahmen zur
Sanierung der Grundstücke noch nicht abgeschlossen sind. Anhaltspunkte dafür, dass
der Kreis N.-M. als zuständige Ordnungsbehörde die Klägerin gar nicht oder nur in
geringem Umfang in Anspruch nehmen wird, sind nicht ersichtlich.
144
Der weitergehende Hauptantrag ist unbegründet, weil die Beklagte damit zur
Kostenfreistellung auch dann verpflichtet wäre, wenn eine zukünftige Inanspruchnahme
der Klägerin nicht auf den Betrieb des Gaswerks, sondern auf andere, möglicherweise
auch auf im Verantwortungsbereich der Klägerin oder sonstiger Dritter liegende
Umstände zurückzuführen ist.
145
III.
146
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
147
Dabei hat das Gericht hinsichtlich des Zahlungsantrags die Teil-Klagerücknahme und
hinsichtlich des Freistellungsantrags das Zurückbleiben des Hilfsantrags hinter dem
Hauptantrag berücksichtigt.
148
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt für beide Parteien aus § 709
ZPO.
149