Urteil des LG Bielefeld vom 18.10.2004

LG Bielefeld: weide, freiheit, gefährdungshaftung, mitverschulden, unfall, stall, schmerzensgeld, ausstattung, rechtskraft, loslassen

Landgericht Bielefeld, 7 O 193/03
Datum:
18.10.2004
Gericht:
Landgericht Bielefeld
Spruchkörper:
7. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 O 193/03
Nachinstanz:
Oberlandesgericht Düsseldorf, 9 U 239/04
Rechtskraft:
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des
beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aufgrund
eines Unfallgeschehens, welches sich unter dem 04.11.2002 auf dem Reiterhof C. in M.
ereignet hat.
2
Die Ehefrau des Klägers hatte ebenso wie die Beklagte ihr Pferd auf diesem Reiterhof
untergestellt. Zwischen beiden bestand eine Vereinbarung dahingehend, wonach
sowohl die Ehefrau des Klägers als auch die Beklagte die Pferde abwechselnd zur
Weide und wieder zurück zum Stall führen sollten. Am 04.11.2002 wurde die Ehefrau
des Klägers von einem Pferd so auf den Fuß getreten, dass dadurch die
Mittelfußknochen II bis IV brachen. Aufgrund der Verletzung trug die Geschädigte bis
kurz vor Weihnachten 2002 einen Liegegips. Danach erhielt sie einen Gehgips. Ihre aus
diesem Ereignis erwachsenen Ansprüche trat sie unter dem 13.03.2003 an den Kläger
ab.
3
Der Kläger behauptet, seine Ehefrau habe gleichzeitig ihr eigenes Pferd und das der
Beklagten auf die Weide führen wollen. Sie habe die Pferde dabei an einem fachgemäß
am Halfter befestigten Strick geführt, wobei sie in jeder Hand einen Strick hielt. Auf dem
Weg zur sogenannten Stutenweide hätten beide Pferde zur sogenannten Wallachweide
gedrängt. Dort angekommen habe sie sodann versucht, die Pferde von dieser Weide
herunterzuführen, um sie auf die ursprünglich angesteuerte Weide zu bringen. Nachdem
das Pferd der Beklagten unruhig geworden war, habe sie ihr eigenes Pferd losgelassen,
4
um das der Beklagten besser führen zu können. Dieses sei jedoch mit den
Vorderbeinen aufgestiegen und beim Herunterkommen auf ihren linken Fuß getreten.
Die dadurch entstandenen Verletzungen, die ein Schmerzensgeld i. H. v. mindestens
5.000,00 EUR rechtfertigen, hätten einen materiellen Schaden, bestehend aus Ausfälle
im Haushalt, vermehrten Bedürfnissen und unfallbedingten ärztlichen Aufwendungen i.
H. v. insgesamt 6.093,92 EUR verursacht.
Der Kläger beantragt,
5
die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld sowie
weitere 6.093,92 EUR jeweils nebst 5 % Zinsen seit dem 11.03.2003 zu zahlen
sowie
6
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den künftigen materiellen und
immateriellen Schaden aus dem Unfallgeschehen vom 04.11.2002 zu ersetzen.
7
Die Beklagte beantragt,
8
die Klage abzuweisen.
9
Sie bestreitet, dass ihr Pferd die Ehefrau des Klägers getreten habe. Darüber hinaus
vertritt die Beklagte die Ansicht, der Unfall sei auf ein überwiegendes Mitverschulden
der Geschädigten zurückzuführen, zumal sie vor dem Unfall mehrfach darauf
hingewiesen worden sei, dass ein gleichzeitiges Führen der Pferde zur Weide wegen
des Temperamentes ihres eigenen Pferdes nicht möglich sei.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die im
Rechtsstreit gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
11
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Ehefrau des Klägers
sowie durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 17.12.2003 und
18.10.2004 sowie auf das Gutachten vom 29.04. und 05.07.2004 verwiesen.
12
Entscheidungsgründe
13
Die Klage ist unbegründet.
14
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch aus § 833 BGB zu.
Denn das Mitverschulden der Ehefrau des Klägers an dem Unfallgeschehen vom
04.11.2002 überwiegt dermaßen, dass eine Haftung der Beklagten gänzlich entfällt.
15
Grundsätzlich trifft die Beklagte als Halterin ihres Pferdes die in § 833 BGB normierte
Gefährdungshaftung. Nach Überzeugung des Gerichtes steht fest, dass es das Pferd der
Beklagten war, welches hochstieg und anschließend auf den Fuß der Ehefrau des
Klägers trat. Der Geschehensablauf ist von der Ehefrau des Klägers in der Sitzung am
17.12.2003 glaubhaft geschildert worden. Für die Richtigkeit dieser Aussage spricht die
detaillierte Schilderung des Unfallgeschehens, die in sich geschlossen und
widerspruchsfrei ist. Insbesondere bestehen keine Widersprüche zu dem unstreitigen
Inhalt des noch am Unfalltag geführten Telefonates mit der Beklagten. Die
Ausführungen der Zeugin waren in der mündlichen Verhandlung lediglich genauer.
16
In dem Unfall hat sich auch die spezifische Tiergefahr, die von dem Pferd der Beklagten
ausgeht, verwirklicht. Dabei kann dahingestellt bleiben, welches der Tiere zuerst
unruhig wurde. Denn der Halter soll den Geschädigten nach § 833 BGB gerade für
Unberechenbarkeiten des tierischen Verhaltens schadlos halten. Ein solches
unberechenbares Verhalten liegt gerade auch dann vor, wenn ein äußeres Ereignis, wie
das Unruhigwerden eines anderen Pferdes, auf den Körper oder die Sinne eines
weiteren Tieres anreizend einwirkt. Diese Gefährdungshaftung nach § 833 BGB, die
sich die Beklagte grundsätzlich zurechnen lassen muss, ist entgegen ihrer rechtlichen
Auffassung nicht durch § 834 BGB ausgeschlossen. Eine direkte Anwendung des § 834
BGB scheitert bereits daran, dass zwischen der Ehefrau des Klägers und der Beklagten
kein Vertrag über die Führung der Aufsicht über das Pferd der Beklagten zustande
gekommen ist. Auch eine analoge Anwendung der Vorschrift scheidet vorliegend aus.
Denn durch das lediglich kurzfristige tatsächliche Beaufsichtigen eines Tieres wird
keine Tierhütereigenschaft begründet. Es besteht insoweit lediglich ein
Gefälligkeitsverhältnis, dass von der Norm nicht umfasst wird.
17
Trotz der grundsätzlichen Gefährdungshaftung der Beklagten bestehen keine
Ansprüche zugunsten des Klägers, weil die Geschädigte nach den überzeugenden
Ausführungen des Sachverständigen grob fahrlässig gehandelt hat, ihr Mitverschulden
also dermaßen überwiegt, dass die Gefährdungshaftung der Beklagten gänzlich entfällt.
Zum Einen hat die Ehefrau des Klägers beide Pferde gleichzeitig zur Weide geführt,
wobei sie jeweils die Strickenden, die an den Halftern befestigt waren, in einer Hand
hielt. Der Sachverständige hat im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines
Gutachtens ausgeführt, dass dies nicht fachgerecht gewesen sei. Die Geschädigte hätte
beide Pferde mit einer Hand führen müssen, um die andere Hand für Zurechtweisungen
der Tiere frei zu haben. Zum Anderen war die Verwendung von Halftern ebenfalls nicht
fachgerecht, um 2 Pferde gleichzeitig auf die Weide zu führen. Denn durch Bewegungen
an dem Halfter kann einem Pferd kein Schmerz zugefügt werden. Anders stellt sich die
Situation dar, wenn eine Trense oder eine Führungskette verwendet wird bzw. der
Strick, der an dem Halfter befestigt ist, über den Nasenrücken des Pferdes gelegt ist. Nur
dieses Equipment ist geeignet, Pferde in Problemsituationen zu beherrschen. Die
richtige Führung der Pferde mit der fachgerechten Ausstattung ist zwingend erforderlich,
weil bereits das Führen eines Pferdes zur Weide mit einem gesteigerten Risiko
verbunden ist. Das Pferd will nämlich möglichst schnell aus dem Stall kommen und in
die Freiheit zu gelangen. Ein Reglementieren durch Ziehen an dem am Halfter
befestigten Strick ist in einer Notsituation nicht ausreichend, da insofern nur mit der
eigenen Kraft auf das Pferd eingewirkt werden kann, der das Tier aber weit überlegen
ist.
18
Neben der Führung der Pferde ohne das für eine sichere Führung notwendige
Equipment, trifft die Ehefrau des Klägers weiterhin der Vorwurf des falschen Handelns in
der entstandenen Notsituation auf der Wallachwiese. Das Streben eines Pferdes aus
dem Stall in die Freiheit und das damit verbundene Risiko wird nach den Erörterungen
des Sachverständigen nochmals gesteigert, wenn sich bereits andere Pferde in Freiheit
befinden. Das zu diesem Zeitpunkt noch eingesperrte oder sich noch nicht in Freiheit
befindliche Pferd wird mit Nachdruck versuchen, zu flüchten. Die Ehefrau des Klägers
ließ ihr eigenes Pferd los, um das der Beklagten besser beherrschen zu können. Nach
den Ausführungen des Sachverständigen erreichte sie damit jedoch genau das
Gegenteil von dem, was sie wollte. Das Pferd der Beklagten drängte nunmehr um so
mehr in die Freiheit. Die Geschädigte hätte auch das Pferd der Beklagten loslassen
19
müssen, zumal es ihr aufgrund des falschen Equipments nicht möglich war, dem Pferd
Schmerzen zufügen zu können und allein die Kraft eines Menschen nicht ausreicht, ein
Pferd zu kontrollieren.
Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91, 709 ZPO.
20