Urteil des LG Bielefeld vom 21.04.2004

LG Bielefeld: gegen die guten sitten, ablauf der frist, allgemeine lebenserfahrung, veranstaltung, sittenwidrigkeit, erkenntnis, bereicherungsanspruch, muster, spiel, gewinnstreben

Landgericht Bielefeld, 22 S 300/03
Datum:
21.04.2004
Gericht:
Landgericht Bielefeld
Spruchkörper:
22. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 S 300/03
Vorinstanz:
Amtsgericht Gütersloh, 14 C 553/03
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 21. November 2003
verkündete Urteil des Amtsgerichts Gütersloh wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
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I.
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Von der Darlegung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 II, 313 a I S. 1
ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
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II.
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Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch unbegründet.
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Das Amtsgericht ist mit dem angefochtenen Urteil zu Recht davon ausgegangen, dass
der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung von 5.000,00 EUR aus
§ 812 I 1 Alternative 1 BGB zusteht.
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1.
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Die Richtigkeit der Rechtsauffassung des Amtsgerichts, wonach der "I" ein
sittenwidriges Pyramidensystem gewesen sei, wird durch die Berufung der Beklagten
nicht mehr in Frage gestellt. In der Tat weist der "I", wie das Amtsgericht zutreffend
festgehalten hat, alle Merkmale eines sittenwidrigen Pyramidensystems auf, wie sie in
der obergerichtlichen Rechtsprechung stets umschrieben worden sind (vgl. etwa BGH
NJW 1997, 2314, 2315; OLG Celle NJW 1996, 2660).
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Damit war die Zahlung der Klägerin an die Beklagte im Hinblick auf § 138 I BGB ohne
Rechtsgrund erfolgt, ohne dass es auf die Frage, auf welcher schuldrechtlichen
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Grundlage die Hingabe des Geldes im Einzelnen erfolgt war, ankommen würde.
2.
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Der Bereicherungsanspruch der Klägerin ist nicht durch § 817 S. 2 BGB
ausgeschlossen, weil der Klägerin nicht gleichfalls ein Verstoß gegen die guten Sitten
zur Last fällt.
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Denn ständige Rechtsprechung der Obergerichte ist, dass die Anwendung des § 817 S.
2 BGB voraussetzt, dass dem Leistenden der Verstoß gegen die guten Sitten bewusst
gewesen ist und dass er ihn trotzdem gewollt hat (vgl. nur BGHZ 50, 90, 92 m.w.N.),
dass er also Vorsatz hinsichtlich der Sittenwidrigkeit hatte. Dem Vorsatz gleichgestellt
ist es, wenn der Leistende insofern leichtfertig handelt, indem er sich der Erkenntnis der
Sittenwidrigkeit verschließt (BGH NJW 1983, 1420, 1423; 1989, 3217, 3218; OLG Celle
NJW 1996, 2660). Das Amtsgericht hat hierzu festgestellt, dass der Klägerin die
Sittenwidrigkeit der "I"-Veranstaltung nicht bekannt gewesen sei. Die Berufung der
Beklagten zeigt keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der
Richtigkeit dieser entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellung auf, die eine erneute
Feststellung durch das Berufungsgericht gebieten würde.
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a)
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Insoweit verhilft der Vortrag der Beklagten, die Klägerin habe mehrfach an I
teilgenommen, ihrer Berufung nicht zum Erfolg. Denn während sie dieses Vorbringen
zunächst hinsichtlich Zeit und näheren Umständen einer solchen Teilnahme nicht näher
konkretisiert hatte, hat die Beklagte zuletzt mit Schriftsatz vom 26.02.2004 dargelegt, die
Klägerin habe im Januar 2003 an zwei Schenkkreisen teilgenommen. Eine solche
Teilnahme kann aber ganz offensichtlich keine Relevanz für die Frage der Kenntnis der
Klägerin von der Funktionsweise solcher Kreise im Oktober 2002 gehabt haben, als sie
an dem hier zur Debatte stehenden Schenkkreis teilnahm.
14
b)
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Auch der Vortrag der Beklagten, der Ehemann der Klägerin und weitere ihrer
Angehörigen hätten an dem streitgegenständlichen und an späteren Schenkkreisen
teilgenommen, lässt nicht erkennen, inwiefern hieraus eine bessere Kenntnis der
Klägerin von deren Funktionsweise hätte resultieren sollen. Das Vorbringen dagegen,
der Ehemann der Klägerin habe auch an früheren Schenkkreisen teilgenommen, ist erst
nach Ablauf der Frist zur Begründung der Berufung vorgetragen und hinsichtlich der
zeitlichen und örtlichen Umstände durch die Beklagte nicht näher substantiiert worden.
Auch die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe vor ihrem Beitritt im Einzelnen
über die Funktionsweise des Kreises mit einer Frau L in W gesprochen, ist erst mit dem
Schriftsatz der Beklagten vom 26.02.2004 nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist
aufgestellt worden, ohne dass Gründe für die Zulassung des neuen Verteidigungsmittels
in der Berufungsinstanz dargelegt worden wären.
16
c)
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Unstreitig geblieben ist auch, dass der Klägerin schriftliche Informationen über die
Funktionsweise des "I" erst nach dem Zeitpunkt ausgehändigt worden waren, zu dem
sie sich zur Teilnahme an dem fraglichen Kreis entschlossen und die 5.000,00 EUR an
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die Beklagte gezahlt hatte. Der zur Entscheidung stehende Fall unterscheidet sich in
diesem Punkt deutlich von dem durch das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 18.02.2004
(Az. 112 C 551/03) entschiedenen, auf den die Beklagte sich verschiedentlich bezogen
hat. Denn in jenem Fall war, wie sich aus dem Tatbestand jener Entscheidung ergibt,
der dortigen Klägerin die Funktionsweise des Kreises nicht nur auf der Veranstaltung,
auf der sie geworben worden war, mittels einer Schautafel graphisch veranschaulicht
worden, aus der insbesondere der Mechanismus der Auffüllens der Kreise durch neue
Teilnehmer ersichtlich gewesen war. Vielmehr hatte die dortige Klägerin eine
siebenseitige Informationsschrift erhalten, in der die Funktionsweise der Schenkkreise
mit der wörtlichen Wiedergabe des Satzes "Den letzten beis-sen die Hunde"
veranschaulicht worden war und in der der ausdrückliche Hinweis enthalten war, die
juristischen Einschätzungen zu einem solchen Zirkel seien nicht eindeutig, so dass ein
sensibler Umgang mit der Öffentlichkeit erforderlich sei.
d)
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Auch dem von der Beklagten vorgelegten Beschluss des Amtsgerichts Bad
Oeynhausen vom 07.11.2003 (Az. 10 C 453/03) lag ein Fall zu Grunde, in dem der
dortigen Antragstellerin nach ihrem eigenen Vorbringen eine schriftliche Konzeption des
Spiels ausgehändigt worden war, in der auf das Risiko ausdrücklich hingewiesen
worden war, das in dem Erfordernis der Anwerbung neuer Teilnehmerinnen lag.
20
e)
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Letztlich streitentscheidend ist damit nach Auffassung der erkennenden Kammer die
Frage, ob der Hinweis der Beklagten auf die allgemeine Lebenserfahrung und auf das in
der Allgemeinheit veröffentlichte Wissen über Pyramiden- und Schneeballsysteme als
solcher ausreicht, um zu der Feststellung zu gelangen, dass die Klägerin im Hinblick auf
die Funktionsweise des "I" und auf die Frage, ob nicht auch dieses Spiel - vereinfacht
ausgedrückt - nach dem Muster "Den letzten beissen die Hunde" funktionieren würde,
vorsätzlich gehandelt haben musste oder sich der Erkenntnis der Sittenwidrigkeit
leichtfertig verschlossen haben musste. Die Kammer hält aber auch nach eigener
persönlicher Anhörung der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung mit der
angefochtenen Entscheidung den der Beklagten obliegenden Beweis dafür, dass dies
so war, nicht für geführt. Denn auch das Berufungsgericht hält nach dem Eindruck der
Schilderung der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung für nicht
ausgeschlossen, dass diese auf die Seriosität der Veranstaltung insbesondere wegen
des gehobenen Rahmens, in dem sie stattgefunden hatte, vertraut hatte. Die Klägerin
hat im Termin zur mündlichen Verhandlung den äußeren Rahmen und die Atmosphäre,
in der die Veranstaltung des "I" stattgefunden hatten, anschaulich geschildert und hat
ausgeführt, sie sei seinerzeit von dem Eindruck geprägt gewesen, dass sich hier eine
besondere Chance eröffne, die sich - sinngemäß - "gewöhnlichen Leuten" im
Alltagsleben so gar nicht eröffnen würde, dass sie mit anderen Worten hinter eine
Kulisse in Bereiche Einblick gewonnen habe, die den meisten Menschen sonst
verschlossen blieben. Das erkennende Gericht hält es im Hinblick auf die Schilderung
der Klägerin für nicht ausgeschlossen, dass sie sich von dem ihr präsentierten Rahmen
der Veranstaltung tatsächlich hat beeindrucken lassen und dass sie den Schluss auf die
sittenwidrige Funktionsweise des Pyramidensystems, mag dieser auch nach der
Lebenserfahrung und dem in den Medien veröffentlichten Wissen über derartige
Systeme nicht ganz fern gelegen haben, tatsächlich seinerzeit nicht gezogen hat. Ein
solches Verhalten mag zwar als naiv und blauäugig anzusehen sein; wie das
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Amtsgericht mit dem angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt hat, reichen aber im
Hinblick auf die vorstehend skizzierten rechtlichen Maßstäbe der Anwendung des § 817
S. 2 BGB Blauäugigkeit und Naivität und selbst ein überdurchschnittliches
Gewinnstreben allein nicht aus, um den Bereicherungsanspruch aus § 812 I BGB
auszuschließen. Konnte aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin im
Hinblick auf ihre Einschätzung der Funktionsweise des "I" zwar naiv und blauäugig
gehandelt haben mochte, jedoch ohne dass ihr der Verstoß gegen die guten Sitten
bewusst gewesen wäre und ohne dass sie sich der Erkenntnis der Sittenwidrigkeit in
leichtfertiger Weise verschlossen hätte, so mussten etwa verbleibende Restzweifel an
ihrer Motivation zu Lasten der Beklagten gehen, die für das Vorliegen der
Voraussetzungen des Ausschlusses des Bereicherungsanspruchs gemäß § 817 S. 2
BGB darlegungs- und beweisbelastet ist.
3.
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Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Verzugszinsen ab dem 23.04.2003 folgt aus
§§ 286 I S. 1, 288 I BGB.
24
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO analog, §§ 711, 713 ZPO.
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