Urteil des LG Bielefeld vom 05.10.2010

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Landgericht Bielefeld, 7 O 281/09
Datum:
05.10.2010
Gericht:
Landgericht Bielefeld
Spruchkörper:
7. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 O 281/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits, einschließich der Kosten der Streithilfe,
trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T A T B E S T A N D
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Der Kläger begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Unfall, der sich am
05.10.2008 auf einer von der Beklagten errichteten Baustelle ereignete.
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Der am 20.02.1957 geborene Kläger ist als Wachmann bei der Firma Sicherheitsdienst
K. beschäftigt. Die Firma setzte ihn seit etwa März 2008 für nächtliche Streifgänge auf
dem Betriebsgelände der Firma L. GmbH in M. ein. Der Bewachungsauftrag sah eine
variable Wachzeit, beginnend ab 20:00 Uhr abends am Wochenende vor.
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Die Beklagte ist ein Bauunternehmen. Auf dem Betriebsgelände der Firma L. sollte ein
neu errichteter Wassertank mit einer in einer benachbarten Halle befindlichen
Feuerwehreinrichtung verbunden werden. Zu diesem Zweck musste ein zwischen
Wassertank und Halle befindlicher betonierter Fahrweg aufgerissen und
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ein Graben gezogen werden. Die Beklagte war mit der Durchführung der
Tiefbauarbeiten beauftragt.
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Am 01.10.2008 begannen die Mitarbeiter der Beklagten mit den Arbeiten. Die Baustelle
befand sich auf einem ringsherum eingezäunten Firmengelände. Zugang zu der
Baustelle hatten die Mitarbeiter der Beklagten durch ein elektrisch seitwärts zu
öffnendes Tor. Der von der Beklagten errichtete Graben befand sich ca. 8 m hinter dem
zuvor beschriebenen Rolltor. In der Zeit, in der die Beklagte ihre Bauarbeiten
durchführte, war ein weiteres Unternehmen auf der Baustelle tätig.
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Bei Durchführung der Baggerarbeiten legte der Mitarbeiter der Beklagten, der Zeuge H.,
den mit dem Bagger ausgehobenen Sand rechts neben dem Graben ab. Dort hatte sich
mittlerweile ein Sandhügel gebildet. Auf der anderen Seite des Grabens war ein Bagger
abgestellt.
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Am Samstag, dem 04.10.2008, arbeiteten die Mitarbeiter der Beklagten von 9 Uhr
morgens bis nachmittags etwa gegen 15:30 Uhr auf der Baustelle.
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Nach Beendigung der Arbeiten sperrten sie den Graben nicht weiter ab. Weder die
Beklagte noch deren Mitarbeiter hatten Kenntnis davon, dass am Wochenende auf dem
Betriebsgelände der Firma L. ein Sicherheitsdienst tätig werden sollte. Über diesen
Umstand war auch der bauleitende Architekt, der Zeuge G., nicht in Kenntnis gesetzt
worden.
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Der Kläger wiederum war nicht darüber informiert worden, dass hinter dem Rolltor ein
Graben errichtet worden war. Am Samstag, dem 04.10.2008, nahm der Kläger nichts
ahnend gegen 23:00 Uhr seinen Wachdienst bei der Firma L. auf. Bei seinem letzten
vorangegangenen Dienst am Wochenende zuvor war der Graben noch nicht vorhanden
gewesen, die Bauarbeiten hatten noch nicht begonnen. Um seinen Dienst
ordnungsgemäß zu versehen, musste der Kläger wie üblich das unmittelbar vor dem
Graben befindliche Rolltor aufschließen. Der von der Beklagten ausgehobene
Wassergraben war weder beleuchtet noch in irgendeiner Weise abgesperrt. Dem Kläger
war das Gelände auf Grund der vorangegangenen Bewachungstätigkeit bekannt. Er
bewegte sich daher ohne eingeschaltete Taschenlampe auf dem Gelände. Als der
Kläger seinen Rundgang fortsetzte, stürzte er in den von der Beklagten errichteten
Graben und zog sich hierbei einen komplizierten offenen Trümmerbruch am rechten
Schienbein und gravierende Weichteilverletzungen zu. Dem Kläger gelang es, mit dem
Handy Hilfe zu holen. Er wurde in das Klinikum I. eingeliefert und noch in der Nacht
erstmalig operiert. Es folgte ein monatelanger Krankenhausaufenthalt mit über 20
Operationen. Letztendlich musste das Bein des Klägers versteift werden.
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Wegen der Einzelheiten des Krankheitsverlaufs und der erlittenen Verletzungen wird auf
die Ausführungen in der Klage, dort Seite 5 – 7, dem klägerischen Schriftsatz vom
17.06.2010 (Blatt 131 d. A.) sowie auf die Anlagen K 5, K 6, K 7, K 8, Anlagenkonvolut K
9, Anlage K 10, K 11, K 12 – K 22 verwiesen.
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Mit der Klage macht der Kläger Schmerzensgeld geltend.
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Der Kläger ist der Ansicht, ein Schmerzensgeld von 60.000 € sei für die erlittenen
Verletzungen angemessen.
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Der Kläger beantragt,
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1.
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes, der Höhe nach in das
Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen
Zentralbank seit dem 24.07.2009 zu zahlen,
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2.
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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm den gesamten zukünftigen
materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden zu erstatten,
welcher ihm auf Grund des Unfalls vom 05.10.2008 in Zukunft noch entstehen
wird, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialleistungsträger oder sonstige
Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden,
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3.
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von
1.641,96 €, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
der Europäischen Zentralbank seit dem 24.07.2009 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet, ihre auf der Baustelle tätigen Mitarbeiter seien davon ausgegangen, dass
sich nachts niemand auf dem Betriebsgelände aufhalte; der Architekt G. habe ihrem
Mitarbeiter H. bereits am 01.10.2008 – dem Beginn der Bauarbeiten – mitgeteilt, dass
der Baustellenbereich abgeschlossen werde, sodass keine besondere Sicherung der
Baustelle erforderlich sei.
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Dies bestreitet der Kläger mit Nichtwissen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen H. und G.. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung
vom 14.09.2010 verwiesen. Außerdem war die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft
Bielefeld, AZ 22 Js 336/09, beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
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Die Klage ist zulässig. Für den Klageantrag zu 2) (Feststellungsantrag) besteht das
erforderliche Feststellungsinteresse. Es ist noch nicht abschließend geklärt, inwieweit
Beeinträchtigungen und Dauerschäden des Klägers auf Grund der erlittenen
Verletzungen zurückbleiben. Es steht außerdem noch nicht fest, ob und in welchem
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Grad eine Minderung der Erwerbstätigkeit besteht.
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Die Klage ist jedoch unbegründet.
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Dem Kläger steht der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch gegen die Beklagte
gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 BGB – der einzig in Betracht kommenden
Anspruchsgrundlage – nicht zu.
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Die Anspruchsvoraussetzungen liegen nicht vor. Es besteht an einer kausalen
Verkehrssicherungspflichtverletzung durch die Beklagte.
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Die Beklagte hat keine ihr gegenüber dem Kläger obliegende Verkehrssicherungspflicht
schuldhaft verletzt. Der Verkehrssicherungspflichtige muss nämlich nur solche
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Vorkehrungen treffen, die nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs im
Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind, Gefahren von Dritten tunlichst
abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßer oder nicht ganz fernliegender
bestimmungswidriger Benutzung drohen.
Zwar hat die Beklagte den von ihr ausgehobenen Graben nicht durch Absperrungen
gesichert. Eine dahingehende Verkehrssicherungspflicht oblag der Beklagten jedoch
auf Grund der örtlichen Begebenheiten und des Kenntnisstandes der Mitarbeiter der
Beklagten nicht.
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Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der verantwortliche Mitarbeiter der Beklagten,
der Zeuge H., davon ausging, dass sich, nachdem die Bauarbeiter die Baustelle
verlassen hatten, keine weiteren Personen auf dem Baustellengelände aufhalten
würden. Hierzu hat der Zeuge bekundet, ihm sei bereits am ersten Tag der
Bauausführung von einem Architekten mitgeteilt worden, dass das Rolltor nach
Verlassen der Baustelle stets verschlossen sei. An einem Abend, an dem er gemeinsam
mit einem Mitarbeiter den Graben habe sichern wollen, habe ihnen ein "Architekt"
erklärt, dass dies nicht erforderlich sei, da das Rolltor verschlossen werde und daher
keiner die Baustelle betreten könne. Der Zeuge hat weiter bekundet, dass er sich hierauf
verlassen habe und daher keine weitere Absperrung des Grabens vorgenommen habe.
Am Samstag, dem 04.10.2008 habe er sich nach Verlassen der Baustelle versichert,
dass das Rolltor geschlossen gewesen sei. Weitere Bauarbeiter oder andere Personen
hätten sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Baustellenbereich befunden.
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Die Aussage des Zeugen ist glaubhaft. Sie ist in sich schlüssig und widerspruchsfrei.
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Zudem stimmt sie inhaltlich mit seinen Angaben überein, die er im Rahmen des
Ermittlungsverfahrens gegenüber der Polizei gemacht hat.
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Zur Sicherung des offenen Grabens genügte es unter diesen Umständen, dass das
Rolltor, das sich unmittelbar vor dem Graben befand, verschlossen war. Unter diesen
Umständen durften die Mitarbeiter der Beklagten ausschließen, dass sich Personen auf
der Baustelle aufhalten würden, die in den Graben stürzen könnten.
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Die Beklagte war auch nicht im Verhältnis zum Kläger dazu verpflichtet, weitere
Sicherungsmaßnahmen zu treffen. Zwar hielt sich der Kläger berechtigterweise im
Baustellenbereich auf. Damit musste die Beklagte aber nicht rechnen. Ihr war der
Einsatz eines Wachmannes nicht bekannt. Es stellt auch keine übliche Gepflogenheit
dar, nachts auf Firmengelände einen Wachdienst einzusetzen. Es war für die Beklagte
nicht vorhersehbar, dass ein Wachmann das Rolltor aufschließen und dann den
Baustellenbereich mit Graben betreten würde.
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Da der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch nicht besteht, kann der Kläger auch
nicht die für die Durchsetzung dieses Anspruchs entstandenen außergerichtlichen
Rechtsanwaltsgebühren ersetzt verlangen.
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Mangels Hauptforderung entfallen auch die Zinsansprüche.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 101, 709 ZPO.
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Der Streitwert des Rechtsstreits wird auf 70.000 € festgesetzt.
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