Urteil des LG Bielefeld vom 22.10.2010

LG Bielefeld (selbständiges garantieversprechen, austausch, höhe, herzschrittmacher, behandlungskosten, verfügung, rückruf, klageschrift, partei, hersteller)

Landgericht Bielefeld, 18 O 14/08
Datum:
22.10.2010
Gericht:
Landgericht Bielefeld
Spruchkörper:
18. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 O 14/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
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Die klagende Krankenkasse beansprucht Ersatz der Behandlungskosten für einen
Herzschrittmacherwechsel, der bei einer ihrer Versicherten, der am 20.02.1931
geborenen N. S., durchgeführt wurde.
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Der Versicherten war im Oktober 1999 wegen eines AV-Blocks III. Grades ein
Herzschrittmacher des Modells "Meridian 0976" mit dem SM-Modus DDD und der
Seriennummer 202543 implantiert worden. Hersteller dieses Gerätes ist die in den USA
ansässige H. Corporation. Alleinige Vertriebsgesellschaft der Herzschrittmacher in
Deutschland war die H. GmbH & Co. Medizintechnik KG (im Folgenden: Fa. H.), die
aufgrund des Verschmelzungsvertrages vom 16.08.2007 mit der jetzigen Beklagten als
übernehmende Rechtsträgerin verschmolz.
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Am 18.07.2005 gab die H. Corporation einen "Sicherheitshinweis" für das
streitgegenständliche Gerät heraus. Die Fa. H. übernahm die Vermittlung der darin
enthaltenen Informationen auf dem deutschen Markt. Sie übersetzte das Schreiben,
verteilte es – datiert auf den 22.07.2005 – an Ärzte, Krankenhäuser sowie an das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und stellte sich als
Ansprechpartnerin für mögliche Rückfragen zur Verfügung. In dem als
"Sicherheitsinformationen" bezeichneten Schreiben heißt es, dass ein in bestimmten
Gerätetypen, zu denen auch das bei der Versicherten implantierte Modell gehörte,
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verwendetes Bauteil zur hermetischen Versiegelung möglicherweise einem
sukzessiven Verfall unterliege, was unter anderem zu vorzeitiger Batterieerschöpfung
mit Verlust der Telemetrie und / oder der Stimulationstherapie ohne Vorwarnung oder
unangemessener Akzelerometer-Funktion führen könne. Diese klinischen
Verhaltensweisen könnten schwerwiegende gesundheitliche Komplikationen nach sich
ziehen. Ein Test, der ein künftiges Versagen eines implantierten Gerätes
prognostizieren könne, sei noch nicht entwickelt worden. Die H. Corporation empfiehlt in
diesem Schreiben u.a., bei herzschrittmacherabhängigen Patienten einen Austausch
des Gerätes zu erwägen. Weiter heißt es in dem Schreiben:
"Auch wenn kein Garantieanspruch mehr besteht, wird H. jedoch
herzschrittmacherabhängigen Patienten und solchen, für die der Arzt es für das
Beste hält, das Gerät auszutauschen, kostenlos ein Ersatzgerät zur Verfügung
stellen. Vorausgesetzt, der Austausch findet vor dem Auftreten des normalen
Austauschindikators statt. Dieses ergänzende Garantieprogramm gilt bis zum 31.
Dezember 2005."
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens wird auf die von der Klägerin mit der
Klageschrift als Anlage K2 zu den Akten gereichte Kopie verwiesen.
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Da die Versicherte absolut herzschrittmacherabhängig ist, wurde sie am 07.10.2005 im
N.-Hospital in I. aufgenommen, wo sie bis zum 18.10.2005 stationär behandelt wurde.
Der Austausch des Schrittmachers erfolgte am 11.10.2005. Bei der Untersuchung des
explantierten Gerätes in den USA konnte ein Fehler nicht festgestellt werden. Der
Klägerin entstanden durch den Aggregatwechsel insgesamt Aufwendungen in Höhe
von 5.363,23 €. Mit anwaltlichem Schreiben vom 01.10.2007 forderte sie die Firma H.
vergeblich auf, ihr diesen Betrag bis zum 25.10.2007 zu ersetzen.
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Die Klägerin ist der Ansicht, die Fa. H. sei als oberste Vertriebshändlerin und alleinige
Vertreiberin der Geräte der H. Corporation in Deutschland zur eigenständigen
Produktbeobachtung verpflichtet gewesen. Das Schreiben vom 22.07.2005 sei als
Rückruf zu werten, der einen Schadensersatzanspruch begründe. Darüber hinaus
enthalte es ein selbständiges Garantieversprechen für den Fall eines bis zum
31.12.2005 erfolgenden Geräteaustauschs. Damit habe die Fa. H. ihren Willen zum
Ausdruck gebracht, die Betroffenen der Rückrufaktion von sämtlichen Kosten
freizustellen.
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Die Klägerin hat zunächst gegen die Fa. H. Klage erhoben. Die Klageschrift ist den
Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom
12.06.2008 hat die Klägerin erklärt, dass die Klage sich gegen die Beklagte als
übernehmende Rechtsträgerin richte und hat insoweit die Berichtigung des
Passivrubrums beantragt.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.990,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.363,23 € seit dem 26.10.2007 sowie
aus weiteren 627,13 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass es sich bei dem Schreiben vom 22.07.2005
nicht um einen Rückruf, sondern lediglich um einen Sicherheitshinweis handele. Selbst
wenn man einen Rückruf annehmen wolle, sei ausschließlich der Hersteller des
Gerätes möglicher Anspruchsgegner eines Entschädigungsanspruchs. Sie selbst habe
keine eigene Pflicht zur Gefahrenabwehr verletzt. Auch das BfArM, das nach § 15
MPSV berechtigt sei, bei unzureichenden Maßnahmen des nach dem MPG
Verantwortlichen eigenständige Maßnahmen, also auch Rückrufe, anzuordnen, habe
die Sicherheitshinweise offenbar für ausreichend erachtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Parteien gewechselten
Schriftsätze nebst Anlage verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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I.
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Die Beklagte ist durch zulässigen Parteiwechsel Partei des Rechtsstreits geworden. Die
ursprünglich gegen die Fa. H. gerichtete Klage war unzulässig. Die Fa. H. ist bereits am
05.11.2007 gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 UmwG durch Eintragung der
Verschmelzung erloschen und war bereits bei Einreichung der Klage nicht mehr
existent. Die Klage gegen eine nicht (mehr) existierende Partei ist unwirksam. Zwar
kommt es nicht allein auf die Parteibezeichnung an. Bei unrichtiger äußerer
Bezeichnung ist grundsätzlich die Person als Partei anzusehen, die erkennbar durch die
Parteibezeichnung betroffen werden soll (BGH NJW 2002, 3110., 3111). Aus der
Klageschrift und den dazu gehörigen Anlagen geht jedoch nicht hervor, dass die C.
GmbH Beklagte sein sollte. Der Klägerin war die Verschmelzung nicht bekannt. Für das
Gericht war das Erlöschen der Fa. H. durch Verschmelzung ebenfalls nicht erkennbar.
Die Klägerin hat erst mit Schriftsatz vom 12.06.2008 deutlich gemacht, dass sie ihre
Klage nunmehr gegen die C. GmbH richte. Diese hat die Zustellung der Klageschrift an
ihre Prozessbevollmächtigten gegen sich gelten lassen. Die als Klageänderung zu
behandelnde Parteiänderung ist nach § 263 ZPO sachdienlich. Die Zulassung des
Parteiwechsels fördert die endgültige Beilegung des Streits. Darüber hinaus bleibt der
bisherige Streitstoff verwertbar, da die tatsächlichen Grundlagen der erhobenen
Ansprüche durch den Parteiwechsel unberührt bleiben.
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II.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der durch den
Austausch des Herzschrittmachers bei ihrer Versicherten entstandenen
Behandlungskosten in Höhe von 5.363,23 €.
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1.
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Ein Anspruch ergibt sich nicht aus einer garantievertraglichen Vereinbarung. Eine
Zusage der Fa. H. gegenüber der Klägerin, die Behandlungskosten zu übernehmen, ist
weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Nach § 116 Abs. 1 SGB X gehen lediglich
Schadensersatzansprüche auf die Klägerin als gesetzlicher Krankenversicherer über.
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Unabhängig davon ist die Erklärung in dem Sicherheitsinformationsschreiben, H. stelle
Patienten mit Herzschrittmachern unter bestimmten Voraussetzungen kostenlos ein
Ersatzgerät zur Verfügung, nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB)
nicht als Angebot zur umfassenden Kostenübernahme auszulegen. Vielmehr bezog sich
die Zusage ausdrücklich nur auf das Austauschgerät als solches.
2.
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Ein Ersatzanspruch besteht auch nicht aus § 116 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 1 Abs. 1
ProdHaftG oder § 823 Abs. 1 BGB, weil durch den nicht fehlerhaften explantierten
Herzschrittmacher weder eine Körper- oder Gesundheitsverletzung noch eine
Beschädigung einer anderen Sache eingetreten ist.
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3.
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Schließlich kann die Klägerin die aufgewandten Behandlungskosten auch nicht gemäß
§§ 670, 677, 683 S. 1 BGB von der Beklagten ersetzt verlangen. Die Klägerin hat mit der
Bezahlung der Behandlungskosten nicht (auch) ein Geschäft der Fa. H. geführt. Diese
war nicht verpflichtet, den Herzschrittmacher auf ihre Kosten auszutauschen. Das
Schreiben der Fa. H. vom 22.07.2005 enthält keinen Rückruf, sondern lediglich
Sicherheitshinweise und Empfehlungen. Denn die Empfänger des Schreibens werden
nicht zum unbedingten Austausch bestimmter Herzschrittmachertypen aufgefordert. Das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat das Schreiben vom 22.07.2005
nach dem unbestrittenen Vorbringen der Beklagten ebenfalls nicht zum Anlass für die
Anordnung eines Rückrufs genommen. Für eine Rückrufpflicht spricht zwar, dass sich
die Gefahren bei einem implantierten Herzschrittmacher gerade für
schrittmacherabhängige Patienten nicht einfach durch den Verzicht auf die Nutzung des
Geräts beseitigen lassen und kein Testverfahren zur Verfügung stand, um ein künftiges
Versagen eines bestimmten Einzelgeräts zu prognostizieren. Selbst wenn man vor
diesem Hintergrund eine Rückrufpflicht einschließlich der Verpflichtung zur
Kostentragung annehmen wollte, würde diese Pflicht nicht die Fa. H., sondern die H.
Corporation als Hersteller des Herzschrittmachers treffen. Zwar kann auch der
Vertriebshändler zur Gefahrenabwehr verpflichtet sein, wenn er allein – wie die Fa. H. –
die betreffende Ware im Inland vertreibt; ihn trifft in diesem Fall eine eigene Pflicht zur
passiven Produktbeobachtung (BGH NJW 1994, 517, 519). Davon zu unterscheiden ist
jedoch die Frage, wer für die Kosten präventiver Gefahrenabwehrmaßnahmen wie dem
Austausch eines möglicherweise gefährlichen Produkts aufkommen muss. Wollte man
diese Kosten dem Vertriebshändler auferlegen, würde er im Ergebnis für eine Gefahr
haften, die durch einen mutmaßlichen Fehler bei der Entwicklung oder Herstellung des
Produkts, nicht aber durch eine Verletzung der ihm obliegenden Pflicht zur
Produktbeobachtung hervorgerufen wurde. Das käme einer Haftung für Instruktions- und
Fabrikationsfehler gleich, für die der Vertriebshändler, der gerade nicht in den
Entwicklungs- und Produktionsprozess eingebunden ist, nicht einstehen soll (BGH NJW
1981, 2250). Aufgrund ihrer Produktbeobachtungspflicht war die Fa. H. nicht gehalten,
über die Sicherheitsinformationen des Herstellers hinaus eine eigene Rückrufaktion zu
initiieren.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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