Urteil des LG Berlin vom 02.04.2017

LG Berlin: dokumentation, treu und glauben, urkunde, einsichtnahme, ermessen, gestatten, ausnahme, verfügung, herausgabe, ausführung

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Gericht:
LG Berlin 4.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 O 56/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 242 BGB, § 667 BGB, § 675
Abs 1 BGB, § 810 BGB, § 383
HGB
Leitsatz
Wenn ein Bankkunde anlässlich einer Depoteröffnung seine Angaben über Kenntnisse und
Erfahrungen mit Wertpapieren, wirtschaftliche Verhältnisse, Anlageziele und Risikobereitschaft
durch eine Unterschrift bestätigt (sog. WpHG-Bogen), kann er von der Bank Einsichtnahme in
diese Unterlagen nach den Grundsätzen des auftragsrechtlichen Herausgabeanspruchs (§§
675 Abs. 1, 667 BGB i.V.m. §§ 383 ff HGB) jederzeit und auch dann verlangen, wenn die
Voraussetzungen des § 810 BGB - etwa wegen drohender Ausforschung - nicht vorliegen.
Tenor
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes beträgt € 16.600.
Gründe
I.
Der Kläger trat im März 2006 an die Beklagte heran, um sich betreffend die Anlage
seiner Ersparnisse beraten zu lassen. Die Beklagte eröffnete ein Depot für den Kläger
und fertigte über das Gespräch vom 31.03.2006 zwei Unterlagen an. Zum einen erhob
sie auf einem mit „Dokumentation der Kundenangaben“ überschriebenen Formular
dessen Kenntnisse und Erfahrungen, wirtschaftliche Verhältnisse, Anlageziele und
Risikobereitschaft und ließ sich dies Papier durch den Kläger unterzeichnen. Ferner
fertigte die Beklagte eine Dokumentation über den Inhalt des Beratungsgespräches,
welche der Kläger nicht unterzeichnete. Die Beklagte erwarb für den Kläger sodann am
31.03.2006 und 07.12.2006 Wertpapiere für insgesamt etwa € 83.000, und zwar variabel
verzinsliche Anleihen der …-Bank ohne feste Laufzeitbegrenzung.
Im Jahr 2008 war der Kläger mit der Entwicklung seiner Geldanlage unzufrieden und
wandte sich an die Beklagte. Es schloss sich eine Korrespondenz über die Natur des
erworbenen Anlageproduktes an. In diesem Rahmen teilte die Beklagte dem Kläger am
12.03.2008 mit:
„Die Anlageform entspricht Ihrer am 31.03.2006 dokumentierten
Risikobereitschaft Risikoklasse 3 - risikobereit“.
Mit Anwaltsschreiben vom 17.12.2008 bat der Kläger die Beklagte um Übersendung der
von dem Kläger angeblich unterschriebenen Dokumentation. Dies lehnte die Beklagte
ab. Eine Vorstandsbeschwerde blieb ohne Erfolg.
Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er ein rechtliches Interesse an der
Einsichtnahme habe, weil ein Beratungsfehler im Raume stehe. Die Beklagte habe ihn
über wesentliche Eigenschaften der Anleihen der …-Bank, insbesondere das Risiko eines
Totalverlustes, nicht aufgeklärt. Hierbei sei von Bedeutung, was in der Dokumentation
enthalten sei, an deren Inhalt er keine Erinnerung mehr habe. Die Dokumentation sei in
seinem Interesse erstellt worden. Wenn die Beklagte eine Dokumentation anfertige,
gehe sie die Selbstverpflichtung ein, dem Kunden auch die Einsichtnahme gestatten.
Der Kläger hat angekündigt, zu beantragen, die Beklagte zu verurteilen, ihm Einsicht in
die von ihr am 31.03.2006 erstellte und von ihm unterschriebene Dokumentation über
die zwischen ihnen geführten Beratungsgespräche zu gestatten.
Die Beklagte hat angekündigt, zu beantragen, die Klage abzuweisen. Es handele sich bei
beiden Dokumenten um bankinterne Unterlagen, die aus grundsätzlichen Erwägungen
nicht an den Kunden herausgegeben würden. Bankinterne Unterlagen seien auch nicht
nach Auftragsrecht herauszugeben. Eine schriftliche Dokumentation sei im
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nach Auftragsrecht herauszugeben. Eine schriftliche Dokumentation sei im
Wertpapierhandelsgesetz nicht vorgeschrieben gewesen und dieses Gesetz regele
zudem lediglich Fragen des Aufsichtsrechts. Schließlich fehle es an schutzwürdigem
Interesse, wenn die Einsichtnahme der Ausforschung des Anspruchsgegners dienen
solle.
Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage im Rahmen der Güteverhandlung hat die
Beklagte die mit „Dokumentation der Kundenangaben" überschriebene Unterlage in
Kopie zu Protokoll gereicht. Hierauf haben die Parteien den Rechtsstreit
übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt und streiten über die Kostenlast.
II.
Die Entscheidung beruht auf § 91a Abs. 1 ZPO. Bei übereinstimmender
Erledigungserklärung entscheidet das Streitgericht über die Kostentragung unter
Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch
Beschluss. Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten
aufzuerlegen. Die Beklagte wäre in streitiger Verhandlung voraussichtlich unterlegen.
1. Der Kläger konnte von der Beklagten die Einsicht in das von dem Kläger
unterzeichnete, mit „Dokumentation der Kundenangaben“ überschriebene Formular
(und im Zivilprozess damit dessen Vorlegung) verlangen.
a) Ein Einsichtsrecht folgt zwar nicht aus einem - stillschweigend geschlossenen (vgl.
BGH vom 04.03.1987 -IVa ZR 122/85- BGHZ 100, 117ff) - Beratungsvertrag. Die
anleger- und objektgerechte Beratung nach dem Grundsätzen des sog. Bond-Urteils
(vgl. BGH vom 06.07.1993 -XI ZR 12/93- BGHZ 123, 126) umfasst schon im Ansatz nicht
eine Verpflichtung zur Gewährung von Einsicht in Unterlagen.
b) Der Kläger konnte von der Beklagten jedoch die Einsicht in die mit „Dokumentation
der Kundenangaben" überschriebene Unterlage nach den Grundsätzen des
auftragsrechtlichen Herausgabeanspruchs verlangen, §§ 675 Abs. 1, 667 BGB i. V. m. §§
383 ff HGB.
Die Parteien haben mit Einrichtung des Wertpapierdepots im März 2003 einen
Wertpapierkommissionsvertrag als Dienstleistungsvertrag geschlossen, der eine
entgeltliche Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat, § 675 BGB, §§ 383 ff. HGB.
Im Sinne des § 667 BGB herauszugeben hat der Geschäftsbesorger auf Verlangen des
Auftraggebers jedoch alles, was er zur Ausführung des Auftrages erhält und was er aus
der Geschäftsbesorgung erlangt. Zur Ausführung des Auftrags erhalten ist dabei alles,
was ihm zum Zwecke der Geschäftsbesorgung zur Verfügung gestellt worden ist (BGH
vom 11.03.2004 -IX ZR 178/03- MDR 2004, 967 m. w. N.). Dies umfasst auch Urkunden
(vgl. Nachweise bei Sprau, in: Palandt, 68. Aufl., Rn. 2 zu § 667 BGB). Hier hat der Kläger
der Beklagten nicht nur die genannten Informationen aus seiner Privatsphäre zur
Verfügung gestellt, sondern gegenständlich auch durch die Leistung der Unterschrift
eine zum Beweis gegen ihn selbst geeignete (§ 416 ZPO) Urkunde geschaffen und den
Besitz hieran der Beklagten eingeräumt. Angesichts dessen hat die Beklagte zumindest
eine Einsicht in die Urkunde zu gestatten, wenn sie sich selbst darauf beruft.
Zu keinem anderen Ergebnis führt, dass die Beklagte gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 1 WpHG
(hier in der vom 01.08.1998 bis 19.07.2007 in Kraft gewesenen Fassung) gehalten war,
von ihren Kunden Angaben über deren Erfahrungen oder Kenntnisse in Geschäften, die
Gegenstand von Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen sein
sollen, über deren mit den Geschäften verfolgten Ziele und über deren finanziellen
Verhältnisse zu verlangen. Selbst wenn es sich bei § 31 Abs. 2 Nr. 1 WpHG a. F. um
keine individuellen Rechte Dritter begründendes Aufsichtsrecht handelte, hat doch der
Kläger die Beklagte mit Informationen versorgt, ohne die die Beklagte ihre dem Kläger
gegenüber geschuldete Dienstleistung nicht vorschriftsmäßig hätte erfüllen können.
Selbst wenn man - wie dies die Beklagte tut - statt dem Kläger die Beklagte als
Herstellerin der Urkunde ansieht, ergibt sich nichts Abweichendes. In diesem Fall
Schuldete die Beklagte die Einsicht unter dem Gesichtspunkt der Herausgabe alles aus
der Geschäftsbesorgung Erlangten. Aus der Geschäftsbesorgung erlangt ist nämlich
jeder Vorteil, den der Beauftragte aufgrund eines inneren Zusammenhangs mit dem
geführten Geschäft erhalten hat (vgl. BGH vom 17.10.1991 -III ZR 352/89- NJW-RR 1992,
560). Nach dieser Alternative sind auch die vom Beauftragten über die
Geschäftsbesorgung selbst angelegten Akten, sonstigen Unterlagen und Dateien - mit
Ausnahme von privaten Aufzeichnungen - herauszugeben (vgl. RG vom 26.09.1922 -II
745/21- RGZ 105, 392, 395; BGH vom 30.11.1989 a. a. O.; KG vom 12.09.1988 -24 W
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745/21- RGZ 105, 392, 395; BGH vom 30.11.1989 a. a. O.; KG vom 12.09.1988 -24 W
2242/88- NJW 1989, 532 f; OLG Hamm vom 29.10.1987 -15 W 361/85- NJW-RR 1988, 268,
269).
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist hiervon auch keine Ausnahme für sog.
Arbeitsmittel anzubringen, welche der Beauftragte für die Zeit nach Beendigung seiner
Tätigkeit zur eigenen Information behalten möchte. Einmal abgesehen davon, dass es
auf Wünsche des Beauftragten schwerlich ankommen kann, übersieht die angeführte
Rechtsprechung des OLG Nürnberg (vom 06.12.2006 -8 U 1857/06- WM 2007, 647), dass
ein Arbeitsmittel schon dem Begriff nach keine private Aufzeichnung im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes darstellen kann. Dies muss erst recht gelten,
wenn das fragliche Dokument - wie vorliegend - zum Zwecke der Erfüllung
aufsichtsrechtlicher Pflichten angefertigt worden ist, welche ungeachtet der Frage des
Drittschutzes kaum als Privatsache der Beklagten angesehen werden kann.
Richtigerweise sind nach alledem von der Herausgabe nach § 667 BGB neben privaten
Aufzeichnungen nur solche Unterlagen ausgenommen, welche der Beauftragte nach
dem erteilten Auftrag zu erstellen schuldete. Das vertraglich geschuldete
Arbeitsergebnis steht nämlich im Austauschverhältnis des gegenseitigen Vertrages, so
dass es ist nicht im Sinne der §§ 675 Abs. 1, 667 2. Alt. BGB erlangt, sondern
Gegenstand des vertraglichen Erfüllungsanspruchs ist (vgl. BGH vom 11.03.2004 -IX ZR
178/03- MDR 2004, 967 m. w. N.). Um solch eine Unterlage handelte es sich indes
ersichtlich nicht.
c) Das von dem Kläger bemühte Einsichtsrecht gemäß § 810 BGB hätte der Klage
dagegen nicht zum Erfolg verholfen. Hiernach ist der Besitzer einer Urkunde zur
Gestattung der Einsicht unter anderem dann verpflichtet, wenn die Urkunde im Interesse
des Anspruchstellers errichtet oder in der Urkunde ein zwischen ihm und einem anderen
bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet ist. Dies gilt indes nur dann, wenn ein
rechtliches Interesse besteht, die in fremdem Besitz befindliche Urkunde einzusehen. Ein
solches Interesse besteht jedenfalls nach kontinentaleuropäischer Rechtstradition aber
dann nicht, wenn die Einsichtnahme lediglich dazu dienen soll, Unterlagen für die
Rechtsverfolgung des Anspruchstellers zu beschaffen. Das Vorlegungsverlangen darf
nicht zu einer unzulässigen Ausforschung führen; daher greift § 810 BGB nicht ein, wenn
jemand, der für einen Schadensersatzanspruch gegen den Urkundenbesitzer an sich
darlegungs- und beweispflichtig ist, sich durch die Urkundeneinsicht zusätzliche
Kenntnisse verschaffen und erst auf diese Weise Anhaltspunkte für ein pflichtwidriges
Verhalten des Beklagten ermitteln will (BGH vom 30.11.1989 -III ZR 112/88- BGHZ 109,
260ff zu II.4.; BGH vom 16.04.1962 -VII ZR 252/60- WM 1962, 706, 707; BGH vom
31.03.1971 -VIII ZR 198/69- WM 1971, 565, 567).
Nichts anderes folgt aus der Rechtsprechung des XI. Zivilsenates, wonach ein
Berechtigter gemäß § 242 BGB Auskunft über den Vertragsinhalt und Einsicht in dessen
Vertragsunterlagen verlangen kann, wenn er wegen des Verlustes seines
Vertragsexemplars über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen
und wenn die Auskunft dem Verpflichteten unschwer, d. h. ohne diesen unbillig zu
belasten, möglich ist (vgl. BGH vom 28.04.1992 -XI ZR 193/91- MDR 1992, 666). Ein
solches Auskunftsrecht aus Treu und Glauben kommt vorliegend schon deswegen nicht
in Betracht, weil die erhobenen Informationen nicht Gegenstand einer Vereinbarung
zwischen den Parteien waren.
2. Keiner Vertiefung bedarf, ob eine Klage auch hinsichtlich der weiter angefertigten
Dokumentation über den Inhalt des Beratungsgespräches, welche der Kläger nicht
unterzeichnet hatte, Erfolg gehabt hätte. Dies könnte zweifelhaft sein, weil es insoweit
mangels Unterschrift an einer Urkunde im Sinne des § 416 ZPO fehlt. Diese
Dokumentation war jedoch nicht Streitgegenstand, weil der Kläger von Beginn an nur die
Einsicht in von ihm unterschriebene Unterlagen verlangt hat.
III.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 3 ZPO. Bei Auskunftsansprüchen, die eine
Leistungsklage erst vorbereiten sollen, ist der Streitwert unter Berücksichtigung des
Interesses an der begehrten Vorbereitungshandlung nach § 3 ZPO nach freiem
Ermessen zu schätzen. Dieser Wert ist nicht identisch mit demjenigen des
Leistungsanspruchs. Vielmehr beträgt er in der Regel einen Bruchteil des Werts des
Leistungsanspruchs, da die Auskunft die Geltendmachung des Leistungsbegehrens
vorbereiten und erleichtern soll. Dieses Auskunftsinteresse ist in der Regel auf 1/4 bis
1/10 zu bemessen (vgl. KG vom 18.09.1995 -12 W 5217/95- KGR Berlin 1995, 251).
Vorliegend ist bei einem Kapitaleinsatz von € 83.000 der Streitwert mit 1/5 dieses
Betrages anzusetzen (vgl. zu dem Ansatz von 1/5 auch KG vom 08.11.1994 -21 W
Betrages anzusetzen (vgl. zu dem Ansatz von 1/5 auch KG vom 08.11.1994 -21 W
7047/94- nach juris; Herget, in: Zöller, 27. Aufl., Rn. 16 „Auskunft“ zu § 3 ZPO m. w. N.).
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