Urteil des LG Berlin vom 15.01.2006

LG Berlin: gebühr, ordentliche kündigung, rechtsschutzversicherung, vollmacht, vertretung, ermessensspielraum, bezahlung, bedingung, aufklärungspflicht, qualifikation

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Gericht:
LG Berlin 52.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
52 S 213/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 14 RVG, Nr 2300 RVG-VV, §
280 BGB, § 611 BGB
Rechtsanwaltsvertrag: Aufklärungspflicht über die Konditionen
der Deckung durch die Rechtsschutzversicherung;
außergerichtliches Tätigwerden bei einem
Kündigungsschutzmandat
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 9.6.2006 verkündete Urteil des
Amtsgerichts Charlottenburg – 238 C 15/06 – teilweise geändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.614,72 Euro nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.1.2006 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/5 und der Beklagte 4/5 zu
tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Auf die Fertigung eines Tatbestandes wird gem. § 313 a ZPO verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Berufung ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Vergütungsanspruch dem Grunde nach gem.
§§ 611, 675 BGB zu.
Der Beklagte hat die Klägerin am 29.7.2005 bevollmächtigt, außergerichtlich seine
Interessen gegenüber seinem ehemaligen Arbeitgeber zu vertreten. Wegen der
Einzelheiten der Vollmacht wird auf die Anlage K 1 Bezug genommen. Die Beauftragung
umfasste ein Tätigwerden der Klägerin in Bezug auf eine vorangegangene Kündigung
des Arbeitgebers des Beklagten, eine mögliche Weiterbeschäftigung, die Erteilung eines
Zwischenzeugnisses und auch außergerichtliche Verhandlungen in der
Kündigungssache.
Die erteilte Vollmacht stand nicht unter der Bedingung der Erteilung der
Deckungszusage seitens des Rechtsschutzversicherers des Beklagten. Der Beklagte hat
keinen Vortrag gehalten, der den Grundsatz der Vollständigkeit und Richtigkeit der
Urkunde gem. § 416 ZPO erschüttern könnte. Zudem ist er dem aus der Anlage K 3
ersichtlichen Schreiben der Klägerin vom 2.8.2005, das die außergerichtliche
Beauftragung bestätigt, nicht entgegengetreten. Die Tatsache, dass die Klägerin eine
Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung einholen sollte, besagt nicht, dass die
Vollmacht nur unter der Bedingung der Erteilung von Kostendeckung gegeben wurde.
Die Klägerin hat den Beklagten vor Auftragserteilung darauf hingewiesen, dass sich die
zu erhebenden Gebühren nach dem Gegenstandswert richten. Dies folgt aus dem vom
Beklagten unterzeichneten, aus der Anlage K 21 ersichtlichen Wertgebührenverzeichnis
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Beklagten unterzeichneten, aus der Anlage K 21 ersichtlichen Wertgebührenverzeichnis
vom 29.7.2005 sowie aus der unterzeichneten Vollmacht vom selben Tage.
Der Höhe nach steht der Klägerin ein Anspruch in Höhe von 1.614,72 Euro zu.
Die Kammer hat gem. § 14 Abs.2 RVG über die Behauptung der Klägerin, die Höhe der
Rahmengebühr sei in der Rechnung vom 14.12.2004 angemessen bestimmt, ein
Gutachten der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg eingeholt.
Für die Geschäftsgebühr gem. § 2 Abs.2 RVG i.V.m. Nr. 2300 VV RVG hat die Klägerin
einen Wert von 23.750,00 Euro zugrunde gelegt. Dieser wurde zu Recht ermittelt auf der
Basis des Quartalsbezugs (14.250,00 Euro) für das Vorgehen gegen die Kündigung sowie
jeweils eines durchschnittlichen Monatsgehalts (4.750,00 Euro) für das Verlangen nach
Weiterbeschäftigung und nach einem Zwischenzeugnis.
Gem. § 14 Abs.1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im
Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfanges und der
Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der
Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen.
Ein besonderes Haftungsrisiko kann bei der Bemessung herangezogen werden. Bei
Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das
Haftungsrisiko zu berücksichtigen.
Bei der Bestimmung der Gebühr handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des
Rechtsanwalts, die nur darauf überprüfbar ist, ob er von falschen tatsächlichen
Grundlagen ausgegangen ist oder den Ermessensspielraum überschritten hat.
Im vorliegenden Fall überschreitet die von der Klägerin angesetzte Gebühr die in
vergleichbaren Fällen angemessene Gebühr deutlich. Angemessen ist eine Gebühr von
2,0. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Gemäß 2300 VV RVG besteht für die Berechnung der anwaltlichen Vergütung ein
Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5. Im Falle durchschnittlicher Verhältnisse gilt zunächst
die in 2300 VV RGV ausdrücklich genannte Regelgebühr von 1,3. Die Höchstgebühren
sind gerechtfertigt, wenn der Umfang oder die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit
weit über dem Normalfall liegen.
Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer H hat in ihrem Gutachten nachvollziehbar
ausgeführt, dass die Angelegenheit insgesamt als überdurchschnittlich einzustufen ist.
Der Umfang sei als leicht unterdurchschnittlich, die Schwierigkeit der Angelegenheit als
leicht überdurchschnittlich anzusehen, während die Bedeutung der Angelegenheit leicht
überdurchschnittlich und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beklagten
überdurchschnittlich seien. Im Hinblick vor allem auf den dargelegten zeitlichen Aufwand
der Klägerin, die Schwierigkeit der Ausarbeitung des arbeitsrechtlichen
Aufhebungsvertrages mit einer Fülle auftauchender Problemkreise, dem wirtschaftlichen
und persönlichen Interesse des Beklagten am Ausgang der arbeitsrechtlichen
Streitigkeit und dem früheren Monatsgehalt des Beklagten in Höhe von 4.750,00 Euro
stuft die Kammer die Angelegenheit ebenso wie die Hanseatische
Rechtsanwaltskammer H als überdurchschnittlich ein, so dass eine Erhöhung der Gebühr
über die Regelgebühr von 1,3 gerechtfertigt war.
Wie die Klägerin zu Recht vorträgt, hat die Hanseatische Rechtsanwaltskammer H in
ihrem Gutachten vom 5.9.2007 keine Ausführungen dazu gemacht, inwieweit die Frage
des Haftungsrisikos bei der Bemessung der Geschäftsgebühr zu berücksichtigen war.
Die Einholung eines Ergänzungsgutachtens ist entgegen der Auffassung der Klägerin
jedoch nicht erforderlich. Gem. § 14 RVG ist die Rechtsanwaltskammer lediglich
anzuhören, was hier geschehen ist. Die Ausführungen der Rechtsanwaltskammer sind
für die Kammer nicht bindend.
Nach Auffassung der Kammer musste ein Haftungsrisiko der Klägerin vorliegend bei der
Bestimmung der angemessenen Gebühr nicht zwingend berücksichtigt werden. Das
wäre nur dann der Fall, wenn es sich bei der Geschäftsgebühr gem. § 2 Abs.2 RVG i.V.m.
Nr. 2300 VV RVG um eine Rahmengebühr handeln würde, die sich nicht nach dem
Gegenstandswert richtet. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Zwar ist in
Beendigungsstreitigkeiten der Gegenstandswert gesetzlich gem. § 42 Abs. 4 GKG
gekappt. Dennoch variiert der Gegenstandswert auch in Beendigungsstreitigkeiten nach
der Höhe der durch den Mandanten erzielten Einkünfte, so dass ein besonderes
Haftungsrisiko bei der Bemessung der Gebühr herangezogen werden kann, aber nicht
muss.
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Das Vorliegen eines besonderen Haftungsrisikos, das unter Berücksichtigung auch der
sonstigen, bereits dargelegten Umstände eine Gebühr von mehr als 2,0 rechtfertigt, ist
hier nicht ersichtlich. Die Klägerin meint, dass hier ein besonderes Haftungsrisiko
vorliege, weil ein Anwalt bei einer aufgrund seines Verschuldens wirksam gewordenen
Kündigung hinsichtlich des Lohn- und Gehaltsanspruches endlos haften würde.
Es existiert keine allgemeine Regel, dass in Beendigungsstreitigkeiten stets ein
besonderes Haftungsrisiko vorliegt. Für den vorliegenden Fall ist dies jedenfalls nicht
ersichtlich. Die Kenntnis und Berücksichtigung der Klagefrist zur Erhebung einer
Kündigungsschutzklage gehört zum Basiswissen jedes Anwalts. Ob die
Kündigungsschutzklage tatsächlich Erfolg gehabt hätte, lässt sich anhand des
Sachvortrages nicht beurteilen. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass
nicht auch eine ordentliche Kündigung in Betracht gekommen oder im weiteren Verlauf
des Arbeitsverhältnisses nicht möglich gewesen wäre. Den Ausführungen der Klägerin
von einer Haftung bis zum Lebensende des Beklagten kann daher nicht gefolgt werden.
Es liegt daher lediglich ein durchschnittliches Haftungsrisiko vor.
Auch die Qualifikation des beauftragten Beraters als Fachanwalt für Arbeitsrecht
rechtfertigt keine höheren Gebühren. Dass die Probleme auf dem Spezialgebiet des
Arbeitsrechts lagen, wurde bereits im Rahmen der Schwierigkeit der Angelegenheit, die
als leicht überdurchschnittlich bewertet wurde, berücksichtigt. Die besondere
Qualifikation des Beraters war Grund dafür, dass er das Mandat überhaupt erhalten hat.
Auch die Tatsache, dass die Klägerin sich durch die Regelungen des ... unterbezahlt
fühlt, ist kein Grund, davon abzuweichen.
Bei einer angemessenen 2,0 Geschäftsgebühr ergibt sich ein Betrag von 1.372,00 Euro.
Zuzüglich der Post- und Telekommunikationspauschale in Höhe von 20 % und der
Umsatzsteuer in Höhe von 222,72 Euro ergibt sich ein zu zahlender Gesamtbetrag von
1.614,72 Euro auf den erkannt wird.
Da die von der Klägerin geforderte Gebühr um mehr als 20 % über der angemessenen
Gebühr liegt, hat sie ihren Ermessensspielraum überschritten, weshalb die Gebühr von
ihr nicht verbindlich bestimmt war.
Demgegenüber besteht aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein aufrechenbarer
Schadensersatzanspruch für den Beklagten.
Eine Pflichtverletzung der Klägerin ist nicht ersichtlich.
Die Klägerin war nicht verpflichtet, über die Konditionen der Deckung durch die
Versicherung zu informieren. Der Beklagte hat bei Erteilung des Mandats offenbar
keinerlei Fragen hinsichtlich der Bezahlung der Rechtsanwaltsgebühren gestellt. Er hat
sich über die Frage, wer die Vertretung bezahlt und welche Kosten dadurch entstehen,
keine Vorstellung gemacht, weil er nach dem Telefonat mit seiner
Rechtsschutzversicherung davon ausgegangen ist, dass eine Bezahlung durch diese
erfolgt. Für eine Pflichtverletzung wäre also erforderlich, dass die Klägerin diese Frage
von sich aus hätte thematisieren müssen. Dafür gab es jedoch keinen Anhaltspunkt.
Denn der Beklagte hatte ausdrücklich den Auftrag erteilt, eine Deckungszusage erst
einzuholen. Es muss aber auch für den Laien ersichtlich sein, dass dies bedeutet, dass
erst noch zu klären ist, ob und in welchem Umfang die Versicherung zahlt. Da der
Beklagte jedoch am selben Tag bereits den Auftrag zur Vertretung erteilte, muss ihm
aber schon klar gewesen sein, dass er bereits Kosten verursacht, obwohl er noch keine
Zusage der Versicherung hatte. Es war die Aufgabe des Beklagten, sich um die
entstehenden Kosten zu kümmern und ggf. bei der Klägerin nachzufragen.
Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn es für die Klägerin auf der Hand lag, dass
die Erstattung durch die Versicherung nicht in Betracht kam. Davon kann aber nicht
ausgegangen werden. Tatsächlich war ja durch das Urteil des Amtsgerichts Essen-Steele
vom 22.6.2005 – 8 C 89/05 – kurz zuvor entschieden worden, dass eine
Erstattungspflicht durch die Versicherung bestand. Es war zwar nicht sicher, ob diese
Entscheidung auch in Zukunft beachtet wird, jedoch gab es keinen zwingenden
Anhaltspunkt zur Aufklärung.
Die Klägerin musste auch nicht darüber aufklären, dass es einen Unterschied macht, ob
man außergerichtlich oder sofort gerichtlich vorgeht. Es ist schon nicht vorgetragen,
dass der Beklagte nach den Varianten der Vorgehensweise gefragt hat. Nach dem
Schreiben vom 28.7.2005 ging es nicht um die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses,
sondern um den Abschluss eines Aufhebungsvertrages. Dies war aber nur im Wege
eines Vergleichs zu klären, so dass ein außergerichtliches Tätigwerden zunächst sinnvoll
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eines Vergleichs zu klären, so dass ein außergerichtliches Tätigwerden zunächst sinnvoll
war. Dass sich der frühere Arbeitgeber des Beklagten auf eine derartige Vorgehensweise
letztlich nicht einließ und es doch zum Gerichtsverfahren kam, konnte die Klägerin nicht
voraussehen.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 97, 708 Nr. 10, 713
ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil der Rechtsstreit keine besondere Bedeutung hat
und weder die Fortbildung des Rechts noch die Vereinheitlichung der Rechtsprechung
eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs.2 ZPO).
Auf die Erstattung durch die Rechtsschutzversicherung kommt es für die Entscheidung
nicht an. Die Aufklärungspflicht ist eine Einzelfallentscheidung.
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