Urteil des LG Berlin vom 14.03.2017
LG Berlin: zustellung, freiheitsentziehung, entschädigung, post, inhaftierung, behörde, verwaltung, schriftstück, quelle, sammlung
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Gericht:
LG Berlin
Rehabilitierungskammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
551 Rh 452/10 UBG
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 17 Abs 1 StrRehaG, § 25 Abs
1 StrRehaG, § 25 Abs 4 S 5
StrRehaG, § 8 VwZG, § 5
BerlVVG
Leitsatz
1. Ein Bescheid, der mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung angegriffen kann, bedarf
gemäß § 25 Abs. 1 StrRehaG der förmlichen Zustellung. Wird der Bescheid statt dessen per
einfacher Post versandt, so beginnt die Antragsfrist des § 25 Abs. 4 Satz 5 StrRehaG gemäß §
5 des Gesetzs über das Verfahren der Berliner Verwaltung i. V. m. § 8 VwZG nur und erst
dann zu laufen, wenn der Bescheid den Adressaten tatsächlich erreicht. Der Nachweis dafür,
dass und wann der Bescheid dem Adressaten zugegangen ist, obliegt der Behörde.
2. Die Vorgabe des § 17 Abs. 1 StrRehaG, wonach die Kapitalentschädigung von 306,78€ für
"jeden angefangenen Kalendermonat" einer rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehung zu
gewähren ist, führt nicht dazu, dass mehrere in einen einzigen Kalendermonat fallende
Haftaufenthalte jeweils für sich mit diesem Betrag zu entschädigen wären. Der
Entschädigungsbetrag bezieht sich auf einen bestimmten Kalendermonat, sodass eine zweite
in den selben Monat fallende Haftzeit keinen zusätzlichen Entschädigungsanspruch auslöst.
Tenor
1. Der Antrag dess Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des
Antragsgegners vom 8. Oktober 2008 (AZ: ...) wird als unbegründet zurückgewiesen.
22.. Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben. Es wird davon abgesehen, die
notwendigen Auslagen des Antragstellers in diesem Verfahren der Landeskasse Berlin
aufzuerlegen.
Gründe
I.
Die Kammer für Rehabilitierungssachen des Landgerichts Berlin hat auf Antrag dess
Betroffenen mehrere strafrechtliche Ermittlungsverfahren der Behörden der ehemaligen
DDR durch rechts-kräftigen Beschluss vom 15. April 2002 (AZ: ...) für rechtsstaatswidrig
erklärt und festgestellt, dass der Betroffene in der Zeit vom 28. bis 31. August 19xx,
vom 3. September bis 3. Oktober 19xx sowie vom 7. bis 13. Oktober 19xx zu Unrecht
Freiheitsentziehung erlitten hat. Auf den am 13. Dezember 2007 angebrachten Antrag
dess Betroffenen hat das Landesamt für Gesundheit und Soziales ihm durch den
angegriffenen Bescheid vom 8. Oktober 2008 Kapitalentschädigung gemäß § 17
StrRehaG für einen Zeitraum von drei Monaten rechtsstaatswidriger Freiheitsentziehung
bewilligt.
Der Bescheid ist am 10. August 2008 an den Betroffenen abgesandt worden. Er enthält
eine Rechtsbehelfsbelehrung folgenden Wortlauts: „Gegen diesen Bescheid ist gem. § 25
Abs. 1 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) der Antrag auf gerichtliche
Entscheidung möglich. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Zustellung dieses
Bescheides zu stellen. Er ist beim Landgericht Berlin, Turmstr. 91, 10559 Berlin, oder bei
jedem Gericht der Bundesrepublik Deutschland schriftlich oder zu Protokoll der
Geschäftsstelle zu erklären. Der Antrag ist zu begründen. Über den Antrag entscheidet
das Landgericht Berlin.“
Der Antragsteller trägt vor, der Bescheid sei ihm „nach Adressierungsschwierigkeiten“
erst am 9. Januar 2009 zugegangen. Er habe am 6. Februar 2009 per Telefax einen
Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt (Kopie Bl. 2 f. d. A., Fax-Sendeprotokoll Bl.
7 d. A.). Ihm stehe nicht nur für drei, sondern für vier angefangene Monate Haftzeit
Entschädigung zu. Jede Inhaftierung müsse gesondert und für sich isoliert betrachtet
werden. Der Umstand, dass seine vorletzte Haftzeit im Oktober 19xx geendet habe,
könne nicht dazu führen, dass seine letzte Inhaftierung im Monat Oktober 19xx bei der
Berechnung der Entschädigung überhaupt nicht berücksichtigt werde.
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Der Antragsgegner hält den Antrag auf gerichtliche Entscheidung für unzulässig. Der
Bescheid sei am 10. Oktober 2008 abgesandt worden und nicht als unzustellbar
zurückgekommen, sodass er nach dem VwZustG als am dritten Tage nach Absendung
zugestellt gelte. Der Antrag wäre deswegen selbst dann erst nach Ablauf der Antragsfrist
bei Gericht eingegangen, wenn er per Telefax am 6. Februar 2009 wirksam angebracht
worden wäre. Im Übrigen sei der Antrag auch unbegründet, da die Kapitalentschädigung
zu Recht nur für die drei Monate August, September und Oktober 19xx gewährt worden
sei.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zwar zulässig, aber nicht begründet.
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, insbesondere vor Ablauf der in §
25 Abs. 1 Satz 4 StrRehaG bestimmten Frist von einem Monat seit Zustellung des
Bescheides bei Gericht eingegangen. Gemeinsam mit dem Antragsgegner geht die
Kammer zu Gunsten des Antragstellers davon aus, dass er das seiner Eingabe vom 16.
April 2010 als Anlage 1 beigefügte Schreiben erstmals am 6. Februar 2009 per Telefax
an das Landgericht Berlin übersandt hat. Unter diesen Umständen liegt ein
fristgerechter Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor, auch wenn das Telefax die
Geschäftsstelle der Rehabilitierungskammer aus ungeklärten Gründen nicht erreicht hat.
Die Antragsfrist von einem Monat ist am 6. Februar 2009 noch nicht beendet gewesen,
denn der Antragsgegner hat nicht nachweisen können, dass der Bescheid dem
Antragsteller vor dem 10. Januar 2009 zugestellt worden ist.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist nicht davon auszugehen, dass der
Bescheid vom 8. Oktober 2008 dem Antragsteller bereits am 13. Oktober 2008
zugestellt worden sei. Nach der Vorgabe des § 25 Abs. 1 StrRehaG bedarf ein dem
Antrag auf gerichtliche Entscheidung unterfallender Bescheid der förmlichen Zustellung.
Der Bescheid ist am 10. Oktober 2008 mit einfacher Post an den Betroffenen abgesandt
worden, obwohl das Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG), welches gemäß § 5 des
Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung Anwendung findet, eine Zustellung
durch formlosen Postversand nicht vorsieht. Zwar wird selbst eine solche Verletzung
zwingender Zustellungsvorschriften nach § 8 VwZG geheilt, wenn das zuzustellende
Dokument den Empfangsberechtigten erreicht. Doch gilt das Dokument dann erst in
dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich
zugegangen ist.
Das war nach Angaben des Antragstellers vorliegend am 10. Januar 2009 der Fall. Der
Nachweis dafür, dass der Bescheid dem Antragsteller tatsächlich schon zu einem
früheren Zeitpunkt zugegangen sei, obliegt dem Antragsgegner; dies ergibt sich aus
dem Rechtsgedanken der §§ 4 Abs. 2 Satz 3 VwZG, 41 Abs. 2 Satz 3 2. Halbsatz VwVfG,
wonach im Falle der Zustellung eines Dokumentes per Einwurfeinschreiben oder der
Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes durch Übersendung per Post im Zweifel die
Behörde nachzuweisen hat, wann das Schriftstück dem Empfänger zugegangen ist.
Einen solchen Nachweis kann der Antragsgegner nicht erbringen, sodass der Bescheid
als am 10. Januar 2009 zugestellt gilt.
2. Der danach zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nicht begründet. Zu
Recht hat der Antragsgegner dem Antragsteller die Kapitalentschädigung nach § 17
StrRehaG nur für die Monate August, September und Oktober 19xx gewährt, in deren
Verlaufe die Haftunterbringungen des Antragstellers stattfanden. Entgegen der Ansicht
des Antragstellers handelt es sich bei der Vorgabe des § 17 Abs. 1 StrRehaG, wonach
die Entschädigung für jeden „angefangenen Kalendermonat“ einer rechtsstaatswidrigen
Freiheitsentziehung zu gewähren ist, nicht um eine bloße Berechnungsvorschrift, die
ohne Rücksicht auf weitere Haftzeiten auf jede einzelne Inhaftierung gesondert
anzuwenden sei. Vielmehr bezieht sich die Entschädigung von 306,78 € nach dem
Wortlaut des Gesetzes jeweils auf einen vollen „Kalendermonat“, in dessen Verlaufe der
Betroffene von rechtsstaatswidriger Freiheitsentziehung betroffen war. Wollte der
Gesetzgeber die Entschädigung für einen gegebenen „Kalendermonat“ auf den Betrag
von 306,78 € festlegen, so sind die Beteiligten und auch das Gericht an diese Festlegung
gebunden. Mit seinem Begehren, für den Monat Oktober 19xx eine
Entschädigungszahlung in Höhe des doppelten Betrages zu erlangen, weil er sich nicht
über den gesamten Monat, sondern aus zwei verschiedenen Anlässen jeweils für einige
Tage in Haft befand, kann der Antragsteller deshalb keinen Erfolg haben.
III.
10 Die Entscheidung ergeht gemäß § 14 Abs. 1 StrRehaG i. V. m. § 25 Abs. 1 Satz 4
StrRehaG gerichtskostenfrei. Die Rehabilitierungskammer hat gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2
StrRehaG i. V. m. § 25 Abs. 1 Satz 4 StrRehaG davon abgesehen, die notwendigen
Auslagen des Antragstellers in diesem Verfahren der Landeskasse Berlin aufzuerlegen,
weil es nicht unbillig ist, den Antragsteller damit zu belasten.
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