Urteil des LG Bad Kreuznach vom 02.09.2010

LG Bad Kreuznach: hinreichender tatverdacht, bad, eröffnung des verfahrens, einstellung des verfahrens, sexueller missbrauch, gebühr, gesamtverteidigung, besitz, strafrichter, auflage

Strafrecht
LG
Bad Kreuznach
02.09.2010
2 Qs 72/10
Keine Befriedungsgebühr bei Eröffnung bei einem anderen Gericht
Aktenzeichen:
2 Qs 72/10 Landgericht Bad Kreuznach
Landgericht
Bad Kreuznach
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen
B.
Kreuznach, deutscher Staatsangehöriger, geschieden
Verteidiger: Rechtsanwalt L., Bad Kreuznach
wegen
Verbreitung von Kinderpornographie
hier:
Sofortige Beschwerde gegen Zurückweisung der beantragten
Kostenfestsetzung gegen die Staatskasse
hat die 2. Strafkammer des Landgerichts Bad Kreuznach durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht
Dr. K., die Richterin am Landgericht Sch. und die Richterin S. am 02.09.2010 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten B. werden die nach dem
Beschluss des Landgerichts Bad Kreuznach vom 21.04.2009 von der
Staatskasse an den Verurteilten zu erstattenden notwendigen
Auslagen auf 95,20 € festgesetzt.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Verurteilte, jedoch
werden die Gebühren für das Beschwerdeverfahren um 25% ermäßigt.
Die notwendigen Auslagen des Verurteilten im Beschwerdeverfahren
werden zu 25% der Staatskasse auferlegt.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf
368,90 € festgesetzt.
Gründe:
Am 11.07.2008 erhob die Staatsanwaltschaft vor dem Landgericht – 2. große Strafkammer – Bad
Kreuznach Anklage gegen B. wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tatmehrheit mit sexuellem
Missbrauch einer Jugendlichen, mit Sich-Verschaffen kinderpornographischer Schriften, mit Besitz
kinderpornographischer Schriften und mit sexuellem Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person.
Nachdem im Zwischenverfahren aussagepsychologische Gutachten zur Frage der Glaubhaftigkeit der
Aussagen der Zeuginnen Sabrina A., Daniela A. und Christiane H. eingeholt worden waren, hat die
Kammer mit Beschluss vom 21.04.2009 die Anklage der Staatsanwaltschaft vom 11.07.2008 zur
Hauptverhandlung nur zugelassen, soweit dem damaligen Angeklagten ein Fall des Sich-Verschaffens
kinderpornographischer Schriften, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben,
zur Last gelegt worden ist und insoweit das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht – Strafrichter - Bad
Kreuznach eröffnet. Im Übrigen, soweit dem damaligen Angeschuldigten in drei Fällen sexueller
Missbrauch vorgeworfen worden war, hat die Kammer die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt und
im Umfang der Ablehnung der Eröffnung die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
damaligen Angeschuldigten der Staatskasse auferlegt.
Zur Begründung führte die Kammer im Wesentlichen aus, dass nachdem B. zwar den Erwerb und den
Besitz von kinderpornographischen Schriften einräume, die gegen ihn erhobenen Missbrauchsvorwürfe
jedoch abstreite, es nicht möglich sein werde, den damaligen Angeschuldigten was die
Missbrauchsvorwürfe angehe im Sinne der Anklage zu überführen. Es fehle nämlich an zureichenden
Beweismitteln, die die Anklagevorwürfe mit der erforderlichen Sicherheit zu belegen geeignet wären. Aus
den eingeholten aussagepsychologischen Gutachten ergebe sich gerade, dass die Glaubhaftigkeit der
Aussagen der beiden mutmaßlichen Tatopfer sowie der weiteren Zeugin gravierenden Bedenken
ausgesetzt und mithin ein hinreichender Tatverdacht nicht zu bejahen sei.
Mit Urteil des Amtsgerichts – Strafrichter – Bad Kreuznach vom 30.11.2009 ist B. schließlich wegen sich
Verschaffens in Tateinheit mit Besitz von kinderpornographischen Schriften zu einer Geldstrafe in Höhe
von 120 Tagessätzen à 10,00 € kostenpflichtig verurteilt worden.
Nachdem der Verteidiger des Verurteilten bereits zwei anderslautende Anträge auf Festsetzung der dem
Verurteilten entstandenen Auslagen gegen die Staatskasse zurückgenommen hatte, beantragte er mit
Schreiben vom 18.03.2010 schließlich, betreffend die Kosten der Ablehnung der Eröffnung des
Verfahrens, die dem Verurteilten entstandenen Auslagen wie folgt gegen die Staatskasse festzusetzen:
Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG 165,-- €
Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG 140,-- €
Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG 140,-- €
Zusätzl. Gebühr Nr. 4141 VV RVG 140,-- €
Auslagenpauschale 20,-- €
19% MwSt 114,95 €
Gesamtbetrag: 719,95 €
Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Bad Kreuznach hat hierzu ausgeführt:
„Der Verteidiger, Rechtsanwalt L., hat bereits in seinem Kostenantrag vom 02.07.2009 für die Verteidigung
gegen alle Anklagepunkte die jeweiligen Mittelgebühren angesetzt.
Unter Berücksichtigung aller Bemessenskriterien des § 14 Abs. 1 RVG, habe ich, gegen den
durchgängigen Ansatz von Mittelgebühren für die Gesamtverteidigung, keine Bedenken.
Hätte sich die Verteidigung nur auf den Strafvorwurf beschränkt, bezüglich dessen das Hauptverfahren
gegen den Angeklagten eröffnet wurde, wären auch die jeweiligen Mittelgebühren angefallen, sodass die
Vergütung des Verteidigers gleich hoch ist.
Da die Auslagen des Verteidigers ebenfalls nicht geringer gewesen wären, ist eine erstattungsfähige
Differenz derzeit nicht vorhanden. (..)
Eine Befriedungsgebühr nach Nr. 4141 VV RVG ist nicht entstanden. Die Gebühr wäre bei Vorliegen der
übrigen Voraussetzungen möglicherweise angefallen, wenn das gesamte Verfahren unter Mitwirkung des
Verteidigers ohne Hauptverhandlung geendet hätte. Vorliegend ist jedoch die Eröffnung des
Hauptverfahrens nur wegen eines Teils der Anklage angelehnt worden, im Übrigen hat eine
Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht stattgefunden. Der Gebührentatbestand VV RVG 4141 ist daher
nicht verwirklicht worden. (..).“
Mit Beschluss vom 29.06.2010 hat die zuständige Rechtspflegerin beim Amtsgericht Bad Kreuznach den
Antrag auf Kostenfestsetzung vom 18.03.2010 zurückgewiesen, da ein Erstattungsanspruch gegen die
Staatskasse nicht gegeben sei. Nach der sog. „Differenztheorie“ ausscheidbare Mehrkosten seien durch
die Anklageerhebung im Verhältnis zur späteren Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht nicht
entstanden.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde vom 06.07.2010.
Nach der „Differenztheorie“ seien folgende ausscheidbaren Auslagen zu erstatten, die allein auf den
„eingestellten Teil“ der landgerichtlichen Entscheidung zurückzuführen seien:
Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG 155,-- €
Erledigungsgebühr Nr. 4141 VV RVG 155,-- €
19% MwSt 58,90 €
Gesamtbetrag: 368,90 €
Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist gegen die Festsetzungsentscheidung des
Rechtspflegers des Gerichts des ersten Rechtszuges über § 464b S. 3 StPO iVm §§ 103 Abs. 2, 104 Abs.
1 ZPO iVm §§ 21 Nr. 1, 11 Abs. 1 RPflG die sofortige Beschwerde statthaft, die nach herrschender
Auffassung geltende einwöchige Beschwerdefrist (vgl. OLG Koblenz in NJW 2005, 917 f, aA -Zwei-
Wochen-Frist der ZPO- OLG Düsseldorf in StraFo 2005, 349) ist eingehalten.
Die Kammer hat als Beschwerdegericht über die sofortige Beschwerde in der grundsätzlich in
Strafverfahren vorgeschriebenen Dreierbesetzung zu entscheiden. Zwar wird teilweise vertreten, dass
über den Verweis auf die Vorschriften der ZPO in § 464b S. 3 StPO in Beschwerdeverfahren im Rahmen
der Kostenfestsetzung gemäß § 568 Abs. 1 ZPO der Einzelrichter zu entscheiden habe (so OLG Rostock
in JurBüro 2009, 541, 542; OLG Hamm, Beschluss vom 17.04.2007, Az.: 4 Ws 97/07). Mit der
herrschenden Auffassung (vgl. nur Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO, 53. Auflage, § 464b Rn. 7, mwN)
ist jedoch von einer Entscheidung durch das auch ansonsten übliche Dreiergremium bei dem
Beschwerdegericht auszugehen. Zum einen sind die Vorschriften der ZPO auch nach dem Verweis in §
464b S. 3 StPO nur entsprechend anzuwenden, weswegen sie nur dort zur Anwendung gelangen können,
wo sie strafprozessualen Prinzipien nicht widersprechen (vgl. BGH in NJW 2003, 763). Eine Entscheidung
durch den Einzelrichter ist der StPO indes fremd. Dass auch der Gesetzgeber daran nichts grundlegend
ändern wollte, kommt bereits darin zum Ausdruck, dass er bei Schaffung des RVG eine Zuständigkeit des
Einzelrichters beispielsweise in § 33 Abs. 8 RVG ausdrücklich gesetzlich geregelt hat, ohne aber eine
umfassendere Regelung aufzunehmen, die zur Zuständigkeit des Einzelrichters führt. Insbesondere ist für
das strafprozessuale Kostenfestsetzungsverfahren keine entsprechende Regelung aufgenommen
worden. Daraus aber muss geschlossen werden, dass der Gesetzgeber an der grundsätzlichen
Zuständigkeit des Beschwerdegerichts in Dreierbesetzung gerade nichts ändern wollte.
In der Sache hat die sofortige Beschwerde teilweise Erfolg.
In Höhe von 95,20 € sind dem Verurteilten notwendige Auslagen entstanden, die auf der Grundlage der
Kostengrundentscheidung der Kammer mit Beschluss vom 21.04.2009 als im Umfang der Ablehnung der
Eröffnung angefallene Auslagen gegen die Staatskasse festzusetzen sind.
Zur Berechnung dieser festzusetzenden Auslagen ist die sog. „Differenztheorie“ heranzuziehen, nach der
sich im Falle einer Teileröffnung (vergleichbar mit einem Teilfreispruch des Angeklagten) der
erstattungsfähige Teil der für die Gesamtverteidigung entstandenen Vergütung aus der Differenz zwischen
dem für die Verteidigung gegen alle Anklagepunkte erwachsenen Gesamthonorar und dem –fiktiv
anzunehmenden- Honorar ergibt, das entstanden wäre, wenn sich die Verteidigung nur auf diejenigen
Vorwürfe beschränkt hätte, bezüglich derer das Hauptverfahren eröffnet worden ist und die letztlich zur
Verurteilung führten.
Die Differenzbetrachtung muss anhand der einzelnen geltend gemachten Gebühren gesondert bewertet
werden.
Im Rahmen der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG, die der Verteidiger hinsichtlich des gesamten
Verfahrens mit 165,-- € angesetzt hat, führt die Anwendung der „Differenztheorie“ zu ausscheidbaren und
damit erstattbaren Mehrkosten in Höhe von 65,-- €.
Wie auch der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Bad Kreuznach zutreffend ausgeführt hat, ist der Ansatz
der Mittelgebühr für die Gesamtverteidigung nach den Grundsätzen des § 14 RVG angemessen. In der
Sache ging es insgesamt neben dem Vorwurf des Besitzes kinderpornographischer Schriften auch um
drei Missbrauchsvorwürfe an Kindern und Jugendlichen, die eine aus Anwaltssicht jedenfalls
durchschnittliche Einarbeitung erforderlich machte.
Vergleicht man diese Gesamtverteidigung jedoch mit dem hypothetischen Fall, dass sich der Verurteilte
mithilfe seines Verteidigers lediglich gegen den letztlich vor dem Amtsgericht verhandelten Tatvorwurf des
Sich-Verschaffens und tateinheitlichen Besitzes kinderpornographischer Schriften hätte verteidigen
müssen, erscheint hierfür der Ansatz der Mittelgebühr nicht gerechtfertigt. Bei dem letztlich verhandelten
Tatvorwurf handelte es sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt, den der Verurteilte eingeräumt hat
und der eine umfangreiche Beweisaufnahme nicht erforderlich machte. Auch die Einarbeitung in einen
solchen, vor dem Strafrichter bei dem Amtsgericht verhandelten, Fall, stellt eine aus Anwaltssicht in
Umfang und Schwierigkeitsgrad unterdurchschnittliche Tätigkeit dar, die mit einer unterhalb der
Mittelgebühr bei 100,-- € anzusetzende Grundgebühr angemessen abgegolten wird.
Betreffend die Verfahrensgebühr führt die Differenzbetrachtung zu ausscheidbaren, erstattbaren
Mehrkosten in Höhe von 15,-- €.
Auch hier ist den Ausführungen des Bezirksrevisors zu folgen, nach denen auch im Rahmen der
Verfahrensgebühr nach Nrn. 4106ff VV RVG der Ansatz der jeweiligen Mittelgebühr angemessen ist.
Eine erstattbare Gebührendifferenz ergibt sich bei einem Vergleich zwischen der angefallenen Gebühr
der Gesamtverteidigung und der hypothetisch angefallenen Verfahrensgebühr, die angefallen wäre, hätte
sich das Verfahren auf diejenigen Anklagepunkte beschränkt, die letztlich zur Verurteilung geführt haben,
jedoch aus dem Umstand, dass die Anklage zunächst zum Landgericht erhoben worden war.
Den für die Berechnung der Höhe der Verfahrensgebühr maßgeblichen Gebührenrahmen gibt vorliegend
Nr. 4112 VV RVG vor, der die Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug vor der Strafkammer erfasst.
Der Verteidiger hat die Verfahrensgebühr bereits vor dem Landgericht und nicht etwa erst im Rahmen des
Verfahrens vor dem Amtsgericht verdient.
Die Frage, welcher Gebührenrahmen bei Rangänderungen im Sinne des § 20 RVG während des
laufenden Verfahrens Anwendung finden, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten.
Zum einen wird vertreten, es komme grundsätzlich auf dasjenige Gericht an, bei dem letztlich die
Hauptverhandlung stattfinde, solange vor und nach der Rangänderung über ein- und denselben
Prozessstoff zu verhandeln sei und sich mithin die Anrufung des ursprünglichen Gerichts nachträglich als
fehlerhafte Einschätzung durch die Staatsanwaltschaft herausstelle (vgl. Kotz in BeckOK, Vorb. 4, Rn. 56).
Demgegenüber vertritt die Gegenmeinung den Standpunkt, die Verfahrensgebühr entstehe in einem
solchen Fall der Höhe nach aus dem Gebührenrahmen des höchsten jeweils mit der Sache befassten
Gerichts (vgl. Gerold/Schmidt-Burhoff, Kommentar zum RVG, 19. Auflage 2010, Vorb. 4 VV, Rn. 21; OLG
Düsseldorf in JurBüro 1982, 1528).
Nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Rechtszuges falle für die Tätigkeit des Verteidigers damit nur
eine einheitliche Verfahrensgebühr an, die im Falle einer Änderung der gerichtlichen Rangordnung im
Sinne des § 20 RVG außerhalb der Hauptverhandlung aus dem jeweils höheren Gebührenrahmen zu
entnehmen sei.
Vorliegend bedarf es einer Entscheidung des Meinungsstreits nicht. Der von Kotz dargestellte Fall, dass
vor und nach der Änderung der Rangordnung über ein- und denselben Prozessstoff verhandelt werde, ist
hier nämlich nicht gegeben. Vielmehr ist die Eröffnung vor dem Amtsgericht nicht aufgrund einer
ursprünglichen Fehleinschätzung der Staatsanwaltschaft erfolgt, sondern aufgrund der Tatsache, dass
sich im Zwischenverfahren ein hinreichender Tatverdacht lediglich hinsichtlich einer Tat bestätigt hat, die
in den Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts fällt. Der Prozessstoff, über den die Kammer im
Zwischenverfahren zu entscheiden hatte, deckt sich mit dem schließlich vor dem Amtsgericht zur
Verurteilung führenden nicht. Dann aber führen beide Meinungen zu demselben Ergebnis. Es ist die
Verfahrensgebühr ohne Weiteres bereits vor dem Landgericht angefallen.
Die spätere Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Amtsgericht konnte an dem Umstand, dass die
Verfahrensgebühr nach Nr. 4112 VV RVG einmal angefallen war, nichts mehr ändern.
Aus dem Rechtsgedanken des § 15 Abs. 4 RVG ergibt sich der allgemeine Grundsatz, dass Gebühren, die
ein Rechtsanwalt einmal verdient hat, durch Verbindung/Trennung/Verweisung/sonstige Erledigung nicht
wieder verloren gehen (vgl. Gerold/Schmidt-Burhoff, a.a.O., Vorb. 4 VV, Rn. 18).
Die Verfahrensgebühr fällt aber auch im Falle einer Rangänderung während des Verfahrens stets nur
einmal an, denn § 20 S. 1 RVG stellt diesbezüglich klar, dass Verfahren vor einem verweisenden oder
abgebenden und dem übernehmenden Gericht als ein Rechtszug zu behandeln sind. Nichts anders aber
gilt im Falle der Eröffnung des Hauptverfahrens vor einem niedrigeren Gericht durch ein Gericht höherer
Ordnung.
Eine weitere Verfahrensgebühr vor dem Amtsgericht nach Nr. 4106 VV RVG ist damit nicht angefallen.
Damit verbleibt es hinsichtlich der Gebühren für die Gesamtverteidigung bei einer Verfahrensgebühr nach
Nr. 4112 VV RVG, die in Übereinstimmung mit dem Bezirksrevisor bei der gegebenen Sachlage mit der
Mittelgebühr in Höhe von 155,-- € zu bemessen ist.
Demgegenüber ergibt eine fiktive Berechnung für den Fall, dass der letztlich zur Verurteilung führende
Anklagevorwurf unmittelbar allein zur Anklage gelangt wäre, eine angemessene Verfahrensgebühr von
140,-- €. Denn hätte sich der Anklagevorwurf von Anfang an darin erschöpft, dass sich der Verurteilte
wegen Sich-Verschaffens in Tateinheit mit Besitz an kinderpornographischen Schriften zu verantworten
gehabt hätte, so wäre die Anklage aufgrund der geringen Straferwartung von Anfang an bei dem
Amtsgericht – Strafrichter – erhoben worden und wäre lediglich eine Gebühr nach Nr. 4106 VV RVG
angefallen, die ebenfalls als Mittelgebühr berechnet bei 140,-- € anzusetzen gewesen wäre. Der Ansatz
der Mittelgebühr rechtfertigt sich dabei aus dem Umstand, dass die Verteidigung eines Angeklagten, der
sich dem Vorwurf des Sich-Verschaffens kinderpornographischer Schriften ausgesetzt sieht, eine im
Spektrum der Verteidigertätigkeit bei den denkbaren vor dem Amtsgericht zu verhandelnden Fällen nach
Umfang und Schwierigkeit im mittleren Bereich anzusetzen ist. Anders als die sämtliche denkbaren
strafrechtlichen Fallgestaltungen abdeckende Grundgebühr ist die Verfahrensgebühr bereits ihrem
Gebührenrahmen nach auf die bei dem jeweiligen Gericht zu verhandelnden Fälle zugeschnitten.
Eine Befriedungsgebühr nach Nr. 4141 VV RVG ist nicht angefallen. Durch diese Gebührenziffer erhält
der Rechtsanwalt eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr, wenn durch seine
Mitwirkung eine Hauptverhandlung entbehrlich wird. Damit sollen intensive und zeitaufwändige
Tätigkeiten des Verteidigers, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger
zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führen, gebührenrechtlich honoriert werden (vgl. Mayer/Kroiß,
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 4. Auflage 2009, Nrn. 4141-4147 VV, Rn. 2). Nach Abs. 1 Nr. 2 der Nr.
4141 VV RVG entsteht diese sog. Befriedungsgebühr unter anderem auch, wenn das Gericht beschließt,
das Hauptverfahren nach § 204 StPO nicht zu eröffnen. Die Gebühr ist jedoch bereits nach ihrem Sinn und
Zweck, nämlich durch den durch sie erhöhten Anreiz, „Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen“,
zu einer Reduzierung der Hauptverhandlungen zu führen (vgl. BT-Drucks. 15 /1971, S. 228), nur dann
verwirkt, wenn unter Mitwirkung des Verteidigers eine Hauptverhandlung insgesamt entbehrlich wird. Bei
einer Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens fällt deshalb eine Befriedungsgebühr nach Nr. 4141
VV RVG nur dann an, wenn durch die Mitwirkung des Rechtsanwaltes die Eröffnung des Hauptverfahrens
insgesamt abgelehnt wird, denn nur dann wird eine Hauptverhandlung dem Gesetzeszweck
entsprechend entbehrlich. Anders liegt der Fall damit, wenn nur eine Teilablehnung der Eröffnung erfolgt,
im Übrigen aber eröffnet wird. Hier kommt es zu einer Hauptverhandlung, so dass die Bemühungen des
Verteidigers nach der Gesetzesbegründung nicht über eine gesonderte Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG
zusätzlich zu honorieren sind.
Hier hat die Kammer die Eröffnung hinsichtlich der Missbrauchsvorwürfe abgelehnt, hinsichtlich des
verbliebenen Vorwurfs des Sich-Verschaffens und des Besitzes von kinderpornographischen Schriften hat
sie dagegen das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht eröffnet. Auch im Falle einer solchen Teileröffnung
vor einem Gericht niederer Ordnung im Sinne des § 209 Abs. 1 StPO wird letztlich durch die Mühen des
Verteidigers zwar eine Hauptverhandlung vor dem Landgericht, nicht aber insgesamt entbehrlich,
weswegen der Gebührentatbestand der Nr. 4141 VV RVG nicht verwirklicht ist. Dieser Fall ist mit
demjenigen vergleichbar, in dem die Staatsanwaltschaft das Verfahren zwar nach § 170 Abs. 2 StPO
einstellt, es aber zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit an die Verwaltungsbehörde abgibt. Auch dann
fällt eine Befriedungsgebühr nach Nr. 4141 VV RVG nicht an (vgl. BGH NJW 2010, 1209), denn Sinn und
Zweck der Vorschrift verlangen eine endgültige Einstellung "des Verfahrens", also eine Erledigung der
Sache ohne ein noch folgendes Bußgeldverfahren, da Ziel der Regelung eine Verringerung der
Arbeitsbelastung der Gerichte ist.
Insgesamt führt die Differenzbetrachtung zu folgenden ausscheidbaren Mehrauslagen des Verurteilten:
Differenz hinsichtl. der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG 65,-- €
Differenz hinsichtl. der Verfahrensgebühr, Nrn. 4112, 4106 VV RVG 15,-- €
19% MwSt 15,20 €
Gesamtbetrag: 95,20 €
Entsprechend waren die Auslagen gegen die Staatskasse festzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.
Der Beschwerdewert bemisst sich, nachdem der Verurteilte seine sofortige Beschwerde mit Schriftsatz
vom 06.07.2010 auf festzusetzende Auslagen in Höhe von 368,90 € beschränkt hat, nach eben diesem
Wert. Dieser stellt nach der Beschränkung die Differenz zwischen begehrter und erfolgter Festsetzung und
damit die Beschwer des Verurteilten dar.