Urteil des LG Arnsberg vom 07.04.2006

LG Arnsberg: unfall, baum, eigentümer, höhere gewalt, landwirtschaftlicher betrieb, unerlaubte handlung, rechtliches gehör, kontrolle, auflage, stamm

Landgericht Arnsberg, 2 O 233/04
Datum:
07.04.2006
Gericht:
Landgericht Arnsberg
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Grund- und Teilurteil
Aktenzeichen:
2 O 233/04
Tenor:
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24.03.2006
durch den Vors. Richter am Landgericht N., die Richterin
am Landgericht X. und die Richterin L.
für R e c h t erkannt:
Die Klage ist dem Grunde nach hinsichtlich der Anträge zu 1) – 3)
gegenüber dem Be-klagten zu 2) gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 2) verpflichtet ist, der Klägerin
sämtliche ma-teriellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom
03. 08. 2003 zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger
oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1), zu 3) und zu 4) trägt
die Klägerin.
Im übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem Schlussurteil
vorbehalten.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung gegen
Sicherheitsleistung von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages
vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche aus einem Unfall
vom 03. 08. 2003 in N. geltend. Den Beklagten zu 1) und zu 2) wird die Verletzung ihrer
Verkehrssicherungspflichten vorgeworfen. Gegenüber dem Beklagten zu 3) und dessen
Haftpflichtversicherer – der Beklagten zu 4) - werden Ansprüche aus § 7 Abs. 1 StVG
wegen des vorgenannten Unfallereignisses geltend gemacht.
2
Die 1977 geborene Klägerin ist von Beruf Lehrerin. Sie unternahm am 03. 08. 2003 bei
Sommerwetter mit den Zeugen G. und I. eine Radtour, wobei sie die Straße zwischen N.
– M. und N. - C. im Gebiet der Gemeinde N. befuhr. Eigentümer dieser Straße ist die
Teilnehmergemeinschaft der Flurbereinigung I. I 807. Die Teilnehmergemeinschaft hat
die Verwaltung, Instandhaltung und die Verkehrssicherungspflicht auf den
Bürgermeister der Stadt N. übertragen, die Streitverkündete zu 1).
3
Ca. 100 m vor der Unfallstelle kam den Radfahrern der Beklagte zu 3) mit dem LKW
Daimler – Chrysler mit Milchtankaufbau und dem amtlichen Kennzeichen ITL – KK 29
entgegen. Die Klägerin fuhr zu diesem Zeitpunkt etwa 6 m vor den Zeugen her. Als sie
gegen 18. 30 Uhr das Waldgebiet "Am L-berg" passierte, brach einer von drei
Stämmlingen einer Blutbuche in einer Höhe von ca. 4 m ab und stürzte auf die Klägerin.
Die Klägerin wurde zunächst aufgrund der schweren Verletzungen mit dem
Rettungshubschrauber ins Evang. K. – T. Krankenhaus nach T. geflogen. Dort erfolgte
die Erstbehandlung und die stationäre Betreuung im Intensiv– und Aufwachbereich bis
zum 18. 08. 2003. Die Klägerin wurde ins T-klinikum N., Berufsgenossenschaftliche
Sonderstation für Schwerunfallverletzte nach L. verlegt, wo sie am 28. 01. 2004
entlassen wurde.
4
Laut Bescheid des Versorgungsamtes T. vom 04. 11. 2003 ( Anlage 3 im Anlagenheft )
ist die Klägerin schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 %.
5
Bei dem zum Teil umgestürzten Baum handelt es sich um eine ca. 98 Jahre alte
Blutbuche, die etwa 9 m nördlich des Straßenrandes in dem Waldgebiet "Am L-berg"
steht. Der Stamm der Buche besteht aus drei Stämmlingen. Der abgebrochene
Stämmling hatte einen Durchmesser von 60 cm und war insgesamt ca. 20 m lang. Ein
Großteil der Äste war nach Süden ausgerichtet und wuchs über die Straße bis über das
gegenüberliegende Feld hinaus.
6
Das Grundstück, auf dem sich der Baum befand, stand zum Zeitpunkt des Unfalls im
Eigentums des Beklagten zu 1).
7
Mit Übertragungsvertrag vom 23. 06. 2003 haben die Beklagten zu 1) und zu 2) den
Besitz, die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung sowie
die Nutzung mit Beginn des 1. Juli 2003 vom Beklagten zu 2) auf den Beklagten zu 1)
übertragen. § 4 des Übertragungsvertrages enthält die folgende Regelung :
8
" Der Besitz, die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung
sowie die Nutzung gehen mit Beginn des 1. Juli 2003 auf den Übertragsnehmer über.
Mit diesem Stichtag gehen auch alle öffentlichen und privaten Lasten auf den
Übertragsnehmer über. Dieser verpflichtet sich zugleich, den Übertragsgeber von
sämtlichen Lasten und Abgaben freizustellen, soweit er nach der Besitzübergabe weiter
haftet; dies betrifft also auch solche mit dem übertragenen Grundbesitz verbundenen
Verbindlichkeiten, Lasten und Abgaben, die vor dem Übergabe - Stichtag entstanden
sind."
9
Die Klägerin behauptet, die Blutbuche sei extrem umsturzgefährdet gewesen und es
habe eine deutliche Bruchgefahr vorgelegen. An der Blutbuche sei nie eine Baumschau
durchgeführt worden. Ein Fachmann hätte ansonsten folgende Defektsymptome
festgestellt:
10
- Größe, Ausformung und Alter der Buche
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- bei dem umgestürzten Stämmling handele es sich um einen mehrfachen
Druckzwiesel
12
- stark ausgeformte Rippenbildung ( "Zwieselohren")
13
- stark nach Süden ausgerichteter Randbaum mit erheblichem Schrägstand und
Überhang zur Straßenseite.
14
Diese Defektsymptome hätten die Beklagten zu 1) und zu 2), die eine eigene
Forstverwaltung unterhalten, veranlassen müssen, den Baum näher in Augenschein zu
nehmen. Dann wären folgende weitere Defektsymptome aufgefallen:
15
- Vorhandensein des Brandkrustenpilzes im gesamten Baumbestand "Am L-berg"
16
- Radialriss des Stammes
17
- geschlossene Wassertasche zwischen den Stämmlingen mit einer Öffnung ca. 70
– 80 cm über dem Boden.
18
Der Beklagte zu 1) und der Beklagte zu 2) seien zum Ersatz des der Klägerin
entstandenen Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet.
19
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagten zu 3) und zu 4) seien zum Ersatz des
entstandenen Schadens aus Gefährdungshaftung verpflichtet. Der zeitliche
Zusammenhang zwischen dem Passieren der Unfallstelle durch den LKW und dem
Abbruch des Stämmlings lasse nur den Schluss zu, dass die Luftverwirbelungen und
die enorme Sogwirkung, die von einem schnell fahrenden Lkw ausgehen zum
Abbrechen des Stämmlings geführt haben. Der Beklagte zu 3) habe den Unfallweg nicht
benutzen dürfen. Der Weg an der Unfallstelle sei – dies ist unstreitig - wie folgt
ausgeschildert:
20
a) in östlicher Richtung an der sogenannten C-allee: Durchfahrt verboten,
Fahrradfahrer und Anlieger frei.
21
b) in südlicher Richtung am Abzweig B 00 / C-hausen : Durchfahrt verboten,
Fahrradfahrer und Anlieger frei.
22
c) einige Hundert Meter weiter, zwischen C-hausen und der Unfallstelle: Durchfahrt
verboten, Fahrradfahrer und landwirtschaftlicher Verkehr frei.
23
d) ca. 50 – 100 m weiter in Richtung Unfallstelle: Durchfahrt verboten;
Fahrradfahrer und Anlieger frei.
24
Der Beklagte zu 3) sei zwischen 66 km/h und 75 km/h und damit zu schnell gefahren (Bl.
352).
25
Die Klägerin behauptet, sie habe aufgrund des Unfalls die folgenden Verletzungen
erlitten:
26
Instabile Berstungsfraktur des 1. LWK mit kompletter Querschnittsymptomatik
27
Hämatopneumathorax rechts
28
Rippenserienfrakturen rechts
29
Innenknöchelfraktur links
30
Offene Platzwunde am Kopf
31
Vollständige Lähmung beider Beine
32
Vollständige Lähmung des Mastdarms und der Blase
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Vollständiger Verlust der Sexualfunktion
34
Vollständiger Verlust der Gebärfähigkeit
35
Seit dem 18. 08. 2003 erfolge eine intensive krankengymnastische sowie
ergotherapeutische Behandlung der Klägerin. Wegen der erheblichen Schmerzen im
Rücken – und Lungenbereich seien umfangreiche Schmerztherapien erforderlich
gewesen. Auch heute noch würden umfangreiche Therapiemaßnahmen durchgeführt,
zu denen die Klägerin von ihrer Mutter gefahren werden müsse. Bezüglich der
Einzelheiten wird auf die Klageschrift (Bl. 7 d. A.) Bezug genommen.
36
Die Klägerin behauptet, ihr sei ein materieller Schaden in Höhe von 10. 219, 16 Euro
entstanden. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Klageschrift vom 28. 04. 2004, Bl.
17 – 23 d. A. Bezug genommen.
37
Nicht bezifferbar seien als materielle Schäden der Verdienstausfall, der
Haushaltsführungsschaden, der Umbau der Wohnung , der Umbau des Autos, der
Mehraufwand für die Risikolebensversicherung und die
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung., orthopädische Hilfsmittel und Medikamente.
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Die Klägerin beantragt,
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1) die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin als
Gesamtschuldner 10. 219, 16 Euro nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz seit dem 09. 03. 04 zu zahlen.
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2) die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin als
Gesamtschuldner ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5%
Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 03. 08. 03 zu zahlen.
41
3) die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin als
42
Gesamtschuldner eine monatliche Schmerzensgeldrente von
350,- Euro seit dem 01. 09. 03 vierteljährlich im Voraus jeweils
zum 01. 01., 01. 04., 01. 07. und 1. 10 eines jeden Jahres zu
zahlen.
4) festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin
sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall
vom 03. 08. 03 zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen
sind oder noch übergehen.
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Die Beklagten beantragen,
44
die Klage abzuweisen.
45
Die Beklagten zu 1) und zu 2) bestreiten in Bezug auf den Weg, den die Klägerin im
Unfallzeitpunkt befuhr, verkehrssicherungspflichtig zu sein. Sie sind der Ansicht, die
Stadt N. sei verkehrssicherungspflichtig, da diese Aufsichtsbehörde über die
Eigentümerin des Weges, die Teilnehmergemeinschaft I-tal sei, die wiederum den
Verkehr eröffnet habe. Die Beklagten sind der Ansicht, bei dem Weg auf dem sich der
Unfall ereignete, handele es sich um einen zweckbestimmten Privatweg ohne Widmung
für den öffentlichen Verkehr. Insbesondere bestreiten die Beklagten zu 1) und zu 2),
dass die Stadt N. den Weg als Fahrradweg gekennzeichnet und ins Radwegenetz
aufgenommen habe.
46
Die Beklagten zu 1) und zu 2) behaupten, sie hätten ihre Verkehrssicherungspflichten
nicht verletzt. Die in den Diensten der Beklagten stehenden Förster seien dazu
aufgerufen, stets ein Auge auf alle Bäume zu haben und erkennbare Gefahren sofort
abzustellen. Der Revierleiter M. kontrolliere regelmäßig zweimal jährlich im Herbst und
Frühjahr den Baumbestand, vor dem Unfall zuletzt im Frühjahr 2003. Dabei habe er an
der Buche nichts festgestellt, was zu näheren Untersuchungen hätte führen müssen.
Eine schriftliche Meldung über die Frühjahrs – Kontrolle liege deshalb nicht vor, weil die
Meldungen über die Baumkontrollen seit 1996 nur noch einmal jährlich, im Herbst
schriftlich übermittelt würden. Zudem behaupten die Beklagten zu 1) und zu 2), dass bei
einer Durchforstung im Winter 2001 / 2002 jeder Baum in dem Bestand, in dem sich die
Buche befindet, zwangsläufig in Augenschein genommen worden sei.
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Der Beklagte zu 3) trägt vor, der Beklagte zu 1) habe mit der Erfüllung der
Verkehrssicherungspflichten den Revierförster V. M. betraut, der in forstwirtschaftlichen
Dingen seit langem bei dem Forstbetrieb des Beklagten tätig geworden sei und überaus
erfahren sei. Der Beklagte zu 1) habe Herrn M. ständig wiederholten und unerwarteten
Kontrollen ausgesetzt, die keinen Anlass für Beanstandungen ergeben hätten.
48
Die Beklagten zu 1) und zu 2) behaupten, ihre Mitarbeiter seien wie folgt überwacht
worden: Es bestehe eine interne Dienstanweisung zweimal jährlich im Frühjahr und
Herbst eine Kontrolle der Bestände vorzunehmen und zum 01. 10. eines jeden Jahres
Meldung an das Forstamt zu richten. Diese Kontrolle habe der Zeuge M. im Frühjahr
2003 durchgeführt, er sei den Bereich des Weges zu Fuß abgeschritten und habe sich
die Bäume – vom Boden aus – im Einzelnen angesehen. Durch ein geeignetes
Wiedervorlagesystem werde der Eingang der Berichte kontrolliert. Im regelmäßigen
Durchforstungs- bzw. Holzentnahmeturnus von 5 Jahren werde jeder Bestand auch
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hinsichtlich gefährdeter Objekte geprüft und Abhilfe geschaffen. Zudem seien jährlich
sogenannte Bereisungen durch den Leiter der Zentralverwaltung Herrn Dr. I. U. T.
vorgesehen, um einzelne Wirtschaftsmaßnahmen festzulegen. Dazu seien Revier – und
Forstamtsleiter ca. 5 bis 10 Tage vor Ort, um die Maßnahmen zu prüfen. Hierbei werde
wiederum der Bestand hinsichtlich der Gefährdung begutachtet und die durchgeführten
Maßnahmen kontrolliert. Die Mitarbeiter der Beklagten seien geschult. Fachliche
Defizite seien weder dem Forstamtsleiter noch dem Leiter der Zentralverwaltung Dr. U.
T. zur Kenntnis gelangt. Durchgeführte Kontrollen hätten nichts Gegenteiliges ergeben.
Die Beklagten bestreiten, dass es sich bei den in der Klageschrift aufgeführten
Merkmalen der Buche um Defektsymptome handele. Die Buche sei nicht
umsturzgefährdet gewesen. Es sei kein Brandkrustenpilz im gesamten Baumbestand in
der Nähe des Unfallortes vorhanden gewesen, insbesondere sei die umgestürzte Buche
frei von Pilzbefall gewesen. Der Stamm weise auch nicht in dem Bereich, in dem es am
03. 08. 2003 zum Auseinanderbrechen gekommen sei, einen Radialriss auf. Ein vor
dem Fällen nicht sichtbarer Riss habe sich lediglich an dem nicht gebrochenen Zwiesel
befunden. Auch die Wassertasche sei vor dem Fällen nicht sichtbar gewesen.
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Die Beklagten zu 1) und 2) bestreiten die aufgrund des Unfalls diagnostizierten
Verletzungen, die Durchführung von Therapiemaßnahmen und die Operationen mit
Nichtwissen. Die Beklagten zu 1) und zu 2) bestreiten zudem die geltend gemachten
materiellen Schäden.
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Die Beklagten zu 1) und zu 2) behaupten, der Beklagte zu 3) sei mit dem
Milchtankwagen 45 – 46 km /h gefahren. Dies ergebe sich aus der Auswertung der
Tachographenscheibe des Sachverständigenbüros I. und U., auf das Bezug genommen
wird ( Bl. 279 d. A. ). Zudem habe der Leiter des Laboratoriums für Gebäude – und
Umweltaerodynamik der Universität L. in einer Abhandlung über das Auftreten von
Druck – und Sogkräften beim Vorbeifahren von Fahrzeugen festgestellt, dass durch den
Milchwagen eine Sogwirkung erzeugt worden sei, die zwar nicht zum Bruch eines
gesunden, aber zum Bruch eines vorgeschädigten Astes führen könne. Auf das
Gutachten des Prof. Dr. Ing. S. wird Bezug genommen ( Bl. 338 d. A. ). Der
Milchtankwagen habe den Waldweg unbefugt benutzt.
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Die Beklagten zu 3) und zu 4 ) behaupten, der Milchsammelwagen sei berechtigt
gewesen, den Weg zu befahren, als ein der Landwirtschaft dienendes Kfz. Er habe das
Astwerk nicht berührt und den Bruch des Astes mit dem Aufbau des Milchwagens in
Höhe von 3, 20 m nicht verursacht. Sie sind der Ansicht, es handele sich um höhere
Gewalt.
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Die Akte 2 OH 14 / 03 war beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Bezüglich des Ergebnisses des selbständigen Beweisverfahrens wird auf die Gutachten
des Sachverständigen Dr. I. Bezug genommen. Die Kammer hat weiterhin gemäß
Beweisbeschluss vom 05. 04. 2005 ( Bl. 210 d. A. ), 06. 09. 2005 ( Bl. 302 d. A. ) und 12.
10. 2005 ( Bl. 308 d. A. ) Beweis erhoben durch Einholen eines weiteren
Sachverständigengutachtens nebst ergänzender Stellungnahme des Sachverständigen
Prof. Dr. D. N.. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf dessen
Gutachten und seine ergänzende Stellungnahme Bezug genommen. Die Kammer hat
den Sachverständigen ergänzend in der mündlichen Verhandlung vom 24. 03. 06
angehört. Bezüglich des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom
24. 03. 06 ( Bl. 357 d. A.) Bezug genommen.
54
Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 31. 03. 2006 haben die Beklagten zu 1) und
zu 2) den Beitritt als Streithelfer auf Seiten der Klägerin im Verhältnis zu den Beklagten
zu 3) und zu 4) erklärt. Bezüglich der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des
Beklagtenvertreters zu 1) und 2) vom 31. 03. 06 Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
56
Die Klage ist zulässig. Sie ist gegenüber dem Beklagten zu 2) hinsichtlich der Anträge
zu 1) – 3) dem Grunde nach gerechtfertigt und hinsichtlich des Feststellungsantrages
begründet. Im übrigen ist sie hinsichtlich der Beklagten zu 1), zu 3) und zu 4)
unbegründet.
57
I.
58
1) Der Erlass eines Grundurteils ist gemäß § 304 ZPO gegenüber dem Beklagten zu 2)
hinsichtlich der Anträge zu Ziffer 1) – 3) zulässig. Die Voraussetzungen des § 304 Abs.
1 ZPO liegen vor. Der Anspruch ist dem Grunde und der Höhe nach streitig. Die
Entscheidung über den Grund ist spruchreif; für die Entscheidung über die Höhe sind
noch weitere Beweiserhebungen hinsichtlich der entstandenen Verletzungen und deren
Folgen, sowie hinsichtlich der materiellen Schäden erforderlich.
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2) Hinsichtlich der Feststellungsklage ergeht ein Teilendurteil, da ein unbezifferter
Feststellungsantrag nicht durch ein Grundurteil beschieden werden darf ( BGH, NJW 02,
116). Das gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse besteht, da die
materiellen und immateriellen Schäden noch nicht bezifferbar sind, so dass kein
Vorrang der Leistungsklage besteht.
60
II.
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1) Der Klägerin steht ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 831 Abs. 1 BGB, 249
BGB gegenüber dem Beklagten zu 2) zu.
62
a) Die Mitarbeiter der Forstverwaltung des Beklagten zu 2) sind dessen
Verrichtungsgehilfen, denn ihnen wurde die Bewirtschaftung und die Instandhaltung des
Waldgebietes "Am L-berg" übertragen. Der Beklagte zu 2) ist gegenüber seinen
Mitarbeitern weisungsbefugt. Der Mitarbeiter der Forstverwaltung, der Förster M., hat
eine unerlaubte Handlung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB begangen. Eine
Gesundheitsverletzung der Klägerin liegt vor. Diese wurde durch eine Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht durch die Mitarbeiter des Beklagten zu 2) verursacht.
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b) Der Beklagte zu 2) war als Eigentümer des Waldgrundstücks bis zum 1. Juli 2003
verkehrssicherungspflichtig hinsichtlich des streitgegenständlichen Baumes.
Verkehrssicherungspflichtig ist grundsätzlich jeder, der in der Lage ist, über eine Sache
zu verfügen. Der Eigentümer einer Sache, der auch die tatsächliche Verfügungsgewalt
über diese innehat, muss daher Gefahren, die von ihr drohen, abwenden ( Palandt –
Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 61. Auflage, § 823, Rn. 59 ). Einen Forsteigentümer,
dessen Waldgrundstück an eine öffentliche Straße angrenzt, trifft daher kraft seiner
Verfügungsgewalt über sein Gelände im Rahmen seiner Möglichkeiten und des
Zumutbaren die Pflicht, schädliche Einwirkungen durch Holzbruch auf die
Verkehrsteilnehmer zu vermeiden ( BGH, VersR 1974, 89 ). Hinsichtlich seines
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Baumbestandes ist der Verkehrssicherungspflichtige grundsätzlich verpflichtet, den
Baumbestand neben Straßen und Wegen nach forstwirtschaftlichen Erkenntnissen
gegen Windbruch und – wurf zu schützen und in angemessenen Zeitabständen auf
Krankheitsbefall zu überwachen ( BGH, NJW 1993, 2612; VersR 74, 88 ), wobei
grundsätzlich eine äußere Sichtprüfung bezogen auf die Gesundheit und
Standsicherheit zweimal jährlich im belaubten und unbelaubten Zustand genügt (OLG
Hamm, NVZ 2003, 527; OLG Düsseldorf, VersR 1992, 467; OLG Celle, OLGR 2000, 187
( 188 )). Grundsätzlich trifft deshalb den Eigentümer des Waldstücks die
Verkehrssicherungspflicht der sich auf seinem Grundstück befindlichen Bäume.
c) Dem Beklagten zu 2) obliegt auch nicht deshalb keine Verkehrssicherungspflicht, weil
er das Waldgrundstück mit Übertragungsvertrag vom 23. 06. 2003 auf den Beklagten zu
1) übertragen hat. In § 4 des Übertragungsvertrages ist geregelt, dass mit Stichtag zum
1. Juli 2003 die Gefahr des zufälligen Unterganges und der zufälligen Verschlechterung
sowie die Nutzung auf den Beklagten zu 1) übergehen, ebenso wie alle öffentlichen und
privaten Lasten. Der Unfall ereignete sich am 03.08. 2003 also einen Monat nach der
Übernahme der Nutzung des Grundstücks durch den Beklagten zu 1). Diesem war es in
dem Zeitraum von einem Monat nicht möglich und zumutbar - ohne auf etwaige
Gefahren hingewiesen worden zu sein - den gesamten übernommenen Besitz auf
Gefahrenquellen zu untersuchen. Anknüpfungspunkt für die
Verkehrssicherungspflichtverletzung ist vielmehr die grundsätzlich zweimal jährlich
durchzuführende äußere Sichtprüfung in belaubtem und unbelaubtem Zustand, in der
Regel im Frühjahr und Herbst. Der Beklagte zu 1) war aber nicht in der Lage, eine
Überprüfung im Frühjahr vorzunehmen, da zu diesem Zeitpunkt der Beklagte zu 2) die
alleinige Verfügungsmacht über den Waldbesitz als Eigentümer und Nutzer innehatte.
Deshalb haftet der Beklagte zu 2), da das schädigende Ereignis, die Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht, zu einem Zeitpunkt erfolgte, als er Eigentümer des
Grundstücks war.
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d) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der im Übertragungsvertrag enthaltenen
Regelung, wonach der Beklagte zu 1) sich verpflichtete, den Übertragungsgeber von
sämtlichen Lasten und Abgaben freizustellen, soweit er nach Besitzübergabe weiter
haftet. Zwar ist dort aufgeführt, dass dies auch solche mit dem übertragenen Grundbesitz
verbundenen Verbindlichkeiten, Lasten und Abgaben betrifft, die vor dem Übergabe –
Stichtag entstanden sind. Selbst wenn mit diesen "Verbindlichkeiten" auch Ansprüche
wegen der Verletzung von Verkehrsicherungspflichten gemeint seien sollten, so betrifft
die Regelung allenfalls dass Innenverhältnis zwischen dem Beklagten zu 1) und zu 2).
Es besteht nur ein Anspruch auf "Freistellung". Im Außenverhältnis zum Geschädigten
ist jedoch derjenige verpflichtet, dem die Verkehrssicherungspflicht oblag.
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e) Bei der den Unfall verursachenden Buche handelt es sich auch nicht um einen Baum,
der allein der Straßenverkehrssicherungspflicht der Streitverkündeten zu 1) , der Stadt
N., unterliegt. Dafür wäre erforderlich, dass die Buche dem Straßenbereich zugeordnet
werden kann, was sich nach der Verkehrsauffassung entscheidet. Der BGH verneint
eine Straßenverkehrssicherungspflicht bei solchen Bäumen, die unauffällig im Wald
stehen, d. h. ihren Standort zwar am Rande eines an die Straße grenzenden Waldstücks
haben, dort aber in keiner Weise hervortreten, weil sie keine Eigentümlichkeiten
aufweisen, die sie vom Waldsaum abheben und äußerlich der Straße zuzuordnen sind (
BGH, NZV 1989, 346, 347 ) . Die Buche steht - wie sich insbesondere aus den
Feststellungen des Sachverständigen I. in seinem 1. und 2. Gutachten ergibt - zwischen
5 – 10 Meter von dem von der Klägerin genutzten Weg entfernt. Der Stammfuß befand
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sich 4 m unterhalb des Straßenniveaus. Aus der Fotodokumentation im Gutachten des
Sachverständigen I. ( Fotos Nr. 1 – 5) ist ersichtlich, dass die Buche ihren Standort zwar
örtlich am Rand des Waldstückes hatte, aber nicht zwischen den anderen Bäumen
hervortrat oder sich von diesen abhob. Je weiter der Baum vom Straßenrand entfernt ist,
desto mehr verlagern sich die Verkehrssicherungspflichten auf den Eigentümer des
Waldgrundstücks, da die Möglichkeit der Erkennbarkeit durch den
Straßenverkehrspflichtigen sinkt ( OLG Hamm OLGR 92, 260 ). Darüber hinaus befreit
eine etwaige Verkehrssicherungspflicht auch der Streitverkündeten Stadt N. den
Beklagten zu 2) nicht von der ihm obliegenden Straßenverkehrssicherungspflicht
aufgrund der Eigentümerstellung. Es käme gemäß § 840 Abs. 1 BGB allenfalls eine
Haftung als Gesamtschuldner mit der Streitverkündeten in Betracht, der Beklagte zu 2)
könnte also allenfalls im Innenverhältnis Rückgriff nehmen.
f) Für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich ist zudem, ob es sich bei dem
Weg, auf dem sich der Unfall ereignete, um einen öffentlichen Weg oder um einen
privaten Wirtschaftsweg handelte. Die Klägerin befuhr den Weg befugtermaßen, da der
Weg für den Grundstückseigentümer erkennbar für den Fahrradverkehr geöffnet war.
Dies ergibt sich bereits aus der unstreitigen Beschilderung des Weges. Auch wenn
möglicherweise nicht der Beklagte zu 2) den Weg für den Fahrradverkehr eröffnet hat,
sondern der Eigentümer des Weges, so befreit ihn dies nicht von der bestehenden
Verkehrssicherungspflicht als Eigentümer des Waldgrundstücks. Davon wäre allenfalls
auszugehen, wenn die Streitverkündete bzw. die Teilnehmergemeinschaft der
Flurbereinigung I. den Verkehr für den Beklagten zu 2) nicht ersichtlich an einer
gefährlichen Stelle eröffnet hat ( BGH, NVwZ 1990, 297 ). Für den Beklagten zu 2) war
jedoch erkennbar, dass der Weg zur Nutzung für den Fahrradverkehr eröffnet wurde. Er
hat auch faktisch durch Prüfung die Verkehrssicherungspflicht übernommen. Dass zum
Zeitpunkt der Eröffnung des Verkehrs der Baum bereits bruchgefährdet war, ist weder
vorgetragen noch ersichtlich.
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g) Der Beklagte konnte die Verkehrssicherungspflicht auf die Mitarbeiter übertragen. Der
Mitarbeiter des Beklagten zu 2) , Herr M., hat die ihm obliegende
Verkehrssicherungspflicht verletzt. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte die
Baumkontrollen regelmäßig zweimal im Jahr im belaubten und unbelaubten Zustand
durchgeführt hat. Jedenfalls hat der Mitarbeiter der Beklagten die Baumkontrollen nicht
ordnungsgemäß und zureichend ausgeführt. Der Klägerin ist der ihr obliegende Beweis
gelungen, dass der Beklagte zu 2) bzw. dessen Mitarbeiter im Rahmen des Zumutbaren
und Möglichen hätten erkennen können und müssen, dass von der Buche eine Gefahr
ausgeht und diese Pflichtverletzung ursächlich für den Astabbruch war. Im Rahmen der
von dem Beklagten durchgeführten Kontrolle des Baumbestandes hätten dem
Mitarbeiter des Beklagten zu 2) Herrn M. Defektsymptome auffallen müssen, die ein
deutliches Warnsignal in der Körpersprache der Bäume darstellen. Der
Sachverständige Dr. I., wie auch der Sachverständige Prof. Dr. N. kommen in den
vorliegenden Gutachten übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass Warnsignale
vorlagen, die weitere Untersuchungen erfordert hätten und letztendlich zu einer Fällung
des Baumes geführt hätten. Bei der gebotenen Sichtprüfung nach den Grundsätzen der
VTA (Visual Tree Assessment) – Methode, die in der Regel von der Rechtsprechung als
Maßstab angesehen wird ( vgl. nur OLG Brandenburg, Az. 2 U 18 / 03, Urteil vom 18. 11.
2003 ) war erkennbar, dass der Stämmling bruchgefährdet war. Die
streitgegenständliche Buche bestand aus drei Stämmlingen. Die Stämmlinge,
insbesondere der ausgebrochene Stämmling, neigten sich in Schieflage in Richtung
des Sonnenlichts zur Straße hin. Der ausgebrochene Stämmling ragte im Winkel von
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ca. 45 Grad weit über die Straße bis zum gegenüberliegenden Feld. Für die
Bruchsicherheit eines Baumes ist entscheidend die Verbindungsstelle zwischen den
einzelnen Stämmlingen. Der Stamm der Buche teilt sich erstmalig in einer Höhe von 1,
50 m und anschließend in einer Höhe von 2, 50 – 2, 80 m, wobei der bei der 2. Teilung
entstehende südliche Stämmling abbrach. Im unteren Stammbereich hat der
streitgegenständliche Baum nach den Sachverständigen Feststellung des
Sachverständigen Dr. I. und des Sachverständigen Prof. Dr. N. eine spitznasige Rippe (
oder ein großes Zwieselohr) gebildet. Diese "spitznasige Rippe" entsteht dadurch, dass
viel Rinde zwischen den beiden Stämmlingen im unteren Bereich eingeschlossen sind
und nur wenige Jahresringe die beiden Stämmlinge zusammenbinden. Da die Rinde
zwischen den Stämmlingen wie ein Riss wirkt, bildet sich eine spitznasige Rippe. Diese
ausgebildete "spitznasige Rippe" deutet auf eine schwache Verbindung der Stämmlinge
hin und macht den Baum bereits als Risiko erkennbar, insbesondere wenn die Äste der
Stämmlinge quer zur Stammrichtung voneinander weg in erheblichem Maße auf Zug
belastet werden. So hat auch das OLG Hamm entschieden, dass bereits das Vorliegen
eines "Druckzwiesels" ein Stabilitätsrisiko bewirkt ( vgl. OLG Hamm, NJW- RR 2003, S.
968 ). Das große Zwieselohr war auch aus der Ferne erkennbar und hätte Veranlassung
gegeben, den Baum zu untersuchen. Da der Stämmling weit über die Straße bis zum
gegenüberliegenden Feld ragte, hätte Veranlassung bestanden, den Baum näher in
Augenschein zu nehmen. Zudem waren bei der Unfallbuche bei der gebotenen näheren
Untersuchung bereits Risse erkennbar, die auf eine eingeleitete Stammkopfspaltung
hindeuten. Dies stellte der Sachverständige Prof. Dr. N. in seinem Gutachten
nachvollziehbar und widerspruchsfrei fest. Zudem war ersichtlich, dass die Stämmlinge
an der Ausbruchsstelle nicht axial verschweißt waren. Der Unfallast wies an der
Bruchfläche zwar eingeschlossene Rinde mit Risseigenschaft auf, aber keine
allverbindenden, verschweißten Jahresringe. Der ausgebrochene Stämmling war
nämlich nicht durch "Ohren" mit dem Stamm verwachsen. Die Bruchfläche zeigte nur
Rindeneinschluss und keine weißen Ränder, die Holzbruchflächen ehemals
verschweißter Jahresringe wären. Es handelte sich bei dem Unfallast um die
gefährlichste Ausbildung eines sogenannten Druckzwiesels, da kein Halt durch
verschweißte Jahresringe gegeben war ( 2. Gutachten Prof. Dr. N., Bl. 3). Diese
fehlende Verschweißung war äußerlich erkennbar durch die eingerollte Rinde entlang
der potentiellen Schweißnaht. Diese weist auf eine schwache Verbindung hin ( 2.
Gutachten Prof. Dr. N., Bl. 6). Jedenfalls hätte das auffällige Zwieselohr und die
Längsspaltungen in denen der Sachverständige Dr. I. eine Sonde einführen konnte,
Anlass für eine eingehende Untersuchung gebildet. Dann hätte man die ausgedehnte
Fäule des Baumes erkennen können ( 2. Gutachten Prof. Dr. N., Bl. 7 ). Diese
Feststellungen konnte der Sachverständige aufgrund des vorhandenen Fotomaterials
des Sachverständigen Dr. I. treffen. Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung
unstreitig gestellt, dass die im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. N. enthaltenen
Lichtbilder die streitgegenständliche Buche und das Bild 7 D des Gutachtens des Prof.
Dr. N. die Ausbruchstelle des Unfallastes zeigen.
Auch der Sachverständige Dr. I. kam zu dem Ergebnis, dass die Bruchgefährdung des
Baumes infolge der Ausprägung einer Rippe, der eingerissenen ehemals
geschlossenen Wassertasche zwischen den Stämmlingen und der Öffnung im unteren
Stammbereich erkennbar war, bzw. zumindest eine weitere eingehende Untersuchung
bedurft hätte, bei der sich sowohl die Fäule wie auch der Riss und seine Auswirkungen
zwischen den unteren beiden Stämmlingen gezeigt hätte. Beide Sachverständige
kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass der Baum im Rahmen der
Baumschau hätte gefällt werden müssen.
70
Es handelte sich entgegen der Ansicht der Beklagten zu 1) und zu 2) auch nicht um
einen Sommerbruch. Ein Sommerbruch findet normalerweise statt beim Übergang
zwischen Zug – und Stützholz des Astes. Diese Stelle liegt ca. 1 m vom Stamm entfernt.
Hier ist der Stämmling aber direkt an der Kerbe gebrochen und nicht in einem Abstand
von ca. 1 m vom Stamm entfernt, wie dies bei einem Sommerbruch zu erwarten
gewesen wäre. Dass der Astabbruch keinen "sog. Sommerbruch" darstellt steht für die
Kammer nach den nachvollziehbar und widerspruchsfreien Erklärungen des
Sachverständigen im Termin vom 24. 03. 06 fest.
71
h) Die Bediensteten des Beklagten zu 2), insbesondere der Förster M., haben die
Verkehrssicherungspflicht verletzt. Er handelte auch rechtwidrig und schuldhaft. Die
Rechtswidrigkeit wird durch die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht indiziert. Der
Zeuge M. handelte fahrlässig. Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht war
ursächlich für den Unfall. Selbst wenn durch den Milchwagen der Astbruch
mitverursacht worden wäre, käme nur eine Haftung als Gesamtschuldner gemäß § 840
Abs. 1 BGB in Betracht.
72
i) Der Beklagte zu 2) kann sich nicht gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB entlasten. Dem
Beklagten obliegt die Darlegungs – und Beweislast, dass er seine Mitarbeiter mit der im
Verkehr erforderlichen Sorgfalt ausgewählt und überwacht hat. Der Geschäftsherr darf
eine Tätigkeit nur Gehilfen übertragen, die hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen
erfüllen und von denen eine gefahrlose Durchführung erwartet werden kann, er muss
sich von ihren Fähigkeiten, Eignung und Zuverlässigkeit überzeugen ( BGH, NJW 03,
288 ). Neben der sorgfältigen Auswahl ist die fortgesetzte Prüfung geboten, ob der
Angestellte noch zu den Verrichtungen befähigt ist. Es ist der Nachweis fortdauernder,
planmäßiger Kontrollen erforderlich. Die Überwachung kann auf einen höheren
Angestellten übertragen werden. Dieser muss ebenfalls sorgfältig ausgewählt,
angeleitet und überwacht werden ( Palandt - Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 63.
Auflage, § 831 BGB, Rn. 14 ). Hierauf hatte die Kammer bereits mit Hinweis – und
Auflagenbeschluss vom 11. 11. 2004 hingewiesen. Der Vortrag des Beklagten zu 2) ist
nicht ausreichend und geeignet, um den Anforderungen an die Darlegung des
Entlastungsbeweis zu genügen. Selbst wenn der Revierleiter M. ordnungsgemäß
ausgewählt worden seien sollte, so fehlt es an einer Darlegung, von wem und wann
regelmäßige Kontrollen ausgeübt wurden. Eine Kontrolle im Rhythmus von 5 Jahren (
regelmäßiger Durchforstungsturnus ) ist nicht ausreichend. Soweit vorgetragen wurde,
dass jährlich sogenannte Bereisungen durch den Leiter der Zentralverwaltung Dr. I. U.
T. vorgenommen wurden, bei dem einzelne Wirtschaftsmaßnahmen festgelegt werden,
so ist nicht dargelegt, dass dieser ordnungsgemäß ausgewählt und überwacht wurde.
Zu den behaupteten Kontrollen und einer ordnungsgemäßen Auswahl des
Forstamtsleiters N. erfolgte kein Vortrag. Es ist aber für die Darlegung des
Entlastungsbeweises erforderlich, wenn die Überwachung einem höheren Angestellten
übertragen wurde, nachzuweisen, dass dieser sorgfältig ausgewählt, angeleitet und
überwacht wurde. Eine Überprüfung durch Vorlage von Berichten sowie durch
Einrichten eines geeigneten Wiedervorlagesystem ist nicht ausreichend. Tatsächliche
Kontrollen erfolgten nämlich nicht. Die Berichte waren zudem nicht zweimal, sondern
nur einmal jährlich vorzulegen, jeweils durch die Revierleiter und nicht durch eine
Kontrollinstanz.
73
Eine Entlastung des Beklagten zu 2) erscheint auch deshalb nicht möglich, weil der
Beklagte zu 2) offensichtlich keine Anweisung an seine jeweiligen Revierförster
74
dahingehend erteilt hat, auf Druckzwiesel als Defektsymptom eines Baumes zu achten,
da der Beklagte entgegen den Feststellungen der beiden Sachverständigen bestreitet,
dass es sich bei dem Vorhandensein eines Druckzwiesels überhaupt um ein
Defektsymptom handelte, welches Anlass zu weiteren Untersuchungen gegeben hätte.
Eine ordnungsgemäße Kontrolle und Überwachung kann aber nicht erfolgt sein, wenn
der "Druckzwiesel" nicht als Defektsymptom angesehen wurde, denn dann wurde der
Waldbestand auch nicht im Hinblick auf dieses Defektsymptom kontrolliert.
Den Beklagten zu 2) kann es auch nicht entlasten, dass möglicherweise die
eingesetzten Verrichtungsgehilfen in dem Spezialgebiet der Forstwirtschaft besser
ausgebildet waren, als der Beklagte zu 2) selbst, so dass die Kontrolle durch den
Beklagten zu 2) faktisch nicht möglich gewesen wäre. Die Unmöglichkeit den
Entlastungsbeweis hinsichtlich der Überwachung zu führen, führt dazu, dass es bei der
vermuteten Verschuldenshaftung gemäß § 831 Abs. 1 S. 1 BGB verbleibt ( vgl. OLG
Bamberg, VersR 1994, S. 814 ).
75
Der Beklagte zu 2) haftet deshalb gemäß § 831 Abs. 1 S. 1 BGB, 249 BGB dem Grunde
nach auf Schadensersatz.
76
2)
77
Der Beklagte zu 2) haftet gemäß § 831 Abs. 1 S. 1 BGB, 253 Abs. 2 BGB dem Grunde
nach auf Schmerzensgeld. Die Klägerin hat eine Körperverletzung erlitten. Auf die
Ausführungen zu Ziff. 1) wird Bezug genommen. Hinsichtlich der Höhe des
Schmerzensgeldes sind noch weitere Beweiserhebungen insbesondere im Hinblick auf
die erlittenen Verletzungen erforderlich.
78
3)
79
Die Klägerin hat dem Grunde nach Anspruch auf Zahlung einer Geldrente gemäß § 831
Abs. 1 S. 1 BGB, § 253 Abs. 2 BGB. Auf die Ausführungen zu Ziff. 1) wird Bezug
genommen. Eine Kombination von Kapitalbetrag und Geldrente kommt insbesondere in
Betracht, um einen bereits in der Vergangenheit eingetretenen Schaden auszugleichen
und zugleich einer Dauerbeeinträchtigung Rechnung zu tragen ( vgl. Hamm, NZV 03,
192: Querschnittlähmung). Hinsichtlich der Höhe sind weitere Beweiserhebungen
erforderlich.
80
4)
81
Der Feststellungsantrag ist begründet, da der Eintritt eines weiteren und eines
zukünftigen Schadens wahrscheinlich ist. Unstreitig sind erhebliche
Gesundheitsbeeinträchtigungen durch das Herabfallen des Astes (Durchmesser ca. 60
cm) entstanden, wenn sie auch im einzelnen durch die Beklagten bestritten werden.
Schon aufgrund der Art und Weise des Verletzungsereignisses besteht die Möglichkeit
künftiger Verwirklichung einer Schadensersatzpflicht durch das Auftreten weiterer bisher
noch nicht erkennbarer und voraussehbarer Leiden. Insoweit hat die Kammer den
Antrag durch Teilendurteil beschieden. Die Verpflichtung zum Ersatz immaterieller
Schäden ist nicht mit der Schmerzensgeldrente abgegolten, da weitere jetzt noch nicht
voraussehbare Leiden drohen. Auch die Beklagten zu 1) und zu 2) verkennen nicht die
Schwere der von der Klägerin erlittenen Verletzungen. Auch nach ihrer Auffassung
belegt das Attest vom 04.12.2003, dass die Klägerin nur in der Lage ist, mit speziellen
82
Unterschenkelorthesen unter Zufhilfenahme zweier Gehstöcke kurze Strecken zu laufen
und dass sie im übrigen aber auf den Rollstuhl angewiesen ist. Diese schweren
Verletzungen stehen trotz des Bestreitens mit Nichtwissen fest. Auf die Klageerwiderung
(insbesondere Bl. 63 d.A.) wird Bezug genommen.
III.
83
Die Klage gegen den Beklagten zu 1) ist zulässig aber unbegründet. Der Beklagte zu 1)
haftet nicht gemäß § 831 Abs. 1 S. 1 BGB auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.
Der Beklagte zu 1) ist Eigentümer des Waldgrundstücks. Das Waldgrundstück wurde mit
Übertragungsvertrag vom 23. 06. 2003 auf den Beklagten zu 1) übertragen. Der
Eigentümer eines Waldgrundstücks ist grundsätzlich verpflichtet eine äußere
Sichtprüfung bezogen auf die Gesundheit, Stand – und Bruchsicherheit zweimal jährlich
im belaubten und unbelaubten Zustand im Rahmen des Zumutbaren auszuführen. Auf
die Ausführung zu II 1 c) d) wird Bezug genommen. Dem Beklagten war es aber weder
möglich noch zumutbar den gesamten übertragenen Waldbesitz binnen eines Monats
auf Gefahrenquellen zu untersuchen. Der Unfall ereignete sich am 03. 08. 2003.
Anknüpfungspunkt für die Verkehrssicherungspflichtverletzung ist vielmehr die
grundsätzlich zweimal jährlich durchzuführende äußere Sichtprüfung, in belaubtem und
unbelaubtem Zustand in der Regel im Frühjahr und Herbst. Eine solche Überprüfung
war dem Beklagten zu 1) im Zeitraum von nur einem Monat nicht möglich. Dass der
Beklagte zu 1) auf etwaige Gefahren seitens des streitgegenständlichen Baumes
hingewiesen wurde, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich
auch nicht aus dem Übertragungsvertrag vom 23. 06. 2003. Dieser betrifft nur das
Innenverhältnis zwischen dem Beklagten zu 1) und zu 2). Auch insoweit wird auf die
Ausführungen zu Ziff. II 1 c) d) Bezug genommen. Die Klage war hinsichtlich des
Beklagten zu 1) durch Teilendurteil abzuweisen.
84
IV.
85
1.
86
Eine Haftung des Beklagten zu 3) als Halter des Milchwagens und des Beklagten zu 4),
der Haftpflichtversicherung des Beklagten zu 3), gemäß § 823 Abs. 1 BGB, § 7 Abs.
StVG bzw. §§ 823 Abs. 1 BGB, § 7 StVG i. V. m. § 3 PflichtversG besteht nicht.
87
a) Der Beklagte zu 3) ist Halter und Fahrer des Milchwagens, der die Unfallstelle kurz
vor dem Astbruch passierte. Der Schadensfall muss sich "beim Betrieb" des Kfz ereignet
haben, wobei der Begriff weit zu fassen ist. Es genügt ein zeitlicher und örtlicher
Zusammenhang mit dem Betriebsvorgang des Kfz, wobei eine Berührung des Kfz mit
dem Geschädigten nicht erforderlich ist. Da der Beklagte zu 3) mit seinem Fahrzeug an
der Unfallstelle in zeitlich und örtlichem Zusammenhang vorbeifuhr, ereignete sich der
Schadensfall beim "Betrieb" eines Kfz.
88
b) Der Betrieb des Kfz muss zudem für den Schaden kausal geworden sein. Dies ist der
Fall, wenn ein rechtlicher Zurechnungszusammenhang zwischen beiden besteht, d.h.
der Unfall dem die Haftung auslösenden Gefahrenbereich zuzuordnen ist. Maßgeblich
ist die Frage, ob der Schaden eine adäquate Verwirklichung der betriebstypischen
Gefahren des Kfz ist, vor denen das StVG seinem Sinn und Zweck nach schützen will.
Die Rechtsprechung zieht den Zurechnungszusammenhang sehr weit ( z. B. BGH, NJW
1997, 865 ). Adäquat ist ein Umstand, der im Allgemeinen, nicht nur unter besonders
89
eigenartigen, unwahrscheinlichen Umständen Schaden stiftet ( BGH VersR 66, 291;
Jagusch / Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Auflage, § 7 StVG, Rn. 11), nicht ein
solcher, der vorher vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden konnte (
Jagusch / Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Auflage, § 7 StVG, Rn. 11). Dass eine
Berührung des Fahrzeuges mit dem Ast erfolgte, wird von der Klägerin selbst nicht
vorgetragen. Dass die Luftverwirbelung und die Sogwirkung zum Bruch des Astes
führte, hat die insoweit beweisbelastete Klägerin nicht nachweisen können. Der
Sachverständige N. kommt in seinem Gutachten nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass
letztlich nicht sicher festgestellt werden kann, ob die Vorbeifahrt des Milchwagens an
dem streitgegenständlichen Ast bruchauslösend war. Selbst bei der Vorgabe, dass der
Ast durch den Sog in Bewegung geraten ist, ist nach den sachverständigen
Feststellungen des Prof. Dr. N. die zusätzliche Amplitude, die durch den Windfluss des
LKW entsteht, nur gering. Letztendlich könnte auch die zusätzliche Last einer Kohlmeise
oder eines Eichhörnchens das Abbrechen des Astes bewirkt haben. Der
Sachverständige hat Windgeschwindigkeiten gemessen, die an Bundesstraßen und
Autobahnen entstehen. An einer Bundesstraße wurden bei einem LKW maximal um 12
km/ h fahrzeugbedingter Windgeschwindigkeitserhöhung gemessen. Ein
Geländewagen verursacht bei einer Geschwindigkeit von 100 km/ h in Fahrtrichtung
11km /h und quer zur Fahrtrichtung max. 3 km/ h fahrzeugbedingter Geschwindigkeit,
bei 0, 5 m – 1 m Abstand vom Fahrzeugrand. Die Windgeschwindigkeiten, die durch
Einzelfahrzeuge bewirkt werden können liegen weit unter den Werten, bei denen Äste
brechen; dies erscheint nur bei Windgeschwindigkeiten von 80 km/ h möglich. Der
Sachverständige kommt nach den vorgenannten Messungen zu dem Ergebnis, dass
das Eigengewicht des Stämmlings, das permanent ansteht, hier mit weitaus größerer
Wahrscheinlichkeit ein kriechendes Versagen über längere Zeiträume bewirkt hat.
Wegen der Kleinheit der Zusatzlasten kann der Sachverständige letztlich nicht
feststellen, dass die Vorbeifahrt des Milchwagens bruchauslösend war. Dem steht auch
nicht das Privatgutachten des Dr. S. entgegen, das basierend auf Messungen der Druck
- und Sogkraft von vorbeifahrenden Fahrzeugen zu dem Ergebnis gelangt, dass bei
einer angenommenen Fahrgeschwindigkeit von 50 km / h Strömungsgeschwindigkeiten
entstehen, die zwar einen gesunden Ast nicht zum Abbruch bringen können, wohl aber
einen vorgeschädigten Ast. ( vgl. das Gutachten über das Auftreten von Druck – und
Sogkräften beim Vorbeifahren von Fahrzeugen (Prof. S. , Institut für Hydromechanik /
Karlsruhe ). Denn auch das Gutachten schränkt seine Aussage dahingehend ein, dass
es systematische, in der Literatur verbriefte Untersuchungen nicht gibt, so dass die
genaue Kraft nicht ermittelt werden kann, auch hängt diese entscheidend von der
Astform ab ( vgl. Bl. 344 d. A. ). Zudem bestätigt das Gutachten des Prof. Dr. S. die
Ausführungen des Sachverständigen, da er Windgeschwindigkeiten von 10 m pro
Sekunde berechnete. Da jedenfalls ein gesunder Ast durch die entsprechende
Sogwirkung nicht brechen kann, liegt keine adäquate Verwirklichung der
betriebstypischen Gefahren eines Kfz vor, vor denen das StVG seinem Sinn und Zweck
nach schützen will. Auch der BGH sieht einen Zurechnungszusammenhang dann nicht
gegeben, wenn ein Schaden ( Tod von Tieren ) durch eine durch Fahrzeuglärm
ausgelöste Panikreaktion von Tieren verursacht wird ( BGHZ 115, 84; OLG Hamm, MDR
1997, S. 350 ). Dass der Sachverständige letztlich nicht klären konnte, ob die
Vorbeifahrt des Milchwagens bruchauslösend war, geht zu Lasten der Klägerin. Denn
diese war beweisbelastet dafür, dass der Schaden beim Betrieb des Kfz entstanden ist.
Die Beweislast für einen Unfall beim Betrieb des Kfz liegt beim Verletzten ( Jagusch /
Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Auflage, § 7, Rn. 48 ).
c) Zugunsten der Klägerin sprach auch kein Anscheinsbeweis für die Mitursächlichkeit
90
des Astbruches. Steht ein Sachverhalt fest, der nach der Lebenserfahrung auf eine
bestimmte Ursache oder einen bestimmten Geschehensablauf hinweist, so ist diese
Ursache oder dieser Ablauf, wenn der Fall das Gepräge des Üblichen und
Gewöhnlichen trägt, als bewiesen anzusehen (BGHZ 5, 31; 357, 1002 ( 1006 ). Die
Anwendung eines Anscheinsbeweises kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil es
nicht üblich und gewöhnlich ist, dass ein Ast abbricht infolge einer durch die bloße
Vorbeifahrt entstandenen Sogwirkung. Dies entspricht nicht einem typischen
Geschehensablauf. Zumindest müsste bewiesen werden, dass es wahrscheinlicher ist,
dass der Astabbruch durch das Fahrzeug bewirkt wird und nicht durch andere Faktoren.
Nach den sachverständigen Feststellungen des Prof. Dr. N. ist es jedoch sogar
wahrscheinlicher, dass das Eigengewicht des Astes, den Abbruch genau zu diesem
Zeitpunkt bewirkte. Letztlich kann auch das zusätzliche Gewicht einer Kohlmeise oder
eines Eichhörnchens den Bruch des Astes bewirkt haben. Dem stehen auch nicht die
Feststellungen des Sachverständigen Dr. I. in seinem Gutachten des selbständigen
Beweisverfahrens entgegen. Dieser hat keine Berechnungen oder Messungen
vorgenommen, um seine Annahme, es seien erhebliche Luftverwirbelungen entstanden,
zu verifizieren. Die Einholung eines aerodynamischen oder physikalischen Gutachtens
war nicht erforderlich. Die genaue Ermittlung oder Berechnung von Druck – und
Sogwirkungen des Milchwagens ist nicht möglich, da die Berechnungen insbesondere
von der Astform abhängen. Der Sachverständige Prof. Dr. N. hat Messungen
vorgenommen und das Ergebnis der Messungen nachvollziehbar und widerspruchsfrei
dargestellt, so dass die Kammer ihre Entscheidung auf die Feststellungen des
Sachverständigen stützen kann.
2.
91
Eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB allein deshalb, weil der Beklagte gegen das
Verbotszeichen Nr. 250 der Anlage zu § 41 StVO verstoßen hätte verbunden mit dem
Zusatzschild "Fahrradfahrer und Anlieger frei" bzw. "Fahrradfahrer und
landwirtschaftlicher Verkehr frei" kommt nicht in Betracht. Es ist schon zweifelhaft, ob
der Beklagte überhaupt gegen das Verbotsschild mit Zusatzschild verstoßen hat, denn
der Kläger hatte zuvor den Landwirt G. X. aufgesucht, dessen landwirtschaftlicher
Betrieb im Bereich C. liegt. Zwischen C. und der Unfallstelle ist ein Schild "Durchfahrt
verboten" mit dem Zusatzschild "Fahrradfahrer und landwirtschaftlicher Verkehr frei"
vorhanden. Das Zusatzschild Nr. 1026 "Landwirtschaftlicher Verkehr frei" stellt nicht auf
bestimmte Fahrzeugarten und Halter ab, sondern auf den landwirtschaftlichen Zweck
der Wegbenutzung. Auf das Fahrtziel kommt es dabei nicht an, landwirtschaftlicher
Verkehr darf die im übrigen gesperrte Straße auch zur bloßen Durchfahrt benutzen (
Jagusch / Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Auflage, § 41 StVO S. 832, Celle, NZV
90, 441 ). Da der Beklagte zu 3) mit einem Milchsammelwagen die Strecke befuhr,
einem landwirtschaftlichen Fahrzeug, welches einem landwirtschaftlichen Zweck diente,
nämlich dem Aufladen von Milch des Landwirts X., benutzte der Beklagte zu 3) den Weg
befugt. Selbst wenn nur das Zusatzschild "Anlieger frei" maßgeblich wäre ( wogegen
die widersprüchliche Beschilderung spricht) durfte der Streitverkündete den Weg
befahren, da er sich auf der Rückfahrt vom Anlieger X. befand. Das Schild erlaubt
nämlich nicht nur eigentlichen Anliegern die Durchfahrt, sondern auch den Verkehr mit
ihnen und damit die Zufahrt zu den Grundstücken (Jagusch / Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, § 41 StVO, S. 831 ). Ob der Beklagte zu 3) den Weg unbefugt
benutzte kann zudem dahinstehen. Das Verbotszeichen Nr. 250 der Anlage zu § 41
StVO verbunden mit dem Zusatzschild "Anlieger frei" ist nämlich kein Schutzgesetz im
Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Es dient nämlich dann nicht dem Schutz anderer
92
Verkehrsteilnehmer, wenn es aus allgemeinen verkehrspolitischen Erwägungen
aufgestellt ist. Es ist ein Schutzgesetz nur, wenn speziell Anlieger geschützt werden
sollen ( vgl. Jagusch / Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 41 StVO , S. 831, OLG Köln,
Versicherungsrecht 1982, S. 154 ). Dass hier speziell Anlieger geschützt werden sollen,
ist nicht ersichtlich. Das Verbotschild soll vielmehr der Verkehrsberuhigung im
Erholungsgebiet dienen.
Es fehlt zudem an der Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem entstandenen
Schaden. Insoweit wird auf IV 1 b) Bezug genommen.
93
V.
94
Die Kammer sah keine Veranlassung aufgrund des nicht nachgelassenen Schriftsatzes
des Beklagtenvertreters vom 31. 03. 06 erneut in die mündliche Verhandlung
einzutreten ( § 156 ZPO ). Eine Pflicht zur Wiedereröffnung gemäß § 156 ZPO bestand
nicht. Verletzungen der Hinweispflicht oder des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegen
nicht vor. Insbesondere bedurfte es keiner Hinweise zur Erkennbarkeit der
Defektsymptome und zur Verursachung des Astabbruchs durch den Milchtankwagen.
Dies waren die tatsächlichen und rechtlichen Streitpunkte, die bereits Gegenstand
zahlreicher Schriftsätze zwischen den jeweiligen Parteien waren, in denen die
jeweiligen Behauptungen und Rechtsansichten angesprochen wurden. Eines weiteren
Hinweises durch die Kammer bedurfte es weder gemäß § 139 Abs. 1 ZPO noch gemäß
§ 139 Abs. 2 ZPO.
95
VI.
96
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, soweit sie nicht dem Schlussurteil
vorbehalten bleibt.
97
VII.
98
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1. und S. 2
ZPO.
99
N. X. L.
100