Urteil des LG Arnsberg vom 26.10.2010

LG Arnsberg (behandlung, schmerzensgeld, höhe, perücke, verletzung, körperverletzung, betrag, anwaltskosten, ursache, gutachten)

Landgericht Arnsberg, 3 S 111/10
Datum:
26.10.2010
Gericht:
Landgericht Arnsberg
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 S 111/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Arnsberg, 3 C 126/09
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16.06.2010 verkündete Urteil
des Amts-gerichts Arnsberg (AZ: 3 C 126/09) teilweise abgeändert und
wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin
weitere 2.000,00 Euro sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von
402,82 Euro nebst Zinsen aus beiden Beträgen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.10.2008
zu zahlen.
Wegen des weitergehenden Zinsanspruchs wird die Berufung
zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
1
I.
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Die Parteien streiten um weiteres Schmerzensgeld für die Folgen einer misslungenen
Blondierung.
3
Die Klägerin ließ sich am 02.10.2008 im B. Salon der Beklagten zu 1) von der Beklagten
zu 2) ihre damals 10 cm langen braunen Haare blondieren. Der Beginn der Behandlung
war etwa gegen 10.00 Uhr, um 12.00 Uhr war die erste Blondierungsmaßnahme
abgeschlossen, die weiterführende Behandlung endete etwa um 15.30 Uhr. Beim
Auswaschen des Blondierungsmittels hatte die Klägerin starke Schmerzen an der
Kopfhaut, die zudem stark geschwollen war. Während der Behandlung ließ sich die
Klägerin von ihrer Tochter – der Zeugin O. – aus der benachbarten Apotheke
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Schmerzmittel holen. Am Schluss der Behandlung brach die Klägerin in Tränen aus, die
Kopfhaut blutete. Als Farbton zeigte sich statt blond orange. Des Abends hatte die
Klägerin an der Kopfhaut nach der Aussage der Zeugin O. offene Stellen.
Am nächsten Tag hatte sich nach der Aussage des erstinstanzlich vernommenen
Zeugen Dr. S. die oberste Schicht der Kopfhaut abgelöst, die Kopfhaut selbst war
mehrere Wochen lang feucht und borkig.
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Die Klägerin suchte am 06.10.2008 ihre Hausärztin, die Zeugin Dr. I. , auf. Diese
diagnostizierte eine entzündete Kopfhaut und vermutete wegen gleichzeitig
geschwollener Lymphknoten eine allergische Reaktion. Zur Therapie verordnete Frau
Dr. I. Cortison. Unter dem 10.10.2008 erstellte der Privatgutachter H. für die Klägerin ein
schriftliches Gutachten. Nach dessen Inhalt war die Kopfhaut seinerzeit stark geschädigt
und verkrustet, die Klägerin litt an Haarausfall und Haarbruch, der Privatgutachter H.
ging von einem noch zwei Wochen dauernden Heilungsprozess aus.
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Die Klägerin trug bis April 2009 eine Perücke. Die Haftpflichtversicherung der Beklagten
zu 1) zahlte unter dem 27.10.2008 an die Klägerin zum Ausgleich des materiellen
Schadens einen Betrag von 456,63 € sowie ein Schmerzensgeld von 500,00 €. Im
Januar 2009 leistete der Haftpflichtversicherer ein weiteres Schmerzensgeld von 543,37
€.
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Die Klägerin hat behauptet:
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Die Blondierung sei fehlerhaft erfolgt, das Mittel sei zu lange aufgetragen und
pflichtwidrig einmassiert worden.
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Die Klägern hat die Zahlung eines weiteren angemessenen Schmerzensgeldes, das sie
in das Ermessen des Gerichts gestellt hat, sowie von 402,82 € vorgerichtlicher
Anwaltskosten nach einem Streitwert von 3.500,00 € begehrt.
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Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und behauptet:
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Die Kopfhaut sei anschließend nur gereizt, nicht geschädigt gewesen; evtl.
Verletzungen beruhten auf einer Vorschädigung oder auf einer allergischen Reaktion
der Klägerin.
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Zu letzterer Behauptung hat das Amtsgericht ein schriftliches Gutachten des
Sachverständigen P. eingeholt, dass dieser unter dem 23.04.2010 erstattet und im
Verhandlungstermin mündlich erläutert hat. Der Sachverständige hat danach eine
allergische Reaktion ausgeschlossen und ausgeführt, es liege eindeutig eine toxische
Reaktion auf die Blondierungsbehandlung vor.
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Mit dem angegriffenen Urteil hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen und ausgeführt:
Zwar sei dem Grunde nach wegen der körperlichen Schäden, die durch die
Blondierungsbehandlung verursacht worden sei, ein Schmerzensgeld der Klägerin
berechtigt, dieses reiche aber der Höhe nach nicht über die insgesamt gezahlten
1.043,37 € hinaus; immerhin habe die Klägerin unmittelbar nach der Behandlung noch
ein Restaurant besuchen können, zudem seien die Folgen durch das Tragen der
Perücke stark abgemildert.
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Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte und begründete Berufung der Klägerin,
mit der diese ein weiteres Schmerzensgeld erstrebt und ausführt:
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Die Bemessung des Schmerzensgeldes durch das Amtsgericht sei in Anbetracht der
schwerwiegenden Folgen der fehlgeschlagenen Blondierung viel zu gering, das
Amtsgericht habe insbesondere den Restaurantbesuch falsch bewertet und das Tragen
der Perücke nicht richtig eingeordnet.
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Die Klägerin verfolgt ihren erstinstanzlichen Klageantrag weiter.
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Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung und machen geltend:
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Die Klägerin habe die Folgen der Behandlung übertrieben geschildert, zudem liege auf
ihrer Seite ein Mitverschulden vor, da sie die Blondierungsbehandlung fortgesetzt habe,
statt diese wegen der Schmerzen abzubrechen.
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Zur Ergänzung der Sachdarstellung wird auf die Schriftsätze der Parteien Bezug
genommen.
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II.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Die Klage ist in Höhe eines weiteren
Schmerzensgeldes von 2.000,00 € nebst Zinsen sowie hinsichtlich der vorgerichtlichen
Anwaltskosten von 402,82 € im vollem Umfang begründet.
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1.
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Dem Grunde nach folgt der Anspruch auf ein weiteres Schmerzensgeld gegen die
Beklagte zu 1) aus der Verletzung vertraglicher Pflichten gem. §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1,
278, 253 Abs. 2 BGB und gegen die Beklagte zu 2) aus unerlaubter Handlung gem. §§
823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB. Beide Beklagten haften aus fahrlässig fehlerhafter
Haarbehandlung bzw. aus fahrlässiger Körperverletzung auf Ersatz des immateriellen
Schadens der Klägerin. Die vorgenommene Blondierung war in zweifacher Weise
fehlerhaft und pflichtwidrig:
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Die Beklagte zu 2) hat als Erfüllungsgehilfin der Beklagten zu 1) das eingesetzte
Blondierungsmittel zu lange und zu intensiv aufgetragen. Als Folge der Blondierung
erlitt die Klägerin starke Schmerzen, außerdem führte die Blondierung wegen der
Ablösung der oberen Kopfhaut zu einer Körperverletzung der Klägerin. Dies wiederum
verursachte nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme für mehrere
Wochen eine feuchte, sich ablösende und später borkige Kopfhaut. Diese Folgen
stehen nach der klaren und glaubhaften erstinstanzlichen Aussage des Zeugen Dr. S.
und den Ausführungen des Privatsachverständigen H. zur Überzeugung der Kammer
fest. Das Verschulden wird im Hinblick auf die Beklagte zu 1) gem. §§ 280 Abs. 1 Satz
2, 278 BGB vermutet. Gegenüber der Beklagten zu 2) folgt es im Rahmen des § 823
Abs. 1 BGB aus der Anwendung der Sphärentheorie. Im Verhältnis der Beklagten zu 2)
zur Klägerin kommt als Ursache der körperlichen Verletzung der Klägerin nur eine
Sorgfaltspflichtverletzung in der Sphäre der Beklagten zu 2) in Betracht.
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Die im Anschluss an die Vernehmung der Zeugin Dr. med. I. von den Beklagten
vermutete allergische Reaktion scheidet als Ursache der Kopfhautverletzung aus. Dies
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hat der Sachverständige P. klar festgestellt, da er im Versuch keinerlei allergische
Reaktionen der Kopfhaut der Klägerin feststellen konnte.
Für eine Mitverursachung gem. § 254 Abs. 1 BGB, die der Klägerin anspruchskürzend
anzulasten wäre, fehlt jeder brauchbare tatsächliche Anhaltspunkt. Allein aufgrund des
Umstandes, dass die Klägerin bereits zu Anfang der Behandlung – nach etwa 2
Stunden – starke Schmerzen verspürte, lässt sich noch kein Vorwurf gegen sie
herleiten. Die Klägerin durfte im Gegenteil darauf vertrauen, die Beklagte zu 2) als
fachkundige Behandlerin werde schon geeignete Maßnahmen gegen die Schmerzen
von sich aus ergreifen oder die Behandlung abbrechen, falls derartige die Schmerzen
lindernden Maßnahmen nicht in Betracht kamen. Schließlich wies die Beklagte zu 2) als
Friseurmeisterin die weit höhere Fachkunde auf als die Klägerin. Wenn die Klägerin
sich auch auf eine fachlich ordnungsgemäße Behandlung durch die Beklagten zu 2)
verlassen hat und nicht eingeschritten ist, so kann ihr daraus nicht ernstlich ein Vorwurf
gemacht werden.
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2.
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Unter Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände, nämlich der schwerwiegenden
und schmerzhaften Verletzung der Kopfhaut mit dem dreiwöchigen nicht einfachen
Heilungsprozess, dem Zwang die zuvor 10 cm langen Haare auf 6 mm kürzen zu lassen
und dem Tragen einer Perücke über mehr als ein halbes Jahr, ist zur Abgeltung der
erlittenen Beeinträchtigungen ein Schmerzensgeld von insgesamt etwa 3.000,00 €
angemessen (§ 253 Abs. 2 BGB). Eine derartige Höhe ist insbesondere deswegen
sachgerecht, weil die Klägerin beim Kontakt mit anderen Personen, sei es beruflich oder
privat, über ein halbes Jahr lang erhebliche psychische Beeinträchtigungen hat
hinnehmen müssen. Diese sind gerichtsbekannt immer mit der Notwendigkeit
verbunden, anstelle des zuvor vorhandenen eigenen Naturhaares nunmehr eine
Perücke tragen zu müssen. Unter Berücksichtigung des bereits von der
Haftpflichtversicherung geleisteten Schmerzensgeldes von gut 1.000,00 € ist deshalb
ein Betrag von weiteren 2.000,00 € angemessen.
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3.
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Die Klägerin kann aus dem Gesichtspunkt des Verzuges auch die ihr erstandenen
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in voller Höhe ersetzt verlangen. Der Verzug
begann mit dem Zugang der Mahnung der Klägerin vom 16.10.2008. Ebenfalls ab
Verzugsbeginn stehen der Klägerin die geltend gemachten Zinsen in Höhe von 5 %-
Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. § 288 Abs. 1 BGB zu.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit ergeht nach § 708 Nr. 10 ZPO.
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