Urteil des LG Arnsberg vom 21.12.2009

LG Arnsberg (anhörung, beschwerdeführer, stpo, auflage, strafkammer, verzicht, beschwerde, termin, weisung, sache)

Landgericht Arnsberg, 2 Qs 98/09
Datum:
21.12.2009
Gericht:
Landgericht Arnsberg
Spruchkörper:
2. Große Strafkammer als Jugendkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Qs 98/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Medebach, 6 VRJs 13/07
Schlagworte:
Gelegenheit zur mündlichen Anhörung, nachträgliche Entscheidungen
über Weisungen und Auflagen
Normen:
§§ 11, 15, 65 JGG, 453 StPO
Tenor:
wird der Beschluss des Amtsgerichts Medebach – Jugendrichter – vom
04.11.09 aufgehoben und die Sache zur Nachholung der Anhörung und
erneuten Entscheidung auch über die Kosten des
Beschwerdeverfahrens an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe:
1
I.
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Dem Beschwerdeführer ist mit Urteil vom 07.03.2007 aufgegeben worden, einen
sozialen Hilfsdienst von 100 Stunden nach näherer Weisung und Vermittlung des
Jugendamtes abzuleisten. Da der Beschwerdeführer die Auflage nicht erfüllt hat, hat das
Amtsgericht Medebach mit Beschluss vom 11.09.08 einen Jugenddauerarrest von 2
Wochen festgesetzt. Mit Beschluss vom 12.11.2008 hat das Amtsgericht diesen
Beschluss aufgehoben und die Weisung in die Auflage zur Zahlung einer Geldbuße von
1.000,-- Euro umgewandelt. Diese hat der Beschwerdeführer in Höhe von 600,-- Euro
gezahlt. Weitere Zahlungen unterblieben. Das Amtsgericht hat dem Beschwerdeführer
mit Verfügung vom 25.09.2009 Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche
gegeben und hinzugefügt: "Falls Sie eine mündliche Anhörung wünschen, teilen sie
dies bitte umgehend dem Gericht mit. Sodann wird Termin zur Anhörung bestimmt." Der
Beschwerdeführer hat hierauf nicht reagiert. Mit Beschluss vom 04.11.09 hat das
Amtsgericht Medebach gem. § 11 Abs. 3, 15 Abs. 3 JGG einen Jugendarrest von drei
Wochen festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit der sofortigen
Beschwerde vom 18.11.2009 mit der Begründung, er habe die restlichen "350 Euro" in
Sozialstunden umwandeln lassen, da er in der Wirtschaftskrise seinen Job verloren
habe. Die angeordneten 70 Sozialstunden habe er erfüllt.
3
II.
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Die sofortige Beschwerde des Heranwachsenden ist nach §§ 65 Abs. 2 S. 2, 109 Abs. 2
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JGG, 311 StPO zulässig. Sie ist auch begründet, weil der Beschluss des Amtsgerichts
an einem Verfahrensfehler leidet.
Nach §§ 65 Abs. 1 S. 3 JGG , 109 Abs. 2 JGG ist der Heranwachsende bei einer
nachträglichen Entscheidung, die sich auf eine Auflage bezieht ( §§ 15 Abs. 3, 11 Abs. 3
, 105 Abs. 1 JGG) dann Gelegenheit zur mündlichen Äußerung vor dem Richter zu
geben, wenn die Verhängung von Jugendarrest in Betracht kommt. Beabsichtigt der
Jugendrichter die Verhängung eines Ungehorsamsarrests, so ist es zwingend, dass der
Richter dem Jugendlichen bzw. Heranwachsenden eine solche Gelegenheit zur
mündlichen Äußerung gibt (vgl. Eisenberg, JGG, 13. Auflage 2009, § 65 Rn. 10 und § 58
Rn. 7). Nur durch eine mündliche Anhörung kann geklärt werden, ob der Jugendliche
bzw. der Heranwachsende tatsächlich schuldhaft gehandelt hat. Nur so lassen sich
etwaige Missverständnisse ausschalten (vgl. LG Arnsberg, 2. Große Strafkammer,
Beschluss vom 31.01. 2006, 2 Qs 5/06 ). Der Richter muss allerdings nicht anhören,
sondern dem Jugendlichen bzw. Heranwachsenden nur Gelegenheit dazu zu geben,
eine Anhörung muss nicht erzwungen ( z. B. durch Vorführung ) werden.
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Entgegen der zwingenden gesetzlichen Vorgabe ist der Heranwachsende vor
Verhängung des Dauerarrests durch Beschluss vom 04.11.2009 keine Gelegenheit zur
mündlichen Äußerung gegeben worden. Zwar hat das Amtsgerichts in dem Schreiben
vom 25.09.2009 Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme binnen 1 Woche gegeben
und hinzugefügt: "Falls Sie eine mündliche Anhörung wünschen, teilen Sie dies bitte
umgehend dem Gericht mit. Sodann wird ein Termin zur Anhörung bestimmt." Der
Beschwerdeführer hat auf dieses Schreiben nicht reagiert. Eine mündliche Anhörung
wurde dementsprechend nicht durchgeführt. Als schwerwiegender Grund für die
Nichtdurchführung einer mündlichen Anhörung kommt allenfalls ein Verzicht des
Jugendlichen bzw. Heranwachsenden auf das Anhörungsrecht in Betracht. Ein solcher
setzt aber voraus, dass der Jugendliche bzw. Heranwachsende ausdrücklich und
eindeutig erklärt, er wolle nicht mündlich angehört werden. Das Schweigen des
Beschwerdeführers kann nicht als Verzicht auf sein Anhörungsrecht ausgelegt werden.
Die Nichtbeantwortung der Frage kann vielerlei Gründe haben, insbesondere auf
Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruhen. Ein ausdrücklicher und eindeutiger
Verzicht kann daraus nicht hergeleitet werden (vgl. zu § 453 Abs. 1 S. 3 StPO, LG
Arnsberg, 2. Große Strafkammer, Beschluss vom 16.10.2008, 2 Qs 89/08).
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Dabei ist die Einräumung einer Gelegenheit zur mündlichen Anhörung auch im Falle
der wiederholten Verhängung eines Ungehorsamsarrests nicht entbehrlich. Ein
Ungehorsamsarrest kann generell bis zur Dauer von insgesamt vier Wochen wiederholt
verhängt werden, §§ 11 Abs. 3, 16 Abs. 4 JGG. Jedoch müssen auch bei einer solchen
Entscheidung die Anhörungspflichten nach § 65 JGG beachtet werden. Ohne Belang ist
daher, dass der Heranwachsende den Anhörungstermin vom 06.08.08 vor Verhängung
des Ungehorsamsarrestes vom 11.09.2008, der mit Beschluss vom 12.11.08
aufgehoben wurde, nicht wahrgenommen hat.
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Zur Nachholung der Anhörung war die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Denn in den Fällen der sofortigen Beschwerde verliert der Jugendliche bzw.
Heranwachsende sonst eine Instanz ( vgl. Eisenberg, JGG, 13. Auflage, § 58 Rn. 7,
Meyer – Goßner, StPO, 49. Auflage, § 453 StPO, Rn. 15).
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 467, 473 StPO.
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Arnsberg, den 21. 12. 09
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Landgericht, 2. Große Strafkammer – Jugendkammer -
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