Urteil des LG Arnsberg vom 30.03.2010

LG Arnsberg (mehrwertsteuer, kläger, reparatur, ersatzbeschaffung, reparaturkosten, ersatz, wirtschaftlichkeitsgebot, höhe, abrechnung, zahlung)

Landgericht Arnsberg, 5 S 114/09
Datum:
30.03.2010
Gericht:
Landgericht Arnsberg
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 114/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Medebach, 3 C 329/08
Normen:
BGB § 249 Abs. 2
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 03.09.2009 verkündete Urteil
des Amtsgerichts Medebach wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e :
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I.
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Der Kläger nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer nach einem Verkehrsunfall vom
25.03.2008 auf Zahlung der in einem vorprozessual eingeholten Gutachten für eine
Reparatur ausgewiesenen Mehrwertsteuer in Anspruch.
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Die volle Haftung der Beklagten steht außer Streit. Der Sachverständige ermittelte
ausweislich des vorprozessualen Gutachtens Reparaturkosten von 4.837,66 € netto und
5.756,82 € brutto, d.h. einen Mehrwertsteuerbetrag von 919,16 €. Es handelt sich nicht
um einen wirtschaftlichen Totalschaden. Der Kläger hat das beschädigte Fahrzeug nicht
reparieren lassen, sondern ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis von brutto 19.500,01 €
angeschafft, wovon 3.113,45 € auf die Mehrwertsteuer entfielen.
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Die Beklagte lehnte vorprozessual den Ersatz der vom Kläger anteilig geltend
gemachten Mehrwertsteuer von 919,16 € ab. Zuletzt forderte der Kläger diese mit
anwaltlichem Schreiben vom 20.08.2008 unter Fristsetzung bis zum 29.08.2008
erfolglos zur Zahlung auf.
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Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe auch ohne Vorliegen eines wirtschaftlichen
Totalschadens bei einer Ersatzanschaffung ein Anspruch auf Ersatz der tatsächlich
angefallenen Mehrwertsteuer zu, und zwar begrenzt auf diejenige, die bei einer
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Reparatur angefallen wäre.
Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zur Zahlung von 919,16 € nebst Zinsen ab 30.08.2008 zu
verurteilen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, dass dem Kläger mangels Vorliegens eines wirtschaftlichen Total-
schadens kein Wahlrecht hinsichtlich der Schadensabrechnung zustehe. Nach dem
Wirtschaftlichkeitsgebot sei dieser vielmehr gehalten, auf Reparaturkostenbasis
abzurechnen. Eine Kombination von fiktiver Abrechnung hinsichtlich der Reparatur-
kosten und konkreter Abrechnung hinsichtlich der Mehrwertsteuer sei unzulässig.
Mangels Reparatur des Fahrzeugs sei die Mehrwertsteuer gem. § 249 Abs. 2 S. 2 BGB
nicht zu erstatten.
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Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Zur Begründung
hat es – insbesondere unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 30.05.2006, VersR 2006, 1088; Urt. v. 15.02.2005,
VersR 2005, 663) – ausgeführt, der Kläger habe vorliegend einen Anspruch auf Ersatz
der Mehrwertsteuer, die auf die Reparaturkosten angefallen wäre, wenn er das
Fahrzeug hätte reparieren lassen. Die Kombination von fiktiver und konkreter
Schadensabrechnung sei in der vorliegenden Konstellation unter Berücksichtigung der
insoweit nicht eindeutigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zulässig. Im Hinblick auf
das Wirtschaftlichkeitsgebot fände das Wahlrecht hinsichtlich der Schadensabrechnung
seine Grenze an dem Verbot, sich durch den Schadensersatz zu bereichern. Bei
Kombination der fiktiven Reparaturkosten und der bei der Ersatzbeschaffung konkret
angefallenen Mehrwertsteuer – begrenzt auf diejenige, die bei einer Reparatur
angefallen wäre – erleide der Haftpflichtversicherer gerade keinen Nachteil und der
Geschädigte keinen Vorteil im Vergleich zur Abrechnung im Falle der Reparatur des
Fahrzeugs.
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die das Urteil des Amtsgerichts unter
Vertiefung ihrer erstinstanzlichen rechtlichen Ausführungen vollumfänglich angreift.
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Die Beklagte beantragt,
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abändernd die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das Urteil des Amtsgerichts unter Wiederholung und Vertiefung seines
erstinstanzlichen Vortrags.
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II.
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Die Berufung ist zulässig, hat aber keinen Erfolg.
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1.
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Das Amtsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klage ist begründet. Der
Kläger hat gem. §§ 7, 18 StVG, § 3 PflVG bzw. gemäß § 823 BGB einen Anspruch auf
Ersatz der Mehrwertsteuer, die auf die Reparaturkosten angefallen wäre, wenn er das
Fahrzeug hätte reparieren lassen. Denn für die Ersatzbeschaffung ist tatsächlich
Mehrwertsteuer angefallen, welche die Höhe der auf die Reparaturkosten entfallenden
Mehrwertsteuer übersteigt.
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a.
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Der Anspruch ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger nach dem
Wirtschaftlichkeitsgebot nicht zu einer Ersatzbeschaffung berechtigt war.
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Zwar hat der Geschädigte nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot grundsätzlich die
Alternative der Naturalrestitution zu wählen, die den geringeren Aufwand erfordert. Ist
eine Reparatur des beschädigten Fahrzeugs möglich und zumutbar, kann der
Geschädigte die infolge der Anschaffung einer Ersatzsache entstehenden Kosten nur
ersetzt verlangen, wenn die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert
nicht höher ist als der infolge einer Reparatur zu leistende Ersatz (vgl. Heinrichs in
Palandt, BGB, 67. Aufl., § 249 Rn. 26 und 28 jeweils m. w. Rspr.N.).
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Doch auch, wenn hier kein wirtschaftlicher Totalschaden vorliegt und die
Ersatzbeschaffung der teurere Weg war, ist der Kläger nach dem
Wirtschaftlichkeitsgebot nicht daran gehindert, hierfür Ersatz in Höhe des
Bruttoreparaturkostenbetrages geltend zu machen. Denn er ist hierdurch nicht
bereichert, da er lediglich den ihm nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot maximal
zustehenden Betrag beansprucht.
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b.
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Dem Anspruch steht auch nicht entgegen, dass der Kläger hinsichtlich der
Reparaturkosten fiktiv und hinsichtlich der Mehrwertsteuer konkret abgerechnet hat.
Hierin liegt keine unzulässige Kombination von fiktiver und konkreter Abrechnung. Auch
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist kein generelles Verbot einer solchen
Kombination zu entnehmen. Diese ist sinngemäß lediglich insoweit ausgeschlossen als
der Geschädigte hierdurch ungerechtfertigt bereichert wäre (vgl. BGH, NJW VersR
2006, 1088). Auf die überzeugenden Ausführungen des Amtsgerichts wird Bezug
genommen.
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Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall, da der Kläger Mehrwertsteuer in der
beanspruchten Höhe tatsächlich gezahlt hat. Bei einer Reparatur wäre eine
Mehrwertsteuer von 919,16 € angefallen, während der Kläger bei der Ersatzanschaffung
tatsächlich 3.113,45 € an Mehrwertsteuer gezahlt hat.
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Im Gegenteil wäre das Vermögen des Klägers geringer als es vor dem Unfall war, wenn
ihm nicht die für die Ersatzbeschaffung angefallene Mehrwertsteuer in Höhe der auf die
Nettoreparaturkosten anfallenden Mehrwertsteuer zugebilligt würde.
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c.
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Der Anspruch ist schließlich nicht gemäß § 249 Abs. 2 S. 2 BGB ausgeschlossen.
Hiernach ist die Mehrwertsteuer nur dann zu ersetzen, wenn sie auch tatsächlich
angefallen ist. Der Geschädigte bleibt aber berechtigt, den für die Herstellung des
ursprünglichen Zustands erforderlichen Geldbetrag stets und insoweit zu verlangen, als
er zur Herstellung des ursprünglichen Zustands tatsächlich angefallen ist. In diesen
Fällen kommt es für den Ersatz der Umsatzsteuer nur darauf an, ob sie zur Herstellung
des ursprünglichen Zustands angefallen ist, nicht aber, welchen Weg der Geschädigte
zur Wiederherstellung beschritten hat (BGH, Urt. vom 22.09.2009, NJW 2009, 3713).
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Vorliegend ist Mehrwertsteuer für die Herstellung des ursprünglichen Zustands im Wege
der Ersatzbeschaffung tatsächlich angefallen. Der Umstand, dass der Geschädigte in
seiner Dispositionsfreiheit nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot auf die Reparatur des
Fahrzeugs beschränkt war, hat nach den Grundsätzen zu § 249 Abs. 2 S. 2 BGB keine
Auswirkung auf die Frage der Erstattungsfähigkeit der tatsächlich angefallenen
Mehrwertsteuer, sondern allein auf die Höhe des bestehenden Ersatzanspruchs.
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Durch die vorgenommene Art der Schadensregulierung ist weder der Geschädigte
messbar bereichert, noch entsteht dem Schädiger ein Nachteil. Es ist danach kein
Grund dafür ersichtlich, den Geschädigten vor der Ersatzbeschaffung zunächst auf die
Durchführung der Reparatur und die damit einhergehenden Umstände sowie ggf.
längere Nutzungsausfallzeiten zu verweisen.
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2.
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Der geltend gemachte Zinsanspruch rechtfertigt sich, wie das Amtsgericht zutreffend
ausgeführt hat, aus Verzug.
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3.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10 ZPO.
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4.
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Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des
Revisionsgerichts erfordert. Die hier streitige Frage, ob der Kläger die für die
Ersatzbeschaffung angefallene Mehrwertsteuer in der Höhe verlangen kann wie sie auf
die Reparaturkosten entfällt, ist bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden. Die
aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22.09.2009 bezieht sich allein auf
einen Fall, in dem bei der Ersatzbeschaffung tatsächlich keine Mehrwertsteuer
angefallen ist.
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