Urteil des LG Arnsberg vom 25.11.2009

LG Arnsberg (stpo, schriftstück, ausfertigung, abschrift, urschrift, gesamtstrafe, bezug, stgb, verhandlung, schriftlichkeit)

Landgericht Arnsberg, 2 Qs 84/09
Datum:
25.11.2009
Gericht:
Landgericht Arnsberg
Spruchkörper:
2. Große Strafkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Qs 84/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Soest, 20 Ds 120/07
Schlagworte:
Beschluss
Normen:
§§ 33, 460 StPO
Leitsätze:
Den gesetzlichen Anforderungen an die Schriftlichkeit einer außerhalb
einer mündlichen Verhandlung und in Abwesenheit des Betroffenen in
Beschlussform getroffenen richterlichen Entscheidung wird nicht
dadurch Genüge getan, dass der Richter in ein Formular oder ein von
ihm gefertigtes unvollständiges Schriftstück Blattzahlen, Klammern oder
Kreuzzeichen einsetzt, mit denen er auf in den Akten befindliche
Textpassagen Bezug nimmt.
Die Geschäftsstelle ist nicht befugt, erstmals ein Schriftstück
herzustellen, das die äußere Form eines richterlichen Beschlusses hat,
indem Textpassagen für das "einrücken wie Bl. ..." eingefügt werden.
Eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift hat die Urschrift wortgetreu
und richtig, also nur so, wie sie erstellt wurde, wiederzugeben.
Tenor:
Es wird festgestellt, dass keine wirksame Entscheidung über eine
nachträgliche Gesamtstrafenbildung getroffen ist.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten
insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
G r ü n d e :
1
I:
2
Das Amtsgericht Soest hat am 28.09.2009 folgenden Beschluss gefasst:
3
"Die Strafen aus den rechtskräftigen Verurteilungen
4
einrücken wie Bl. 152 und 153 d.A.
5
werden gemäß §§ 53 Abs. 2 Satz 2,54,55 StGB nicht auf eine Gesamtstrafe
zurückgeführt.
6
Gründe:
7
Der Verurteilte ist wie folgt rechtskräftig verurteilt worden:
8
einrücken wie Bl. 152 und 153 d.A.
9
Die genannten Verurteilungen sind zwar gesamtstrafenfähig, werden aber nicht auf eine
Gesamtfreiheitsstrafe zurückgeführt, weil es angemessen erscheint, den Verurteilten
neben einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe auch mit einer sofort
vollstreckbaren Geldstrafe zu treffen."
10
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 08.10.2009 eingegangene sofortige
Beschwerde des Verurteilten.
11
II.
12
Die gemäß §§ 462 Abs. 3 S. 1, 311 StPO statthafte und in zulässiger Weise eingelegte
sofortige Beschwerde des Verurteilten führt zu der Feststellung, dass eine wirksame
Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 460 StPO nicht
getroffen worden ist. Denn der angefochtene Beschluss vom 28.09.2009 enthält keine
nachträgliche, sich auf eine Gesamtstrafenbildung beziehende Entscheidung im Sinne
des § 460 StPO.
13
Nach § 462 Abs. 1 S. 1 StPO trifft das Gericht die nach § 460 StPO notwendige
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. Zum Begriff einer
Entscheidung gehört stets ein Ausspruch, der die Rechtstellung eines Beteiligten
unmittelbar berührt (Meyer-Goßner, StPO, Einleitung, Rdn. 122). Beschlüsse bestehen
demzufolge aus einem Entscheidungssatz und im Rahmen des § 34 StPO einer
Begründung, die sich im Falle des § 460 StPO auf die einzelnen Strafen zu beziehen
haben.
14
Der angefochtene Beschluss enthält schon im Entscheidungsausspruch keine
Entscheidung, die sich auf die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe gemäß § 55
StGB bezieht. Die Entscheidungsformel enthält zwar den Ausspruch, dass Strafen aus
rechtskräftigen Verurteilungen nicht auf eine Gesamtstrafe zurückgeführt werden, es ist
jedoch nicht näher ausgeführt, um welche Strafen aus welchen rechtskräftigen
Verurteilungen Bezug genommen wird.
15
Den gesetzlichen Anforderungen an die Schriftlichkeit einer außerhalb einer
mündlichen Verhandlung und in Abwesenheit des Betroffenen in Beschlussform
getroffenen richterlichen Entscheidung (§§ 33 ff StPO) wird nicht dadurch Genüge getan,
dass der Richter in ein Formular oder ein von ihm gefertigtes unvollständiges
Schriftstück Blattzahlen, Klammern oder Kreuzzeichen einsetzt, mit denen er auf in den
Akten befindliche Textpassagen Bezug nimmt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom
24.06.2004, Az 1 Ws 191/04). Soweit die Urschrift des angefochtenen Beschlusses
durch die Formulierung "einrücken wie Bl. 152 und 153 d.A." auf bestimmte Teile der
Akte verweist, werden diese von der Unterschrift des Richters nicht gedeckt. Mit der
16
Verweisung auf Aktenteile erteilt der Richter vielmehr einer nachgeordneten, zur
Entscheidungsfindung nicht befugten Person die Anweisung, die fehlenden Angaben
nachzuholen, ohne deren Befolgung zu kontrollieren und dafür selbst die Verantwortung
zu übernehmen. Eine solche Verfahrensweise entspricht nicht dem Gesetz (vgl. BGH,
NJW 2003, 3136).
Dieser Formmangel wird nicht dadurch geheilt, dass im Nachhinein auf der
Geschäftsstelle die Lücken für das "einrücken wie Bl. …" gefüllt werden und auf dieser
Grundlage eine "Ausfertigung" oder "beglaubigte Abschrift" erstellt wird, die eine sich
auf eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung beziehende Entscheidungsformel enthält.
Um eine Ausfertigung bzw. beglaubigte Abschrift kann es sich insoweit schon deshalb
nicht handeln, weil mangels eines vollständigen Originals die Übereinstimmung mit
einem solchen nicht bescheinigt werden kann. Eine Ausfertigung oder beglaubigte
Abschrift hat die Urschrift wortgetreu und richtig, also nur so, wie sie erstellt wurde,
wiederzugeben (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 02.05.2008, 1 Ws 142/08; OLG
Koblenz, Beschluss vom 04.03.2009, 1 Ss 13/09; OLG Hamm, a.a.O.; BGH, a.a.O.). Im
konkreten Fall hat somit die Geschäftsstelle, ohne dazu befugt zu sein, erstmals ein
Schriftstück hergestellt und versandt, das die äußere Form eines richterlichen
Beschlusses hat, aber keiner ist, weil ihm die richterliche Bestätigung fehlt (vgl. BGH
a.a.O.).
17
Im Rechtsmittelverfahren war somit festzustellen, dass eine wirksame Entscheidung
gemäß § 460 StPO nicht getroffen ist.
18
Das Amtsgericht wird daher über den Antrag der Staatsanwaltschaft zu befinden haben.
Dabei wird auch zu prüfen sein, ob die Verurteilungen vom 08.11.2006 und vom
29.01.2007 eine Zäsurwirkung entfalten (vgl. dazu Fischer, StGB, § 55, Rdn. 9 ff.). Ob
und inwieweit welche Gesamtstrafen gebildet oder von deren Bildung abgesehen
werden kann, konnte die Kammer nicht abschließend beurteilen, weil nicht alle
Verfahrensakten vorlagen.
19
III.
20
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf §§ 467, 473 Abs. 1 StPO.
21