Urteil des LG Arnsberg vom 27.03.2007

LG Arnsberg: beratung, gebühr, anwaltskosten, haftpflichtversicherer, meinung, post, vergütung, anschluss, aufspaltung, ermessen

Landgericht Arnsberg, 5 S 132/06
Datum:
27.03.2007
Gericht:
Landgericht Arnsberg
Spruchkörper:
5.. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 132/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Arnsberg, 3 C 330/06
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Arnsberg
vom 02. Okt. 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die
Beklagte verurteilt wird, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nur in
Höhe von 26,39 € zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
1
I.
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Der Klägerin ist am 13.10.2004 durch einen Verkehrsunfall, für den der Beklagte zu 100
% ersatzpflichtig ist, ein Schaden in Höhe von 1.889,00 € entstanden. Die Klägerin ist
von ihren Prozessbevollmächtigten anlässlich der Unfallabwicklung umfänglich beraten
worden, insoweit wird auf Bl. 58 f. d. A. verwiesen. Von der mit Schreiben vom
13.01.2005 geltend gemachte Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG in Höhe des 1,3
fachen Satzes zahlte der Beklagte nur den 0,9 fachen Satz. Die Differenz ist
Gegenstand dieses Verfahrens.
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Die Klägerin war der Auffassung, dass angesichts der unstreitigen umfassenden
Beratung eine 1,3 fache Geschäftsgebühr angemessen sei, weswegen sie beantragt
hat, die Beklagte zu verurteilen, an sie 61,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.01.2005 sowie außergerichtliche
Anwaltskosten in Höhe von 27,55 € zu zahlen.
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Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er war der Meinung, dass die umfassende
Beratung nicht zu berücksichtigen sei, da tatsächlich nur die Reparaturkosten, die
Gutachterkosten und die Auslagenpauschale geltend gemacht und auch ersetzt worden
seien.
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Das Amtsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es hat darauf abgestellt,
dass auch bei einer zügigen Verkehrsunfallabwicklung – wie hier – der Rechtsanwalt in
der Regel diverse Tätigkeiten erbringe. Zumindest sei die vom Rechtsanwalt
vorgenommene Gebührenfestsetzung nicht unbillig und damit verbindlich.
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Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klageabweisung weiter. Er ist der
Ansicht, das Amtsgericht stelle nicht hinreichend auf den konkreten Einzelfall ab. Es
komme konkret darauf an, welche anwaltliche Tätigkeit im Vorfeld tatsächlich anfalle,
nicht, welche in der Regel anfalle. Insoweit hält der Beklagte die anwaltliche Tätigkeit im
vorliegenden Fall für unterdurchschnittlich, da die Versicherung nach dem ersten
Aufforderungsschreiben den Schaden unmittelbar in vollem Umfang beglichen habe
und die umfassende Beratung der Klägerin nicht zu berücksichtigen sei, da sie nicht
dem Umfang des geltend gemachten Schadens entspreche.
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Ferner greift er die ausgeurteilten Anwaltskosten an. Diese bestünden jedenfalls nur in
Höhe von 22,62 €.
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II.
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Die zulässige Berufung ist zum großen Teil unbegründet.
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Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf die nicht anrechenbare
Geschäftsgebühr in Höhe von 36,19 € aus § 3 PflVG i.V.m. 249 BGB, §§ 2, 13, 14 RVG
i.V.m. 2400 VV RVG.
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Das Amtsgericht geht im Ergebnis zurecht davon aus, dass die Klägerin Anspruch auf
Erstattung der 1,3 fachen Geschäftsgebühr hat.
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Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 31.10.2006 – VI ZR 261/05 – dazu
ausgeführt, dass nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bei Rahmengebühren wie der
Geschäftsgebühr im Sinne der Nr. 2400 VV (ab 1. Juli 2006 wortgleich Nr. 2300) der
Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem
des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der
Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers,
nach billigem Ermessen bestimmt. Ist die Gebühr - wie hier - von einem Dritten zu
ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4
RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist, wobei ihm nach allgemeiner Meinung auch
im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein Spielraum
(sogenannte Toleranzgrenze) von 20% zusteht (vgl. Madert in Gerold/Schmidt/von
Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl. 2006, § 14 Rn. 12 m. w. N.). Nach den
nunmehr einschlägigen Bestimmungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ist die
Geschäftsgebühr des Rechtsanwalts als Rahmengebühr mit einem Gebührenrahmen
zwischen 0,5 bis 2,5 ausgestaltet. Eine Gebühr über 1,3 kann allerdings wegen des
Nachsatzes in Nr. 2400 VV (ab 1. Juli 2006 wortgleich Nr. 2300) nur gefordert werden,
wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig, mithin überdurchschnittlich gewesen ist
(vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl., Nr. 2300, 2301 VV,
RZ.28; Podlech-Trappmann in: Kompaktkommentar zum RVG, Nr. 2400 VV, Anm.
4.2.2.2.2; Madert, DAR 2004, 417 , 419; Otto, NJW 2004, 1420 , 1421; Riedmeyer, DAR
2004, 262 ; Sonderkamp, NJW 2006, 1477 , 1479).
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Welche Geschäftsgebühr bei der Abwicklung eines "durchschnittlichen" bzw.
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"normalen" Verkehrsunfalls gerechtfertigt ist, ist umstritten. Zum Teil wird die Auffassung
vertreten, eine angemessene Gebühr hierfür sei bei einem Gebührenrahmen zwischen
0,5 und 1,3 zwischen 0,8 und 1,0 anzusiedeln (vgl. die Nachweise bei Sonderkamp,
NJW 2006, 1477 , 1478 Fn. 3) ein anderer Teil erachtet eine 1,3 Geschäftsgebühr für
gerechtfertigt (vgl. OLG München und OLG Düsseldorf, VA 2006, 189 sowie die
Nachweise bei Sonderkamp, aaO, S. 1477 Fn. 2).
Der letztgenannten Auffassung schließt sich die Kammer im Anschluss an die
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im oben zitierten Urteil an. Sie entspricht der
Vorstellung des Gesetzgebers, dass in durchschnittlichen Fällen die Schwellengebühr
von 1,3 eine Regelgebühr darstellt und ähnliche Funktionen erfüllt wie die 7,5/10
Gebühr gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO (amtliche Begründung, BT-Drucks. 15/1971
S. 206 f.) und steht in Einklang mit der Bestimmung, dass bei überdurchschnittlichen,
weil umfangreichen oder schwierigen Tätigkeiten des Rechtsanwalts eine
Geschäftsgebühr über 1,3 gerechtfertigt ist.
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Im vorliegenden Fall geht die Kammer von einem sog. durchschnittlichen Fall aus.
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Dabei hat die Kammer nicht verkannt, dass der Beklagte auf ein Schreiben der
Prozessbevollmächtigten des Klägers unmittelbar den geltend gemachten Schaden –
bis auf eine Kürzung der Auslagenpauschale – erstattet hat. Für einen ähnlichen Fall
hat der Bundesgerichtshof im oben zitierten Urteil eine 1,0 fache Gebühr für ausreichend
erachtet. Der Bundesgerichtshof stellt aber auch klar, dass aus einer schnellen und
problemlosen Schadensregulierung durch den Haftpflichtversicherer des Schädigers
nicht stets der Rückschluss gezogen werden kann, dass die anwaltliche Tätigkeit
unterdurchschnittlich gewesen ist. Eine derartige Regulierung kann vielmehr im
Einzelfall auf einer vorherigen und womöglich umfangreichen Klärung der Sach- und
Rechtslage durch den Rechtsanwalt beruhen. In solchen Fällen widerspräche es dem
Sinn und Zweck des § 14 RVG , wenn der Haftpflichtversicherer es durch eine schnelle
Regulierung in der Hand hätte, dem Rechtsanwalt die Bestimmung einer
angemessenen Vergütung für bereits erbrachte Tätigkeiten zu versagen.
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Dem Beklagten ist insoweit zuzustimmen, dass es jeweils auf den Einzelfall ankommt,
man mithin nicht darauf abstellen kann, welchen Umfang eine anwaltliche Beratung in
Verkehrsunfällen in der Regel hat. Vorliegend hat die Klägerin jedoch explizit dargelegt,
dass sie von ihrem Prozessbevollmächtigten ausführlich in der Unfallangelegenheit
beraten worden ist. So wurde über sämtliche in Betracht kommenden Ansprüche und
etwaige Risiken bei deren Durchsetzung aufgeklärt. Eine entsprechende Beratung ist
aus anwaltlicher Sicht auch erforderlich, denn der Anwalt setzt sich ansonsten
womöglich Regressansprüchen seines Mandanten aus.
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Soweit der Beklagte vorträgt, die Beratung bzgl. der im Ergebnis nicht geltend
gemachten Schadenspositionen sei jedenfalls nicht vom Schädiger zu ersetzen, weil
diese nicht kausal auf den Unfall zurückgeführt werden könne, kann er damit im
Ergebnis nicht gehört werden. Die Beratung bzgl. der Abwicklung des Verkehrsunfalls
als solche beruht adäquat kausal auf dem Unfallereignis. Dies reicht aus, um die
gesamte Beratung bei der Bemessung der Geschäftsgebühr zu berücksichtigen. Eine
Aufspaltung der Beratung in einen Teil, der später nicht als Schaden gegenüber dem
Schädiger geltend gemacht werden kann und in einen Teil, der sich in der
Schadensregulierung widerspiegelt, ist unnatürlich. Dies würde dazu führen, dass für
jeden einzelnen Beratungspunkt – je nach Umfang – ein Gebührenwert festzusetzen ist,
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der in Addition mit den weiteren Tätigkeiten die später zu erstattende Geschäftsgebühr
ergibt. Dies wird jedoch dem einheitlichen Vorgang einer anwaltlichen Beratung nicht
gerecht, weswegen die Kammer die Beratung als solche bei der Bemessung der Höhe
der Geschäftsgebühr berücksichtigt, soweit die Beratung – wie hier – überhaupt kausal
durch den Schädiger verursacht worden ist.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.
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Außergerichtlichen Anwaltskosten sind nur in Höhe von 26,39 € zu erstatten. Diese
Summe setzt sich zusammen aus 0,65 Geschäftsgebühr von einem Wert bis 300,00 € in
Höhe von 16,25 €, der Post- und Telekommunikationsgebühr nach Nr. 7002 VV RVG in
Höhe von 6,50 € und 16 % Mehrwertsteuer in Höhe von 3,64 €.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10 ZPO.
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Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, weil die Rechtssache
weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts erfordert. Der Bundesgerichtshof hat bereits in seinem Urteil vom
31.10.2006 – VI ZR 261/05 –grundsätzliche Ausführungen zu der hier vorliegenden
Problematik gemacht, die Kammer hat sich der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs angeschlossen.
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