Urteil des LG Aachen vom 18.03.2010

LG Aachen (ausführung, antragsteller, eltern, ermessen, vollzugsplan, sache, antrag, anlass, freiheitsstrafe, begründung)

Landgericht Aachen, 33i StVK 841/09
Datum:
18.03.2010
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
33i StVK 841/09
Schlagworte:
Ausführung, Ermessen, Selbstbindung, Vollzugsplan,
Personalknappheit
Normen:
StVollzG §§ 11, 14, 115
Leitsätze:
Die Aufnahme einer beabsichtigten Ausführung zu den Eltern in die
Vollzugsplanfortschreibung bewirkt eine Selbstbindung der
Vollzugsbehörde (vgl. hierzu Wischka, in: Schwind u.a., StVollzG, 5.
Aufl., § 7 Rn 8 m.w.N.).
Die Abweichung von im Vollzugsplan vorgesehenen
Behandlungsmaßnahmen und Vollzugslockerungen bedüren einer -
eingehenden - Begründung entsprechend § 14 Abs. 2 StVollzG (OLG
Celle ZfStrVO 1989, 116).
Dabei ist die Einschränkung von im Vollzugsplan vorgesehenen
Behandlungsmaßnahmen allein aus personalwirtschaftlichen Gründen
unzulässig, zumal wenn diese bereits bei der Erstellung der
betreffenden Vollzugsplanfortschreibung bekannt waren.
Tenor:
Der Bescheid der Leiterin der Justizvollzugsanstalt B vom 05.10.2009,
mit dem die vom Antragsteller beantragte Ausführung zu seinen Eltern
nach X abgelehnt worden ist, wird aufgehoben.
Die Vollzugsbehörde ist verpflichtet, den Aufhebungsantrag des
Antragstellers unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des
Gerichts neu zu bescheiden.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
Antragstellers werden der Antragsgegnerin auferlegt.
Der Streitwert wird auf 500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
I.
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Der Antragsteller verbüßt derzeit in der JVA B eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen
Mordes u. a.. 15 Jahre dieser Strafe waren am 28.06.2007 vollstreckt. Mit Beschluss der
Kammer vom 29.08.2005 (33 StVK 71/05K) hat die Kammer festgestellt, dass die
besondere Schwere der Schuld eine Dauer der Strafvollstreckung von 20 Jahren
gebietet.
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Wie der Kammer insbesondere aus dem durch Beschluss vom 05.08.2009 - ablehnend -
beschiedenen Vollzugsverfahren 33i Vollz 102/09 (betreffend Hafturlaub nach § 13
StVollzG) bekannt ist, wurden dem Antragsteller bislang wenigstens 4 gefesselte
Ausführungen zu der erkrankten Mutter nach X gewährt. Die Vollzugsplanfortschreibung
vom 26.02.2009 (Bl. 16 d.A.) enthält unter dem Abschnitt f) folgende Ausführungen:
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"Es ist vorgesehen, den Gefangenen auch in diesem Jahr einmal zu seiner Familie
nach X auszuführen. Ein Einstieg in eigenständige vollzugliche Lockerungen ist
damit nicht verbunden, da aus hiesiger Sicht ein Einstieg in eigenständige
vollzugliche Lockerungen noch nicht gesehen wird. Im Zusammenhang mit der
Ablehnung von Urlaub aus der Haft ist beim Landgericht B durch den Gefangenen
ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt worden, dessen Ergebnis
abzuwarten bleibt."
5
Mit Formular vom "31.09.2009" (Bl. 12 d.A.) beantragte der Antragsteller unter
Bezugnahme auf die vorstehende Eintragung in der Vollzugsplanfortschreibung für den
14.10.2009 eine Ausführung zu seinen Eltern nach X. Mit Konferenzentscheidung vom
05.10.2009 genehmigte die Antragsgegnerin eine "Ausführung zur Aufrechterhaltung
der Lebensfähigkeit" ins Stadtgebiet B, gleichbedeutend mit der Ablehnung einer
Ausführung zu den Eltern nach X, obgleich in der Stellungnahme des
Abteilungsbeamten/Bereichsleiters vom 05.09.2009 vermerkt ist, gegen eine erneute
Ausführung… zur Aufrechterhaltung der familiären Bindungen bestünden keine
Bedenken (Bl. 10 d.A.). Ausweislich eines Vermerks vom 20.10.2009 (Bl. 11 d.A.) wurde
mit dem hiermit unzufriedenen Antragsteller an diesem Tag ein Gespräch geführt und
ihm erklärt, dass eine Ausführung zu seinen Eltern nach X derzeit aus personellen
Gründen nicht möglich sei; die alternativ angebotene Ausführung ins Stadtgebiet B
wolle der Gefangene nicht in Anspruch nehmen.
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Mit Schreiben vom 20.10.2009 hat der Antragsteller auf gerichtliche Entscheidung
angetragen. Er macht u.a. geltend, eine Ausführung ins B Stadtgebiet bringe ihm nichts,
da seine Eltern - unstreitig - nicht transport- und reisefähig seien und ihn daher auch in
der JVA B nicht besuchen könnten. Zudem sei die Entscheidung rechts- und
ermessensfehlerhaft, da das Ermessen bereits durch die Vollzugsplanung für das Jahr
2009 gebunden gewesen sei. Die Personalsituation in der JVA B sei bereits seit
längerem bekannt.
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Der Antragsteller beantragt,
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die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Bescheides vom 05.10.2009 zu
verpflichten, ihm die im Vollzugsplan vorgesehene Ausführungen zu seinen
Eltern nach X zu bewilligen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.
11
Sie trägt vor, dass sie im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens bezüglich der
Gewährung von Vollzugslockerungen auch die personellen und organisatorischen
Möglichkeiten der Anstalt berücksichtigen müsse. Daher könnten neben notwendigen
Ausführungen aus wichtigem Anlass nach § 35 StVollzG Ausführungen nach § 11
StVollzG nur eingeschränkt ermöglicht werden. Zu lebenslanger Freiheitsstrafe
verurteilte Strafgefangene wie der Antragsteller würden insofern einerseits ausgeführt,
um schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegen zu wirken und andererseits,
wenn Ausführungen als Einstieg in den Lockerungsprozess angedacht seien. Letzteres
sei für den Antragsteller derzeit nicht vorgesehen, wohingegen ihm zur
Aufrechterhaltung der Lebensfähigkeit eine Ausführung ins Stadtgebiet B bewilligt
worden sei. Einen Ausführungsantrag aus wichtigem Anlass nach § 35 StVollzG habe
der Antragsteller nicht gestellt, ferner sei eine Ausführung zu seinen Eltern nicht
geeignet zur - beabsichtigten - Bewährung im Alltag. Darüber hinaus sei das für die
Ausführung notwendig abzustellende Personal bei einer Ausführung ins B Stadtgebiet
weniger personalintensiv als eine Ausführung nach X.
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II.
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß §§ 109 ff. StVollzG zulässig und in
dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet. Die Entscheidung der
Antragsgegnerin in der Vollzugskonferenz vom 05.10.2009, keine Ausführung zu den
Eltern nach X "zur Aufrechterhaltung der familiären Kontakte", sondern lediglich eine
solche "zur Aufrechterhaltung der Lebensfähigkeit" in Stadtgebiet von B zu genehmigen,
ist rechtswidrig. Die Sache ist indessen - wie zu zeigen sein wird - nicht spruchreif (§
115 Abs. 4 StVollzG) und kann von der Kammer auch nicht der Spruchreife zugeführt
werden. Insofern kam nur der Ausspruch der Verpflichtung in Betracht, die
Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu
bescheiden.
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Die Gewährung von Vollzugslockerungen wie Ausführungen, die nicht aus wichtigem
Anlass i.S.v. § 35 StVollzG erfolgen, steht gemäß § 11 StVollzG im pflichtgemäßen
Ermessen der Antragsgegnerin und auch bei der Beurteilung, ob bei dem Antragsteller
einer der Versagungsgründe des § 11 Abs. 2 StVollzG - Flucht- oder
Missbrauchsbefürchtung – gegeben ist, steht der Antragsgegnerin ein
Beurteilungsspielraum zu. Die Strafvollstreckungskammer hat dieses von der
Vollzugsbehörde ausgeübte Ermessen lediglich dahingehend zu überprüfen, ob die
angegriffene Maßnahme rechtswidrig ist, weil die Vollzugsbehörde die gesetzlichen
Grenzen ihres Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck
der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Die Prüfung der
Kammer geht deshalb dahin, ob die Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung von einem
zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer
Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob sie
dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat.
Keinesfalls ist aber die Strafvollstreckungskammer befugt, ihr eigenes Ermessen an die
Stelle desjenigen der Vollzugsbehörde zu setzen (vgl. zum Ganzen: Callies/Müller-Dietz
StVollzG 11. Aufl., § 115 Rn 18-24).
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Selbst dann, wenn die in § 11 Abs. 2 StVollzG aufgeführten Negativ-Indikationen wie
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hier nicht vorliegen, ist die Vollzugsbehörde nicht zur Anordnung der Ausführung
verpflichtet. Vielmehr steht die Anordnung auch dann in ihrem pflichtgemäßen
Ermessen (Callies/Müller-Dietz, a.a.O. § 11 Rn 14). Diesbezüglich hat die Kammer
bereits mehrfach festgestellt, zuletzt im - nichts rechtskräftigen - Beschluss vom
09.02.2010 (33i StVK 831/09):
"Maßgeblich für die von der Antragsgegnerin anzustellenden
Ermessenserwägungen sind insbesondere Gründe, die den Stand des
Behandlungsprozesses und die Geeignetheit der Maßnahme betreffen, das
Vollzugsziel zu erreichen. Dabei kann das Ermessen sowohl durch in der Person
des Gefangenen, als auch durch außerhalb seiner Person liegende
Gesichtspunkte bestimmt werden; so kann die Vollzugsbehörde aus situativen
Gesichtspunkten, etwa weil nicht genügend Vollzugsbedienstete zur
Beaufsichtigung zur Verfügung stehen, von der Gewährung einer Ausführung
absehen (vgl. Callies/Müller-Dietz, a.a.O., § 11 Rn 14; Ullenbruch, in: Schwind u.a.,
StVollzG, 5. Aufl., § 11 Rn 26)."
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Gemessen an den vorstehend dargelegten Grundsätzen stellt sich die Entscheidung der
Antragsgegnerin als ermessensfehlerhaft dar.
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Zwar hat die Kammer in einem vergleichbaren Fall in ihrem vorgenannten Beschluss
vom 09.02.2010 (33i StVK 831/09) zuletzt noch ausgeführt:
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"Indes liegt in dem Umstand, dass der Antragsteller in der Vergangenheit bereits
mehrfach beanstandungsfrei zu seinen Eltern ausgeführt wurde, noch keine
Ermessensbindung dahingehend, dass dem Antragsteller nunmehr stets
Ausführungen nach L zu seinen Eltern zu bewilligen wären. Denn die
Antragsgegnerin muss denknotwendig innerhalb der Grenzen agieren, die durch
die Personalsituation vorgegeben sind (vgl. schon Beschluss der Kammer vom
25.02.2009, 33 Vollz 623/08). Wenn sie sich vor diesem Hintergrund unter
besonderer Berücksichtigung der angestrebten Gleichbehandlung aller
Gefangenen, die für ein geordnetes Zusammenleben in der Justizvollzugsanstalt
unabdingbar ist, dazu entschließt, ihr Ermessen dahingehend zu binden, dass sie
zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Strafgefangenen wie auch dem
Antragsteller Ausführungen nach § 11 StVollzG nur eingeschränkt ermöglicht, um
schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken oder aber zum
Einstieg in den Lockerungsprozess, so ist dies sachgerecht und nicht zu
beanstanden. Auch der Antragsteller gibt keine nachvollziehbaren Gründe dafür
an, warum trotz des - auch wahrgenommenen - Langzeitbesuchs durch seine
Eltern eine Ausführung nach L zur Aufrechterhaltung oder Förderung der sozialen
Kontakte notwendig sei. Ferner ist es nicht erkennbar, warum den Eltern des
Antragstellers trotz ihrer alters- und krankheitsbedingten Einschränkungen zwar die
Wahrnehmung eines Langzeitbesuchs in der Justizvollzugsanstalt B möglich ist,
nicht aber ein Besuch ins Stadtgebiet B, wenn der Antragsteller dorthin ausgeführt
würde."
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Indes ist hier die Antragsgegnerin zunächst von einem unzutreffenden Sachverhalt
ausgegangen, da sie die infolge Aufnahme der begehrten Ausführung zu den Eltern in
die Vollzugsplanfortschreibung vom 26.02.2009 eingegangene Selbstbindung (vgl.
hierzu Wischka, in: Schwind u.a., StVollzG, 5. Aufl., § 7 Rn 8 m.w.N.) nicht beachtet und
ferner verkannt hat, dass der Antragsteller ausdrücklich einen Ausführungsantrag "zur
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Aufrechterhaltung der familiären Kontakte" gestellt hat, dem der zuständige
Abteilungsbeamte/Bereichsleiter in seiner Stellungnahme vom 05.09.2009 (Bl. 10 d.A.,
Bl. 1547 GPA) der Sache nach zugestimmt hat. Anders als in dem Verfahren 33i StVK
831/09 ist im vorliegenden Fall aufgrund der Festschreibung in der
Vollzugsplanfortschreibung eines Selbstbindung zu bejahen, die im Falle einer
Abweichung einer - eingehenden - Begründung entsprechend § 14 Abs. 2 StVollzG
bedarf (OLG Celle ZfStrVO 1989, 116). Dabei ist die Einschränkung von im
Vollzugsplan vorgesehenen Behandlungsmaßnahmen allein aus
personalwirtschaftlichen Gründen unzulässig (Wischka, a.a.O.), zumal diese bereits bei
der Erstellung der betreffenden Vollzugsplanfortschreibung bekannt waren. Der Sache
nach handelt es sich bei der ablehnenden Entscheidung der Antragsgegnerin um eine
solche Begründung, die nahezu ausschließlich mit ihrer eingeschränkten Personallage
begründet wird. Sofern die Antragsgegnerin daneben noch auf die bessere Geeignetheit
einer Ausführung ins B Stadtgebiet "zur Aufrechterhaltung der Lebensfähigkeit" statt
einer solchen zu den Eltern nach X abstellt, geht dies - ungeachtet des Umstandes, ob
es sich nach dem Begehren des Antragstellers und den Vorgaben des Vollzugsplanes
vorliegend um eine Ausführung aus besonderem Anlass nach § 35 StVollzG handeln
würde - liegt dies neben der Sache. Beantragt und in der Vollzugsplanfortschreibung
vorgesehen war wie in den vergangenen Jahren eine Ausführung "zur
Aufrechterhaltung der familiären Kontakte"; die alternativ genehmigte Ausführung ins B
Stadtgebiet ist nach dem unstreitigen Sachverhalt aufgrund des angegriffenen
Gesundheitszustandes seiner Eltern nicht zielführend.
Aufgrund der aufgezeigten Mängel war die angefochtene Entscheidung der
Vollzugsbehörde vom 05.10.2009 aufzuheben. Ferner war die Vollzugsbehörde zu
verpflichten, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
erneut zu bescheiden. Dahingegen war die Antragsgegnerin nicht verpflichtet, den
Antragsteller zu seinen Eltern nach X auszuführen. Es fehlt insoweit an der notwendigen
Spruchreife. Denn der Formulierung der Vollzugplanfortschreibung kann nicht
entnommen werden, dass die Justizbehörde unter Verzicht auf eine
Ermessensentscheidung im Einzelfall dem Antragsteller einen Anspruch auf Ausführung
zu seinen Eltern zugesichert hätte, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null nicht
eingetreten ist. Doch hat die justizbehördliche Selbstbindung zu einer Begrenzung des
Ermessensspielraums geführt, so dass die Justizvollzugsanstalt gehalten ist, die in der
Vollzugsplanfortschreibung ausgesprochene Absicht, den Gefangenen zu seinen Eltern
auszuführen, gewichtig in ihre Ermessensentscheidung einzustellen und angesichts des
bisherigen Zeitablaufs zeitnah zu entscheiden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StvollzG i.V.m. § 467 Abs. 1StPO.
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Die Entscheidung betreffend den Streitwert beruht auf den §§ 65 S. 1, 60 Hs. 1, 52 Abs.
1 GKG. Die Kammer bestimmt ihn nach der Bedeutung der Sache, wie sie sich aus dem
Antrag des Antragstellers ergibt.
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Gegen diese Entscheidung ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde nach Maßgabe
des beigefügten Formblatts statthaft.
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C
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